European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00185.20I.1126.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird mit der Maßgabe nicht Folge gegeben, dass lit a) und b) der einstweiligen Verfügung lauten:
„...
a) Fernsehprogramme, hinsichtlich derer der klagenden Partei die Rechte des Rundfunkunternehmers und/oder des Urhebers zustehen (insbesondere ProSieben, kabel eins, sixx, SAT.1 Gold, ProSieben Maxx, SAT.1 und/oder Teile davon) ohne Zustimmung der Berechtigten als Live-Stream über (offenes) Internet – sei es auch nur für vertraglich berechtigte Kunden – öffentlich wiederzugeben, weiterzusenden und/oder zur Verfügung zu stellen, dies insbesondere im Rahmen des Angebots A***** TV oder vergleichbaren Angeboten und/oder Applikationen (Apps) für mobile Endgeräte;
b) Fernsehprogramme, hinsichtlich derer der klagenden Partei die Rechte des Rundfunkunternehmers und/oder des Urhebers zustehen (ProSieben und/oder kabel eins und/oder sixx und/oder SAT.1 Gold und/oder ProSieben Maxx und/oder Teile davon) ohne Zustimmung der Berechtigten durch Speicherung (Vorhaltung) zu vervielfältigen und/oder Kopien der Fernsehprogramme der klagenden Partei den Nutzern des Angebots A***** TV zur Verfügung zu stellen, sodass die Nutzer des AngebotsA***** TV auf die vorgehaltenen Fernsehprogramme zugreifen können, oder in inhaltsgleicher Weise einen Online- Videorecorder/netzbasierenden persönlichen Videorecorder anzubieten, der den Kunden einen Zugriff auf vorgehaltene Fernsehprogramme der Klägerin oder von Teilen davon erlaubt, insbesondere durch Angebote wie die Funktionalität View Control im Rahmen der Angebote A***** TV Plus und A***** TV und/oder vergleichbaren Angeboten.“
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen. Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Fernsehveranstalterin mit Sitz in Deutschland und veranstaltet und sendet über Satellit ausgestrahlte Fernsehprogramme. Die Klage wurde ursprünglich von zwei konzernmäßig verbundenen Gesellschaften eingebracht, die im August 2020 miteinander verschmolzen wurden; gleichzeitig hat die frühere Erstklägerin als aufnehmende Gesellschaft ihren Firmenwortlaut geändert (siehe ON 36). Sofern die Unterscheidung zwischen den beiden ursprünglich klagenden Gesellschaften das Verständnis erleichtert, ist im Folgenden von den „vormaligen Klägerinnen“ die Rede.
[2] Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Wien. Ihr Unternehmensgegenstand umfasst drahtlose Telekommunikations- und Internetdienstleistungen sowie den Betrieb eines Kommunikationsnetzes nach § 15 Abs 5 TKG 2003 für den Dienst „Weiterverbreitung von Rundfunk über leitungsgebundene Netze“.
[3] Die Beklagte bietet unter der Bezeichnung „A***** TV“ ein Online‑TV an, das die Möglichkeit umfasst, Fernsehprogramme live zu streamen. Bei Registrierung durch den Nutzer ist das TV-Angebot der Beklagten im gesamten Internet, auch unabhängig von einem physischen Netz der Beklagten, nutzbar. Die Beklagte leitet die von ihr empfangenen Fernsehsignale gleichzeitig, vollständig und unverändert an die Nutzer weiter. Für die Weiterleitung wird durch die Software ein „funktionaler Tunnel“ aufgebaut, der durch Verschlüsselung der übertragenen Daten die Sicherheit des Übertragungsvorgangs sicherstellt. Diese Herstellung der Datensicherheit findet in der „Anwenderschicht“ statt.
