OGH 4Ob121/20b

OGH4Ob121/20b22.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Patentrechtssache der Antragstellerin T***** AG *****, vertreten durch Polak & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Verlängerung der Laufzeit eines ergänzenden Schutzzertifikats, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 21. Februar 2020, GZ 133 R 119/19a‑3, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00121.20B.0922.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Patentamt erteilte der Antragstellerin für ihr Arzneimittelerzeugnis ein ergänzendes Schutzzertifikat, das mit 16. 11. 2020 ausläuft.

Die Frist für den Antrag auf Verlängerung der Laufzeit nach Art 7 Abs 4 der VO (EG) 469/2009 versäumte die Antragstellerin. Den von ihr dagegen erhobenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies die Rechtsabteilung des Patentamts zurück.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs strebt die Antragstellerin die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an. Sie zeigt in ihrem Rechtsmittel aber keine erheblichen Rechtsfragen iSv § 62 Abs 1 AußStrG auf. Der Revisionsrekurs ist daher unzulässig und somit zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist in § 129 PatG geregelt. Die Bestimmung ist § 146 ZPO nachgebildet (Om 2/13), sodass dazu ergangene Rechtsprechung berücksichtigt werden kann.

2. Das Rekursgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt, weil der Antragstellerin ein nicht bloß auf minderem Grad beruhendes Versehen vorzuwerfen sei. Ob dies zutrifft, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass damit – grobe Fehlbeurteilungen ausgenommen – keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird (RIS‑Justiz RS0116535).

3.1. Es entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass Unternehmen, jedenfalls soweit sie regelmäßig mit fristgebundenen Rechtshandlungen konfrontiert sind, eine entsprechende Organisations- und Überwachungspflicht trifft (8 ObA 61/02g = RS0116536; vgl auch 9 ObA 92/92). Ein Verschulden kann sich insbesondere daraus ergeben, dass Hilfskräfte mangelhaft ausgewählt, ausgebildet oder überwacht oder ihnen Aufgaben übertragen wurden, die wegen ihrer Schwierigkeit und Bedeutung selbst hätten erledigt werden müssen (16 Ok 47/05). Wird (wie hier) die Verwaltung von fristgebundenen Sachen an Dritte ausgelagert, ist ein entsprechendes Kontrollsystem einzurichten, ob die notwendigen Schritte tatsächlich unternommen wurden, was insbesondere Nachfragen erforderlich machen kann (vgl RS0127065 [T4]), denn hätte die Partei die Angelegenheit nicht in fremde Hände gelegt, wäre es von vornherein ihre Sache gewesen, die eigenen Hilfspersonen zu überwachen oder deren Tätigkeit selbst auszuüben. Es ist dabei jenes Maß an Sorgfalt zu fordern, wie es nach der Lebenserfahrung von einer vernünftigen und durchschnittlich gewissenhaften Person angesichts der Bedeutung der vorzunehmenden Handlung unter den gegebenen Umständen aufgewendet zu werden pflegt (RS0036696).

3.2. Die Antragstellerin hat die zur Begründung des Antrags dienenden Umstände anzuführen und glaubhaft zu machen (§ 131 Abs 1 PatG; Om 8/08). Nach dem wesentlichen Vorbringen der Wiedereinsetzungswerberin nahm sie an, die Überwachung der Fristen sei von der IP‑Rechtsabteilung ihrer Muttergesellschaft an eine Patentanwaltskanzlei ausgegliedert worden, während letztere – aufgrund eines missverständlich formulierten Schreibens – der Auffassung war, dieser Auftrag sei widerrufen worden. In der Folge habe die Muttergesellschaft den Dritten zwar (erneut) ersucht, alle Schutzrechte der Antragstellerin aufrecht zu erhalten und über die relevanten Fristen zu berichten, dies sei aber nicht geschehen.

3.3. Dass die Antragstellerin oder ihre Muttergesellschaft in irgendeiner Form sichergestellt hätten zu überwachen, dass die Patentanwaltskanzlei den ihr erteilten Auftrag auch annimmt, wurde nicht vorgebracht. Soweit der Revisionsrekurs dazu behauptet, aufgrund der jahrelangen Geschäftsbeziehung zu dieser Kanzlei habe die Antragstellerin auch ohne bestätigende Rückantwort darauf vertrauen dürfen, dass die Kanzlei ihre Rechte wahren werde, übergeht sie einen wesentlichen Teil ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Nach dem ursprünglichen Antragsvorbringen langte nämlich sehr wohl eine Rückantwort der Kanzlei an die Muttergesellschaft ein, worin sie aufgrund des früheren Missverständnisses um Aufklärung ersuchte und anfragte, ob es sich um einen Irrtum handle; eine Antwort der Muttergesellschaft darauf unterblieb jedoch.

3.4. Dass dieser Ablauf vom Rekursgericht als grobes Überwachungs‑ bzw Kontrollverschulden gewertet wurde, hält sich im Rahmen der referierten Rechtsprechung. Wie die Revisionsrekurswerberin selbst vorbringt, verwaltet ihre Muttergesellschaft über 11.000 Patente, sodass angesichts der Bedeutung der vorzunehmenden rechtserhaltenden Handlungen ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab galt. Dem widerspricht es, die Fristenüberwachung für Schutzrechte, die noch dazu nicht einmal genau bezeichnet wurden, an Dritte zu übertragen und sich nicht der Annahme des Auftrags zu vergewissern, sondern im Gegenteil auf die Nachfrage dieses Dritten nicht zu reagieren.

3.5. Ebenso wenig ist es eine grobe Fehlbeurteilung, wenn das Rekursgericht angenommen hat, die Antragstellerin selbst hätte die Fristen zumindest in Evidenz zu halten gehabt. Diese brachte nämlich in erster Instanz selbst vor, die Patentanwaltskanzlei nehme die Verlängerung von Schutzzertifikaten (wie hier im Anlassfall erforderlich gewesen wäre) nicht automatisch in ihr System auf, sondern setze darauf, von den Klienten informiert zu werden. Wenn angesichts dieser Sachlage weder die Muttergesellschaft noch die Antragstellerin selbst zielführend mit der Patentanwaltskanzlei kommuniziert, sondern sich – ohne entsprechende Anhaltspunkte – auf die Annahme des Auftrags verlassen haben, kann auch dies vertretbar als nicht bloß minderer Grad des Versehens beurteilt werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte