OGH 11Os33/20t

OGH11Os33/20t2.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen O***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 30. September 2019, GZ 18 Hv 10/19m‑74, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00033.20T.0602.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde O***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB und der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1, Abs 2 erster Fall, 15 StGB (2), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (3), des Vergehens der Kuppelei nach §§ 15, 213 Abs 1 StGB (4), der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 zweiter Fall StGB (5), des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (6) und des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, „Abs 2“, Abs 3 Z 1 erster Fall StGB (7) schuldig erkannt.

Danach hat er in G*****

(1) im Zeitraum von 2007 bis 8. April 2010 mit seiner ***** 1997 geborenen Wahltochter A*****, sohin einer unmündigen Person, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er wiederholt seinen Finger in ihre Vagina mehrmals ein- und ausführte und ihr einmal einen Vibrator in die Vagina einführte und diesen vor- und zurückbewegte, wobei die Taten eine an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD‑10, F 43.1) zur Folge hatten;

(2) im Zeitraum von 2007 bis 8. April 2010 außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen und eine unmündige Person zu einer geschlechtlichen Handlung mit einer anderen Person zu verleiten versucht, indem er

A) A***** abgesehen von den unter Punkt 1 angeführten Taten wiederholt an den Brüsten berührte und sie einmal mit einer eingeschalteten elektrischen Zahnbürste im Intimbereich berührte;

B) den ***** 1996 geborenen M***** aufforderte, seine Hose hinunter zu ziehen und dessen Penis in seine Hand nahm, diesen betastete und mit seinen Händen an dem Penis „herumspielte“;

C) A***** im Zuge der unter Punkt 2/B angeführten Tat aufforderte, den Penis von M***** in die Hand zu nehmen und diesen zu betasten, wobei es in Folge der flüchtigen Berührung beim Versuch blieb;

(3) durch die unter den Punkten 1, 2/A und B angeführten Taten an seiner minderjährigen Wahltochter und seinem minderjährigen Sohn geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

(4) durch die unter Punkt 2/C angeführte Tat seine Wahltochter zu einer geschlechtlichen Handlung mit einer anderen Person zu verleiten versucht;

(5) im Zeitraum von 2007 bis 8. April 2010 vor unmündigen Personen Handlungen, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung zu gefährden, vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen, indem er

A) A***** mehrmals pornographische Filme vorspielte und

B) zwei unmündigen weiblichen Personen, die er auf seinen Schoß setzte, pornographische Filme vorspielte und einen Vibrator vorhielt;

(6) im Zeitraum von 2007 bis 31. Mai 2009 seiner Wahltochter A*****, die seiner Fürsorge unterstand und das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, körperliche und seelische Qualen zugefügt, indem er ihr in unzähligen Angriffen Schläge, teils mit einem Holzkochlöffel, teils mit einem Regenschirm, sowie Ohrfeigen versetzte, sie an den Haaren riss und ihr drohte, sie in den Keller einzusperren, wobei die Gewalttaten Hämatome und blutige Abschürfungen im Bereich der Arme zur Folge hatten;

(7) im Zeitraum von 1. Juni 2009 bis 8. April 2010 gegenüber seiner unmündigen Wahltochter A***** durch fortdauernde körperliche Misshandlungen und Nötigungen fortgesetzt Gewalt ausgeübt (§ 107b Abs 2 StGB), indem er

A) ihr in unzähligen Angriffen Schläge, teils mit einem Holzkochlöffel, sowie Ohrfeigen versetzte und sie an den Haaren riss, wobei die Taten blutige Abschürfungen und Hämatome zur Folge hatten und

B) sie mehrfach durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, nämlich durch die Äußerung, er werde sie umbringen, wenn sie jemandem von seinen Handlungen erzähle, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Anzeigenerstattung oder Kontaktaufnahme mit ihrer Mutter, nötigte.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Ablehnung (ON 73 S 21) der unter Bezugnahme auf die Aussage des behandelnden Facharztes, wonach das Hymen der A***** am ***** September 2009 intakt gewesen sei, begehrten „Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fach der Gynäkologie zum Beweis dafür, dass bei der von der Zeugin behaupteten Einführung eines eingeschalteten Vibrators [und eines Fingers] in die Scheide der Zeugin das Hymen jedenfalls verletzt worden sein hätte sein müssen“, sodass „die Unglaubwürdigkeit der Zeugin A***** im Sinne eines Freispruchs erwirkt werden kann“ (ON 73 S 20), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Zwar ist eine Beweisführung zur Beweiskraft von schulderheblichen Beweismitteln, etwa wie hier zur Glaubwürdigkeit der A***** ihrerseits für die Schuldfrage von Bedeutung (RIS-Justiz RS0028345; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 350). Das Beweisthema lässt jedoch mangels Relevanz der Intensität digitaler Penetration (vgl Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 25 ff, § 206 Rz 13; RIS-Justiz RS0095004 [T17]) und angesichts des bis April 2010 reichenden Tatzeitraums (US 8) keine Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin zu entscheidenden Tatsachen zu.

