OGH 9ObA68/20w

OGH9ObA68/20w29.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** K*****, vertreten durch Mag. Matthias Prückler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2020, GZ 9 Ra 92/19v‑43, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00068.20W.0929.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat sich erst jüngst in einem vergleichbaren Fall, ebenfalls die hier Beklagte betreffend (9 ObA 53/20i), mit den wesentlichen auch im konkreten Fall vorgetragenen Argumenten der außerordentlichen Revision der Beklagten wie folgt auseinandergesetzt:

1.  Nach § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 ist die Beklagte zur Kündigung eines Bediensteten berechtigt, wenn dieser für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist dieser Kündigungsgrund auch dann verwirklicht, wenn der Dienstnehmer zwar grundsätzlich für seine Arbeit körperlich geeignet ist, aber Krankenstände auftreten, die den Bediensteten laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern (RS0081880; RS0113471). Die Erfüllung der Dienstpflichten umfasst nämlich nicht nur die Arbeitsleistung an sich, sondern auch deren Verfügbarkeit für den Dienstgeber (8 ObA 68/18k [Pkt 2.] mwN).

2.  Kommen für den Dienstgeber solcherart überhöhte Krankenstände als Kündigungsgrund in Betracht, so muss er im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt eine objektive Zukunftsprognose über die weitere Dienstfähigkeit des betroffenen Dienstnehmers erstellen (9 ObA 70/18m [Pkt 2.]; 8 ObA 68/18k [Pkt 4.] ua). Der Dienstgeber ist für das Vorliegen des Kündigungsgrundes behauptungs- und beweispflichtig (9 ObA 70/18m [Pkt 2.]; 8 ObA 68/18k [Pkt 4.]). Er trägt daher auch das Risiko, dass sich der von ihm angenommene Kündigungsgrund später (im gerichtlichen Verfahren) als nicht berechtigt erweist (9 ObA 153/17s [Pkt 2.]).

3.1.  Ob im konkreten Einzelfall der Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 verwirklicht wurde, ist letztlich immer anhand des jeweils festgestellten Sachverhalts zu beurteilen (vgl 9 ObA 119/12h). Der Kündigungsgrund ist nicht verwirklicht, wenn bei dem grundsätzlich dienstfähigen Dienstnehmer, der zwar in der Vergangenheit überdurchschnittlich lange im Krankenstand war, in der Zukunft (ausgehend vom Kündigungszeitpunkt) nicht mehr mit überhöhten Krankenständen zu rechnen ist (positive Zukunftsprognose). Auch wenn der Dienstgeber anhand der ihm zur Verfügung gestandenen Informationen zum Kündigungszeitpunkt eine – zwar objektiv richtige – negative Zukunftsprognose erstellt hat, die Grundlage seiner Kündigungsentscheidung war, ist der Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 nicht erfüllt, wenn sich diese Prognose nachträglich als unrichtig erweist.

3.2.  Wenn in Vorentscheidungen (9 ObA 153/17s [Pkt 2.]; 9 ObA 70/18m [Pkt 2.]; 8 ObA 68/18k [Pkt 4.]) auf die Beurteilungsgrundlagen der vom Dienstgeber zu erstellende Zukunftsprognose hingewiesen wurde (anhaltend steigende Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen; objektivierte Verschlechterung des Grundleidens; Art der Erkrankung samt deren Ursache und die daraus ableitbare gesundheitliche Situation des Dienstnehmers und Eignung für die Erfüllung der Dienstpflichten in der Zukunft), so war dies dadurch begründet, dass der Dienstgeber das Risiko trägt, dass sich der von ihm angenommene Kündigungsgrund später (im gerichtlichen Verfahren) als doch nicht berechtigt erweist.

4.  Dass im Anlassfall der bei der Beklagten beschäftigte Kläger (trotz seiner erhöhten Krankenstände bis zur Kündigung) eine eindeutig positive Zukunftsprognose aufweist, weil in Zukunft keine überdurchschnittlichen Krankenstände mehr bei ihm zu erwarten sind, wird in der außerordentlichen Revision der Beklagten nicht in Frage gestellt. Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO stellen sich hier daher nicht. Auch wenn der Dienstnehmer nach Ansicht der Revisionswerberin nicht verpflichtet ist, dem Dienstgeber allfällige (hier von der Beklagten gar nicht gestellte) Fragen im Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand zu beantworten und sich die Dienstgeber daher in einem 'Dilemma' befindet, wenn seine Kündigungsentscheidung im Verfahren ex post anhand von Informationen überprüft wird, die ihm im Zeitpunkt der Kündigungsentscheidung nicht zugänglich waren (vgl Marhold‑Weinmeier, Ex-post-Beurteilung statt Zukunftsprognose über die weitere Dienstfähigkeit?, ASoK 2018, 248]), ändert dies an den oben beschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen des § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 nichts. Einer Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs zu der im Schrifttum (allerdings im Zusammenhang mit der sozialen Gestaltungspflicht des Dienstgebers) erörterten Mitwirkungspflicht des Dienstnehmers an der Beurteilung seines Leistungsvermögens durch den Dienstgeber (DRdA 2019/12 [Bachhofer]), bedarf es im vorliegenden Fall daher nicht.“

Soweit die Beklagte meint, dass sie wegen der Besonderheit des vorliegenden Falls von einer negativen Zukunftsprognose hinsichtlich der Krankenstände der Klägerin ausgehen habe dürfen, weil die Klägerin über längere Zeiträume Krankenstände in Anspruch genommen habe, obwohl sie tatsächlich arbeitsfähig gewesen sei und zudem festgestellt worden sei, dass bei Patienten mit derartigen Tendenzen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, übergeht die – für das Vorliegen des Kündigungsgrundes behauptungs- und beweispflichtig – Beklagte die negative Feststellung des Erstgerichts, dass nicht festgestellt werden kann, dass die Aggravationstendenz der Klägerin zu sieben Wochen pro Jahr überschreitenden Krankenständen führen wird.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO (iVm § 2 Abs 1 ASGG) ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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