European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00110.20X.1217.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Parteien wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Die außerordentliche Revision der Klägerinnen richtet sich gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die bekämpfte Betriebsratswahl vom 28./29. 1. 2019 wegen wesentlicher Fehler des Wahlverfahrens nur ungültig (Eventualbegehren), nicht aber nichtig (Hauptbegehren) gewesen sei. Damit zeigen sie keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
[2] 1. Nach § 59 Abs 1 Satz 1 ArbVG und § 34 Abs 1 Satz 1 BRWO sind die einzelnen Wahlberechtigten und jede wahlwerbende Gruppe zur Wahlanfechtung berechtigt, „wenn wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitende Grundsätze des Wahlrechts verletzt wurden und hiedurch das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte“. Zu den Wahlgrundsätzen zählt, dass die Mitglieder des Betriebsrats aufgrund des gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlrechts und – bei mehreren Wahlvorschlägen – nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes zu wählen sind (§ 51 Abs 1 und 2 ArbVG; § 4 Abs 1 BRWO).
[3] 2. Bei der Abgrenzung der konkurrierenden Bestimmungen der §§ 59 und 60 ArbVG muss darauf Bedacht genommen werden, dass durch die sehr umfassende Konzeption der Anfechtungsgründe, die dazu dienen soll, auch schwerwiegende Verstöße gegen die Bestimmungen über das Wahlverfahren nach Ablauf der Anfechtungsfrist im Interesse der Rechtssicherheit möglichst zu sanieren, für die Geltendmachung der Nichtigkeit nur mehr ein sehr kleiner Bereich verbleibt. Soll die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht, durch eine umfassende Regelung der Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl den Bereich der absoluten Nichtigkeit einer solchen Wahl nach Möglichkeit einzuschränken, nicht vereitelt werden, ist bei der Annahme einer rechtsunwirksamen Wahl besondere Vorsicht geboten. Nichtigkeit der Wahl liegt vor, wenn ein derart offensichtlicher und grober Verstoß gegen die wesentlichen gesetzlichen Wahlgrundsätze vorliegt, dass selbst der Anschein einer gesetzmäßigen Wahl fehlt (8 ObA 224/94). Eine nichtige Betriebsratswahl ist also nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt (RS0051176); wenn der betreffende Vorgang also „nicht einmal die Merkmale einer Wahl aufweist“ und deshalb nur als „Zerrbild“ einer Wahl bezeichnet werden kann (RS0051171 [T1]; RS0051144 [T1]).
[4] Bei mehreren Verstößen ist eine Gesamtbeurteilung erforderlich (8 ObA 224/94). Auch bei einer Gesamtbewertung mehrerer Verstöße beim Wahlvorgang, die bei getrennter Beurteilung nur anfechtbar wären, bei einer Gesamtbeurteilung jedoch das Gewicht einer Nichtigkeit erhalten können, ist aber Vorsicht geboten, um nicht die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht, durch eine umfassende Regelung des Anfechtungsbereichs den Nichtigkeitsbereich möglichst einzuschränken, zu vereiteln (RS0051144, [T1: „Nichtwahl“]). Ob derart eine „Nichtwahl“ vorliegt, kann nur nach den Umständen des Falles beurteilt werden.
[5] 3. Hier stützen sich die Klägerinnen auf drei Mängel:
[6] 3.1. Das in der Wahlkundmachung bekannt gegebene Ende der Frist zur Einbringung von Wahlvorschlägen sei unrichtig gewesen, weil es bereits innerhalb der zweiwöchigen Frist vor dem ersten Wahltag (§ 20 BRWO) gelegen sei. Der am letzten Tag der Frist eingereichte Wahlvorschlag der Zweitklägerin sei deshalb nicht zugelassen worden.
[7] Nach § 19 Abs 2 Z 6 lit a BRWO hat die Wahlkundmachung auch die Aufforderung zu enthalten, Wahlvorschläge ab Wahlkundmachung spätestens zwei Wochen vor dem (ersten) Wahltag schriftlich bei einem Mitglied des Wahlvorstands einzubringen, widrigenfalls sie nicht berücksichtigt werden könnten. Davon ausgehend hat der Wahlvorstand hier ein falsches Fristende kundgemacht, was bereits vom Erstgericht als die Ungültigkeit der Wahl bewirkenden Umstand angesehen wurde. Dass die Zweitklägerin überhaupt an der Ausübung des passiven Wahlrechts gehindert oder der Wahlvorschlag nicht zugelassen werden sollte, geht aus dem Sachverhalt nicht hervor, gibt es doch keinen Grund zur Annahme, dass ihr Wahlvorschlag bei objektiver Fristwahrung nicht angenommen worden wäre. Die in der außerordentlichen Revision genannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien AZ 9 Ra 26/07w (Nichtigkeit der Wahl, weil das passive Wahlrecht der BR-Mitglieder durch ein Verbot der Annahme der Wahl zum Zentral-BR und BR ausgeschlossen wurde) ist daher nicht einschlägig. In der Kundmachung eines rechtswidrigen Fristendes für die Erstattung von Wahlvorschlägen (um zwei Tage zu lange Frist) liegt aber noch kein solcher Verstoß gegen tragende Wahlgrundsätze, dass die Wahl nur als „Zerrbild“ einer Wahl und sohin als „Nichtwahl“ angesehen werden müsste (vgl auch 8 ObA 220/01p: keine Nichtigkeit bei mehreren Fristfehlern, verschieden großen Wahlzetteln ua). Die folgende Nichtzulassung des verspäteten Wahlvorschlags entsprach § 21 Abs 2 BRWO.