Ebenso zu Recht hat der Schöffensenat den zur Erschütterung der „Glaubwürdigkeit der Zeuginnen“ und zum Nachweis der „Motivation“ gestellten Antrag auf Einholung eines „DNA‑Gutachtens hinsichtlich K*****, N*****, der A***** und des Angeklagten zum Beweis dafür, dass K***** nicht der leibliche Sohn des Angeklagten ist, sondern der Bruder der A*****“ (ON 73 S 19 ff), abgewiesen. Das relevierte (für die Schuld‑ und Subsumtionsfrage irrelevante – Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 321) Verwandtschaftsverhältnis ist zur Beurteilung der Beweiskraft schulderheblicher Beweismittel unbedeutend. Zudem wurde nicht dargelegt, dass die Genannten zu einer Befundaufnahme bereit wären (vgl RIS-Justiz RS0118956).

Die Vernehmung des Klassenvorstands der A***** im maßgeblichen Zeitraum zum Nachweis, „dass das Verhalten der A***** und deren äußeres Erscheinungsbild keinen Hinweis auf Misshandlungen geboten hätten“, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass das Beweisthema als erwiesen gilt (ON 61, S 27 f – § 55 Abs 2 Z 3 StPO). Inwieweit darin vorgreifende Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten gelegen sein soll ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 330, 341), bleibt unerfindlich.

Der Mängelrüge ist vorauszuschicken, dass die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen (also die Glaubhaftigkeit von Zeugen und Angeklagten) – so sie wie hier nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist – der unternommenen Anfechtung entzogen ist (Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 431). Sie kann nur unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall – zum Umfang der Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421; RIS-Justiz RS0118316) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubhaftigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0119422 [T2, T4, T6], RS0099419 [T3]; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 398 ff).

Die relevierten (Z 5 zweiter Fall) Aussagen des M*****, der nach der Würdigung des Schöffensenats darauf bedacht war, seinen Vater zu schützen (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 394), und der Mi***** haben die Tatrichter dem Gebot zu

bestimmter, aber gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend erwogen (US 13 f). Dabei waren sie weder verhalten, jeden einzelnen in der Beschwerde angeführten – von Mi***** zudem nicht zu (sinnlichen) Wahrnehmungen, vielmehr bloß subjektiven Wertungen (RIS‑Justiz RS0097573) – vorgebrachten Satz explizit zu erörtern, noch verpflichtet, sich mit jedem gegen ihre Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde erhobenen Einwand im Voraus auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0106295, RS0106642, RS0098377).

Die als übergangen kritisierte Aussage der K***** zu unterbliebenen Übergriffen des Angeklagten ihr gegenüber und deren Mutmaßungen (erneut RIS-Justiz RS0097573) für eine mögliche Falschbezichtigung stehen der Aussage der A***** zu entscheidenden Tatsachen nicht erörterungsbedürftig entgegen. Mit der Behauptung, Differenzen in den Schilderungen dieser beiden Zeuginnen zum Inhalt eines Telefonats im Sommer 2018 (ON 28 S 10, ON 13 S 29) würden die Glaubwürdigkeit der A***** erschüttern, nimmt die Rüge nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß und legt solcherart nicht plausibel dar, weshalb diese die Beurteilung der Tatrichter, die von der Glaubhaftigkeit der A***** aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks (RIS-Justiz RS0106588) sowie unter Berücksichtigung eines entsprechenden aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens (US 15, ON 73 S 23 ff iVm ON 40) und einer Mehrzahl von Zeugenaussagen überzeugt waren (US 9 ff – Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 394, 432), infrage stellen sollten.

Die Kritik an der fehlenden Erörterung von Ausführungen der Sachverständigen, wonach die Beurteilung der Aussagemotivation der Beweiswürdigung des Gerichts obliegt, lässt sich nicht nachvollziehen (vgl § 258 StPO).

Das Vorbringen, das Erstgericht hätte bei „Würdigung des vorgelegten [eine Reaktion der A***** zu Mutmaßungen des Angeklagten betreffend seinen Sohn dokumentierenden] Chats“ „in Zusammenhalt mit den übrigen, übergangenen Beweisergebnissen“ „zu der Ansicht kommen können“, dass „die Zweifel des Angeklagten an der Vaterschaft des K***** Anlass für Falschbezichtigungen waren“, bekämpft die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld ( Ratz , WK‑StPO Vor §§ 280–296a Rz 11, 13).

Gleiches gilt für die Reklamation der unterbliebenen Auseinandersetzung mit einem – den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen nicht entgegenstehenden – Aktenvermerk, wonach Lehrerinnen „keinerlei Auffälligkeiten“ gesehen hätten (ON 4 S 13 f), sowie damit, dass eine sachverständige „Auswertung der beim Angeklagten sichergestellten Laptops, PCs, Handys“ keine Hinweise auf strafrechtlich relevante Daten erbracht hätte (ON 11 S 9).

Schließlich haben die Tatrichter dem auf Z 5 vierter Fall gestützten Einwand zuwider die schuldspruchrelevanten Feststellungen unmissverständlich (auch) auf die Aussage der A***** gegründet (US 9 f).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte