OGH 12Os48/20f

OGH12Os48/20f23.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel in der Strafsache gegen Nedzad M***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. Dezember 2019, GZ 32 Hv 114/18v‑68, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00048.20F.0623.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Nedzad M***** des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (A./), des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (B./) und des Verbrechens der Terrorismusfinanzierung nach § 278d Abs 1a Z 2 StGB (C./) schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** und anderen Orten

A./ sich im Zeitraum September und Oktober 2013 als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 3 StGB), nämlich der in der UN‑Sanktionsliste aufscheinenden Terrororganisation „IS‑Islamic State“ (in der Folge: IS) bzw dessen Unter- bzw Vorläuferorganisation „Islamic State of Iraq and the Levant“ (in der Folge: ISIL), die darauf ausgerichtet sind, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB) ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) betrieben wird, durch die Bereitstellung von Vermögenswerten und auf andere Weise beteiligt, wobei er im Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) handelte, durch seine Beteiligung die Vereinigung IS bzw ISIL oder deren strafbare Handlungen zu fördern, und zwar

1./ im September 2013, indem er von W***** nach A***** reiste und dort an Angehörige einer von Muradif H***** geleiteten, dem IS bzw dem ISIL angehörenden Gruppe einen nicht mehr näher feststellbaren Betrag von zumindest mehreren tausend Euro als finanzielle Unterstützung verteilte;

2./ im Oktober 2013, indem er von W***** nach A***** reiste und dort einen Betrag von zumindest mehreren tausend Euro an Angehörige einer von Muradif H***** geleiteten, dem IS bzw ISIL angehörenden Gruppe als Unterstützung verteilte und für Mitglieder dieser Gruppe drei Wochen lang kochte;

B./ sich durch die unter Punkt A./ näher bezeichneten Taten an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, nämlich der international agierenden terroristischen Vereinigung IS bzw ISIL, als Mitglied in dem Wissen beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB), dass er dadurch die Vereinigung in ihrem Ziel, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in Palästina einen radikalislamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zur Erreichung dieses Ziels förderte, wobei diese Vereinigung, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, sowie schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, insbesondere dem tatsächlichen kriegerischen Einsatz erlangter Waffen, ausgerichtet war, indem sie seit Sommer 2011 insbesondere in Syrien und im Irak unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB die Zerstörung des syrischen und irakischen Staates betrieb, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötete und vertrieb, sich deren Vermögen aneignete, durch Geiselnahmen große Geldsummen erpresste, die vorgefundenen Kunstschätze veräußerte und Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat, zu ihrer Bereicherung ausbeutete, die durch all diese Straftaten eine Bereicherung im großen Umfang anstrebte und Dritte durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa, einschüchterte und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaues, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation, gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschirmte;

C./ durch die unter Punkt A./ angeführten Taten Vermögenswerte für Mitglieder einer terroristischen Vereinigung nach § 278d Abs 1 StGB, nämlich dem IS bzw dem ISIL, von der er wusste, dass sie darauf ausgerichtet war, Handlungen nach § 278d Abs 1 StGB, insbesondere strafbare Handlungen, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die in einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wobei diese Handlungen darauf abzielen, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen (Z 8), zu begehen, bereitgestellt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die vom Angeklagten erhobene und nominell auf § 281 Abs 1 Z 3, Z 4, Z 5 und Z 8 StPO sowie auf „§ 281 Abs 1 Einl iVm Art 9 MRK“ gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, welche nicht berechtigt ist.

Aus Z 3 rügt der Beschwerdeführer die in der Hauptverhandlung erfolgte Verlesung der Protokolle über die Aussagen der Zeugen Avdulah H***** und Almir D***** im gegen den Angeklagten in Bosnien und Herzegowina geführten Strafverfahren.

Indem der Rechtsmittelwerber kritisiert, das Erstgericht hätte es verabsäumt, „dem Umstand nachzugehen, ob die verlesenen Zeugenaussagen vor einer unabhängigen Stelle zustande gekommen sind bzw wie dieselben überhaupt zustande gekommen sind“, wird der angesprochene Nichtigkeitsgrund nicht dargestellt (vgl RIS‑Justiz RS0120136).

Soweit der Nichtigkeitswerber erklärt, die Ausführungen würden „vorsorglich als zugleich relevant im Hinblick auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO geltend gemacht“, unterlässt er es, auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag Bezug zu nehmen.

Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich auf die Abweisung des vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf neuerliche Ladung der Zeugen Avdulah H***** und Almir D*****; sie schlägt jedoch fehl, weil sich der Beweisantrag auf die Anklagefakten A 3 und 4 (ON 43) bezog, von welchen ein Freispruch erfolgte.

