OGH 12Os79/20i

OGH12Os79/20i10.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weinhandl in der Strafsache gegen Milos S***** wegen der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 29. April 2020, GZ 12 Hv 17/20h‑35, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00079.20I.0910.000

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion jeweils auch unter § 114 Abs 4 erster Fall FPG und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Eisenstadt verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft werden mit ihren Berufungen auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Milos S***** der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

Danach hat er in N***** gewerbsmäßig als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und unter Mitwirkung weiterer Mitglieder dieser Vereinigung als Mittäter (§ 12 StGB), nämlich mit einem unbekannten syrischen Auftraggeber und mehreren unbekannten Fuß‑ und Fahrzeugschleppern, die rechtswidrige Einreise bzw Durchreise von Fremden in bzw durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, und zwar von Ungarn nach Österreich, mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, auf eine Art und Weise gefördert, durch die jeweils zwei Fremde während der Beförderung längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden, indem er die Fremden in K***** oder in B***** in Ungarn in einen Fiat 500 aufnahm und über den Grenzübergang N***** auf österreichisches Staatsgebiet verbrachte, wobei jeweils zwei Fremde während der gesamten Fahrt im Kofferraum des Fahrzeugs eingepfercht waren, wofür die Geschleppten ein Entgelt von mehreren tausend Euro an den Organisator bezahlten und auch der Angeklagte selbst 300 Euro pro Fahrt erhielt, und zwar jeweils sechs Fremde

1./ in der Nacht vom 10. auf 11. Februar 2020,

2./ in der Nacht vom 11. auf 12. Februar 2020,

3./ in der Nacht vom 12. auf 13. Februar 2020.

 

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die nominell auf § 281 Abs 1 Z 5, Z 5a, Z 9 lit a, Z 10 und Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die teilweise berechtigt ist.

Die Subsumtionsrüge (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) richtet sich gegen die Annahme der Qualifikation nach § 114 Abs 4 erster Fall FPG und zeigt – worauf auch die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme hinweist – im Ergebnis zutreffend auf, dass dem Urteil Feststellungen zum erforderlichen zeitlichen Element der kriminellen Vereinigung nicht zu entnehmen sind. Das Erstgericht stellte bloß fest, dass sich der Angeklagte einer Verbindung angeschlossen hatte, die darauf ausgerichtet war, den Lebensunterhalt seiner Mitglieder mit der Durchführung von Schleppungen von Fremden nach Österreich bzw in andere europäische Staaten zu verdienen (US 4). Damit wird aber keine Aussage dazu getroffen, ob der Zusammenschluss auf längere Zeit angelegt war (vgl RIS-Justiz RS0125232, RS0119848; Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 8 und 41).

Dieser Subsumtionsfehler erfordert Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO).

Damit kann das Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) auf sich beruhen. Dennoch sei angemerkt, dass die Nichtigkeitbeschwerde – entgegen der Ansicht der Generalprokuratur – auch in diesem Punkt berechtigt ist. Die aggravierende Wertung des Zusammentreffens strafbarer Handlungen verstößt vorliegend nämlich gegen das Doppelverwertungsverbot, weil § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB drei solche Taten voraussetzt, also die Tatwiederholung Voraussetzung für die Annahme der Gewerbsmäßigkeitsqualifikation war (vgl RIS‑Justiz RS0091375 [T6]).

Im Übrigen verfehlt die Nichtigkeitsbeschwerde ihr Ziel.