[4] Zudem bietet die Beklagte im Rahmen ihrer Angebote A***** TV und A***** TV Plus einen virtuellen Videorecorder unter der Bezeichnung View Control an, mit dem ausgestrahlte Fernsehsendungen sieben Tage lang „nachgeholt“ werden können (Catch Up‑Funktion); zudem können vom Nutzer ausgewählte Fernsehsendungen in der Dauer von insgesamt zehn Stunden aufgezeichnet werden (Speicherplatz). Der Nutzer muss View Control einmalig aktivieren. Im Rahmen der siebentägigen Catch Up‑Funktion kann der Nutzer auf beliebige Sendungen zugreifen, ohne einen individuellen Aufnahmeauftrag zu erteilen. Auch wenn kein einziger Kunde einen individuellen Auftrag zur Aufnahme einer bestimmten Sendung erteilt, wird diese sieben Tage lang auf Servern der Beklagten vorgehalten; eine Masterkopie als zentrale Kopiervorlage wird dabei nicht angefertigt. Das beim Anfertigen der Kopien für die auftraggebenden Kunden eingesetzte technische Verfahren ist die De‑Duplizierung.
[5] Mit Wahrnehmungsvertrag vom 24. 4. 2013/24. 6. 2013 haben die vormaligen Klägerinnen der deutschen VG Media die ihnen zustehenden Rechte und Ansprüche an ihren analog und digital verbreiteten Rundfunksendungen zur treuhändigen Wahrnehmung eingeräumt. Die Weitersendung als Live-Stream im Internet (über OTT-Dienste) oder ein sonstiges Computernetzwerk sowie der Dienst des Internet-Videorecorders wurde von der Rechteeinräumung ausgenommen. Die VG Media traf mit der österreichischen Verwertungsgesellschaft VG Rundfunk eine Repräsentationsvereinbarung über die Rechtewahrnehmung in Österreich. Dazu teilte die VG Rundfunk der Beklagten mit Schreiben vom 13. 8. 2015 mit, dass sie für den OTT-TV-Streaming-Dienst sowie für die sieben Tage Catch Up‑Funktion nicht lizenzierungsfähig sei. Diese Vertragslage gilt für beide vormalige Klägerinnen.
[6] Die von der Klägerin veranstalteten und ausgestrahlten Fernsehprogramme sind im Portfolio von A***** TV enthalten. Die vormaligen Klägerinnen haben der Beklagten dazu sowie auch für den Online-Videorecorder keine Zustimmung erteilt.
[7] Es ist damit zu rechnen, dass viele Nutzer den Anbieter wechseln, wenn sie die klagsgegenständlichen TV‑Sender nicht uneingeschränkt konsumieren können. Der drohende Kundenverlust wäre umso größer, je länger das Verbot der Weiterleitung andauert.
[8] Die vormaligen Klägerinnen erhoben mehrere Unterlassungsbegehren samt Eventualbegehren, die sie auf das (Leistungsschutz-)Recht der Weitersendung ihrer Fernsehprogramme (vor allem § 76a UrhG) sowie auf ihr Vervielfältigungsrecht (§ 15 UrhG) stützten; gleichzeitig beantragten sie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Die Beklagte biete ein Online-TV an, das die Möglichkeit umfasse, die Fernsehprogramme der vormaligen Klägerinnen live zu streamen. Zudem biete die Beklagte einen Online-Videorecorder mit einer Nachholfunktion über sieben Tage an. Zu diesen von der Beklagten angebotenen Diensten hätten sie keine Zustimmung erteilt und in dieser Hinsicht auch keine Rechte auf die Verwertungsgesellschaften VG Media bzw VG Rundfunk übertragen. Sie unterlägen auch keinem Kontrahierungszwang. Mit dem Online-Videorecorder greife die Beklagte in ihr Vervielfältigungsrecht ein.
