OGH 9ObA111/20v

OGH9ObA111/20v24.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** T*****, vertreten durch Dr. Richard Benda und andere, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Land *****, vertreten durch Draxler Rexeis Sozietät von Rechtsanwälten OG in Graz, wegen 31.850,53 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. August 2020, GZ 7 Ra 15/20k‑19, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 11. Dezember 2019, GZ 33 Cga 30/19s‑11, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00111.20V.0224.000

 

Spruch:

I. Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG (Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B‑VG) an den Verfassungsgerichtshof den

 

Antrag,

 

gemäß Art 89 Abs 3 B‑VG (Art 140 Abs 4 B‑VG) auszusprechen, dass

in § 256 Abs 1 Z 2 lit b) Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 die Wortfolge , soweit sie insgesamt drei Jahre nicht übersteigen, zur Hälfte“,

in eventu

in § 256 Abs 1 Z 2 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 die Wortfolge „a) die die Erfordernisse des Abs. 3 erfüllen,“ und die Wortfolge „b) die die Erfordernisse des Abs. 3 nicht erfüllen, soweit sie insgesamt drei Jahre nicht übersteigen, zur Hälfte.“,

verfassungswidrig war.

 

II. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

 

Begründung:

[1] Die in Serbien geborene Klägerin absolvierte von 1984 bis 1988 in einer Krankenpflegeschule in Serbien eine Ausbildung zur diplomierten Krankenschwester. Seit 1991 wohnt sie in Österreich.

[2] Von 1. 10. 1992 bis 28. 10. 1998 arbeitete die Klägerin im A*****heim *****, einem Heim, in dem Senioren betreut und gepflegt werden, als Pflegehelferin. Dabei verrichtete sie folgende Tätigkeiten: Grundpflege von mobilen und immobilen Bewohnern; Basale Stimulation; Unterstützung bei der Mobilisation und Transfer von Bewohnern; Intimpflege inklusive Dauerkatheterpflege und Versorgung von harnableitenden Systemen; Durchführung von Prophylaxen (Decubitus, Pneumonie, Thrombose, Kontrakturen); Empathischer Umgang und Unterstützung von Menschen mit Parkinson, Demenz und MS; Versorgung von Bewohnern mit PEG-Sonde inklusive Verbandswechsel bei blander Einstichstelle und Verabreichung von Nahrung; Blutzucker- und Blutdruckkontrollen; Gabe von Insulin s.c.; Mithilfe bei der Essenseingabe und Medikamenteneinnahme sowie Pflege der Nasensonde. Diese Tätigkeiten wurden von der Klägerin vorab mit der diensthabenden Diplomkrankenschwester abgesprochen. Die Klägerin verrichtete dann diese Tätigkeiten nicht gemeinsam mit der Diplomkrankenschwester und auch nicht unter deren Aufsicht, sondern selbständig. Nach Beendigung der jeweiligen Tätigkeit berichtete die Klägerin der Diplomkrankenschwester von deren Verrichtung. Die Tätigkeiten der Klägerin im A*****heim ***** gingen über die einer Pflegehelferin hinaus.

[3] Mit Bescheid des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom 29. 8. 1997 wurde das von der Republik Serbien am 23. 8. 1991 ausgestellte Diplom der Klägerin über eine mit Erfolg abgeschlossene Ausbildung als Krankenschwester unter bestimmten aufschiebenden Bedingungen (Absolvierung einer ergänzenden theoretischen Ausbildung in bestimmten Fächern an einer österreichischen Krankenpflegeschule samt Ergänzungsprüfungen, bestimmte Praktika in der Dauer von jeweils zwei Monaten; Nachweis der für die Erfüllung der Berufspflichten nötigen Kenntnisse der deutschen Sprache) einem österreichischen Diplom über die Berechtigung zur Ausübung des Berufs als diplomierte Krankenschwester als gleichwertig anerkannt. Nach Erfüllung dieser Bedingungen wurde der Klägerin in Österreich am 28. 12. 1998 die Berechtigung zur Ausübung des Berufs als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester erteilt.

[4] Jeweils als Diplomkrankenschwester arbeitete die Klägerin von 15. 3. 2000 bis 27. 2. 2002 beim R***** und von 30. 12. 2002 bis 31. 3. 2007 im Sanatorium H*****. Ihre Tätigkeiten bei diesen Einrichtungen waren im Wesentlichen dieselben wie im A*****heim *****. Im Sanatorium H***** kam zur Pflege der Patienten auch noch deren Vorbereitung für Operationen und die Betreuung frisch operierter Patienten hinzu.

[5] Seit 2. 4. 2007 ist die Klägerin bei der Beklagten als Diplomkrankenschwester im LKH‑Univ. Klinikum G***** beschäftigt. Auf dieses privatrechtliche Dienstverhältnis ist das Gesetz über das Dienst- und Besoldungsrecht der Bediensteten des Landes Steiermark (Stmk. L‑DBR) anwendbar (§ 1 Abs 1 Stmk. L‑DBR).

[6] Die Beklagte rechnete der Klägerin zu Beginn des Dienstverhältnisses gemäß § 256 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 die dreijährige Ausbildungszeit in der Krankenpflegeschule von 6. 12. 1995 bis 4. 12. 1998 (§ 256 Abs 2 Z 5 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29) und eineinhalb Jahre an Vordienstzeiten (§ 256 Abs 1 Z 2b Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29), insgesamt daher 1.643 Tage an. Die Klägerin wurde in die Entlohnungsgruppe SII/Entlohnungs-stufe 03 eingestuft, ihr Vorrückungsstichtag wurde mit 2. 10. 2002 festgesetzt. Die nächste Vorrückung war für den 1. 1. 2009 vorgesehen.

