OGH 6Ob254/20a

OGH6Ob254/20a15.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Katharina Moritz, Rechtsanwältin in Wörgl, als Verfahrenshelferin, gegen die beklagte Partei S***** KG, *****, vertreten durch Dr. Elisabeth Sammer‑Resch, Rechtsanwältin in St. Johann in Tirol, wegen 34.872,45 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. September 2020, GZ 2 R 63/20h‑88, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Rattenberg vom 24. Jänner 2020, GZ 2 Cg 28/14y‑84, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00254.20A.0315.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

[2] 1. Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob eine (kommandit‑)gesellschaftsrechtliche Beschränkung der Gewinnausschüttung in Verbindung mit einem unbefristeten Abtretungsanbot (des Kommanditisten an den Komplementär) sittenwidrig sein kann.

[3] Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass auch eine solche vertragsrechtliche Konstruktion sittenwidrig sein kann; ob tatsächlich Sittenwidrigkeit vorliegt, ist jedoch eine Frage des Einzelfalls, die nicht aufzugreifen ist, wenn das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritt (RS0042881 [T8]).

[4] 1.1. Die Klägerin war aufgrund eines im Jahr 1999 mit ihrem späteren Ehemann abgeschlossenen Gesellschaftsvertrags Kommanditistin der Beklagten, die eine Pizzeria betrieb, mit einer Haftungssumme von 1.000 ATS. Nach Punkt VII. (Kapitalkonten) des Gesellschaftsvertrags führten beide Gesellschafter jeweils ein Kapital- und ein Verrechnungskonto, wobei auf das jeweilige Verrechnungskonto Gewinne, Verluste der Gesellschaft und sonstige Beträge zugunsten oder zulasten der Gesellschaft im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses zu buchen waren und nach Punkt VIII. (Gewinnverteilung – Feststellung des Geschäftserfolgs) die Klägerin Behebungen vom Verrechnungskonto nur einverständlich vornehmen durfte. Bis einschließlich 29. 2. 2008 wurden Gewinne oder Verluste zu 60 % dem Komplementär, dem damaligen (die Ehe wurde 2013 geschieden) Ehemann der Klägerin, und zu 40 % der Klägerin zugerechnet, ab dann aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses zu 100 % dem Komplementär; ab dem Wirtschaftsjahr 2008/2009 wurde ein allfälliges Guthaben der Klägerin verzinst, wobei das Verrechnungskonto am 7. 9. 2012 ein solches in Höhe des Klagsbetrags aufwies. Mit diesem Zeitpunkt nahm der Komplementär das ihm von der Klägerin zeitgleich mit der Errichtung des Gesellschaftsvertrags „unter Verzicht auf alle weiteren Ansprüche gegen die [Beklagte]“ erstellte Anbot ihres Geschäftsanteils zugunsten der beiden gemeinsamen Kinder an. Die Beklagte wurde im Firmenbuch nicht gelöscht, die Pizzeria jedoch zwischenzeitig an Dritte verpachtet.

[5] 1.2. Die Klägerin sieht eine Sittenwidrigkeit (offensichtlich) der Gesamtkonstruktion zu ihren Lasten darin, dass sie zum einen an ihr Abtretungsanbot, mit dem sie ihren Geschäftsanteil unter Anspruchsverzicht abzutreten hatte, unbefristet und zum anderen hinsichtlich Entnahmen aus ihrem Verrechnungskonto an das Einverständnis des Komplementärs gebunden war, was eine „dauerhafte Entnahmebeschränkung bzw einen faktischen Ausschluss [ihres] Entnahmerechts“ dargestellt habe.

[6] Die gegenteilige Beurteilung der Vorinstanzen ist allerdings nicht korrekturbedürftig, hatte doch nach deren Feststellungen die Klägerin selbst kein Kapital in die Gesellschaft eingebracht, sondern erbrachte (lediglich) Arbeitsleistungen, wofür sie auch (fremdübliche) Lohnzahlungen und Privatentnahmen erhielt. Die Regelung im Gesellschaftsvertrag erfolgte erkennbar vor dem Hintergrund, dass das Gesellschaftsvermögen im Wesentlichen aus dem Betrieb bestand, den der Komplementär von seinen Eltern übernommen und in die Kommanditgesellschaft eingebracht hatte; darüber hinaus übernahm die Klägerin lediglich eine äußerst beschränkte Haftung, während ihren früheren Ehemann als Komplementär eine unbeschränkte Gesellschafterhaftung traf. Hinsichtlich der Entnahmebeschränkung, die die Klägerin als „Willkür“ sieht, hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass den Komplementär insoweit ohnehin eine Treuepflicht traf, wogegen die Revision nichts ins Treffen führt. Und schließlich erhielt die Klägerin im Zeitraum 1998 bis 2008 Privatentnahmen vom Verrechnungskonto in Höhe von insgesamt knapp 140.000 EUR im Einverständnis mit dem Komplementär.

