European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00023.21Y.0310.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Rajiv B***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.
[2] Danach hat er am 28. November 2019 in G***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer anhaltend wahnhaften Störung, beruht, zwei als Gerichtsvollzieher einschreitende Beamte durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper an einer Amtshandlung, nämlich der Aufnahme eines Vermögensverzeichnisses in einem Exekutionsverfahren gehindert, indem er mit einem Küchenmesser in der Hand auf sie zurannte und in ihre Richtung gestikulierte, somit eine Tat begangen, die als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Strafsatz StGB mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 11 (iVm § 433 Abs 1) StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.
[4] Die – von der Beschwerde ausschließlich bekämpfte – Prognoseentscheidung ist dann aus Z 11 zweiter Fall nichtig, wenn entweder
die Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) gänzlich vernachlässigt oder
die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären, als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0113980 [insbesondere T7]).
[5] Dem Beschwerdevorwurf zuwider hat das Schöffengericht keine der im Gesetz genannten Erkenntnisquellen gänzlich außer Acht gelassen. Die vermisste Bezugnahme auf die Person des Betroffenen, der „krankheitsbedingt“ „Aggression gegenüber seiner Frau [ge]äußert“ habe und „weder Krankheits‑ noch Therapieeinsicht“ zeige, sowie auf die Art der („unter Verwendung eines Messers“ begangenen) Tat findet sich– vom Rechtsmittelwerber übergangen – in den US 5, 8 und 9. Soweit die Rüge vermeint, beweiswürdigende Schlüsse, auf denen die Feststellungsgrundlage der Prognoseentscheidung beruht, könnten „anhand der richterlichen Begründung nicht nachvollzogen werden“, erstattet sie ebenso bloß ein Berufungsvorbringen wie sie mit dem Hinweis auf den bislang „ordentlichen Lebenswandel“ des Betroffenen von jenen des Erstgerichts abweichende Schlussfolgerungen einfordert (RIS‑Justiz RS0118581 [T11]).
[6] Wie die Beschwerde an sich zutreffend ausführt, ist die Prognosetat im Urteil ihrer Art nach näher zu umschreiben, weil nur so eine Subsumtion unter den Rechtsbegriff einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung (also einer Kategorie des materiellen Strafrechts) mit schweren Folgen stattfinden kann (widrigenfalls ein Rechtsfehler mangels Feststellungen aus Z 11 zweiter Fall vorliegt – RIS-Justiz RS0113980 [insbesondere T3, T8, T10]).
[7] Das Erstgericht ging davon aus, es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Betroffene unter dem Einfluss seiner wahnhaften Störung in Hinkunft „insbesondere Widerstände gegen die Staatsgewalt wie im vorliegenden Fall – und angesichts der hier gegenständlichen Tathandlung unter Verwendung eines Messers – verbunden mit qualifizierten Nötigungshandlungen im Sinne des § 269 Abs 1 zweiter Fall StGB begehen wird“ (US 5).
[8] Das Beschwerdevorbringen, die Prognosetat sei nicht „konkretisiert“ und jedenfalls zu Unrecht als solche mit schweren Folgen beurteilt worden, entwickelt seine Argumentation nicht auf der Basis dieser Urteilsannahmen. Damit wird die prozessförmige Darstellung des herangezogenen (materiell‑rechtlichen) Nichtigkeitsgrundes verfehlt (RIS‑Justiz RS0099810).
[9] Gleiches gilt für den Einwand, die tatrichterliche Befürchtung sei „willkürlich“, weil „nach der Art der Tatbegehung – also allein aufgrund einer Widerstandshandlung durch gefährliche Drohung (§ 269 Abs 1 1. Fall StGB) – noch nicht auf die Gefahr zukünftiger, schwerer Nötigungshandlungen iSd § 269 Abs 1 2. Fall StGB zu schließen“ sei. Er vernachlässigt im Übrigen, dass das Gesetz mit der „Art der Tat“ nicht auf eine bestimmte (normative) Kategorie mit Strafe bedrohter Handlungen, vielmehr auf das historische Ereignis abstellt (Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 25).
[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung der Verteidigung – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[11] Über die – mangels Anmeldung (vgl ON 55) implizierte (§ 290 Abs 1 letzter Satz StPO; RIS-Justiz RS0116499) – Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).
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