[7] Anlässlich der Novellierung des Stmk. L‑DBR durch LGBl 2011/74 stellte die Klägerin keinen Antrag auf Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags.

[8] Erst aufgrund der Novellierung des § 256a Stmk. L‑DBR (LGBl 2018/17) mit 1. 3. 2018 führte die Beklagte über Antrag der Klägerin eine neue Vordienstzeitenberechnung durch. Die Beklagte rechnete der Klägerin nunmehr die Vordienstzeiten nach Absolvierung des Diploms beim R***** (903 Tage [lt Blg ./A von 15. 3. 2000 bis 20. 5. 2002, worin nach dem Vorbringen der Beklagten in ON 6 auch die Zeit des Mutterschutzes von 28. 2. 2002 bis 3. 9. 2002 berücksichtigt wurde]) und dem Sanatorium H***** (1.553 Tage), insgesamt daher 2.456 Tage zur Gänze an. Berücksichtigt wurde auch die Zeit der Klägerin bei der Beklagten im aufrechten Dienstverhältnis von 2. 4. 2007 bis 31. 3. 2018 (4.017 Tage), insgesamt daher 17 Jahre, 8 Monate und 21 Tage (6.473 Tage). Ausbildungszeiten wurden nicht mehr angerechnet. Auch die Dienstzeiten der Klägerin, die sie als Pflegehelferin im A*****heim ***** erbrachte, wurden von der Beklagten nicht angerechnet, weil sie nicht einschlägig wären. Der Vorrückungsstichtag der Klägerin wurde mit 11. 7. 2000 festgesetzt, die Einstufung erfolgte in die Entlohnungsgruppe SII/Entlohnungsstufe 09, der Zeitpunkt der nächsten Vorrückung wurde mit 1. 7. 2018 festgelegt.

[9] Wären der Klägerin bei ihrem Dienstantritt am 2. 4. 2007 sämtliche Vordienstzeiten (4.486 Tage) sowie ihre dreijährige Ausbildungszeit (1.059 Tage) von der Beklagten angerechnet worden, hätte sich der 18. 12. 1991 als Vorrückungsstichtag ergeben und die Klägerin wäre in die Entlohnungsgruppe/-stufe SII/3–7 mit der nächsten Vorrückung in die Stufe SII/3–8 am 1. 1. 2008, bei jeweils zweijähriger Vorrückung, einzustufen gewesen. In diesem Fall errechnet sich inklusive Juni 2011 eine Gehaltsdifferenz von 31.850,43 EUR; exklusive Juni 2011 eine solche von 31.536,93 EUR.

Mit Mahnklage vom 6. 8. 2019 begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von 31.850,53 EUR sA an Entgeltdifferenzen, die sich bei vollständiger Anrechnung ihrer dreijährigen Ausbildung in Serbien und aller einschlägigen Vordienstzeiten für den Zeitraum Juni 2011 bis Mai 2019 ergeben würden. Die von der Beklagten für die Ermittlung des Vorrückungsstichtags herangezogenen Bestimmungen (§§ 256, 256a Stmk. L‑DBR) widersprächen den europarechtlichen Vorgaben, insbesondere Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung Nr 492/2011 (Wanderarbeitnehmerverordnung), weshalb sie in diesem Umfang nicht anzuwenden seien. Das unionsrechtswidrige innerstaatliche Recht sei nach der Rechtsprechung des EuGH auch dann nicht anzuwenden, wenn im konkreten Sachverhalt keine grenzüberschreitende Tätigkeit vorliege (C‑514/12). Selbst nach Inkrafttreten des § 256a Stmk. L‑DBR habe die Beklagte die Tätigkeit der Klägerin als Pflegehelferin von 1. 10. 1992 bis 28. 10. 1998 zu Unrecht nicht berücksichtigt, weil auch diese Tätigkeit einschlägig gewesen sei und inhaltlich jener Tätigkeit entsprochen hätte, die die Klägerin auch bei der Beklagten ausübe. Abgesehen davon verstoße auch das Abstellen auf die Einschlägigkeit der Vordienstzeiten nach der Rechtsprechung des EuGH (C‑24/17) gegen den Grundsatz der Freizügigkeit. Auch eine Beschränkung der Anrechnung von Vordienstzeiten auf maximal zehn Jahre, wie in § 256a Stmk. L‑DBR vorgesehen, sei unzulässig.

[10] Überdies sei die Nichtanrechnung der Vordienstzeiten, insbesondere jener im Pflegeheim, auch mittelbar (geschlechter‑)diskriminierend (Art 2 lit b der RL 2004/113/EG ), weil mehr Frauen von der Nichtanrechnung dieser Vordienstzeiten bei privaten Arbeitgebern betroffen seien als Männer. Die Nichtanrechnung sämtlicher Vordienstzeiten sei aber auch altersdiskriminierend, weil jüngere Arbeitskolleginnen, die ihre Tätigkeit bei der Beklagten begonnen hätten, bei gleicher fachlicher Qualifikation und Berufserfahrung im Verhältnis zur älteren Klägerin besser gestellt seien, weil sie bei Erreichen desselben Lebensalters mehr Vorrückungen aufweisen würden, als die Klägerin. Schließlich verstoße die Nichtanrechnung der Zeiten als Pflegehelferin im Pflegeheim auch gegen die Vorschriften des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, weil an gleiche Sachverhalte (hier facheinschlägige Tätigkeiten als Pflegehelferin) keine unterschiedlichen Rechtsfolgen geknüpft werden dürften.