[9] Die Beklagte entgegnete, dass sie die Fernsehprogramme der vormaligen Klägerinnen durch Weitersendung nach § 59a UrhG an ihre Nutzer übermittle. Da die vormaligen Klägerinnen ihre Rechte an die VG Rundfunk übertragen hätten, seien diese selbst nicht aktiv klagslegitimiert. Im Rahmen der View Control-Funktion stelle sie ihren Nutzern nur einen virtuellen Videorecorder zur Verfügung, mit dem die Kunden Programme zum privaten Gebrauch aufzeichnen könnten. Die Beklagte selbst stelle keine Vervielfältigungen her.
[10] Das Erstgericht erließ die begehrte einstweilige Verfügung, mit der der Beklagten zusammengefasst verboten wurde,
a) Fernsehprogramme einer der vormaligen Klägerinnen ohne Zustimmung der jeweiligen Berechtigten als Live-Stream über (offenes) Internet öffentlich wiederzugeben, weiterzusenden und/oder zur Verfügung zu stellen; und
b) Fernsehprogramme einer der vormaligen Klägerinnen ohne Zustimmung der jeweiligen Berechtigten durch Speicherung zu vervielfältigen und/oder Kopien der Fernsehprogramme der vormaligen Klägerinnen den Nutzern des Angebots A***** TV zur Anfertigung von Privatkopien zur Verfügung zu stellen oder in inhaltsgleicher Weise einen Online-Videorecorder/netzbasierenden persönlichen Videorecorder anzubieten, der den Kunden eine Speicherung von Teilen der Fernsehprogramme der vormaligen Klägerinnen erlaubt. Gleichzeitig trug das Erstgericht den vormaligen Klägerinnen den Erlag einer Sicherheitsleistung von 100.000 EUR auf, die erlegt wurde. Den vormaligen Klägerinnen komme an den von ihnen veranstalteten Fernsehprogrammen das ausschließliche Recht zu, deren Verbreitungsweg zu bestimmen. Das Recht zur Weitersendung über Internet hätten sie nicht an die VG Rundfunk übertragen. Die Beklagte greife daher in die Leistungsschutzrechte der vormaligen Klägerinnen ein. Diese seien auch aktiv klagslegitimiert. Die von der Beklagten argumentierte Lizenzierungspflicht könne nicht eigenmächtig im Weg der Selbsthilfe durchgesetzt werden. Hinsichtlich des Online-Recorders sei maßgebend, dass der EuGH die Kombination „Vervielfältigung und Zurverfügungstellung gegenüber Nutzern“ als unzulässig erachte.
[11] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach dem zugrunde liegenden Wahrnehmungsvertrag sei die Weitersendung von Rundfunksendungen als Live‑Stream im Internet sowie im Rahmen eines Internet-Videorecorders nicht an die VG Media übertragen worden. Da die VG Media nicht mehr Rechte übertragen könne, als ihr selbst zustünden, gelte dies auch für die VG Rundfunk. Die von den Beklagten beanspruchte Lizenzierungspflicht nach § 59b Abs 2 UrhG könne nicht eigenmächtig durchgesetzt werden. Beim Online-Videorecorder der Beklagten komme das De‑Duplizierungsverfahren zum Einsatz. Dabei stelle der Nutzer selbst keine Kopien her, sondern erhalte von der Beklagten nur den Zugriff auf die von ihm programmierten TV‑Sendungen. Die Beklagte könne sich damit nicht auf die Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG berufen. Durch die erlassene einstweilige Verfügung erfolge schließlich auch kein unwiederbringlicher Eingriff in die Rechtssphäre der Beklagten, weil die einstweilige Verfügung nur vorübergehend wirke. Durch die den vormaligen Klägerinnen auferlegte Sicherheitsleistung werde ein angemessener Interessenausgleich bewirkt. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Weitersendung über offenes Internet als Live-Stream sowie zur Frage, ob ein im De‑Duplizierungsverfahren ausgestalteter Online-Videorecorder von der Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG erfasst sei, noch nicht Stellung genommen habe.
[12] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten, der auf eine Abweisung des Sicherungsbegehrens abzielt.
