OGH 30Ds6/19i

OGH30Ds6/19i18.6.2020

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 18. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Rothner und Dr. Hofer sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Walter, in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 17. Juni 2019, AZ D 26/18, sowie über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Disziplinarrats vom 1. Juli 2019 (ON 75) nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Vertreters des Kammeranwalts Mag. Weixlbaumer sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers Dr. Gratzl zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0300DS00006.19I.0618.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Verfahrens über die Berufung zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen – auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch von weiteren Vorwürfen enthaltenden – Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

Danach hat er sich in R***** in einer jeweils für Dritte wahrnehmbaren Weise (ES 7 f) gegenüber Monika M***** mehrmals beleidigend und ehrverletzend geäußert, indem er sie am 1. November 2017 in der Kirche sowie am 10. und 14. April 2018 mit den Bezeichnungen „Arschgesicht“ und „Arschgesichter“ beschimpfte.

Über ihn wurde hiefür eine Geldbuße von 3.000 Euro verhängt.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies der Vorsitzende des Disziplinarrats den Antrag des Beschuldigten vom 26. Juni 2019, das Protokoll über die Disziplinarverhandlung dahin zu berichtigen, Verteidiger und Beschuldigter hätten einen Beweisantrag auf Ausforschung und Vernehmung der Zeugin Herta Mo***** zum Beweis dafür gestellt, dass diese über Beschimpfungen des Beschuldigten gegenüber Monika M***** keine Wahrnehmungen gemacht habe (ON 74), mit der Begründung ab, ein solcher Antrag sei nicht gestellt worden.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Erkenntnis richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS01286576 [T1]) und Strafe, gegen den Beschluss wiederum dessen Beschwerde. Die Rechtsmittel schlagen fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft lediglich Vorgänge im Zusammenhang mit dem außerhalb der Verhandlung gestellten Antrag auf Protokollberichtigung, sohin nicht die Abweisung oder Nichterledigung eines in der Disziplinarverhandlung gestellten Antrags, welche allein Gegenstand des reklamierten Nichtigkeitsgrundes ist (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 309; Danek/Mann , WK‑StPO § 238 Rz 4; RIS‑Justiz RS0099244).

Indem die Berufung die Nichterledigung eines in der Disziplinarverhandlung gestellten Antrags auf Vernehmung der Zeugin Mo***** nicht deutlich und bestimmt mittels Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft (vgl BS 14: „... geltend gemacht hätte werden können ...“), betrifft der Protokollberichtigungsantrag keinen erheblichen Umstand, weshalb die – damit zugleich erledigte – Beschwerde ins Leere geht (vgl Danek/Mann , WK-StPO § 271 Rz 48/1, 57 [in Druck]; RIS-Justiz RS0126057 [T2]).

Die Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) übersieht, dass ein Erkenntnis nur auf der Begründungs‑, aber nicht auf der Feststellungsebene aktenwidrig sein kann (RIS‑Justiz RS00099431, RS0099524; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 393).

Soweit sie der Sache nach unter dem Aspekt der Z 5 vierter Fall auch eine offenbar unzureichende Begründung der Feststellungen zur Publizität der Beschimpfungen des Beschuldigten behauptet, zeigt sie keinen Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens oder grundlegende Erfahrungen der dazu vom Disziplinarrat angestellten Erwägungen (ES 8 ff) auf und lässt außer Acht, dass eine Mängelrüge nicht auf die Behauptung gestützt werden kann, auch andere Schlüsse als jene des Spruchkörpers seien denkmöglich (vgl RIS‑Justiz RS0098362, RS0098400).

Der Erledigung der Rechtsrüge ist voranzustellen:

Nach § 10 Abs 2 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, durch sein Benehmen auch die Ehre und die Würde des Standes zu wahren. Diese Verpflichtung ist nicht auf seine berufliche Tätigkeit beschränkt, sondern gilt in gleicher Weise auch für den außerberuflichen Bereich. Privat sind vom Rechtsanwalt neben den speziellen Standesvorschriften auch (Ehren‑)Pflichten zu erfüllen, die sich aus den gesellschaftlichen Anschauungen, den (zeitgemäßen) Anstandsregeln und den allgemeinen Moralkriterien ergeben. Da der Rechtsanwalt im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und kraft seiner Zugehörigkeit zum Berufsstand Ansehen genießt, ihm aber vor allem Vertrauen entgegengebracht wird, stellt jedes schuldhafte Verhalten, das geeignet ist, die Wertschätzung und das Ansehen, die der Stand als solcher und jeder Rechtsanwalt vermöge seiner Zugehörigkeit zu beanspruchen befugt ist, zu verletzen, ein standeswidriges Verhalten dar ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO 10 § 10 Rz 10 ff).

