OGH 9Ob24/20z

OGH9Ob24/20z29.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin K* G*, gegen den Antragsgegner Ing. R* G*, vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Unterhalt, infolge des Revisionsrekurses des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 24. März 2020, GZ 2 R 57/20m‑22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mürzzuschlag vom 5. Februar 2020, GZ 8 Fam 41/19t‑17, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129208

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I. Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, dass die mit der Entscheidung 4 Ob 150/19s begründete Rechtsprechung, dass bei der Unterhaltsbemessung minderjähriger Kinder der Familienbonus Plus nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist und eine Anrechnung von Transferleistungen nicht mehr stattzufinden hat, weil die gebotene steuerliche Entlastung des Unterhaltspflichtigen bereits durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag bewirkt wird, im Hinblick auf die notwendige Systemkonformität einer Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht auch im vorliegenden, den Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes betreffenden Fall gelten müsse. Mit der Begründung, die Berücksichtigung des Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung für volljährige Kinder sei in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht abschließend geklärt, ließ das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs nach § 62 Abs 1 AußStrG zu.

Der erkennende Senat hat die vom Rekursgericht für erheblich erachtete Frage mit Entscheidung vom 25. 6. 2020, 9 Ob 59/19w, mit eingehender Begründung entschieden. Der Senat kam dabei zu folgendem Ergebnis (Pkt 6.5 der Entscheidung): „Zusammengefasst ist also davon auszugehen, dass der Steuergesetzgeber mit der Einführung des Familienbonus Plus (gemeinsam mit dem schon bestehenden Unterhaltsabsetzbetrag) die Vorgabe des Verfassungsgerichtshofs, die im Vergleich zu einer nicht unterhaltspflichtigen Person verminderte Leistungsfähigkeit durch eine entsprechende Verminderung ihrer Steuerlast zu berücksichtigen, undifferenziert erfüllen und die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltslast zur Gänze in das Steuerrecht verlagern wollte. Diese gesetzgeberische Intention ist auch hinsichtlich der volljährigen Unterhaltsberechtigten zu akzeptieren.“

Auch im Anwendungsbereich des § 62 Abs 1 AußStrG ist das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769 [T9, T10]). Eine Rechtsfrage ist demnach nicht mehr erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG, wenn zu ihr bereits Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs – wenngleich erst nach der Entscheidung des Rekursgerichts – ergangen ist (vgl RS0112769).

II.1. Präsenz- und Zivildiener sind als solche bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen aufgrund der mit ihrem Dienst einhergehenden Geld- und Sachleistungen als selbsterhaltungsfähig anzusehen (RS0047475; Hopf/Stefula in KBB6 § 231 ABGB Rz 20). Bei ein freiwilliges Sozialjahr (FSJ; §§ 5 ff FreiwilligenG) Leistenden kann ähnlich einem Präsenz- oder Zivildiener zumindest eine teilweise Selbsterhaltungsfähigkeit vorliegen (2 Ob 141/11s [Pkt 5]; Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 231 Rz 403). Selbst Freiwillige, die im Einzelfall durch die mit dem FSJ einhergehenden Geld- und Sachbezüge eine einem Präsenz- oder Zivildiener entsprechende wirtschaftliche Absicherung haben, haben – so wie Präsenz- und Zivildiener – nur im Falle durchschnittlicher Lebensverhältnisse deshalb keinen Unterhaltsanspruch mehr.

II.2. Überdurchschnittliche Lebensverhältnisse liegen vor, wenn der nach der Prozentwertmethode sich ergebende Unterhalt den Regelbedarf (Durchschnittsbedarf) überschreitet (4 Ob 109/14d [Pkt 2.4]; Gitschthaler, Einige aktuelle Probleme des Kindesunterhaltsrechts, ÖJZ 1994, 10 [15]), und dies nicht lediglich geringfügig (Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 699). Weil der nach der Prozentwertmethode ermittelte Unterhaltsbeitrag hier bei 785 EUR läge, der Regelbedarf hier hingegen bei 590 EUR, ging das Rekursgericht zutreffend von überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen aus.

II.3. Ob bei überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen ungeachtet der einem Präsenz- oder Zivildiener zustehenden Geld- und Sachleistungen ein bestimmter monatlicher Unterhaltsbeitrag an ihn angemessen erscheint, ist keine einer generellen richtungsweisenden Aussage des Obersten Gerichtshofs zugängliche, sondern im konkreten Einzelfall jeweils nach den Vermögensverhältnissen der betroffenen Personen zu entscheidende Frage (RS0113338). Gleiches gilt im hier vorliegenden Fall eines ein FSJ leistenden Kindes.

II.4. Das Rekursgericht erkannte der Antragstellerin einen monatlichen Unterhalt von 510 EUR zu. Dabei ging es davon aus, dass die Antragstellerin aus dem FSJ monatlich 245 EUR zuzüglich Sach- und Naturalleistungen in einem Geldwert von 196,20 EUR erhält. Das Rekursgericht hat im Fall die für überdurchschnittliche Verhältnisse von der Rechtsprechung entwickelte Formel zugrundegelegt, wonach vom Geldunterhalt [hier nach der Prozentwertmethode: rund 785 EUR] das Produkt aus Eigeneinkommen [hier: rund 440 EUR] und Geldunterhalt [785 EUR] dividiert durch die Summe aus Geldunterhalt [785 EUR] und Ausgleichszulagenrichtsatz [hier: 1.070 EUR] abzüglich des Regelbedarfs [hier: 590 EUR] abzuziehen ist (4 Ob 109/14d [Pkt 2.6]; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 182 f; Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 231 Rz 390; vgl jüngst auch 6 Ob 6/20f [Pkt 4.5 f]). Die im Revisionsrekurs vertretene Ansicht, von dem nach der Prozentsatzmethode ermittelten Betrag [hier: 785 EUR] sei das Eigeneinkommen des Kindes zur Gänze abzuziehen, widerspräche – wie etwa bereits in 8 Ob 528/93 festgehalten – der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Mit der nicht weiter begründeten Behauptung, die vom Rekursgericht herangezogene Berechnungsmethode sei „sachlich nicht gerechtfertigt, zumal sie die Antragstellerin über Gebühr begünstigt“, bringt der Revisionsrekurswerber ebensowenig eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zur Darstellung.

Der Revisionsrekurs ist als unzulässig zurückzuweisen.

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