OGH 7Ob186/20h

OGH7Ob186/20h17.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch die Kosesnik‑Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Mai 2020, GZ 4 R 6/20m‑12, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. Oktober 2019, GZ 58 Cg 18/19h‑8, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130477

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts insgesamt wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.177,04 EUR (darin enthalten 624,34 EUR an USt und 1.431 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist eine zur Unterlassungsklage nach § 28 KSchG berechtigte Institution (§ 29 KSchG).

[2] Die Beklagte betreibt ein Versicherungsunternehmen und bietet Verbrauchern in ganz Österreich (klassische) Lebensversicherungen an. Den Verträgen liegen der „Antrag auf Kapitalversicherung mit Valorisierung, Prämienbefreiung bei Berufsunfähigkeit und Gewinnbeteiligung bzw Rentenversicherung mit Gewinnbeteiligung nach den derzeit geltenden Bedingungen sowie Tarifen" und die „Vertragsgrundlagen zur Lebensversicherung, Leistungsbeschreibung und Bedingungen für die klassische Lebensversicherung; Gültig für die Er‑ und Ablebensversicherung sowie die Erlebensversicherung Stand 5/2018“ zugrunde.

[3] Der Antrag auf Kapitalversicherung enthält unter anderem folgende Bestimmung:

„9. Welche Wahlmöglichkeiten haben Sie?

‑ Pensionswahlrecht und Privatpension

Sie können bei Ablauf bestimmen, dass anstelle des Kapitals eine Privatpension ausbezahlt wird. Es kann auch die Barauszahlung des Kapitals verlangt werden. Mit dieser Entscheidung haben Sie bis zum Ablauf Zeit. Die Höhe der auszuzahlenden Pension wird nach den im Zeitpunkt der Fälligkeit geltenden Tarifen berechnet (Klausel 2).

...“

[4] Die Vertragsgrundlagen zur Lebensversicherung lauten unter anderem wie folgt:

„Art 24

Welche Leistungen werden im Versicherungsfall erbracht?

24.1 [...]

24.2. Im Erlebensfall leisten wir den Vertragswert, mindestens jedoch die für den Erlebensfall vereinbarte Versicherungssumme. Zusätzlich können zum Ablauf des Vertrages Schlussgewinne fällig werden.

Pensionswahlrecht

Im Erlebensfall hat der Versicherungsnehmer die Möglichkeit, die Auszahlung der Kapitalleistung in Form einer Pensionszahlung nach den zum Zeitpunkt der Fälligkeit geltenden Tarifgrundlagen für Pensionsversicherungen zu beantragen. Dieses Recht besteht jedoch nur, wenn dem Versicherer der entsprechende Antrag zumindest sieben Tage vor Fälligkeit der Kapitalleistung vorliegt (Klausel 1).

[5] Der Kläger begehrt die Unterlassung der Verwendung der Klauseln 1und 2 sowie die Unterlassung der Berufung auf diese oder sinngleiche Klauseln, weiters stellt er ein Veröffentlichungsbegehren. Nach den Bedingungen für die klassische Lebensversicherung könne sich der Versicherungsnehmer im Erlebensfall die Versicherungsleistung wahlweise entweder als einmalige Kapitalleistung oder als laufende Pension auszahlen lassen. Es handle sich um eine Wahlschuld im Sinn des § 906 ABGB, bei der der Versicherungsnehmer als Gläubiger das Wahlrecht habe. Entscheide er sich für die Pensionszahlungen, bestimme sich deren Höhe nach – erst zukünftigen – Tarifgrundlagen im Fälligkeitszeitpunkt. Es fehle jede Offenlegung, woraus sich die Tarifgrundlagen in der Hauptsache zusammensetzten (Sterbetafel und Rechnungszinssatz), sodass der Beklagten ein uneingeschränktes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt werde. Dies widerspreche § 879 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 3 KSchG. Überdies müsse der Versicherungsnehmer sein Pensionswahlrecht zumindest sieben Tage vor Fälligkeit der Kapitalleistung geltend machen. Die Klausel enthalte keine Verpflichtung der Beklagten zur zeitgerechten Bekanntgabe der Rentenhöhe, sodass der Verbraucher seine Wahl ohne deren Kenntnis treffen müsse. Dies widerspreche § 906 Abs 2 ABGB und damit auch § 879 Abs 3 ABGB. Die Klausel verstoße ebenfalls gegen die gemäß § 6 Abs 3 KSchG gebotene Abwicklungstransparenz.