Beschimpfungen durch einen Rechtsanwalt stehen nicht nur innerhalb seiner Berufsausübung, sondern auch im Privatbereich sowohl im Widerspruch zu den gesellschaftlichen Anschauungen und Anstandsregeln, sie stellen auch einen Verstoß gegen die standesrechtlichen Verhaltensvorschriften dar. Das gilt unabhängig davon, ob sich derartige Ausfälle gegen Bekannte, Verwandte oder Fremde richten. Eine durch die Beschimpfung bewirkte Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes ist dann gegeben, wenn das Fehlverhalten entweder einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangt, oder aber wenn es so schwerwiegend ist, dass selbst mit einer auf wenige Personen beschränkten Kenntnis die Gefahr der Beeinträchtigung verbunden ist ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO 10 § 1 DSt Rz 13; RIS‑Justiz RS0054927, RS0054876). Dabei genügt es, dass eine Mehrzahl von Personen vom standeswidrigen Verhalten bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz Kenntnis erlangt, wobei diese Personen ihre Wahrnehmung nicht zur gleichen Zeit, ja nicht einmal unmittelbar haben müssen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) reklamiert das Fehlen von Feststellungen zum Wissen der Zeugin Herta Mo***** (Faktum 1. November 2017), des ehemaligen Schülers (Faktum 14. April 2018) und des „Besuchs“ (Faktum 10. April 2018) um den Rechtsanwaltsberuf des Beschuldigten. Sie orientiert sich dabei prozessordnungswidrig nicht an den erkennbar (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 19) vom Disziplinarrat – wenngleich dislosziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – getroffenen Feststellungen, denen zufolge dem (gesamten) angesprochenen Personenkreis der Anwaltsberuf des Beschuldigten bekannt wurde (ES 10 f).

Soweit die Rechtsrüge die Tatbestandsmäßigkeit nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt mit der Begründung in Abrede stellt, die inkriminierten Äußerungen seien keinem größeren Personenkreis zugekommen, kommt es darauf vorliegend nicht an, weil die festgestellten vulgären Beschimpfungen ein schwerwiegendes Fehlverhalten darstellen, sodass bereits eine auf wenige Personen beschränkte Kenntnis die Gefahr einer Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes mit sich brachte. Dass von den Beschimpfungen eine Familienangehörige des Beschuldigten betroffen war, privilegiert diesen – wie ausgeführt – nicht.

Auch die Schuldberufung versagt, hat sich der Disziplinarrat doch im Rahmen seiner Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen auseinandergesetzt und seine Feststellungen unter Berufung auf die Angaben der Zeuginnen Monika M*****, Maria M*****, Dipl.‑Ing. F***** und Mag. P***** sowie auf Teile der Verantwortung des Beschuldigten nachvollziehbar begründet. Gegen die Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage bestehen daher keine Bedenken.

Der im Rahmen der Schuldberufung gestellte Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin Herta Mo***** zum Beweis dafür, dass der Beschuldigte am 1. November 2017 in der Kirche Monika M***** nicht als „Arschgesicht“ beschimpft habe, scheitert schon daran, dass der Beschuldigte nicht dargetan hat, warum ihm eine entsprechende Antragstellung im Verfahren vor dem Disziplinarrat (vgl auch das im Protokollberichtigungsantrag [bloß] behauptete, mit dem nunmehrigen aber nicht idente Beweisthema) nicht möglich gewesen sei (RIS‑Justiz RS0129770).

Auch die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe versagt. Mildernd wirken die Unbescholtenheit des Beschuldigten und sein (wenngleich geringer) Beitrag zur Wahrheitsfindung, erschwerend hingegen die zweifache Tatwiederholung.

Die verhängte Geldbuße entspricht Tatunrecht und Täterschuld sowie den durchschnittlichen Einkommensverhältnissen eines Rechtsanwalts. Ein schriftlicher Verweis (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) kommt ebenso wenig in Betracht wie ein Vorgehen nach § 39 DSt idF vor BGBl 2020/19 (vgl § 80 Abs 6 letzter Satz DSt), weil fallbezogen nicht bloß geringfügige disziplinäre Verfehlungen in Rede stehen (vgl RIS‑Justiz RS0075487 [T1]).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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