[11] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klagsabweisung und wendete ein, dass die Klägerin von Beginn an richtig eingestuft worden sei. Die Vordienstzeitenanrechnung sei in Entsprechung der jeweils geltenden – dem Unionsrecht entsprechenden – Rechtslage erfolgt. Die Zeiten, die die Klägerin als Altenpflegerin im A*****heim ***** erbracht habe, seien nicht zu berücksichtigen gewesen, zumal sie nicht einschlägig gewesen seien. Die Klägerin habe ihre Arbeit nur nach Anordnung und unter Aufsicht von Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege durchführen können, weshalb sich der Verantwortungs- und Aufgabenbereich wesentlich von der Tätigkeit einer DGKP unterscheide. § 256a Stmk. L‑DBR sehe keine Anrechnung von Ausbildungszeiten mehr vor. Mit § 256a Stmk. L‑DBR seien alle Zeiten als anrechenbare Vordienstzeiten mit zehn Jahren begrenzt worden, dies unabhängig davon, bei welchem Dienstgeber diese erbracht worden seien. Eine zeitliche Höchstanrechnung für einschlägige Vordienstzeiten sei unionsrechtskonform. Da im Anlassfall kein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliege, sei der Anwendungsbereich von Art 45 AEUV nicht eröffnet. Eine Unterscheidung von einschlägigen Vordienstzeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft zurückgelegt worden seien, und sonstigen Zeiten in der Privatwirtschaft sei nach der Judikatur des VfGH nicht gleichheitswidrig. Soweit die Klägerin Ansprüche für Juni 2011 geltend mache, seien diese verjährt.

[12] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 31.536,93 EUR sA statt und und wies das Mehrbegehren von 313,50 EUR sA ab. Die für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin auf Vordienstzeitenanrechnung zum Zeitpunkt der Begründung des Dienstverhältnisses geltende Fassung des § 256 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 verstoße gegen Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, weil sie nur bei Anstellungsverhältnissen zu inländischen Gebietskörperschaften oder der Steiermärkischen Krankenanstalten Gesellschaft mbH eine Vollanrechnung der Vordienstzeiten vorgesehen habe, bei anderen (ausländischen) Vordienstzeiten jedoch eine Begrenzung enthalten habe. Die Klägerin habe zwar keine im EU‑Ausland erworbenen Vordienstzeiten, sei aber von der diskriminierenden Vorschrift insofern betroffen, als ihr Anspruch auf Arbeitnehmerfreizügigkeit, nämlich im Ausland zu arbeiten und nach Rückkehr keine Nachteile in Bezug auf die Anrechnung von Vordienstzeiten zu erleiden, beschränkt sei. Dass die Klägerin derzeit keine einschlägigen Beschäftigungszeiten im Ausland vorweisen könne, sei unbeachtlich, weil subjektive Gründe, weshalb sich ein Arbeitnehmer dafür oder dagegen entscheide, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, bei der Beurteilung des diskriminierenden Charakters einer nationalen Vorschrift nicht berücksichtigt werden könnten. Die Beklagte hätte daher bei Begründung des Dienstverhältnisses mit der Klägerin die diskriminierenden Anrechnungsbestimmungen nicht anwenden dürfen und der Klägerin für die Einstufung in das Gehaltsschema die im A*****heim *****, beim R***** und im Sanatorium H***** erbrachten Zeiten zur Gänze anrechnen müssen. Auch wenn die Frage der Einschlägigkeit der Vordienstzeiten nach § 256 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 keine Rolle gespielt habe und darauf erst seit der Novellierung durch LGBl 2018/17 durch § 256a Stmk. L‑DBR Bedacht genommen werde, sei davon auszugehen, dass die Zeiten, die die Klägerin im Pflegeheim gearbeitet habe, auch einschlägig seien. Diese Zeiten seien zusätzlich zur Zeit der dreijährigen Ausbildung der Klägerin in Serbien anzurechnen. Davon ausgehend hätte sich bei Beginn des Dienstverhältnisses der Klägerin zur Beklagten der 18. 12. 1991 als Vorrückungsstichtag ergeben, weshalb das Klagebegehren grundsätzlich berechtigt sei. Der Entgeltanspruch für Juni 2011 in Höhe von 313,50 EUR sei jedoch verjährt.

[13] Das Berufungsgericht gab der gegen den klagestattgebenden Teil der Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Das Berufungsgericht vertrat den Rechtsstandpunkt, dass die Klägerin ihre Ansprüche nicht mit Erfolg auf die Verletzung von Unionsrecht stützen könne, weil § 256 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 nicht gegen einen sekundärrechtlichen Rechtsakt verstoße und Art 45 AEUV als unionsrechtliches Primärrecht mangels eines aktuellen grenzüberschreitenden Sachverhalts nicht anzuwenden sei. Die Anwendung des § 256 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 führe aber auch nicht zu einer Diskriminierung aufgrund des Lebensalters oder des Geschlechts. Eine Bestimmung des nationalen Rechts, die nur gewisse Vordienstzeiten berücksichtige und andere Vordienstzeiten außer Acht lasse, könne zwar zu einer Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer anhand des Datums ihrer Einstellung bei dem betreffenden Unternehmen führen, doch beruhe diese nach der Judikatur des EuGH weder unmittelbar noch mittelbar auf dem Alter oder auf einem an das Alter anknüpfenden Ereignis. Davon, dass sich § 256 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 auf einen signifikant höheren Anteil von Personen eines Geschlechts im Vergleich zu Personen des anderen Geschlechts ungünstig auswirke – so die Judikatur des EuGH für eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – könne hier keine Rede sein, weil diese Bestimmung nicht die Zeiten der Anrechnung im Beruf einer Pflegehelferin regle, sondern auf die Dienstverhältnisse sämtlicher Beamten und Vertragsbediensteten anzuwenden sei.