[13] Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Klägerin, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[14] Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Klarstellung zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
[15] I. Vorbemerkung:
[16] 1.1 Vorweg wird klargestellt, dass sich die vormaligen Klägerinnen als Rundfunkunternehmerinnen auf ihr ausschließliches Recht der Weitersendung ihrer Fernsehprogramme (§ 76a Abs 1 UrhG; auch § 59a leg cit) stützen. Mit ihrem Begehren zu lit a der einstweiligen Verfügung beanstanden sie die Weitersendung ihrer Fernsehprogramme als Live-Stream über Internet (OTT‑Dienste). Das Verfahren betrifft daher – abgesehen vom Online‑Videorecorder – nur den Empfang der Fernsehprogramme durch die Nutzer der Beklagten mittels des von ihr eingerichteten „funktionalen Tunnels“, der der Herstellung der Datensicherheit dient. Die Weitersendung über das Mobilfunknetz der Beklagten ist nicht Gegenstand des Verfahrens.
[17] 1.2 Die sich hier stellenden Rechtsfragen wurden im Wesentlichen bereits in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 149/20w beurteilt und sind daher weitestgehend geklärt.
[18] II. Live‑Stream über Internet (OTT‑Dienste):
[19] 2.1 Die Beklagte vertritt selbst den Standpunkt, dass sie eine Kabelweitersendung iSd § 59a UrhG vornimmt und daher in das Recht der Kabelweitersendung der Klägerin eingreift.
[20] Dies ist auch zutreffend: Wie der Oberste Gerichtshof in der schon genannten Entscheidung zu 4 Ob 149/20w klargestellt hat, lässt sich § 59a Abs 1 UrhG eine Beschränkung des Kabelweitersenderechts auf solche technische Verfahren, bei denen die Verbreitung der Sendungen des Erstsenders in einem vom Weitersende-Unternehmer durchgängig kontrollierten Kommunikationsnetz erfolgt, nicht entnehmen. Damit ist § 59a UrhG auf den Anlassfall anwendbar; auch inhaltlich sind die Voraussetzungen – vor allem die Wahrung des Integralgrundsatzes – erfüllt.
[21] 2.2 Davon abgesehen liegt auch ein Eingriff in das Weitersenderecht nach § 76a Abs 1 UrhG vor. Das Weitersenderecht ist ein Anwendungsfall der öffentlichen Wiedergabe (siehe dazu ausführlich 4 Ob 124/18s mwN). Die dafür notwendigen Elemente der „Handlung der Wiedergabe“ und der „Öffentlichkeit der Wiedergabe“ sind hier ebenfalls erfüllt. In diesem Sinn hat der EuGH ausgesprochen, dass es sich um eine öffentliche Wiedergabe handelt, wenn ein anderes Unternehmen als das ursprüngliche Sendeunternehmen mittels Online-Streaming Inhalte zugänglich macht (C‑607/11, ITV Broadcasting, Rn 26; C‑275/15, TV Catch Up, Rn 23). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geht § 76a Abs 1 UrhG zulässigerweise über Art 8 Abs 3 der Vermiet- und Verleih‑RL 2006/115/EG hinaus und erfasst sowohl drahtlose als auch draht- und kabelgebundene Weitersendungen (4 Ob 124/18s mwN). Das TV‑Streaming über Internet ist eine Form der drahtgebundenen Weitersendung (4 Ob 149/20w).
[22] III. Aktivlegitimation:
[23] 3.1 Das Hauptargument der Beklagten besteht darin, dass die Klägerin hinsichtlich des Rechts der Kabelweiterleitung nicht aktivlegitimiert sei, weil sie dieses Recht an die VG Rundfunk übertragen habe.