[7] 2.1. Es entspricht der Rechtsprechung des Fachsenats zu – auch hier vorliegenden – gesellschaftsvertraglichen Regelungen eines Zweikontenmodells (6 Ob 39/10v GesRZ 2011, 35 [Artmann]; 6 Ob 181/15h GesRZ 2016, 216 [de Jong]), dass zwar– entsprechend der (nunmehrigen) gesetzlichen Regelung des § 109 UGB – die Kapitalanteile der Gesellschafter durch Zu- oder Abflüsse von Vermögenswerten nicht verändert werden dürfen, das Kapitalkonto II (Privatkonto, Verrechnungskonto) aber einen Teil der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung oder eine rein schuldrechtliche Forderung ausweisen kann. Der Rechtscharakter des Kapitalkontos II richtet sich dabei nach dem Gesellschaftsvertrag, nach den Gesellschafterbeschlüssen und nach der Art der ihrer Bildung zugrundeliegenden Geschäftsvorgänge; eine stillschweigende Vereinbarung der Gesellschafter kann insbesondere auch durch ständige Übung über die Verbuchung bestimmter Beträge und die Zweckbestimmung bestimmter Konten begründet werden. Die Buchung von Verlusten auf dem Kapitalkonto II spricht dabei dafür, dass diesem die Funktion eines echten Einlagekontos zukommt, weshalb das Kapitalkonto II des Kommanditisten dann ein Forderungskonto darstellt, wenn darauf Gewinne und Entnahmen verbucht werden; werden auch Verluste auf dem Konto verbucht, ist es hingegen ein Einlagenkonto. Durch eine unterschiedslose Erfassung aller für den Kommanditisten relevanten Buchungsvorgänge über das Kapitalkonto II wird die Grenzziehung zwischen Fremd- und Eigenkapital allerdings verwässert bzw nahezu unmöglich. Deshalb ist das verbuchte Vermögen als Eigenkapital der Gesellschaft zu qualifizieren, wenn im System fester Kapitalanteile sämtliche Gewinne, Verluste und Entnahmen auf dem Kapitalkonto II verbucht werden. In einem solchen Fall führt die Verbuchung von Verlusten auf einem Konto zusammen mit der Verbuchung von entnahmefähigen und nicht entnahmefähigen Gewinnen zu einer eigenkapitalbezogenen „Infizierung“ des gesamten Kontos. Daraus folgt, dass dem Kommanditisten auch bei einem positiven Saldo kein unmittelbares Forderungsrecht zukommt; vielmehr ist ein Gesellschafterbeschluss erforderlich, der den Entnahmebeschränkungen des § 122 UGB unterliegt.

[8] Die Entscheidung 6 Ob 39/10v nannte als ein Abgrenzungskriterium zwischen Einlage und Forderung außerdem zwar die Verzinsung, wobei die feste Verzinsung auf dem Kapitalkonto II ausgewiesenen Beträge für deren Forderungscharakter spreche, wenngleich das Gesetz auch eine Verzinsung des Kapitalanteils vorsehe; ebenso könne die Befugnis, das Guthaben jederzeit oder nach Kündigung abzuheben, für das Vorliegen einer Forderung sprechen, wobei die Beschränkung von Entnahmen allerdings nicht ohne weiteres den Einlagencharakter andeute, weil sie auch bei Darlehen vorgesehen werden könne. Gegen die Annahme von Fremdkapital spreche aber, wenn keine Bestimmungen über die Höhe und den Termin der Rückzahlung getroffen werden.

[9] 2.2. Im vorliegenden Fall wurde im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich vereinbart, dass auf den Verrechnungskonten „Gewinne, Verluste der Gesellschaft und sonstige Beträge zugunsten oder zulasten der Gesellschaft“ zu buchen seien; darüber hinaus stand jedenfalls der Klägerin als Kommanditistin gerade nicht die Möglichkeit offen, ein „Guthaben jederzeit oder nach Kündigung abzuheben“, und sind auch „keine Bestimmungen über die Höhe und den Termin der Rückzahlung getroffen“ worden. Die ab dem Wirtschaftsjahr 2008/2009 vereinbarte Verzinsung eines „allfällig positive[n]“ Kontos spricht nicht zwingend für den Forderungscharakter (siehe 2.1.). Schließlich ist der in der Revision (neuerlich) relevierte Umstand, es seien faktisch nur Gewinne und Entnahmen verbucht worden, nicht entscheidungsrelevant, richtet sich der Rechtscharakter des Verrechnungskontos doch primär nach dem Gesellschaftsvertrag, nach den Gesellschafterbeschlüssen und nach der Art der ihrer Bildung zugrundeliegenden Geschäftsvorgänge; dass faktisch möglicherweise keine Verluste angefallen sind, die zu verbuchen gewesen wären, kann zu keinem anderen Ergebnis führen, abgesehen davon, dass im Gesellschafterbeschluss vom 1. 11. 2008 ausdrücklich von „Gewinne[n] und Verluste[n], die bis einschließlich 29. 2. 2008 erzielt wurden“, die Rede ist.

[10] 2.3. Damit ist aber die von den Vorinstanzen vertretene Auffassung, das auf dem Verrechnungskonto der Klägerin als damalige Kommanditistin verbuchte Guthaben sei als Eigenkapital der Gesellschaft zu qualifizieren und stelle nicht eine selbständige Forderung der Klägerin gegen die beklagte Gesellschaft, sondern einen Teil deren Gesellschaftsanteils dar, der mit der Abtretung auf die Kinder übergegangen sei, nicht zu beanstanden.

[11] 3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

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