[14] Gegen die Unterscheidung des Gesetzgebers, bei der Anrechnung von Vordienstzeiten unter Bedachtnahme auf deren Einschlägigkeit zwischen Zeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft zurückgelegt worden seien, einerseits und sonstigen Zeiten (in der Privatwirtschaft) andererseits, bestünden aufgrund des weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach der Entscheidung 8 ObA 34/17h habe sich das für die Beurteilung einer allenfalls unzulässigen Inländerdiskriminierung zuständige Gericht auch mit der unionsrechtlichen Vorfrage auseinanderzusetzen. Für eine Anrufung des VfGH bestehe aber keine unionsrechtliche Grundlage, weil diese Vorgangsweise die Vorabklärung einer hypothetischen unionsrechtlichen Fragestellung erfordere, zumal der Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht eröffnet sei.

[15] Ein aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz abzuleitender Anspruch der Klägerin komme hier schon deshalb nicht in Betracht, weil sie gar nicht behauptet habe, dass die Beklagte anderen Diplomkrankenschwestern Vordienstzeiten als Pflegehelferinnen in privaten Einrichtungen bei Ermittlung des Vorrückungsstichtags unbeschränkt angerechnet hätte.

[16] Gemäß § 256a Abs 1 Z 3 lit c Stmk. L-DBR seien für Vertragsbedienstete des Entlohnungsschemas SII/Gesundheitsberufe die Zeiten einer einschlägigen Verwendung in einem Dienstverhältnis, die bei einer vergleichbaren privaten stationären, extramuralen oder ambulanten Einrichtung im Inland oder in einem EU‑Mitgliedsstaat jeweils bis zum Ausmaß von zehn Jahren zurückgelegt worden seien, bei Ermittlung des Vorrückungsstichtags zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei eine gleichwertige Berufserfahrung von jeder anderen Art der Berufserfahrung, die für die Ausübung der Tätigkeit (bloß) nützlich sei, zu unterscheiden. Die Klägerin habe im A*****heim zwar in der Praxis Arbeiten verrichtet, die über die Aufgaben einer Pflegehelferin hinausgingen, aber sie habe erst ab 28. 12. 1998 die Befugnis erhalten, als Diplomkrankenschwester zu arbeiten. Die über die Aufgaben einer Pflegehelferin hinausgehenden Tätigkeiten im Pflegeheim habe die Klägerin daher nur unter der Verantwortung der diensthabenden Diplomkrankenschwester ausführen können. Auch wenn die Tätigkeiten der Klägerin im A*****heim für ihre spätere Beschäftigung als Diplomkrankenschwester bei der Beklagten nützlich gewesen seien, so seien sie doch nicht als gleichwertig zu qualifizieren und bei Ermittlung des Vorrückungsstichtags auch nicht als einschlägige Vordienstzeiten zu berücksichtigen.

[17] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage einer allfälligen Inländerdiskriminierung uneinheitlich sei und auch die Frage, wie der Begriff „einschlägig“ in § 256a Stmk. L‑DBR auszulegen sei, über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sei.

[18] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgabe (erkennbar gemeint im Umfang der Klagsstattgabe durch das Erstgericht, weil die Abweisung des Mehrbegehrens durch das Erstgericht von der Klägerin im Berufungsverfahren unbekämpft blieb); hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Zudem regt die Klägerin die Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH sowie die Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Verfahrens 9 Ob 64/19f an.

[19] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[20] Die Revision ist zulässig.

[21] 1.  Gesetzliche Grundlagen

[22] 1.1.  § 256 des Gesetzes über das Dienstrecht und Besoldungsrecht der Bediensteten des Landes Steiermark (Stmk. L‑DBR) idF LGBl 2003/29 lautete auszugsweise wie folgt:

„(1)   Der Vorrückungsstichtag ist dadurch zu ermitteln, dass unter Ausschluss der vor der Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Zeiten und unter Beachtung der einschränkenden Bestimmungen der Abs. 4 bis 8 dem Tag der Anstellung vorangesetzt werden:

1. die im Abs. 2 angeführten Zeiten zur Gänze,

2. sonstige Zeiten,

a) die die Erfordernisse des Abs. 3 erfüllen, zur Gänze,

b) die die Erfordernisse des Abs. 3 nicht erfüllen, soweit sie insgesamt drei Jahre nicht übersteigen, zur Hälfte.

