European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00230.20X.1217.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Über das Vermögen der Gesellschaft wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen G***** vom 21. November 2016 das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 23. August 2019 wurde das Insolvenzverfahren mangels kostendeckenden Vermögens gemäß § 123a IO aufgehoben. Mit Beschluss vom 15. November 2019 trug das Firmenbuchgericht den Liquidationszusatz bei der Firma ein, löschte DI W***** als Geschäftsführer und trug ihn als Liquidator der Gesellschaft ein.
[2] Mit Beschlüssen vom 31. Juli 2020 verhängte das Erstgericht in ordentlichen Verfahren über die Gesellschaft und über den Liquidator Zwangsstrafen von jeweils 700 EUR wegen unterlassener Einreichung der Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 2016/2017, 2017/2018, 2018/2019 und 2019/2020.
[3] Das Rekursgericht gab den dagegen erhobenen Rekursen der Gesellschaft und des Liquidators nicht Folge. § 285 Abs 1 UGB verbiete zwar die Verhängung von Zwangsstrafen während eines Insolvenzverfahrens; nach dessen Aufhebung sei die Verhängung von Zwangsstrafen jedoch wieder möglich. Im vorliegenden Fall sei das Liquidationsverfahren bereits eingeleitet, die Abwicklung der Gesellschaft allerdings noch nicht abgeschlossen. Darauf, dass eine Liquidation nach §§ 89 ff GmbHG mangels Vorhandenseins liquiden Vermögens gar nicht durchzuführen wäre, hätten sich die Gesellschaft und der Liquidator weder in ihren Einsprüchen noch in ihren Rekursen berufen. Auch mit ihrer erstmalig im Rekurs erhobenen Behauptung, die Gesellschaft habe kein Anlage‑ oder Umlaufvermögen mehr, sondern nur Verbindlichkeiten, verstießen die Revisionsrekurswerber gegen das Neuerungsverbot des § 49 Abs 2 AußStrG.
[4] Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs mit der Begründung für zulässig, es könnte im Hinblick auf die Gesetzesmaterialien zu § 285 Abs 1 UGB und die Entscheidung 6 Ob 197/16p auch die Auffassung vertreten werden, dass eine (mit Zwangsstrafen nach § 283 UGB erzwingbare) Offenlegungspflicht nach § 277 UGB für ein (langjährig) geschlossenes, im Abwicklungsstadium nach Konkursaufhebung wegen § 123a IO befindliches Unternehmen nicht (mehr) bestehe, zumal der Warnfunktion der Offenlegung keine Bedeutung zukomme.
[5] Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[6] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig.
[7] 1. Nach § 285 Abs 1 Satz 1 UGB idF RÄG 2014 sind während der Dauer eines Insolvenzverfahrens keine Zwangsstrafverfügungen nach § 283 UGB zu erlassen. Die ErläutRV (367 BlgNR 25. GP 20) verweisen dabei darauf, dass „eine zentrale Funktion der Offenlegung, nämlich rechtzeitig sowohl den Unternehmer wie auch den Gläubiger und Dritte vor einer Verschlechterung der Vermögenslage zu warnen, gegenstandslos [sei],“ sobald ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Wird das Unternehmen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens fortgeführt, lebe die Offenlegungspflicht wieder auf, „nicht jedoch, wenn das Insolvenzverfahren zur Abwicklung und letztendlich zur Löschung des Unternehmens führt“. Nach Zib (in Zib/Dellinger, UGB § 285 Rz 5) „können“ nach Ende des Insolvenzverfahrens wieder Zwangsstrafverfügungen gegen die Organvertreter, und zwar auch zur Erzwingung der Offenlegung über Zeiträume während des Insolvenzverfahrens, verhängt werden, „sofern der Rechtsträger fortbesteht (zB Sanierung)“.
[8] 2. Dass auch die Liquidatoren einer Gesellschaft nach deren Auflösung für die Offenlegung früherer Jahresabschlüsse verantwortlich sind, entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 152/02z; 6 Ob 176/11t; 6 Ob 197/16p).
[9] 3. Die zitierten Gesetzesmaterialien beziehen sich ersichtlich auf den Fall, dass das Vermögen der Gesellschaft während des Insolvenzverfahrens verwertet wird. Allenfalls können unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Informationsbedürfnisses darunter auch noch Fälle subsumiert werden, in denen an das Insolvenzverfahren eine Liquidation anschließt, sofern diese in unmittelbarem zeitlichen Anschluss an das Insolvenzverfahren abgeschlossen wird. Der bloße Zusatz „in Liquidation“ zum Firmenwortlaut begründet jedoch keinen Entfall des Informationsbedürfnisses von Gläubigern, Geschäftspartnern und der Allgemeinheit, zumal dieser Zusatz für sich genommen eine (vorübergehende) Fortführung (vgl dazu RS0127629) oder Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit keineswegs ausschließt.
[10] 4.1. In dem der Entscheidung 6 Ob 197/16p zugrunde liegenden Sachverhalt haben die Gesellschaft und die Geschäftsführerin sich darauf berufen, dass aufgrund der Rechtskraft des Beschlusses über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens sich nunmehr die amtswegige Löschung der Gesellschaft anschließe. Im vorliegenden Fall haben die Gesellschaft und der Liquidator – wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat – im erstinstanzlichen Verfahren nicht einmal behauptet, dass die Voraussetzungen für eine Amtslöschung nach § 40 FBG vorliegen.
[11] 4.2. Die Behauptung, die Gesellschaft habe kein Anlage‑ oder Umlaufvermögen, wurde erstmals im Rekurs erhoben. Damit wird im Übrigen keine Ausnahme von der gesetzlichen Offenlegungspflicht zur Darstellung gebracht. Gerade wenn kein Anlage‑ oder Umlaufvermögen vorhanden ist und das Unternehmen – wie dies im vorliegenden Fall behauptet wird – bereits längere Zeit geschlossen ist, sollte die Erstellung der Jahresabschlüsse keinen besonderen Aufwand nach sich ziehen (vgl 6 Ob 33/09k; 6 Ob 160/12s). Damit kann aber, abgesehen davon, dass auch dies im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet wurde, keine Rede davon sein, dass die Erfüllung der Rechnungslegungspflicht im konkreten Fall wegen Unmöglichkeit, Unwirtschaftlichkeit oder Untunlichkeit entfallen wäre.
[12] 4.3. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung kann aus dem Umstand, dass das Insolvenzverfahren mangels kostendeckenden Vermögens aufgehoben wurde, nicht verlässlich abgeleitet werden, dass keinerlei Anlage‑ und Umlaufvermögen mehr vorhanden ist. Im Übrigen war das Insolvenzverfahren zum Zeitpunkt der Erlassung der Zwangsstrafverfügungen des Erstgerichts bereits nahezu ein Jahr beendet, sodass keineswegs ausgeschlossen werden kann, dass die Gesellschaft zwischenzeitig Vermögen erworben hat.
[13] 5. Dass die Unterlassung der Dartuung entsprechender Hinderungsgründe in erster Instanz auf einer entschuldbaren Fehlleistung beruhe und die Neuerung daher zulässig sei, haben die Revisionsrekurswerber nicht behauptet (vgl RS0120290). Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung hätte dies die Erstattung entsprechenden Tatsachenvorbringens erfordert. Es liegt daher keine bloße Änderung der rechtlichen Argumentation (vgl RS0016473) vor.
[14] 6.1. Soweit sich die Revisionsrekurswerber darauf berufen, sie seien in erster Instanz unvertreten gewesen und „auch nicht entsprechend vom Gericht angeleitet“ worden, ist dem entgegenzuhalten, dass die richterliche Anleitungspflicht nicht überspannt werden darf. Im Rahmen der Anleitungspflicht ist nur noch auf ein ergänzendes oder präzisierendes Vorbringen zu drängen, nicht jedoch darauf, dass ein bisher nicht erkennbares Tatsachenvorbringen erstattet werde, das für eine Partei günstig sein könnte (7 Ob 12/09d; RS0120057 [T7]). Keinesfalls geht die Anleitungspflicht so weit, dass der Richter auf die Partei beratend einzuwirken hätte (1 Ob 243/11h). Dazu kommt, dass bei der Gesellschaft und dem Geschäftsführer bzw Liquidator die Kenntnis der rechtlichen Bestimmungen über die Rechnungslegungspflicht vorausgesetzt werden können.
[15] 6.2. Zudem hat der Rechtsmittelwerber in einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Anleitungspflicht darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (1 Ob 215/05g ua). Nicht einmal im Revisionsrekurs werden aber taugliche Hinderungsgründe vorgebracht.
[16] 7. Zusammenfassend bringen die Revisionsrekurswerber sohin keine Rechtsfragen der von § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität zur Darstellung, sodass der Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.
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