[6] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Grund für die beiden untrennbar miteinander verbundenen Regelungen sei nur steuerrechtlicher Natur; sie würden allein dem Versicherungsnehmer zum Vorteil gereichen. Der Verbraucher müsse die Wahl keineswegs in Unkenntnis der Pensionshöhe treffen, sondern nur einen diesbezüglichen Antrag stellen, worauf ein konkretes Angebot der Beklagten folge. Die Entscheidung über dessen Annahme obliege ausschließlich dem Versicherungsnehmer. Die Frist diene nur dazu, dass der Verbraucher die Rentenoption noch vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer ausübt, weil sonst Versicherungssteuer anfalle. Rentenhöhe und Rentenzahlungsdauer oder deren genaue Berechnungsparameter sollten ganz bewusst nicht schon bei Vertragsabschluss vorbestimmt werden. Ob eine sofortige Festlegung der Parameter wie Sterbetafel und Rechnungszinssatz zum Vor‑ oder Nachteil des Verbrauchers wäre, hänge von der Entwicklung der Lebenserwartung ab und sei ungewiss. Die Klauseln seien weder gröblich benachteiligend noch intransparent.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und räumte der Beklagten eine Leistungsfrist von zwei Monaten ein. Es verneinte die Anwendbarkeit des § 879 Abs 3 ABGB, weil das den Versicherungsnehmer eingeräumte Gestaltungsrecht die Hauptleistung der Beklagten betreffe. Auch halte die Klausel einer Inhaltskontrolle stand, weil (nur) ein Gestaltungsrecht eingeräumt sei, über das der Versicherungsnehmer auch keine Entscheidung treffen müsse, die von seiner ursprünglichen (Rückerstattung des Kapitals zuzüglich Gewinnanteils) abweiche. Allerdings liege Intransparenz nach § 6 Abs 3 KSchG vor. Der Verbraucher werde durch die Klausel darüber im Dunkeln gelassen, wie er zu Informationen gelange, auf deren Basis er sein Gestaltungsrecht ausüben könne. Für die bloße Ergänzung zweier Klauseln genüge eine Leistungsfrist von zwei Monaten.

[8] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren über Berufung der Beklagten ab. Nach den Klauseln habe der Versicherungsnehmer zusätzlich zu seinem Anspruch auf Einmalzahlung in einer bestimmten Höhe auch die Option auf Rentenzahlung in noch unbestimmter Höhe, die auch – folgenlos – ungenutzt bleiben könne. Dies sei für den Verbraucher naturgemäß vorteilhafter, als wenn ihm von vornherein nur die Einmalzahlung zustünde. Schon deshalb sei eine Benachteiligung des Verbrauchers im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB nicht zu erkennen. Die Klauseln und die dort enthaltenen (vier) Regelungen seien auch klar. Der Kläger wolle die Intransparenz der Klausel 1 aus dem Fehlen einer weiteren (fünften) Regelung ableiten. Damit würde aber die Rentenoption des Versicherungsnehmers wegfallen, ihm also einzig die Einmalzahlung ohne jegliche Wahlmöglichkeit zustehen. Den Parteien einer solchen Kapitalversicherung mit Option des Versicherungsnehmers auf eine bei Vertragsabschluss noch unbestimmte Pension sei es aber überlassen, nach Maßgabe des dispositiven Rechts zu einer entsprechenden fristgerechten Entscheidungsfindung über eine konkrete Rentenvereinbarung zu gelangen. Wie genau sie dies bei einer später möglichen Antragstellung bewerkstelligen, bedürfe keiner näheren Betrachtung. Dass die Beklagte von weiteren komplexen Regelungen über die näheren Modalitäten der Antragstellung, Abstand genommen habe, führe daher zur Lückenfüllung nach dispositivem Recht, nicht aber zur Intransparenz der beanstandeten Klauseln.

[9] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es sich um vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht beurteilte Klauseln einer Branche handle, welche regelmäßig für eine größere Anzahl von Kunden und damit Verbrauchern bestimmt und von Bedeutung seien.

[10] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag.