(2) Gemäß Abs. 1 Z. 1 sind voranzusetzen:

1. die Zeit, die

a) in einem Dienstverhältnis

aa) zu einer inländischen Gebietskörperschaft oder

bb) bei der Steiermärkischen Krankenanstalten -gesellschaft m.b.H. oder

b) im Lehrberuf

aa) an einer inländischen öffentlichen Schule,

Universität oder Hochschule oder

bb) an der Akademie der bildenden Künste

oder

cc) an einer mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten inländischen Privatschule

zurückgelegt worden ist ;

(3) Die Anrechnung eines Studiums gemäß Abs. 2

Z. 8 umfasst bei Studien, auf die das allgemeine Hochschul-Studiengesetz, BGBl. Nr. 177/1966, und die nach ihm erlassenen besonderen Studiengesetze

1. anzuwenden sind, höchstens die in den Studiengesetzen und Studienordnungen für den betreffenden Studienzweig vorgesehene Studiendauer,

2. nicht anzuwenden sind, höchstens das in der Anlage festgesetzte Höchstausmaß.

(5) Soweit Abs. 2 die Berücksichtigung von Dienstzeiten oder Zeiten im Lehrberuf von der Zurücklegung bei einer inländischen Gebietskörperschaft, einer inländischen Schule oder sonst genannten inländischen Einrichtung abhängig macht, sind diese Zeiten auch dann zur Gänze für den Vorrückungsstichtag zu berücksichtigen, wenn sie

1. nach dem 7. November 1968 bei einer vergleichbaren Einrichtung eines Staates zurückgelegt worden sind, der oder dessen Rechtsnachfolger nunmehr Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes ist, oder

2. nach dem 31. Dezember 1979 bei einer vergleichbaren Einrichtung des Staates zurückgelegt worden sind, mit dem das Assoziierungsabkommen vom 29. 12. 1964, 1229/1964, abgeschlossen worden ist.

...“

[23] 1.2.  Mit der Dienstrechts-Novelle 2011 LGBl 2011/74 wurden die Bestimmungen über den Vorrückungsstichtag an das Urteil des EuGH im Fall Hütter (C‑88/08) angepasst. Eine Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags der Klägerin erfolgte nicht. Die Klägerin hatte auch keinen entsprechenden Antrag gestellt.

[24] Die novellierte Bestimmung des § 256 Stmk. L‑DBR trat mit 1. 8. 2011 in Kraft und lautete auszugsweise wie folgt:

„(1) Der Vorrückungsstichtag ist dadurch zu ermitteln, dass Zeiten nach dem 30. Juni des Jahres, in dem nach der Aufnahme in die erste Schulstufe neun Schuljahre absolviert worden sind oder worden wären, unter Beachtung der einschränkenden Bestimmungen der Abs. 12 bis 15 dem Tag der Anstellung vorangesetzt werden:

1. die in Abs. 3 angeführten Zeiten zur Gänze

2. sonstige Zeiten, die

a) die Erfordernisse des Abs. 10 erfüllen, zur Gänze,

b) die Erfordernisse des Abs. 10 oder 11 nicht erfüllen,

aa) bis zu drei Jahren zur Gänze und

bb) bis zu weiteren drei Jahren zur Hälfte.

(2) Das Ausmaß der gemäß Abs. 1 Z 2 lit. b sublit. aa und Abs. 3 Z 6 vorangesetzten Zeiten und der gemäß Abs. 3 Z 4 lit. d vorangesetzten Lehrzeiten darf insgesamt drei Jahre nicht übersteigen. Wurde jedoch

1. eine Ausbildung gemäß Abs. 3 Z 6 abgeschlossen, die auf Grund der jeweiligen schulrechtlichen Vorschriften mehr als zwölf Schulstufen erforderte, so verlängert sich dieser Zeitraum um ein Jahr für jede über zwölf hinausgehende Schulstufe;

2. eine Lehre gemäß Abs. 3 Z 4 lit. d abgeschlossen, die auf Grund der jeweiligen Vorschriften eine Lehrzeit von mehr als 36 Monate erforderte, so verlängert sich dieser Zeitraum um einen Monat für jeden über 36 Monate hinausgehenden Monat der Lehrzeit.

(3) Gemäß Abs. 1 Z 1 sind voranzusetzen:

1. die Zeit, die

a) in einem Dienstverhältnis

aa) zu einer inländischen Gebietskörperschaft oder zu einem inländischen Gemeindeverband oder

bb) bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft m.b.H. oder

b) im Lehrberuf

aa) an einer inländischen öffentlichen Schule, Universität oder Hochschule oder

bb) an der Akademie der bildenden Künste oder

cc) an einer mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten inländischen Privatschule

dd) an einer Pädagogischen Hochschule oder Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik Wien

zurückgelegt worden ist,

…“

[25] 1.3. Mit der Dienstrechts-Novelle 2014 LGBl 2014/151 trat am 1. 1. 2015 § 256a Stmk. L‑DBR in Kraft. Diese Bestimmung regelte ausschließlich den Vorrückungsstichtag für Vertragsbedienstete des Entlohnungsschemas SI der Entlohnungsgruppe SI/3 und SI/4.

[26] 1.4. Mit der Dienstrechts-Novelle 2018 LGBl 2018/17 wurden auch für Vertragsbedienstete des Entlohnungsschemas SII/Gesundheitsberufe der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH facheinschlägige Zeiten (Erläuterungen zu LGBl 2018/17, Seite 2) bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtags berücksichtigt. Die seit 1. 3. 2018 in Kraft stehende Bestimmung des § 256a Stmk. L‑DBR lautet auszugsweise wie folgt:

„(1) Abweichend von § 256 ist bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtages zu berücksichtigen:

...