[24] 3.2 Die vormaligen Klägerinnen sind hinsichtlich ihrer Fernsehprogramme die berechtigten (zuständigen) Rundfunkunternehmerinnen (§ 59a Abs 3 UrhG; vgl auch Art 11 der Satelliten‑RL 93/83/EWG ) und machen hier Unterlassungsansprüche wegen Verletzung ihrer Urheber- bzw Leistungsschutzrechte geltend (§ 59a Abs 1 UrhG; § 76a UrhG). Daraus folgt, dass nach § 59a Abs 3 UrhG den vormaligen Klägerinnen selbst (und nicht der Verwertungsgesellschaft) das uneingeschränkte Verbotsrecht auch hinsichtlich der Weitersendung ihrer Fernsehprogramme zusteht (vgl 17 Ob 26/09m). Allfällige Wahrnehmungsbefugnisse von Verwertungsgesellschaften kommen daher nur insoweit in Betracht, als ihnen solche von den vormaligen Klägerinnen vertraglich (freiwillig) eingeräumt wurden.
[25] 3.3 Die Reichweite einer allfälligen freiwilligen Rechteübertragung ist allein nach rechtsgeschäftlichen Grundsätzen, konkret durch Vertragsauslegung zu bestimmen. Der Ansicht der Beklagten, dass die Beschränkung der Rechteeinräumung im Hinblick auf bestimmte Übertragungstechnologien (hier Live-Stream über OTT‑Dienste) unzulässig sei, ist nicht zu folgen. Abgesehen vom hier maßgebenden Grundsatz der Privatautonomie ist auch nicht erkennbar, warum durch die vertragliche Beschränkung der Rechteübertragung an eine Verwertungsgesellschaft der gesetzmäßige Umfang des Weitersenderechts (des Rundfunkunternehmers) ausgehebelt werden soll. In der von der Beklagten zitierten Entscheidung zu 4 Ob 89/08d wurde auch nur festgehalten, dass Vertragsgestaltungen zwingende gesetzliche Bestimmungen (konkret die ausdrückliche Anordnung in § 17 Abs 3 letzter Satz UrhG) nicht auszuhebeln vermögen; dies hat mit dem Anlassfall nichts zu tun.
[26] Nach dem bescheinigten Sachverhalt wurde in den Wahrnehmungsverträgen zwischen den vormaligen Klägerinnen und der VG Media die Weitersendung als Live-Stream im Internet (über OTT‑Dienste) sowie der Dienst des Online-Videorecorders von der Rechteübertragung ausgenommen. Die VG Media konnte aber nicht mehr an Rechten (Wahrnehmungsbefugnissen) an die VG Rundfunk übertragen, als ihr selbst von den vormaligen Klägerinnen eingeräumt wurden. Einen gutgläubigen Erwerb von Rechten gibt es im Urheberrecht nicht (4 Ob 149/20w mwN). Dies gilt sowohl für die Repräsentationsvereinbarung zwischen der VG Media und der VG Rundfunk als auch für den Vertrag, den die VG Media in Vertretung der vormaligen Zweitklägerin mit der VG Rundfunk abgeschlossen hatte.
[27] 3.4 Zudem ist zu berücksichtigen, dass mit einer treuhändigen Wahrnehmungsbefugnis einer Verwertungsgesellschaft – ähnlich einer Werknutzungsbewilligung – nur die (konstitutive) Einräumung ausschließlicher Nutzungsrechte verbunden ist und dem Rundfunkunternehmer dadurch nicht das Recht genommen wird, Verstöße gegen sein Leistungsschutzrecht selbst zu verfolgen (vgl § 59a Abs 1 UrhG). Beauftragt ein leistungsschutzberechtigter Rundfunkunternehmer eine Verwertungsgesellschaft freiwillig mit der treuhändigen Rechtewahrnehmung, so bleibt seine Aktivlegitimation für die Verfolgung von Verstößen seines Urheberrechts bzw seiner Leistungsschutzrechte somit bestehen.