Soweit sich die weitere Verfahrensrüge (Z 4) auf den vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Einholung einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres zur Frage der Lage in der syrischen Stadt A***** im Herbst 2013 (ON 58 S 21) bezieht, lässt sie außer Acht, dass diesem Antrag ohnehin entsprochen wurde (ON 60, ON 67 S 4).

Auch die weitere Verfahrensrüge (Z 4), die sich auf die Abweisung des vom Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Einholung einer Bestätigung des AMS zum Nachweis der Teilnahme an einem Kurs durch den Angeklagten im Jahr 2014 bezieht, verfehlt ihr Ziel, weil ihm nach dem Schuldspruch nur Taten im Jahr 2013 zur Last liegen.

Indem der Beweisantrag des Rechtsmittelwerbers betreffend den Zeugen H***** als Beweisthema anführt, dass sich der Angeklagte am 18. September 2013 nicht mehr in der Stadt A***** aufgehalten habe, läuft er auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus. Der Nichtigkeitswerber legt nämlich nicht dar, weshalb dieser Zeuge Wahrnehmungen zum Aufenthalt des Angeklagten an diesem Tag machen könnte (US 26, ON 67 S 5).

Der Angeklagte behauptet, von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich in unzulässiger Weise überrascht worden zu sein, und nimmt dabei Bezug auf die erstgerichtliche Urteilsbegründung betreffend die Ausrichtung der gegenständlichen terroristischen Vereinigungen und kriminellen Organisationen (US 16; nominell Z 4, inhaltlich Z 5 vierter Fall).

Davon kann jedoch keine Rede sein, erfolgte doch eine derartige Einstufung des IS bzw des ISIL bereits in der Anklageschrift. Außerdem erklärte der Angeklagte in der Hauptverhandlung selbst, den IS als eine terroristische Organisation zu sehen (ON 58 S 15; RIS‑Justiz RS0119094).

Undeutlichkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 erster Fall StPO ist gegeben, wenn nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist, wobei stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe und das Erkenntnis in den Blick zu nehmen sind (RIS‑Justiz RS0099425 [T13]).

Der Rechtsmittelwerber zitiert mehrere Passagen aus dem Urteil und behauptet die Feststellungen wären „multipel undeutlich“. Er nimmt damit aber einerseits gar nicht Bezug auf Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, so betreffend die religiöse Ausrichtung der Besucher der T*****‑Moschee, betreffend Besuche der bosnischen Moslemenklave um Gornja Ma***** durch den Angeklagten und die Sicherstellung von Schusswaffen und Sprengstoff durch die bosnische Polizei (US 11 f). Weshalb die Feststellungen, wonach der Angeklagte einen „hohen“ Bargeldbetrag aus Österreich nach Syrien brachte und in A***** einen nicht mehr feststellbaren Betrag von „zumindest mehreren“ tausend Euro Mitgliedern einer dem IS bzw dem ISIL angehörenden Gruppe übergab (US 12), undeutlich sein sollten, wird andererseits nicht klar. Das gilt auch, soweit der Beschwerdeführer die Feststellung anspricht, wonach der Angeklagte außerdem die genannten Personen unterstützte, indem er in einem nahestehenden Haus, das als Gefängnis genutzt wurde, für die Angehörigen der von Muradif H***** geleiteten, dem IS bzw dem ISIL angehörenden Gruppe drei Wochen lang kochte und Lebensmittel dafür besorgte (US 13). Mit der Behauptung, das Erstgericht „umschifft“ mit dem Terminus „Gruppe“ die Tatbestandsmerkmale „Vereinigung“ und „Zusammenschluss von mehr als zwei Personen“ im Sinn des § 278b StGB, wird ebenso wenig Undeutlichkeit aufgezeigt. Das Vorbringen, es bleibe unklar, ob mehr als zwei Personen „im Spiel sind“ oder ob der genannten Gruppe um Muradif H***** „mangels derer Legalität gerade nicht der Status als Person zukommt (vgl etwa Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, Leipzig 1907 [Ndr 1970])“, bleibt unverständlich. Insbesondere lässt der Angeklagte außer Acht, dass ihm die Mitgliedschaft am IS bzw ISIL zur Last liegt.