3. für Vertragsbedienstete des Entlohnungsschemas SII/Gesundheitsberufe die Zeit, einer einschlägigen Verwendung in einem Dienstverhältnis, die

a) bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft m.b.H.

b) bei einer Gebietskörperschaft im Inland oder in einem EU Mitgliedstaat und/oder

c) bei einer vergleichbaren privaten stationären, extramuralen oder ambulanten Einrichtung im Inland oder in einem EU Mitgliedstaat

jeweils bis zum Ausmaß von zehn Jahren zurückgelegt worden ist.

[27] § 294a Abs 3 Stmk. L‑DBR sieht vor, dass die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags gemäß § 256a Abs 1 Z 3 Stmk. L‑DBR nach ordnungsgemäßer Mitteilung und Nachweis mit Wirksamkeit des nächstfolgenden Monatsersten erfolgt.

[28] 2. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen:

[29] 2.1. Gesetze wirken nach § 5 ABGB im Allgemeinen auf abgeschlossene Sachverhalte oder auf vergangene Zeitabschnitte bei Dauerrechtsverhältnissen nicht zurück (9 ObA 64/19f Pkt 3.1. mwN). Sofern es sich aber um Dauertatbestände handelt, ist der in den Zeitraum der Herrschaft der neuen Rechtsnorm herüberreichende Abschnitt des Dauertatbestands nach den Vorschriften des neuen Gesetzes zu beurteilen, falls nicht Übergangsbestimmungen etwas anderes anordnen (RS0008747; RS0008715 [T7, T19]). Vor allem bei einem Dauerrechtsverhältnis, das vor dem Beginn seines zeitlichen Geltungsbereichs begonnen hat und während seines zeitlichen Geltungsbereichs andauert, ist das neue Gesetz hinsichtlich jener Zeitabschnitte anzuwenden, die auf den Zeitraum nach dem Beginn des zeitlichen Geltungsbereichs entfallen (9 ObA 8/16s). Die Rückwirkung eines Gesetzes bezieht sich nur auf jene Tatbestände, für die die Rückwirkung ausdrücklich ausgesprochen wird (RS0008694), sodass Rechtsänderungen auf abschließend verwirklichte Sachverhalte nicht zurückwirken, sofern der Gesetzgeber nicht ausdrücklich Gegenteiliges anordnet (RS0008694 [T8]) oder der besondere Charakter einer zwingenden Norm nicht deren rückwirkende Anordnung verlangt (RS0008694 [T4]).

[30] Die hier strittigen Monatsbezüge der Klägerin beruhen auf solchen abschließend verwirklichten Sachverhalten, weil die jeweilige Leistung der Klägerin, für die der jeweilige Monatsbezug gebührt, bereits erbracht wurde. Nach den dargestellten Grundsätzen ist daher die im klagsgegenständlichen Zeitraum jeweils anwendbare Rechtslage für die Bemessung des einzelnen Monatsbezugs heranzuziehen. Die nach 2003 ergangenen Gesetzesnovellen sprechen keine Rückwirkung aus.

[31] 2.2. Im vorliegenden Verfahren geht es zum einen um die Überprüfung von Monatsbezügen, die nach „Altrecht“ zu bemessen waren (§ 256 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 und LGBl 2011/74) und zum anderen um jene, die auf Basis des § 256a Stmk. L‑DBR gebühren. Letztere werden jedoch nicht an den VfGH zur Überprüfung herangetragen.

[32] Von der gegenständlichen Anrufung des VfGH sind ausschließlich jene Vordienstzeiten betroffen, die die Tätigkeit der Klägerin beim R***** (903 Tage) und im Sanatorium H***** (1.553 Tage) – insgesamt 2.456 Tage – betreffen, die die Beklagte aber zu Beginn des Dienstverhältnisses nicht zur Gänze, sondern lediglich im Ausmaß von eineinhalb Jahren nach § 256 Abs 1 Z 2 lit b Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 für die Berechnung des Vorrückungsstichtags und die Einstufung angerechnet hat. Durch eine weitere Anrechnung von 1.916 Tagen von diesen Vordienstzeiten, hätte die Klägerin aufgrund des dadurch besseren Vorrückungsstichtags und der dadurch höheren Einstufung einen höheren Entlohnungsanspruch gegenüber der Beklagten, der von ihr – neben weiteren Ansprüchen – in diesem Verfahren geltend gemacht wird.

[33] 3.  Zum Anfechtungsumfang:

[34] Um das strenge Formerfordernis des ersten Satzes des § 62 Abs 1 VfGG zu erfüllen, muss – wie der VfGH bereits in zahlreichen Entscheidungen ausgeführt hat – die bekämpfte Gesetzesstelle genau und eindeutig bezeichnet werden (VfGH 13. 6. 2005, G 172/04 Pkt II.1. mwN; VfGH 27. 6. 2007, G 24/06 Pkt 3.1.; VfGH 24. 9. 2018, G 196/2018 Pkt 4.). Dabei sind die Grenzen der Aufhebung so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Normteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammen-hängenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfGH 1. 10. 2019, G 330/2018 Pkt IV 1.7. mwN).

[35] 4. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken:

[36] 4.1. Gemäß § 62 Abs 1 VfGG hat der Antrag die gegen die Verfassungsmäßigkeit sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art – präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die jeweils bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (VfGH 12. 6. 2019 G 34/2019 Pkt II.2.1. mwN).