[11] Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

[13] 1.1 Bei der Todfall‑ oder Ablebensversicherung tritt die Leistungspflicht des Versicherers ein, wenn der Versicherte verstirbt. Bei der Erlebensfallversicherung besteht die Leistungspflicht des Versicherers, sofern der Versicherungsnehmer einen bestimmten Zeitpunkt erlebt. Meist sind die Lebensversicherungen auf den Todes‑ und Erlebensfall kombiniert. Die Parteien vereinbaren bei der klassischen Lebensversicherung, dass die Zahlung des Versicherers fällig wird, wenn die versicherte Person den vereinbarten Ablauftermin erlebt oder vor diesem Termin stirbt. Die wirtschaftliche Bedeutung liegt einerseits in der Risikovorsorge und andererseits in der Kapitalbildung. Die fondsgebundene Lebensversicherung ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Leistung des Versicherers überwiegend nach den Entwicklungen eines Investmentfonds oder eines aus Wertpapieren bestehenden Anlagestocks richtet (7 Ob 251/10b mwN).

[14] 1.2 Die angebotenen Versicherungsvertragsformen werden in zwei Grundtypen erfasst, die Kapitalversicherungen und die Rentenversicherungen. Bei Kapitalversicherungen wird in der Regel für eine bestimmte Anzahl von Jahren oder auf Lebensdauer eine bestimmte Prämienzahlung an das Versicherungsunternehmen vom Versicherungsnehmer geleistet. Nach Ablauf der vereinbarten Prämienzahlungsdauer oder nach Eintritt eines bestimmten Ereignisses (versichertes Risiko) leistet das Versicherungsunternehmen die vereinbarte Versicherungssumme in Form einer Kapitalleistung, die entweder bei Tod der versicherten Person oder bei Vertragsablauf erbracht wird oder als Kombination bei einer gemischten Er‑ und Ablebensversicherung. Bei einer Rentenversicherung wird vom Versicherungsnehmer entweder die Leistung einer Einmalprämie oder einer laufenden Prämienzahlung geschuldet. Das Versicherungsunternehmen leistet an den Versicherten oder von ihm Begünstigten entweder sofort oder ab einem bestimmten Zeitpunkt, eine bestimmte Anzahl von Jahren oder lebenslang eine laufende Rente (Braumüller/Preiss, Steuerliche Aspekte von Rentenzahlungen und anderen wiederkehrenden Versicherungsleistungen, 88).

[15] 1.3 Meistens beinhalten Versicherungsverträge ein Wahlrecht des Versicherungsnehmers hinsichtlich der vereinbarten Versicherungsleistung dahin, ob zum Zeitpunkt des vertraglichen Endes der Ansparphase eine einmalige Kapitalleistung oder aber eine laufende in der Regel lebenslange Rentenleistung ausbezahlt werden soll. Es gibt die Möglichkeit einer Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht oder aber einer Kapitalversicherung mit Rentenwahlrecht (Braumüller/Preiss aaO, 94).

[16] 1.4 Die gegenständlichen Klauseln betreffen einen klassischen Lebensversicherungsvertrag in Form einer Kapitalversicherung mit Rentenwahlrecht.

[17] 2. Der Kläger wiederholt in seiner Revision sein Vorbringen zur Intransparenz und gröblichen Benachteiligung der Klauseln. Er beanstandetnicht die Vereinbarung eines Pensionswahlrechts dem Grunde nach, hält aber mit dem Hinweis, dass die Klärung der Rechtsfolgen der Unwirksamkeit von Klauseln nicht Gegenstand des Verbandsprozesses sei, an seinem Unterlassungs- und Veröffentlichungsbegehren in Bezug auf beide Klauseln in ihrer Gesamtheit fest.

[18] 2.1 Beide Klauseln verweisen zur Höhe der auszuzahlenden Rente auf die nach den „im Zeitpunkt der Fälligkeit geltenden Tarife/Tarifgrundlagen“.

[19] 2.1.1 Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll es dem Verbraucher ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Das setzt die Verwendung von Begriffen voraus, deren Bedeutung dem typischen Verbraucher geläufig sind oder von ihm jedenfalls festgestellt werden können. Das können naturgemäß auch Fachbegriffe sein, nicht aber Begriffe, die so unbestimmt sind, dass sich ihr Inhalt jeder eindeutigen Festlegung entzieht. Der durch ihre Verwendung geschaffene weite Beurteilungsspielraum schließt es aus, dass der Verbraucher Klarheit über seine Rechte und Pflichten gewinnen kann (RS0115217 [T3]).

[20] 2.1.2 Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen. Auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandenden Klausel kann nicht Rücksicht genommen werden, weil eine geltungserhaltende Reduktion im Verbandsprozess – wie auch im Individualprozess (RS0128735) – nicht möglich ist (RS0038205).