Die Subsumtionsrüge (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) wendet sich gegen die Annahme der Qualifikation der Gewerbsmäßigkeit nach § 114 Abs 3 Z 1 FPG. Weshalb ein Zeitraum von mehr als einem Monat (US 7) dem Merkmal „längere Zeit hindurch“ in § 70 Abs 1 StGB nicht entsprechen sollte, legt die Beschwerde aber nicht dar (vgl RIS-Justiz RS0107402 [insbesondere T8]; Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 70 Rz 7). Ebenso bleibt unklar, weshalb der Annahme von Gewerbsmäßigkeit entgegenstehen sollte, dass der Angeklagte bloß über einige Tage Schleppungen durchführte und es hier nicht bloß auf die diesbezügliche Absicht ankommen sollte (vgl § 70 Abs 1 StGB). Indem der Rechtsmittelwerber auf in der Hauptverhandlung hervorgekommene Indizien hinweist, welche gegen die Absicht längerfristiger Begehung sprächen, wie seine Tätigkeit als Gebrauchtwagenhändler, verfehlt er prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit, weil er die vom Erstgericht getroffenen Konstatierungen außer Acht lässt (RIS‑Justiz RS0099810; vgl zum Begriff des Feststellungsmangels RS0118580). Das Rechtsmittel bekämpft die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung, indem vorgebracht wird, dem Angeklagten wären ständige Nachtfahrten mit dem KFZ längerfristig zu intensiv gewesen. Weshalb es darauf ankommen sollte, wie viel der Rechtsmittelwerber durch die Schlepperfahrten tatsächlich lukrierte und nicht auf die Absicht, ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu erzielen (vgl § 70 Abs 1 StGB), bleibt offen (vgl Rainer in SbgK § 70 Rz 21).

Bleibt anzumerken, dass dem Angeklagten die Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 1 FPG bei sämtlichen Verbrechen angelastet wurde, weil er im Sinn des § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB bereits zwei solche Taten begangen habe. Gewerbsmäßige Begehung nach Maßgabe dieser Bestimmung kann aber erst ab der dritten Tat vorliegen (vgl RIS‑Justiz RS0130966 [T3]). Zutreffend hätte daher die Gewerbsmäßigkeitsqualifikation nur bei 3./ des Schuldspruchs angelastet werden dürfen. Dieser – vom Nichtigkeitswerber nicht angesprochene – Subsumtionsfehler (Z 10) blieb jedoch ohne Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO für den Angeklagten, weshalb sich der Oberste Gerichtshof nicht zu einem amtswegigen Vorgehen veranlasst sah. Für das Landesgericht besteht im weiteren Verfahren keine Bindung an die verfehlte rechtliche Unterstellung (RIS‑Justiz RS0129614 [T1]).

Nach den Feststellungen des Erstgerichts mussten bei jeder der drei Schleppungen jeweils zwei Personen im Kofferraum des vom Angeklagten gelenkten Fiat 500 während der etwa dreistündigen Fahrt ohne Pause, ohne Wasser oder sonstige Verpflegung und ohne ausreichende Luftzufuhr in unveränderter Körperhaltung verharren (US 5 ff). Ausgehend von diesen Konstatierungen macht die Subsumtionsrüge (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) nicht klar, weshalb die Annahme eines qualvollen Zustands der Fremden im Sinn des § 114 Abs 3 Z 3 FPG verfehlt wäre (vgl RIS‑Justiz RS0106652 [T3]).

Die weitere Rüge (nominell Z 9 lit a und Z 10) übt bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung, indem sie auf die Aussage des als Zeugen vernommenen Polizeibeamten Thomas H***** verweist, wonach das Verharren im Kofferraum während der mehrstündigen Fahrt „sicher nicht angenehm“ war, und daraus folgert, dass dieser den Zustand nicht als qualvoll eingeschätzt habe (vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0097540).

Indem die Subsumtionsrüge behauptet, die Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 3 FPG könne „nach der Judikatur und Kommentierung“ im Fall des Verharrens selbst in regungsloser Haltung nur bei einem Zeitraum von fünf Stunden angenommen werden, bleibt sie die methodengerechte Ableitung der gewünschten Konsequenz aus dem Gesetz schuldig und verfehlt damit gesetzmäßige Darstellung materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0116565). Die vom Rechtsmittelwerber angeführte Kommentarstelle ( Tipold in WK² FPG § 114 Rz 20) enthält diese Aussage nicht.

Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet. Die in der Beschwerdeschrift verwendete Formulierung, „hilfsweise“ würden die bisherigen Ausführungen „auch unter dem Gesichtspunkt eines Begründungsmangels im Sinne der Z 5 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO geltend gemacht“, entspricht daher nicht der Strafprozessordnung (RIS‑Justiz RS0115902).

Im bezeichneten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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