Der Rechtsmittelwerber behauptet betreffend die Urteilsbegründung zur Geheimhaltung des Aufbaus, der Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung und der internen Kommunikation durch den IS bzw den ISIL einen Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zu den Feststellungen zur subjektiven Tatseite: Diese würden „diametral einer Geheimhaltung all jener Details, auf welche hin der subjektive Tatbestand festgestellt“ wurde, widerstreiten, „zumal ein Geheimnis definitionsgemäß dadurch gekennzeichnet“ sei, dass „betreffende Informationen nur einem äußerst kleinen Personenkreis bekannt und zugänglich“ sind. Damit erstattet er jedoch bloß ein im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässiges Vorbringen nach Art einer Schuldberufung, ohne einen Begründungsmangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufzuzeigen.

Der Angeklagte moniert Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO, weil die Anklageschrift keinen Antrag auf Verurteilung zum Kostenersatz enthalte. Dabei verkennt er, dass über die Kostenersatzpflicht als Folge des Schuldspruchs (§ 389 Abs 1 StPO) stets von Amts wegen zu entscheiden ist und es eines besonderen Antrags hiezu nicht bedarf (RIS‑Justiz RS0101335; Lendl, WK‑StPO § 389 Rz 1, 4).

Der Rechtsmittelwerber behauptet, ohne nominell einen Nichtigkeitsgrund zu bezeichnen (inhaltlich Z 9 lit a), das Fehlen von Feststellungen, „welche sich dann gegebenenfalls unter die Beteiligung im Sinne der §§ 278b Abs 2 iVm § 278 Abs 3 StGB subsumieren lassen“. Er macht jedoch nicht klar, weshalb die Konstatierungen des Schöffengerichts auf US 12 f nicht ausreichen sollten. Betreffend die Feststellungen zur subjektiven Tatseite wirft der Rechtsmittelwerber den Tatrichtern - unter Zitierung einer Passage aus der erstgerichtlichen Beweiswürdigung (US 28) - einen „Zirkelschluss“ vor; sie hätten keine Tatsachenfeststellungen getroffen, sondern bloß Rechtsfragen als festgestellte Tatsachen „verpackt“. Aber auch diesbezüglich legt die Nichtigkeitsbeschwerde nicht dar, weshalb die Feststellungen auf US 13 f den Schuldspruch nicht tragen sollten.

Indem der Nichtigkeitswerber, der offenbar eine Rechtsrüge (Z 9 lit a) ausführen will, erklärt, es bleibe zur abschließenden Beurteilbarkeit des subjektiven Tatbestands nach §§ 278b Abs 2 iVm 278 Abs 3 StGB offen, inwieweit der Angeklagte „die Komplexität der allfälligen Organisationsstrukturen checken konnte“ oder „ob es dem Angeklagten demgegenüber gar nicht auf eine sprichwörtliche Vereinsmeierei angekommen ist“, nimmt nicht Maß an den erstgerichtlichen Konstatierungen, sondern übt neuerlich bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik.

Dass IS und ISIL auf Dauer angelegt sind, haben die Tatrichter entgegen dem weiteren Vorbringen (inhaltlich Z 9 lit a) sehr wohl festgestellt (US 7 ff).

Das Vorbringen, „wie demgegenüber die getroffenen Feststellungen tendentiell belegen, kapriziert sich das Erstgericht durchwegs auf die perpetuierende Gefahr aus terroristischen Aktivitäten, ohne sich entscheidend um die mangelnde gewisse (vgl Fabrizy, StGB10 § 278 Rz 3) Organisationsdauer der inkriminierten Zusammenschlüsse dabei zu scheren“, ist unverständlich und bedarf keiner inhaltlichen Erwiderung.

Ebenso unverständlich ist das Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde, die Verurteilung zum Kostenersatz durch das Erstgericht beruhe auf der „rechtsirrigen Konstruktion eines Wahndelikts“.

Der Angeklagte behauptet den Nichtigkeitsgrund nach „§ 281 Abs 1 Einl iVm Art 9 MRK“ und kritisiert, dass die Schöffen den Schwur „Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe“ leisten mussten (§ 240a Abs 2 StPO) und sich dergestalt „religiös feindselig aus Sicht des Angeklagten outen“ mussten. Es sei nicht unzweifelhaft erkennbar, dass „etwa religiös dem Angeklagten gegenüber gleichgesinnte Schöffen den Unrechtsgehalt der inkriminierten Vorfälle zu seinen Gunsten anders oder milder beurteilt hätten“. Damit macht der Rechtsmittelwerber inhaltlich den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO geltend. Abgesehen davon, dass die Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters nicht dargetan wird, ist der Nichtigkeitswerber seiner Rügeobliegenheit nicht nachgekommen (RIS‑Justiz RS0097452).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO nichtöffentlich sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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