[37] 4.2. Unionsrechtliche Vorfrage

[38] 4.2.1. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Regelung, wonach bei österreichischen Gebietskörperschaften zurückgelegte Vordienstzeiten zur Gänze angerechnet werden, aber eine Anrechnung von bei anderen Arbeitgebern zurückgelegten einschlägigen Vordienstzeiten ausgeschlossen ist, geeignet, Wanderarbeitnehmer, die bei anderen Arbeitgebern eine einschlägige Berufserfahrung erworben haben oder gerade erwerben, davon abzuhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen (EuGH 5. 12. 2013 Rs C‑514/12, Salzburger Landeskliniken, Rz 28, 35; 8. 5. 2019 C‑24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Rz 82, 92).

[39] 4.2.2. Nach den im gegenständlichen Fall anzuwendenden Bestimmungen sind die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH zurückgelegte Vordienstzeiten zur Gänze anrechenbar (§ 256 Abs 2 Z 1 lit a) sublit aa) und bb) iVm Abs 1 Z 1 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29). Soweit § 256 Abs 2 legcit die Berücksichtigung von Dienstzeiten oder Zeiten im Lehrberuf von der Zurücklegung bei einer inländischen Gebietskörperschaft, einer inländischen Schule oder sonst genannten inländischen Einrichtung abhängig macht, sind diese Zeiten auch dann zur Gänze für den Vorrückungsstichtag zu berücksichtigen, wenn sie 1. nach dem 7. 11. 1968 bei einer vergleichbaren Einrichtung eines Staats zurückgelegt worden sind, der oder dessen Rechtsnachfolger nunmehr Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums ist, oder 2. nach dem 31. 12. 1979 bei einer vergleichbaren Einrichtung des Staats zurückgelegt worden sind, mit dem das Assoziierungsabkommen vom 29. 12. 1964, 1229/1964, abgeschlossen worden ist (§ 256 Abs 5 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29). Sonstige Zeiten, die die Erfordernisse des Abs 3 nicht erfüllen – das sind die vom Anfechtungsumfang betroffenen Vordienstzeiten – sind hingegen, soweit sie insgesamt drei Jahre nicht übersteigen, nur zur Hälfte anrechenbar. Zeiten gemäß § 256 Abs 2 Z 1 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29, in denen der Beamte eine Tätigkeit ausgeübt oder ein Studium betrieben hat, können zwar zur Gänze berücksichtigt werden, aber nur insoweit, als die Tätigkeit oder das Studium für die erfolgreiche Verwendung des Beamten von besonderer Bedeutung ist (§ 256 Abs 6 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29). Auf diese Bestimmung stützt die Klägerin die begehrte Anrechnung ihrer Vordienstzeiten nicht.

[40] 4.2.3.  Diese Beschränkungen gelten auch dann, wenn die Arbeitnehmer – wie hier unstrittig die Klägerin als Diplomkrankenschwester beim R***** und im Sanatorium H***** – gleichartige oder identische (und nicht bloß „schlicht nützliche“) Vordienstzeiten aufzuweisen haben. Sie können Wanderarbeitnehmer daher davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Da dafür auch keine sachliche Rechtfertigung vorliegt (und die Beklagte auch keine Rechtfertigungsgründe vorgebracht hat) verstoßen sie gegen Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl EuGH 5. 12. 2013 C‑514/12, Salk; EuGH 10. 10. 2019 C‑703/17, Adelheid Krah/Universität Wien; EuGH 8. 5. 2019 C‑24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund; vgl auch 9 ObA 40/20b Pkt 3, 4).

[41] 4.2.3. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts sind diese Beschränkungen daher nicht anzuwenden, sodass Wanderarbeitnehmern im Ergebnis gleichartige oder identische Vordienstzeiten jedenfalls zur Gänze anzurechnen sind, unabhängig davon, bei welchen Arbeitgebern diese Vordienstzeiten zurückgelegt wurden.

[42] 4.3. Anwendungsbereich des Unionsrechts:

[43] Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts setzt jedoch voraus, dass sich der betroffene Arbeitnehmer auf das Unionsrecht berufen kann. Mangels grenzüberschreitenden Sachverhalts ist der Anwendungsbereich des Unionsrechts dann nicht eröffnet, wenn es um die Anrechnung von in Österreich zurückgelegten Vordienstzeiten inländischer Arbeitnehmer geht (9 ObA 64/19f Pkt 5.3. vom 17. 12. 2019 unter Bezugnahme auf 8 ObA 34/17h Pkt 4.2.; 8 ObA 8/17k Pkt 4.; VwGH 27. 5. 2019 Ra 2017/12/0047 Pkt 17). Solche Arbeitnehmer – wie hier die Klägerin – können sich auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts daher nicht berufen.

[44] 4.4. Inländerdiskriminierung:

[45] 4.4.1. Der Umstand, dass sich ein Inländer nicht unmittelbar auf Art 45 AEUV berufen kann, schließt allerdings nicht aus, dass der allfällige Verstoß einer nationalen Regelung gegen das Primärrecht in diesem Fall als Vorfrage für die nach nationalem (Verfassungs‑)Recht zu beurteilende Frage zu prüfen ist, ob ein Inländer durch die weitere Anwendung der nationalen Regelung faktisch schlechter behandelt werden darf als ein EU‑Ausländer, der sich auf die Nichtanwendbarkeit berufen kann (4 Ob 145/14y Pkt 4.1. ff; vgl 4 Ob 200/14m Pkt 4.4.; 9 ObA 64/19f Pkt 5.4.1. vom 17. 12. 2019; 9 ObA 65/19b Pkt 5.4.1. vom 17. 12. 2019).

