European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00144.20K.0922.000
Spruch:
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
Der Kläger ist ein Verband zur Wahrung wirtschaftlicher Unternehmerinteressen.
Die Beklagte betreibt einen Bekleidungshandel mit mehreren Filialen in Österreich, darunter jener in der M***** Straße in Wien, die umgebaut werden sollte. In der ersten Jahreshälfte 2019 fasste die Beklagte den Entschluss, den (seit 2016 geplanten) Umbau im Sommer 2019 durchzuführen.
Da der Umbau auch zu Marketingzwecken genutzt werden sollte, bewarb die Beklagte ab 3. Juni 2019 in Printmedien für den Standort M***** Straße einen „Totalabverkauf wegen Umbau – Topmarken bis zu ‑ 50 % – ab 3. Juni bis 22. 6. 2019 solange der Vorrat reicht“.
Aufgrund einer Aufforderung der Vermieterin vom 5. Juni 2019 wurden die Umbauarbeiten gestoppt. Aus diesem Grund schaltete die Beklagte am 20. Juni 2019 neuerlich eine Printwerbung zu einem „Totalabverkauf wegen Umbau“, diesmal „ab 24. Juni bis 13. 7. 2019“, und zwar ohne Hinweis darauf, dass der Abverkauf bereits ab 3. Juni lief. Die Beklagte bewarb den Abverkauf auch mit Plakatankündigungen in der Filiale selbst.
Zur Sicherung seiner inhaltsgleichen Unterlassungsbegehren beantragte der klagende Verband, der Beklagten mittels einstweiliger Verfügung zu verbieten,
a) einen „Totalabverkauf wegen Umbau“ anzukündigen, wenn tatsächlich nicht und/oder nicht zeitnah nach Ende des angegebenen Aktionszeitraums ein Umbau stattfindet,
sowie
b) der Wahrheit zuwider zu bewerben, dass ein Angebot nur eine sehr begrenzte Zeit und/oder nur eine sehr begrenzte Zeit zu bestimmten Bedingungen verfügbar ist, wenn in Wahrheit solche Angebote über den zuerst angegebenen Aktionszeitraum hinaus fortgesetzt werden und/oder für längere Zeit gelten.
Das Begehren zu lit a stützte der Kläger auf den Irreführungstatbestand nach § 2 UWG, jenes zu lit b vor allem auf das per se‑Verbot nach UWG Anh Z 7.
Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag zur Gänze statt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten teilweise Folge und wies das Sicherungsbegehren zu lit a ab. Richtig sei zwar, dass der Umbau bis weit nach Ende des angegebenen Aktionszeitraums nicht stattgefunden habe. Dies rechtfertige die Erlassung einer einstweiligen Verfügung aber nicht, weil schon die Absicht, am Ende des Aktionszeitraums einen Umbau durchzuführen, für die Zulässigkeit der Ankündigung ausreiche. Das Sicherungsbegehren zu lit a sei daher abzuweisen. Demgegenüber sei die zweite Ankündigung der Beklagten vom 20. Juni 2019 irreführend, weil sie den Eindruck erwecke, dass die beworbene günstige Geschäftsgelegenheit erstmals ab 24. Juni 2019 bestanden habe und eine entsprechende reduzierte Warenmenge vorhanden sei. Dazu sprach das Rekursgericht aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands jeweils 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der „außerordentliche Revisionsrekurs“ des klagenden Verbands mit dem Antrag, auch dem abgewiesenen Sicherungsbegehren zu lit a stattzugeben; in eventu stellt der Kläger den Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs nach § 528 Abs 2a ZPO iVm § 508 ZPO.
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht legte dem Obersten Gerichtshof das Rechtsmittel des Klägers als außerordentlichen Revisionsrekurs vor. Diese Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof ist verfehlt, weil ein Fall des § 528 Abs 2a iVm § 508 ZPO vorliegt.
1.1 Der klagende Verband meint in seinem Rechtsmittel zunächst, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands der zweiten Instanz schon deshalb 30.000 EUR übersteige, weil die beiden geltend gemachten Ansprüche nach § 55 JN zusammenzurechnen seien. Beide Ansprüche resultierten aus einer einheitlichen Werbeankündigung, mit der zwei Irreführungsaspekte verwirklicht würden.
1.2 Dieser Ansicht des Klägers ist nicht zu folgen; der argumentierte tatsächliche Zusammenhang liegt nicht vor.
Nach der Rechtsprechung kommt es für das Vorliegen eines tatsächlichen Zusammenhangs im Sinn des § 55 JN darauf an, ob die Begehren aus einem Sachverhalt abgeleitet werden, der als Einheit aufgefasst wird und dessen Kenntnis daher notwendig ist, um den Sachverhalt rechtlich richtig beurteilen zu können (4 Ob 96/19z). Liegt ein solcher einheitlicher Sachverhalt vor, so sind mehrere daraus abgeleitete Ansprüche zusammenzurechnen, auch wenn sie eine unterschiedliche Rechtsnatur aufweisen.
