European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130349
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Berechtigung der von der Klägerin auf unleidliches Verhalten des Beklagten im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG gestützten Aufkündigung des Bestandverhältnisses zwischen den Streitteilen.
[2] Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab.
[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
[4] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
Rechtliche Beurteilung
[5] 1.1 Die durch § 33 Abs 1 MRG normierte Eventualmaxime für die gerichtliche Aufkündigung bedeutet, dass der geltend gemachte Auflösungsgrund bereits in der Kündigung individualisiert werden muss (RIS‑Justiz RS0106599 [T13]; 5 Ob 211/18t). Enthält ein Kündigungsgrund – wie der von der Klägerin herangezogene § 30 Abs 2 Z 3 MRG – mehrere Tatbestände, muss der geltend gemachte Tatbestand in der Aufkündigung konkretisiert werden (RS0106599 [T1]). Maßgeblich dafür, was als Kündigungstatbestand geltend gemacht wurde, sind nur diese Tatsachenbehauptungen (5 Ob 76/11d; 5 Ob 211/18t).
[6] 1.2 Die Frage, ob der von der Klägerin geltend gemachte Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG zweiter Fall hier durch eine bloß demonstrative Aufzählung einzelner Vorfälle individualisiert wurde, sodass eine Konkretisierung durch das Nachtragen weiterer Vorfälle ohne Verstoß gegen § 33 Abs 1 Satz 3 MRG möglich wäre, stellt sich hier aber gar nicht. Dass die Klägerin eine Behauptung, sie sehe ein unleidliches Verhalten des Beklagten auch im Plaudern oder Telefonieren mit Freunden oder Verwandten mit nacktem Oberkörper des Beklagten im straßenseitigen Schanigarten eines anderen Mieters, nachträglich im Verfahren erster Instanz aufgestellt hätte, behauptet sie in der Revision gar nicht und ist auch nicht zu erkennen. Soweit sie ein solches Verhalten des Beklagten erstmals in der Berufung als unleidlich im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 MRG zweiter Fall gewertet sehen wollte, widersprach dies dem Neuerungsverbot (§ 482 Abs 1 ZPO).
[7] 2.1. Die Frage, ob das Gesamtverhalten (RS0070321) eines Mieters im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 MRG zweiter Fall unleidlich ist und daher den Kündigungsgrund verwirklicht, ist eine solche der Abwägung im Einzelfall, die nur im Fall einer die Rechtssicherheit gefährdenden Fehlbeurteilung die Zulässigkeit der Revision rechtfertigen könnte (RS0042984; RS0021095). Eine solche Fehlbeurteilung ist hier aber nicht zu erkennen:
[8] 2.2. Unleidliches Verhalten setzt nach der ständigen Rechtsprechung (RS0070437, RS0070303, RS0067678) eine über längere Zeit fortgesetzte Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die nach ihrer Art das bei besonderen Verhältnissen des Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Einmalige Vorfälle begründen den Kündigungsgrund nur, wenn sie schwerwiegend sind, mehrere an sich geringfügige Vorfälle können aber den Kündigungstatbestand bilden. Auch das der Kündigung vorangehende und das ihr nachfolgende Verhalten sind einer Würdigung zu unterziehen (RS0067519). Laufende Versuche eines Mieters, seine Benützungsrechte auf nicht in Bestand genommene Räume oder Gegenstände auszudehnen, sind nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs als unleidliches Verhalten zu werten (RS0070417).
[9] 2.3. Hier stellte der Beklagte nach den Feststellungen nur kurzfristig (ein paar Tage oder 1–2 Wochen) Fahrnisse am Gang oder Innenhof ab, weil er in dieser Zeit Umbauarbeiten in seiner Wohnung vornahm. Unmittelbar nach Zustellung der Aufkündigung stellte er dieses Verhalten ein. Darin keinen laufenden Versuch des Beklagten zu sehen, sein Benützungsrecht auf nicht in Bestand genommene Räume auszudehnen, bedarf daher keiner Korrektur im Einzelfall.
[10] 2.4. Vergleichbares gilt für das regelmäßige kurzfristige Abstellen eines Kinderwagens im Gang vor der Wohnung des Beklagten. Nach der Rechtsprechung muss der Bestandgeber die Mitbenützung von Zubehör im Sinn von außerhalb des eigentlichen Bestandobjekts gelegenen allgemeinen zugänglichen Teile der Liegenschaft durch den Bestandnehmer mangels ausdrücklicher vertraglicher Regelung zumindest soweit dulden, als sie – unter Bedachtnahme auf den Zweck des Bestandrechts – der Verkehrssitte, dem Ortsgebrauch oder dem Herkommen entspricht (RS0020922), wenn von einem berechtigten Interesse des Bestandnehmers ausgegangen werden kann und es weder zu einer Schädigung des Hauses noch zur Behinderung anderer Hausbewohner oder der Vermieterin kommt (vgl auch 8 Ob 47/14s; Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1098 ABGB Rz 14). Es ist dem Ortsgebrauch im innerstädtischen Bereich und dem berechtigten Interesse eines Mieters einer nur 31,30 m² großen Wohnung entsprechend zu werten, einen Kinderwagen – kurzfristig – im Stiegenhaus abzustellen, wenn keine vertraglichen Vereinbarungen oder die Hausordnung dagegen sprechen und eine Schädigung des Hauses oder Behinderung anderer Hausbewohner dadurch nicht eintritt – was hier weder behauptet noch festgestellt wurde –, ist keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.
[11] 2.5. Zwar kommt bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhalten eines Mieters rücksichtslos, anstößig oder sonst ungehörig ist und den Mitbewohnern das Zusammenwohnen verleidet, den örtlichen und persönlichen Verhältnissen der Beteiligten und den im Haus gewohnten Umgangsformen entscheidende Bedeutung zu (RS0067693). Davon auszugehen, auch im ersten Wiener Gemeindebezirk komme es im Zug von Renovierungsarbeiten zum kurzfristigen Zwischenlagern von Fahrnissen auf Gängen oder Innenhöfen und zum Abstellen von Kinderwägen vor der Wohnungstür, ist im Einzelfall nicht zu beanstanden und wirft daher ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[12] 2.6. Mangels Verwirklichung des Kündigungsgrundes bedarf es keiner Erörterung der positiven Zukunftsprognose mehr (vgl hiezu RS0070340).
[13] 3. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).
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