[28] 3.5 Dem weiteren Argument der Beklagten, dass im Anlassfall die Kabelweiterleitung nicht im offenen Internet erfolge und daher kein Live-Stream über Internet (OTT‑Dienste) vorliege, ist Folgendes zu entgegnen:
[29] Bei dem hier zu beurteilenden TV‑Angebot der Beklagten erfolgt – was auch festgestellt wurde – die Übertragung des Sendesignals und damit die Weitersendung der Fernsehprogramme der Klägerin über OTT‑Dienste, das heißt über das Internet als prinzipiell offenes, das heißt für jedermann zugängliches Kommunikationsnetzwerk, das von der Netzinfrastruktur der Beklagten unabhängig ist. Die von der Beklagten ins Treffen geführte Verschlüsselung („funktionaler Tunnel“) betrifft nur die Herstellung der Übertragungssicherheit. Solche Vorkehrungen (in der eigentlichen Anwenderschicht) ändern an der Weiterleitung des Signals über das Internet als offene Kommunikationsinfrastruktur nichts.
[30] IV. Zwangslizenz:
[31] 4.1 Die Beklagte stützt sich in dieser Hinsicht auf § 59b Abs 2 UrhG. Diese Bestimmung schafft – bei Vorliegen der inhaltlichen Voraussetzungen (insbesondere Be- oder Verhinderung der Lizenzverhandlungen gegen Treu und Glauben) – einen Anspruch auf Erteilung der Bewilligung (Lizenz) durch den berechtigten Rundfunkunternehmer zu angemessenen Bedingungen. Eine solche vertragliche (Zwangs-)Lizenz muss gegen den berechtigten Rundfunkunternehmer grundsätzlich geltend gemacht und durchgesetzt werden.
[32] In der Entscheidung zu 4 Ob 149/20w hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass auch gegen den berechtigten Rundfunkunternehmer (und nicht nur gegen die Verwertungsgesellschaft) eine ex lege‑Lizenz nach § 36 Abs 3 VerwGesG analog in Betracht kommt (vgl auch BGH I ZR 152/11 = NJW‑RR 2014/112). Diese Bestimmung setzt allerdings die Zahlung des nicht strittigen Teils des Entgelts (der Lizenzgebühren) und eine Sicherheitsleistung hinsichtlich des strittigen Teils des Entgelts voraus.
[33] 4.2 Hier scheitert die Inanspruchnahme der ex lege‑Lizenz schon daran, dass sich die Beklagte in ihrem Revisionsrekurs auf die Hinterlegung angemessener Lizenzgebühren nicht beruft. Davon abgesehen ist zu beachten, dass sich die Frage, welche Entgeltbedingungen angemessen sind, aus vergleichbaren marktüblichen Vergütungen ergibt (vgl RIS‑Justiz RS0077349; EuGH C‑245/00, SENA, Rn 34). Die Bestimmung der angemessenen Lizenzgebühren (bzw des strittigen Teils) würde den Rahmen des Provisorialverfahrens sprengen.
[34] V. Online‑Videorecorder:
[35] 5.1 Die Klägerin stützt sich im gegebenen Zusammenhang auf § 15 Abs 1 UrhG. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass sie selbst keine Vervielfältigungen vornimmt, sondern diese den Nutzern zuzurechnen seien.
[36] 5.2 Mit dem Online‑Videorecorder wird eine digitale Vervielfältigung der Fernsehprogramme der Klägerin vorgenommen, die unter § 15 Abs 1 UrhG fällt (RS0111448; RS0111447; 4 Ob 196/18d). Ist die im Rahmen des angewandten De‑Duplizierungsverfahrens technisch erstellte Sendungskopie der Beklagten zuzurechnen, so könnte sie sich als Unternehmerin von vornherein nicht auf die Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG berufen.
[37] 5.3 In der Entscheidung zu 4 Ob 149/20w hat der Oberste Gerichtshof dazu den vom BGH judizierten Ansatz übernommen, wonach für die Zurechnung vor allem darauf abzustellen ist, wer die Organisationshoheit über das Aufnahmegeschehen hat (BGH I ZR 32/19 = GRUR 2020, 735). Maßgebend ist weiters, ob die Sendungskopie nur für den jeweiligen konkreten Nutzer (technisch) erstellt wird, ober ob von der Fernsehsendung eine Masterkopie oder eine Art Kopiervorlage angefertigt und jedem Nutzer, der sie ansehen will, nur der Zugriff darauf gewährt wird (BGH I ZR 216/06 = MMR 2009, 620; I ZR 151/11 = ZUM‑RD 2013, 114).