[21] 2.1.3 § 135c Abs 1 Z 1 VAG 2016 idF BGBl I Nr 16/2018 (vormals § 253 Abs 1 Z 1 VAG 2016 idF BGBl I Nr 34/2015) sieht vor, dass in der Lebensversicherung dem Versicherungsnehmer vor Abgabe seiner Vertragserklärung weitere Informationen und zwar über die Versicherungsleistung samt dem Ausmaß einer Garantie derselben und der zur Anwendung kommenden Rechnungsgrundlagen sowie über das allfällige Wahlrecht des Versicherten (zB Rentenoption bei Kapitalversicherung) zu geben sind.

[22] 2.1.4 § 135c Abs 4 VAG 2016 idF BGBl I Nr 16/2018 (§ 253 Abs 5 VAG 2016 idF BGBl I Nr 34/2015) ermächtigt die Finanzmarktaufsicht (FMA) die verlangten Informationen durch Verordnung zu konkretisieren. Nach § 2 Abs 2 Z 2 und 4 der 247. Verordnung: Lebensversicherung Informationspflichtenverordnung 2018, BGBl II Nr 247/2018 (vormals § 2 Abs 1 Z 2 und 4 der 294. Verordnung: Lebensversicherung Informationspflichtenverordnung – LV‑InfoV, BGBl II Nr 294/2015) ist der Versicherungsnehmer im Rahmen der Darstellung der Leistung des Versicherungsunternehmens zu informieren, über die Höhe einer garantierten Leistung des Versicherungsunternehmens durch Bezifferung der garantierten Leistung; ist eine Bezifferung der garantierten Leistung nicht möglich, ist dem Versicherungsnehmer darzulegen, worauf sich die Garantie bezieht (Z 2); über die Rechnungsgrundlagen zur Berechnung einer allfälligen Rente und die damit verbundenen Chancen und Risiken, insbesondere ob die Höhe der Rente garantiert ist; der Versicherungsnehmer ist deutlich darauf hinzuweisen, dass, wenn sich die Höhe der Rente nach den im Anfallszeitpunkt geltenden Rechnungsgrundlagen (Sterbetafel und Rechnungszins) errechnet, diese im Anfallszeitpunkt höher oder, wenn die durchschnittliche Lebenserwartung stärker steigt als angenommen, niedriger als die prognostizierte Rentenleistung sein kann (Z 4).

[23] 2.1.5 Der erkennende Senat hat bereits in ebenfalls Lebensversicherungsverträge (klassische und fondsgebundene) betreffende Verbandsrechtssachen (7 Ob 131/06z, 7 Ob 140/06y, 7 Ob 173/06a) im Zusammenhang mit dem Rückkaufsrecht ausgeführt, dass der Verweis auf einen Tarif in einer Klausel, die den Versicherungsnehmer über den jeweiligen Rückkaufswert einer Lebensversicherung informieren soll, nur dann im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG als klar und verständlich angesehen werden kann, wenn der betreffende Tarif dem Versicherungsnehmer offengelegt wird; eine dem Versicherungsnehmer unbekannte und nicht näher erläuterte Faktoren enthaltende „Rahmenbedingung“ muss unverständlich bleiben.

[24] 2.1.6 Diese Grundsätze sind auf die vorliegenden Klauseln zu übertragen. Davon ausgehend kann der Verweis auf einen Tarif in einer Klausel, die den Versicherungsnehmer über die Rechnungsgrundlagen zur Berechnung einer auszuzahlenden Rente informieren soll, nur dann im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG als klar und verständlich angesehen werden, wenn die Zusammensetzung der Rechnungsgrundlagen dem Versicherungsnehmer offengelegt wird. Dies trifft hinsichtlich beider Klauseln insoweit nicht zu, als die „zum Zeitpunkt der Fälligkeit geltenden Tarife“ überhaupt keine Erläuterung erfahren. Damit fehlt aber der Hinweis auf die nach der LV‑InfoV heranzuziehenden Rechnungsgrundlagen, nämlich Sterbetafel und Rechnungszins, was dazu führt, dass die Klauseln – bei kundenfeindlichster Auslegung – die Wahl einer Tarifgrundlage dem Versicherer überlässt und somit in sein beliebiges Ermessen stellt.

