OGH 12Os103/20v

OGH12Os103/20v15.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart des Mag. Nikolic als Schriftführer in der Strafsache gegen Bedirhan C***** und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten Bedirhan C***** gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 3. Juni 2020, GZ 61 Hv 25/20v‑70, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00103.20V.1015.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten Bedirhan C***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Schuldspruch eines Mitangeklagten enthält, wurde Bedirhan C***** jeweils eines Vergehens der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (2./b./), nach § 207a Abs 1 Z 2 StGB (3./b./) und nach § 207a Abs 3 erster Fall StGB (4./b./) sowie der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (5./) schuldig erkannt.

Soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, hat er

2./b./ am 6. Oktober 2018 in L***** eine pornographische Darstellung Minderjähriger, und zwar die wirklichkeitsnahe (zu ergänzen: [vgl US 5] reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste, der sexuellen Erregung des Betrachters dienende) Abbildung einer geschlechtlichen Handlung an einer mündigen minderjährigen Person (§ 207a Abs 4 Z 3 lit a StGB) hergestellt, indem er die am 5. Februar 2005 geborene – von ihm irrtümlich für mündig gehaltene (vgl US 5) – A***** P***** dabei filmte, wie sie den Oralverkehr an dem 2003 geborenen D***** Y***** vornahm;

3./b./ am 8. Oktober 2018 in L***** eine pornographische Darstellung Minderjähriger (§ 207a Abs 4 Z 3 lit a StGB) einem anderen überlassen (richtig: [vgl US 6; Philipp in WK 2 StGB § 207a Rz 17 f, 33] sonst zugänglich gemacht), indem er das zu 2./b./ angeführte Video via Snapchat an T***** Ö***** schickte;

4./b./ im Zeitraum von 6. Oktober 2018 bis zumindest 8. Oktober 2018 eine pornographische Darstellung Minderjähriger (§ 207a Abs 4 Z 3 lit a StGB), nämlich das zu 2./b./ angeführte Video, besessen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Schuldsprüche richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Widersprüchlich sind zwei Aussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen oder der allgemeinen Lebenserfahrung nicht nebeneinander bestehen können ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 438). Im Sinn der Z 5 dritter Fall des § 281 Abs 1 StPO können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (RIS‑Justiz RS0119089).

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) sind die Feststellung, dass die hier in Rede stehende wirklichkeitsnahe Abbildung einer geschlechtlichen Handlung reißerisch verzerrt, auf sich selbst reduziert und von anderen Lebensäußerungen losgelöst ist und der sexuellen Erregung einer Person dient (US 5), und das konstatierte Fehlen von sichtbaren nackten Körperteilen (US 9) nicht widersprüchlich im geschilderten Sinn. Denn das Vorliegen der in § 207a Abs 4 Z 3 lit a erster Fall StGB normierten Eigenschaften hängt von der Aufmachung und dem Zweck der Abbildung ab (vgl Hinterhofer , SbgK § 207a Rz 41 f) und – der Beschwerdeargumentation zuwider – nicht von der Wahrnehmbarkeit der Genitalien (vgl Reindl‑Krauskopf , Computerstrafrecht, 41 [zum Beispiel fehlender Objektsqualität im Fall von am Strand spielenden nackten Kindern „im typischen Urlaubsambiente“]).

Indem die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) weiters die (auf die Videoaufnahme gestützte [US 9]) Begründung der Festellung über das Vorliegen einer wirklichkeitsnahen Abbildung einer (hier realen) geschlechtlichen Handlung (US 5) mit der Behauptung als offenbar unzureichend kritisiert, dass die Videoaufnahme keine nackten Körperteile zeige und daher zum Beweis nicht geeignet sei, stellt sie den Urteilsannahmen bloß eigene Auffassungen und Erwägungen gegenüber. Somit greift der Beschwerdeführer unzulässig das Bewürdigungsermessen der Tatrichter an (RIS‑Justiz RS0116732 [T3]; zu den Grenzen der Anfechtungsbefugnis aus Z 5 vierter Fall Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 450 ff).

Mit der weiteren Behauptung, aus dem äußeren Tatgeschehen und dem Nachtatverhalten sei – entgegen den tatrichterlichen Beweiserwägungen (US 10) – nicht auf ein bedingtes Unrechtsbewusstsein des Angeklagten (US 6) zu schließen, wendet sich der Beschwerdeführer abermals ausschließlich gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts.

Schließlich verkennt der mit dem Vorbringen, die aufgrund des

Videos getroffenen Feststellungen stimmten nicht mit dem Inhalt des

Videos überein, erhobene Einwand der

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall), dass eine solche dann vorliegt, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder einer Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS‑Justiz RS0099431). Die in der Hauptverhandlung vorgeführte (ON 69 S 15)

Videoaufzeichnung der am 6. Oktober 2018 stattgefundenen geschlechtlichen Handlung (ON 34) scheidet damit von vornherein als Bezugspunkt einer

Aktenwidrigkeit aus (12 Os 21/20k). Im Übrigen erschöpft sich das Vorbringen, aus dem Inhalt des in Augenschein genommenen (vgl Kirchbacher/Sadoghi , WK‑StPO § 246 Rz 205)

Videos seien die von den Tatrichtern gezogenen Schlüsse nicht abzuleiten, neuerlich in einer unzulässigen Beweiswürdigungskritik (RIS‑Justiz RS0099524).

Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) auf das Vorbringen der Mängelrüge verweist, vernachlässigt sie den wesensmäßigen Unterschied der Nichtigkeitsgründe (RIS‑Justiz RS0115902; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.31).

Wesen und Ziel der Tatsachenrüge ist es, anhand aktenkundiger Beweisergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen aufzuzeigen. Einwendungen ausschließlich gegen die Beweiswerterwägungen der Tatrichter können erhebliche Bedenken von vornherein nicht hervorrufen, weil (wie bereits dargelegt) Beweiswürdigungskritik nach Art einer Schuldberufung im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen ist (RIS‑Justiz RS0119583, RS0118780, RS0099649).

Mit dem Vorbringen, aus der Videoaufnahme sei – den anderslautenden Erwägungen der Tatrichter (US 9) zuwider – nicht auf eine reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte, von anderen Lebensäußerungen losgelöste und der sexuellen Erregung des Betrachters dienende Abbildung zu schließen, zielt die Tatsachenrüge auf eine solche unzulässige Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstgerichts ab.

Soweit sich die Rüge auch gegen die Feststellung über eine erhebliche Verletzung der Privatsphäre der A***** P***** und des D***** Y***** richtet, bezieht sie sich nicht auf eine für die Schuld‑ oder Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache.

Indem die Rechtsrüge die Behauptung (zu Schuldspruch 3./b./), § 207a Abs 1 Z 2 StGB setze die Vorsatzform der Absichtlichkeit in Ansehung der „Verbreitung“ einer pornographischen Darstellung Minderjähriger voraus (vgl hingegen Philipp in WK² StGB § 207a Rz 26; Leukauf/Steininger/Tipold , StGB 4 § 207a Rz 8), nicht methodengerecht aus dem Gesetz ableitet und sich beim weiteren Vorbringen (dSn Z 9 lit b), der Angeklagte sei einem nicht vorwerfbaren Verbotsirrtum unterlegen, nicht am festgestellten Sachverhalt orientiert, wonach der Angeklagte das Unrecht seines Verhaltens ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand (US 6; vgl RIS‑Justiz RS0089519), verfehlt sie die gesetzmäßige Darstellung materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0116565, RS0099810).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ebenso wie die (bloß angemeldete) im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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