OGH 7Ob7/21m

OGH7Ob7/21m24.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. R***** K*****, 2. A***** K*****, beide *****, vertreten durch Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Markus Heis, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 15.638,40 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. September 2020, GZ 4 R 89/20z‑51, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 28. April 2020, GZ 9 Cg 92/18s‑43, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00007.21M.0224.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.379,02 EUR (darin enthalten 229,84 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts liegt keine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO zur Entscheidung vor. Die Zurückweisung einer unzulässigen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[2] 1. Zwischen den Streitteilen besteht eine Wohnhaus‑ und Eigenheimversicherung, die auch Sturmschäden umfasst. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS‑10/2012) und die Zusatzbedingungen für den Versicherungsschutz bei grober Fahrlässigkeit – Eigenheim (Fassung 06/2014) zugrunde. Die ABS‑10/2012 lauten auszugsweise:

„Artikel 2

Gefahrenerhöhung

1. Nach Vertragsabschluss darf der Versicherungsnehmer ohne Einwilligung des Versicherers keine Gefahrenerhöhung vornehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestatten. Erlangt der Versicherungsnehmer davon Kenntnis, dass durch eine von ihm ohne Einwilligung des Versicherers vorgenommene oder gestattete Änderung die Gefahr erhöht ist oder tritt nach Abschluss des Versicherungsvertrags unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eine Erhöhung der Gefahr ein, so hat er dem Versicherer unverzüglich in geschriebener Form Anzeige zu erstatten.

2. Tritt nach dem Vertragsabschluss eine Gefahrenerhöhung ein, kann der Versicherer kündigen. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der in Abs 1 genannten Pflichten, ist der Versicherer außerdem gemäß den Voraussetzungen und Begrenzungen der §§ 23 bis 31 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei.

[…]

Artikel 3

Sicherheitsvorschriften

1. Verletzt der Versicherungsnehmer gesetzliche, polizeiliche oder vereinbarte Sicherheitsvorschriften oder duldet er ihre Verletzung, kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, die Versicherung mit einmonatiger Frist kündigen. Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Verletzung bestanden hat.

2. Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat oder wenn zur Zeit des Versicherungsfalles trotz Ablauf es der in Abs 1 beschriebenen Frist die Kündigung nicht erfolgt war.

3. Im Übrigen gelten § 6 Abs 1, 1a und 2 VersVG. Ist mit der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift eine Gefahrenerhöhung verbunden, finden ausschließlich die Bestimmungen über die Gefahrenerhöhung, nicht die Regelungen des Abs 2 Anwendung.“

[3] 2.1 Unter „polizeilichen Sicherheitsvorschriften“ im Sinn des Art 3.1 ABS sind jedenfalls Verwaltungsakte von Hoheitsträgern, soweit sie die jeweils versicherte Gefahr verhindern wollen, zu verstehen. Es ist von einem weiten Begriff der „Polizei“ auszugehen (7 Ob 246/98x = RS0111604).

[4] 2.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Gefahrenerhöhung nach § 23 Abs 1 VersVG eine nachträgliche Änderung der bei Vertragsabschluss tatsächlich vorhandenen gefahrenerheblichen Umstände, die den Eintritt des Versicherungsfalls oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlicher macht und den Versicherer deshalb vernünftigerweise veranlassen kann, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen (RS0080357, RS0080237). Darunter wird ein Gefährdungsvorgang verstanden, der seiner Natur nach geeignet ist, einen neuen Gefahrenzustand von so langer Dauer zu schaffen, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Schadenverlaufs bilden kann und damit den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern geeignet ist (RS0080491, vgl auch RS0080428). Dem Versicherungsnehmer muss klar sein, dass seine Verhaltensweise geeignet ist, die Gefahr des Eintritts des Versicherungsfalls zu vergrößern. Es muss ihm zumindest ein der positiven Kenntnis gleichkommendes schwerwiegendes Nichtwissen um die Gefahrenerhöhung anzulasten sein (insbesondere 7 Ob 14/18m mwN). Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften sind die wichtigste Gruppe von Gefahrenerhöhungen.  Die Leistungspflicht des Versicherers bei Verletzung der Vorschrift des § 23 Abs 1 VersVG bleibt gemäß § 25 Abs 2 VersVG bestehen, wenn die Verletzung nicht auf einem Verschulden des Versicherungsnehmers beruht (vgl 7 Ob 14/86).

[5] 2.3 Die Kläger errichteten nachträglich auf dem flachen Dach einer bestehenden Garage eine vom Wohnhaus aus zugängliche Terrasse, deren Geländer aus Metall und Glasfelder aus Sicherheitsglas bestand. Entgegen den Auflagen in der baubehördlichen Bewilligung erfolgte die Ausführung nicht entsprechend den statischen Erfordernissen durch befugte Unternehmer unter Einhaltung des Baugesetzes, der Bautechnikerverordnung sowie der geltenden Normen und Unfallverhütungsvorschriften. Vielmehr wurde die Montage des Geländers vom Zweitkläger ohne jegliche Fachkenntnisse in Eigenregie mittels unzureichender Holzverschraubung durchgeführt, wobei die nach den anzuwendenden Normen erforderliche Lastannahme weder hinsichtlich der Windslast noch hinsichtlich der Holmlastvorgabe erfüllt war und die Überlastung das 8,8‑Fache über der Norm lag.  Die unsachgemäße Montage war kausal dafür, dass das Geländer der am Unfallstag aufgetretenen Windstärke nicht Stand hielt.

[6] 2.4 Vor diesem Hintergrund hält sich die Beurteilung der Vorinstanzen, die gegen die baubehördliche Bewilligung – und damit einer polizeilichen Sicherheitsvorschrift – verstoßende unsachgemäße Anbringung des großflächigen Glasgeländers auf einer exponierten Dachfläche in Eigenregie habe die Wahrscheinlichkeit für den Versicherungsfall in der Glasbruch‑ und Sturmversicherung erhöht, weshalb den Klägern die Vornahme einer Gefahrenerhöhung im Sinn des – § 23 Abs 1 VersVG entsprechenden – Art 2.1 Satz 1 ABS schuldhaft anzulasten sei, im Rahmen der oberstgerichtlichen Judikaturgrundsätze. Nach den ausschließlich anzuwendenden Bestimmungen über die Gefahrenerhöhung (vgl Art 3.3 ABS) besteht Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 25 Abs 1 VersVG bereits aufgrund der schuldhaften Erhöhung der Gefahr im Sinn des § 23 Abs 1 VersVG, wobei bereits leichte Fahrlässigkeit schadet (vgl 7 Ob 14/86).

[7] 2.5 Davon ausgehend erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage der Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 23 Abs 2 VersVG ebenso wie auf die vom Berufungsgericht nachträglich als erheblich erachtete Rechtsfrage der Reichweite des – in den Zusatzbedingungen für den Versicherungsschutz bei grober Fahrlässigkeit enthaltenen – Verzichts auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls.

[8] 3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[9] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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