[46] 4.4.2. Im vorliegenden Fall führt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts dazu, dass in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug (Wander-)Arbeitnehmern sämtliche einschlägige Vordienstzeiten zur Gänze und ohne quantitative (§ 256 Abs 1 Z 2 lit b Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29) oder formale (§ 256 Abs 6 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29) Einschränkung anzurechnen waren; inländischen Arbeitnehmern wurden demgegenüber die genannten Einschränkungen aufgebürdet. Aus diesem Grund scheint § 256 Abs 1 Z 2 lit b Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 Sachverhalte ohne Unionsbezug im Verhältnis zu jenen mit einem solchen Bezug zu diskriminieren.

[47] 4.4.3. Nach österreichischem Verfassungsrecht kann der Gesetzgeber zwar zwischen Zeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft zurückgelegt wurden, einerseits und sonstigen Zeiten andererseits unterscheiden (VfGH 18. 6. 2010 B 1427/08 Pkt 3.2., VfSlg 19.110). Davon zu trennen ist allerdings die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn bestimmten Arbeitnehmern aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts solche sonstigen Zeiten unterschiedslos anzurechnen sind. Eine solche Inländerdiskriminierung wird nach ständiger Rechtsprechung des VfGH am Gleichheitssatz gemessen und bedarf daher einer sachlichen Rechtfertigung, und zwar selbst dann, wenn – wie hier – erst der Anwendungsvorrang des Unionsrechts die Differenzierung zwischen Binnen- und Unionssachverhalten erkennen lässt (VfGH 1. 3. 2004 G 110/03 Pkt II.2.1. ff, VfSlg 17.150).

[48] 4.4.4. Im österreichischen Recht widerspricht es im Regelfall dem Gleichheitsgrundsatz, österreichische Staatsbürger gegenüber Ausländern ohne sachliche Rechtfertigung zu benachteiligen (VfGH 7. 10. 1997 V 76/97 und V 92/97, Pkt II.3.c) bb), VfSlg 14.963). Wenn es dabei auch nicht um Diskriminierungen nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft geht, sondern um die Benachteiligung rein innerstaatlicher Sachverhalte gegenüber Sachverhalten mit Unionsbezug, so sind inländische Staatsbürger davon doch meist besonders betroffen (VfGH 1. 3. 2004 G 110/03 Pkt II.2.1., VfSlg 17.150). Darüber hinaus werden auch österreichische Staatsbürger untereinander ungleich behandelt, nämlich Wanderarbeitnehmer mit österreichischer Staatsbürgerschaft (die etwa im Ausland Vordienstzeiten erworben haben, die sie nach Unionsrecht angerechnet erhalten) im Vergleich zu sonstigen österreichischen Arbeitnehmern, bei denen kein Auslandsbezug vorliegt.

[49] 4.5. Sachliche Rechtfertigung:

[50] Eine sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung ist nicht zu erkennen. Dies gilt sowohl für die quantitative Begrenzung der Anrechnung (§ 256 Abs 1 Z 2 lit b Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29) als auch für die im Ermessen der Beklagten stehende Anrechnung von Vordienstzeiten unter der im Vergleich zur Anrechnung von Zeiten nach § 256 Abs 2 Z 1 lit a) sublit aa) und bb) Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 strengeren Voraussetzung, dass diese Tätigkeit für die erfolgreiche Verwendung des Beamten von besonderer Bedeutung sein muss (§ 256 Abs 6 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29) (vgl EuGH 30. 11. 2000, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft öffentlicher Dienst , C‑195/98, Rn 44). Wie bereits erwähnt, stützt die Klägerin die begehrte Anrechnung ihrer Vordienstzeiten aber nicht auf § 256 Abs 6 Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29, weshalb diese Bestimmung mangels Präjudizialität nicht an den VfGH zur Prüfung herangetragen wird.

[51] 4.6. Aus den dargelegten Gründen hegt der Senat Bedenken gegen die Anwendung der antragsgegenständlichen Bestimmung wegen Verstoßes gegen Art 7 B‑VG und Art 2 StGG, sodass er gemäß Art 89 iVm Art 140 B‑VG einen Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes beim VfGH zu stellen hat (vgl RS0053977).

[52] 5. Antrag:

[53] 5.1. Da im gegenständlichen Verfahren § 256 Abs 1 Z 2 lit b) Stmk. L‑DBR idF LGBl 2003/29 präjudiziell ist, diese Bestimmung aber aus den oben dargelegten Gründen unionsrechtswidrig und verfassungswidrig erscheint, soweit vergleichbare Vordienstzeiten bei anderen Dienstgebern als einer inländischen Gebietskörperschaft oder der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH erworben wurden, diese Zeiten aber, soweit sie drei Jahre übersteigen, nur bis zur Hälfte angerechnet werden, war mit dem vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag die Frage der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Bestimmung an den VfGH heranzutragen.

[54] 5.2.  Wird dem Hauptantrag stattgegeben, verbleibt in § 256 Abs 1 Z 2 lit b) Stmk. L‑DBR der Satzteil „die die Erfordernisse des Abs 3 nicht erfüllen“. Zu dem mit dem Unions‑ und Verfassungsrecht in Einklang stehenden Ergebnis gelangt man dann durch ergänzende Auslegung des verbleibenden Teils der Bestimmung dahin, dass die die Erfordernisse des § 256 Abs 3 Stmk. L‑DBR nicht erfüllenden sonstigen Zeiten zur Gänze anzurechnen sind. Dieses Ergebnis wird auch durch Stattgabe des Eventualantrags erreicht.

[55] 6. Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf § 62 Abs 3 VfGG.

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