Das Rekursgericht hat in seiner Begründung des Bewertungsausspruchs ausgeführt, dass die beiden Begehren auf unterschiedlichen Verstößen mit unterschiedlichen Sachverhalten beruhten, weshalb sie nicht zusammenzurechnen seien. Dabei hat das Rekursgericht – vom Kläger unbeanstandet und auch zutreffend – das Begehren zu lit a der ersten Werbeankündigung (Totalabverkauf ab 3. Juni bis 22. 6. 2019) und jenes zu lit b der zweiten Werbeankündigung (ab 24. Juni bis 13. 7. 2019) zugeordnet. Dementsprechend hat es ausgeführt, dass mit der zweiten Werbeankündigung ein zweiter Totalabverkauf angekündigt worden sei.
In Bezug auf die beiden gesonderten Werbeankündigungen liegt kein einheitlicher Sachverhalt vor, weil es sich bei der zweiten Werbeankündigung um eine eigenständige Werbemaßnahme mit einem neuen Angebotszeitraum gehandelt hat.
2.1 Darüber hinaus wirft der klagende Verband dem Rekursgericht eine willkürlich krasse Unterbewertung des Entscheidungsgegenstands vor. In der Klage seien beide Unterlassungsbegehren mit 60.001 EUR bewertet worden, woraus sich ergäbe, dass jedes einzelne der beiden Begehren einen Wert von über 30.000 EUR aufweise. Der Kläger sei gemäß § 56 Abs 2 JN in seiner Bewertung frei, während das Gericht an diese Bewertung grundsätzlich gebunden sei. Die Kundenschlangen vor dem Abverkaufslokal dokumentierten, dass das wirtschaftliche Interesse den Betrag von 30.000 EUR übersteige. Außerdem werde durch eine irreführende Abverkaufswerbung erheblicher Umsatz zu Lasten der gesetzestreuen Mitbewerber verlagert. Gemäß § 5 Z 14 AHK seien Ansprüche in Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes und Immaterialgüterrechts mit 43.200 EUR als angemessen anzusetzen.
2.2 Auch mit diesen Ausführungen ist der klagende Verband nicht im Recht.
Bei seinem Bewertungsausspruch ist die zweite Instanz an die Bewertung des Klägers nach § 56 Abs 2 JN nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0043252; RS0042296). Das Rechtsmittelgericht darf den Wert des Entscheidungsgegenstands zwar nicht willkürlich festsetzen, es steht ihm aber, soweit die Bewertung nicht zwingend vorgegeben ist, ein Ermessensspielraum offen. Sein Ermessen ist ein gebundenes Ermessen, das sich an den für die Bewertung des Streitgegenstands normierten Grundsätzen zu orientieren hat. Bestehen keine zwingenden Bewertungsvorschriften, so hat sich die Bewertung am objektiven Wert der Streitsache zu orientieren (RS0118748). Der Bewertungsausspruch der zweiten Instanz ist grundsätzlich unanfechtbar und auch für den Obersten Gerichtshof bindend (RS0042385; RS0042515), es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt, eine offenkundige Fehlbewertung vorgenommen oder eine Bewertung überhaupt unterlassen müssen (RS0109332; RS0042410; 10 Ob 27/19x).
2.3 Im Anlassfall vermag der klagende Verband eine Überschreitung des Ermessensspielraums durch das Rekursgericht nicht aufzuzeigen. Entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel ist das Rekursgericht an die Bewertung des Klägers nicht gebunden. Es lässt sich auch weder aus dem Gesetz noch aus der Rechtsprechung ableiten, dass lauterkeitsrechtliche Ansprüche in jedem Fall mit über 30.000 EUR zu bewerten wären (vgl 4 Ob 13/08b). Mit den bloß pauschalen Hinweisen auf Kundenschlangen vor dem Abverkaufslokal und eine Umsatzverlagerung zu Lasten der gesetzestreuen Mitbewerber kann der Kläger nicht dokumentieren, dass die wirtschaftliche Bedeutung der hier noch gegenständlichen ersten Werbeankündigung den Wert von über 30.000 EUR klar überstiegen habe. Da der Kläger selbst das Begehren zu lit a (betreffend diese erste Werbeankündigung) selbst mit nur 50 Cent über 30.000 EUR bewertet, kann von einer offenkundigen Unterbewertung durch das Rekursgericht keine Rede sein. Daraus folgt, dass der Oberste Gerichtshof an den Bewertungsausspruch des Rekursgerichts gebunden ist.
3. Wenn – wie im vorliegenden Fall – der Entscheidungsgegenstand der zweiten Instanz an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat, ist der Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 2 Z 1a ZPO – außer im Fall des § 528 Abs 2a ZPO – jedenfalls unzulässig. Unter diesen Voraussetzungen ist auch ein außerordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. In einem solchen Fall kann eine Partei nur nach § 528 Abs 2a iVm § 508 ZPO den – beim Erstgericht einzubringenden und mit dem ordentlichen Rechtsmittel zu verbindenden – Antrag an das Rekursgericht stellen, seinen Zulässigkeitsausspruch dahin abzuändern, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde. Diese Vorgangsweise ist auch dann einzuhalten, wenn das Rechtsmittel als „außerordentliches“ Rechtsmittel bezeichnet wurde (RS0109623).
Im Hinblick auf die dargelegte Rechtslage hat das Erstgericht den Rechtsmittelschriftsatz des klagenden Verbands dem Gericht zweiter Instanz vorzulegen, das über den Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs zu entscheiden hat.
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