[38] 5.4 Bei der hier in Rede stehenden siebentägigen Catch Up‑Funktion des Online-Videorecorders der Beklagten kann der Kunde nach einmaliger Aktivierung von View Control auf eine beliebige Sendung, die in den letzten sieben Tagen ausgestrahlt wurde, zugreifen, ohne einen individuellen Aufnahmeauftrag für die jeweilige Sendung erteilt zu haben. Auch wenn kein einziger Kunde einen individuellen Auftrag zur Aufnahme einer bestimmten Sendung erteilt, wird diese sieben Tage lang vorgehalten, wobei die Speicherung auf den Servern der Beklagten erfolgt.
[39] Demnach hat bei dem von der Beklagten angewandten Verfahren der De‑Duplizierung die Beklagte die Organisationshoheit über das Aufnahmegeschehen, weil die Vorhaltung (und damit die Speicherung und Vervielfältigung) der Sendungen von der Beklagten veranlasst wird und der Nutzer auf die vorgehaltenen Sendungen nur zugreifen kann. Auf die Frage, ob eine Masterkopie oder eine sonstige zentrale Kopiervorlage zur Verfügung gestellt wird, kommt es nicht an. Auch der Umstand, dass der Nutzer die View Control zu Beginn der Nutzung einmal aktivieren muss, ist nicht von Bedeutung.
[40] 5.5 Die Vervielfältigung der Fernsehsendungen der Klägerin im Rahmen des von der Beklagten angewandten De‑Duplizierungsverfahrens ist somit der Beklagten zuzurechnen. Sie kann sich als Unternehmerin nicht auf die Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG berufen.
[41] 5.6 Die Zurechnung der Vervielfältigung der fraglichen Fernsehsendungen im Rahmen des De‑Duplizierungsverfahrens zur Beklagten ist im Spruch der einstweiligen Verfügung zum Ausdruck zu bringen. Bei dieser Anpassung des Spruchs zu lit b) der einstweiligen Verfügung handelt es sich lediglich um eine Präzisierung und nicht um eine inhaltliche Änderung, weshalb eine Maßgabenbestätigung zu erfolgen hat. Dabei ist weiters zu berücksichtigen, dass nach dem Verschmelzungsvorgang nur mehr eine einzige Klägerin auftritt; dies gilt auch für den Spruch zu lit a).
[42] VI. Unwiederbringlicher Schaden:
[43] 6.1 Soweit die Beklagte noch argumentiert, dass durch die einstweilige Verfügung ein enormer Kundenverlust drohe, weshalb die Erlassung einer einstweiligen Verfügung unzulässig sei, ist Folgendes zu entgegnen:
[44] 6.2 Der Grundsatz, dass eine einstweilige Verfügung der endgültigen Entscheidung nicht vorgreifen und durch sie nicht das bewilligt werden darf, was die gefährdete Partei erst im Weg der Exekution erzwingen könnte, gilt nicht für immaterialgüterrechtliche Unterlassungsverfügungen (vgl RS0009418). Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Verfügung kommt eine Sicherungsverfügung aber dann nicht in Betracht, wenn damit eine Sachlage geschaffen würde, die im Fall eines die Sicherungsverfügung nicht rechtfertigenden Urteils nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (RS0005695; RS0009418 [T5]). Eine solche nicht rückführbare Sachlage kann dann angenommen werden, wenn mit dem befristeten Unterlassungsgebot für den Verpflichteten ein unwiederbringlicher Schaden einhergeht (vgl RS0009418 [T8 und T9]; König, Die Nichtrückführbarkeit einstweiliger Verfügungen, in FS Griss [2011] 389 [401]).
[45] Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung die drohende Gefahr eines Kundenverlusts – bei entsprechender Erheblichkeit – als unwiederbringlicher Schaden in Betracht kommt (RS0005118 [T7]). Aber auch für die Annahme eines unwiederbringlichen Schadens durch einen drohenden Kundenverlust muss sich diese Tatsache konkret aus dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ergeben (vgl RS0005256 [T7]).
[46] 6.3 Das Erstgericht hat als bescheinigt angenommen, dass viele Nutzer den TV‑Anbieter wechseln würden, wenn sie die klagsgegenständlichen TV‑Sender nicht uneingeschränkt konsumieren könnten. Das Erstgericht verweist dazu zwar auf die Studie in Beilage ./43, spricht in der Folge aber wieder ganz allgemein von einem großen möglichen Kundenverlust. Mit dem Hinweis auf die Studie will das Erstgericht somit nur dokumentieren, dass viele Kunden den TV‑Anbieter wechseln könnten, ohne die konkreten Ergebnisse der Studie zu seinen Feststellungen zu erheben. Aus der Bezugnahme des Erstgerichts auf die Verfahrensdauer (je länger, desto größer der drohende Kundenverlust) folgt zudem, dass die Studie von einem dauerhaften Entfall der Programme der Klägerin ausgeht. Im hier anhängigen Provisorialverfahren kommt es aber nur auf die Dauer dieses Verfahrens an. Außerdem geht die Studie von einem Wechsel der Nutzer zu anderen TV‑Anbietern aus, was allerdings voraussetzen würde, dass die anderen (Konkurrenz-)Anbieter über ein vergleichbares Angebot verfügen, wie die Beklagte ohne Erlassung der einstweiligen Verfügung. Das, was im hier vorliegenden Provisorialverfahren für die Beklagte gilt, trifft allerdings auch auf andere Drittanbieter zu.
[47] Ob der drohende Kundenverlust für einen unwiederbringlichen Schaden der Beklagten ausreichend gravierend ist, kann aufgrund des bescheinigten Sachverhalts nicht verlässlich beurteilt werden. Konkrete Ermittlungen dazu würden den Rahmen des Provisorialverfahrens sprengen. Entgegen den Ausführungen der Beklagten ist auch nicht bescheinigt, dass Nutzer den TV‑Anbieter nicht häufig wechseln wollen und daher – nach einem allfälligen erfolgreichen Abschluss des Hauptverfahrens für die Beklagte – nicht mehr zu dieser zurückkehren würden.
[48] 6.4 Droht als Folge einer befristeten Unterlassungsverfügung ein vorübergehender Kundenverlust, kann dies in erster Linie einen Umsatzverlust bedeuten. Zum Ausgleich dazu (im Rahmen der Interessenabwägung zwischen der Gefährdung der Klägerin und dem Eingriff in die Rechtssphäre der Beklagten: vgl RS0005711) hat das Erstgericht der Klägerin eine Sicherheitsleistung aufgetragen. Dass diese Sicherheitsleistung zur Abdeckung des Verlustrisikos nicht ausreicht, behauptet die Beklagte im Revisionsrekurs nicht.
[49] VII. Ergebnis:
[50] Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit den dargelegten Grundsätzen im Einklang. Die von der Beklagten geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – im Provisorialverfahren nicht vor.
[51] Die Vorinstanzen haben die einstweilige Verfügung damit zu Recht erlassen. Der Spruch der einstweiligen Verfügung war – in Form einer Maßgabenbestätigung – an die technischen Gegebenheiten anzupassen und in dieser Hinsicht im Rahmen des Gewollten zu präzisieren; außerdem war auf die Verschmelzung der vormaligen Klägerinnen Bedacht zu nehmen.
[52] Dem Revisionsrekurs der Beklagten war damit der Erfolg zu versagen.
[53] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO, §§ 78, 402 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.
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