[8] 3.2. Die Klägerinnen brachten auch vor – und vermissen dazu ein Beweisverfahren und Feststellungen –, seitens des Wahlvorstands sei mitgeteilt worden, dass bei der Wahl die Liste „B*****“ sieben Mandate und die Liste K*****fünf Mandate erreicht habe, ein Mandat der Liste K***** vom Listenführer persönlich an die Liste „B*****“, Herrn ***** P*****, vergeben worden sei und der Aushang zum Wahlergebnis 8 Mandate Liste „B*****“ und 4 Mandate Liste K***** gelautet habe. Eine derartige „Weitergabe von Mandaten“ seitens einer wahlwerbenden Gruppe sei nicht vorgesehen und eine grobe Verfälschung des Wählerwillens.
[9] Die Klägerinnen stellen mit diesem Vorbringen nicht in Frage, dass der Wahlvorstand das Wahlergebnis nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts zunächst richtig ermittelt und die Mandate auch korrekt im Verhältnis 7:5 auf die beiden Listen verteilt hatte. Das Vorbringen, dass ein Listenführer ein Mandat einer konkreten Person der anderen Liste „vergeben“ hätte, bedeutet offenbar, dass der Wahlvorstand diesen „Vorgang“ im Anschluss an seine Ermittlung des Wahlergebnisses billigte, dieses korrigierte und deshalb als endgültiges Wahlergebnis eine Zusammensetzung des Betriebsrats kundmachte, die im Hinblick auf die Mandatsverteilung (8:4) und die personelle Besetzung (***** P*****) nicht dem ermittelten Wählerwillen entsprach. Fraglos läge darin ein erheblich rechtswidriger Vorgang, weil mit einer solchen Mandatsveränderung nicht das richtige Wahlergebnis kundgemacht würde, mag dies auch nur in der irrigen Vorstellung über die Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise erfolgt sein (vgl Beil ./J). Der Fehler läge hier nicht in der Durchführung des Wahlvorgangs ieS oder der Ermittlung des Wahlergebnisses, sondern in dessen nachträglicher Korrektur und Kundmachung. Da jedoch selbst eine Verletzung leitender Grundsätze des Wahlrechts, wie dargelegt, nur einen Anfechtungsgrund bildet (§ 59 Abs 1 ArbVG), wäre auch bei entsprechenden Feststellungen zu dieser Abänderung des Wahlergebnisses insgesamt noch kein Vorgang zu sehen, der als „Nichtwahl“ zu bezeichnen wäre (es hätte insofern nur der Kundmachung des korrekt ermittelten Wahlergebnisses bedurft).
[10] 3.3. Die Klägerinnen bringen schließlich noch vor, die Wahlkundmachung vom 1. 2. 2019 sei von der Vorsitzenden des Wahlvorstands urlaubsbedingt bereits vor dem 1. 2. 2019 unterfertigt worden. Auch habe sich ein im Wahlergebnis genanntes Mitglied bis 1. 2. 2019 auf Urlaub befunden. Der Wahlvorstand hätte daher das Wahlergebnis nicht vor dem 1. 2. 2019 kundmachen können.
[11] In der Kundmachung eines Wahlergebnisses, das vom Wahlvorstand (urlaubsbedingt) vorzeitig, das heißt vor Ablauf der dreitägigen Frist zur Erklärung der Nichtannahme eines Mandats unterschrieben wurde, wäre allerdings noch kein gravierender Verstoß gegen Wahlregeln oder -grundsätze zu sehen, sodass er auch im Zusammenhalt mit den genannten schwerer wiegenden Wahlmängeln nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen muss. Der Urlaub eines im Wahlergebnis genannten Mitglieds steht dessen Verständigung nicht notwendig entgegen.
[12] 4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Betriebsratswahl zwar ungültig, nicht aber nichtig war, verlässt danach den Rahmen der Rechtsprechung nicht und lässt keinen Korrekturbedarf erkennen. Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerinnen zurückzuweisen.
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