[25] 2.1.7 Die Klauseln sind insoweit intransparent und damit unwirksam; wird doch dem Versicherungsnehmer durch das Fehlen der Angaben über die der Berechnung der auszuzahlenden Rente zugrundeliegenden Rechnungsgrundlagen und aufgrund der damit unvollständigen Information zweifellos kein klares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt.

[26] 2.1.8 Soweit die Beklagte ausführt, dass die Tarife und Tarifgrundlagen, nach denen die Beklagte die Renten errechnet, ohnedies der Aufsicht der FMA unterliegen, weshalb eine vertragliche Bindung an unbestimmte und allein in ihrem Ermessen stehende Parameter nicht erfolge, zielt sie wohl auf eine ergänzende Vertragsauslegung ab, die aber kein allgemeines Auslegungsmittel im Verbandsprozess bildet (8 Ob 49/12g).

[27] 2.2 Die Klausel 1 enthält überdies die Regelung, dass „dieses Recht nur besteht, wenn dem Versicherer der entsprechende Antrag mindestens sieben Tage vor Fälligkeit der Kapitalleistung vorliegt“.

[28] 2.2.1 Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit formeller Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher „durchschaubar“ sind (RS0122169 [T2]). Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die den Verbraucher – durch ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position – von der Durchsetzung seiner Rechte abhalten oder ihm unberechtigte Pflichten auferlegen. Daraus kann eine Pflicht zur Vollständigkeit folgen, wenn die Auswirkungen einer Klausel für den Verbraucher andernfalls unklar bleiben (vgl RS0115219 [T1, T14, T21, T22]; RS0115217 [T8]; RS0121951 [T4]).

[29] 2.2.2 Nach dem Wortlaut der Klausel 1 hat der Versicherungsnehmer – bei kundenfeindlichster Auslegung – zu dem dort genannten Zeitpunkt die Wahl zu treffen, ob er die Versicherungsleistung in Form einer Pensionszahlung wünscht. Er hat somit zu diesem Zeitpunkt – bei sonstigem Entfall des Wahlrechts – eine verbindliche Willenserklärung abzugeben, ohne Kenntnis über die Höhe der ihm nach den Vertragsgrundlagen zustehenden Rente zu haben, sodass er die Tragweite und die evidentermaßen gravierenden Auswirkungen der (Nicht‑)Ausübung des Wahlrechts nicht erkennen kann. Die Klausel ist als unvollständig und somit als intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG zu qualifizieren.

[30] 2.2.3 Wenn die Beklagte dem entgegen hält, dass im Fall der Inanspruchnahme der Rentenoption der Versicherungsnehmer nach Stellung eines entsprechenden Antrags ein Anbot der Beklagten auf Basis der zu dem Zeitpunkt relevanten Berechnungsgrundlagen erhalte und er erst daraufhin endgültig entscheiden müsse, ob er dieses Angebot annehme, übersieht sie, dass sich ein derartiges Verfahren der Klausel gerade nicht entnehmen lässt. Weder auf die praktische Handhabung noch auf die individuellen Erklärungen oder Vereinbarungen kann aber in Verbandsprozessen Rücksicht genommen werden (RS0121726 [T3, T4]).

[31] 2.2.4 Ob nach Nichtigerklärung einer Vertragsklausel eine ergänzende Vertragsauslegung möglich ist, kann nicht im Verbandsprozess geklärt werden. Die Zulässigkeit und gegebenenfalls der Inhalt einer zur Lückenfüllung vorzunehmenden ergänzenden Vertragsauslegung müssten mangels Einigung der Parteien dem Gericht vorbehalten bleiben und erforderlichenfalls im Individualprozess geklärt werden (7 Ob 168/17g mwN). Ein Eingehen auf die Frage, ob und inwieweit eine ergänzende Vertragsauslegung möglich ist und welches Ergebnis sie brächte, erübrigt sich daher auch im vorliegenden Verfahren.

[32] 2.3 Zusammengefasst sind beide Klauseln nach § 6 Abs 3 KSchG intransparent. Auf eine Prüfung im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB kommt es daher nicht mehr an.

[33] 3. Auf eine allfällige Unangemessenheit der vom Erstgericht festgesetzten Leistungsfrist kommt die Beklagte im Revisionsverfahren nicht mehr zurück.

[34] 4. Dem Klagebegehren war daher zur Gänze stattzugeben. Die Kostenentscheidung hinsichtlich des erstgerichtlichen Verfahrens gründet sich auf § 41 ZPO, jene hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.

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