OGH 12Os27/20t

OGH12Os27/20t28.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Mai 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Walter als Schriftführerin in der Strafsache gegen Birol G***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 30. September 2019, GZ 39 Hv 83/19d‑139, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00027.20T.0528.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurde Birol G***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in A***** und an anderen Orten im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Serkan B***** mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen Johann und Sabine V***** gewerbsmäßig zur Überlassung eines Geldbetrags von insgesamt 220.000 Euro, somit zu Handlungen verleitet bzw zu verleiten versucht, die Johann V***** im genannten Umfang am Vermögen geschädigt haben bzw schädigen hätten sollen, und zwar

1. am 16. Juli 2018 durch die wahrheitswidrige Behauptung, es seien Spesen für den Transport eines Geldbetrags nach Deutschland aufgelaufen, zu einer Überweisung von 13.000 Euro;

2. am 7. August 2018 durch die wahrheitswidrige Behauptung, dass Serkan B***** und seine Familie in Gefahr seien, weil „Bosporus‑Broker“ aus Rache schon die Hells Angels auf ihn angesetzt hätten, er sowie seine Kinder dringend eine neue Identität bräuchten und er sich kasachische Papiere besorge, zur Überweisung von 110.000 Euro auf ein deutsches Konto lautend auf Birol G*****;

3. am 20. August 2018 durch die wahrheitswidrige Behauptung, Serkan B***** schulde der kasachischen Mafia Geld, zur Übergabe von 37.000 Euro in bar an Serkan B*****;

4. zwischen 17. und 27. September 2018 durch die wahrheitswidrige Behauptung, dass die Hells Angels bereits Kontakt zur Schwester des Serkan B***** aufgenommen hätten und diese von den Bosporus‑Brokern engagiert worden seien und dass von dem Geld, das Serkan B***** für Johann V***** in Höhe von rund 3 Mio Euro gesichert habe, nur mehr 2,4 Mio Euro vorhanden seien, weil 500.000 Euro für das „Schmieren“ eines Richters und 100.000 Euro im Casino ausgegeben worden seien und die Hells Angels jetzt 2,8 Mio Euro zurück haben wollen, zu einer weiteren Übergabe von 60.000 Euro, wobei die Tat beim Versuch geblieben ist.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, Z 5a und Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Der Begründungsmangel der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt vor, wenn nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde und aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist; dazu sind stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe und das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) in den Blick zu nehmen (RIS‑Justiz RS0117995 [insbesondere T3]).

An diesen Prämissen orientiert sich die Mängelrüge (Z 5 erster Fall) nicht, indem sie behauptet, das Erstgericht hätte bloß konstatiert, der Angeklagte habe die Opfer gemeinsam mit Serkan B***** getäuscht, dabei aber nicht festgestellt, welche konkreten Täuschungs‑ oder Schädigungshandlungen der Angeklagte gesetzt habe. Dabei lässt die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch die Urteilsbegründung betreffend Geldübergaben an bzw Überweisungen auf das Konto des Birol G***** sowie betreffend die Kommunikation des Genannten mit den Opfern über sein Mobiltelefon (US 7) außer Acht.

Indem die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) vermeint, die Tatrichter hätten für die Beurteilung der Zeugenaussagen des Johann und der Sabine V***** als „äußerst glaubhaft und lebensnah“ bloß eine Scheinbegründung angeführt, verkennt sie, dass der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch‑psychologische Vorgang als solcher einer Anfechtung mit Mängelrüge entzogen ist (RIS‑Justiz RS0106588).

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS‑Justiz RS0118316 [T1]). Indem der Rechtsmittelwerber ausführt, es bleibe im angefochtenen Urteil offen, „ob und wenn ja welche Aufteilung zwischen B***** und dem Angeklagten vereinbart worden wäre“ und „ob beim Angeklagten überhaupt eine Bereicherung eintrat“, wird dieser Nichtigkeitsgrund jedoch nicht dargestellt.

Der Umstand, dass die betreffend 1. und 2. des Schuldspruchs auf dem Konto des Angeklagten gutgebuchten Beträge in der Folge wieder abgehoben wurden, war – entgegen dem weiteren Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) – nicht gesondert erörterungsbedürftig, steht er doch der Annahme eines auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatzes gar nicht entgegen. Im Übrigen verlangt der Tatbestand des Betrugs den tatsächlichen Eintritt einer unrechtmäßigen Bereicherung nicht.

Soweit die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) die Auseinandersetzung mit der „intimen Beziehung“ zwischen B***** und Sabine V***** vermisst, fehlt es einerseits an der Nennung eines konkreten in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnisses, andererseits an der Bezugnahme auf entscheidende Tatsachen.

Das gilt auch für das Beschwerdevorbringen, wonach B***** sich „nach den Aktenergebnissen“ das dienstliche Mobiltelefon des Angeklagten und jenes seiner Freundin ausborgte.

Soweit der Rechtsmittelwerber ausführt, B***** hätte eine ihm zufällig bekannt gewordene Kontonummer gegen den Willen des Angeklagten missbraucht und diesen oder seinen Vater als Geldboten genützt, wird keine Anfechtungskategorie der Z 5 angesprochen.

Indem die Mängelrüge auf die Urteilspassage Bezug nimmt, wonach „das gesamte Geschehen schon beginnend ab den ... Fehlinvestitionen ... zweifelsohne als abenteuerlich zu bezeichnen“ sei, und kritisiert, dass das „gesamte Geschehen“ jedoch nicht festgestellt worden sei, wird ein Widerspruch iSd § 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO (vgl RIS-Justiz RS0119089) nicht dargestellt.

Ebenso wenig zeigt der Rechtsmittelwerber einen Widerspruch auf, indem er auf die Urteilsbegründung verweist, wonach sich im Gegensatz zu den für „äußerst glaubhaft und lebensnah“ erachteten Angaben der Zeugen Johann und Sabine V*****, die „einander im Sinne der Verantwortlichkeit den jeweils anderen belastenden“ Versionen der Angeklagten [gemeint: des Angeklagten und des abgesondert verfolgten Serkan B*****] „als nicht glaubhafter“ darstellten. Weiters wendet der Beschwerdeführer ein, es widerspreche den Gesetzen der Logik (nominell Z 5 dritter Fall, inhaltlich Z 5 vierter Fall), die Feststellungen auf den Angaben der Opfer aufzubauen, weil aus der Bewertung der Angaben des Angeklagten als „nicht glaubhafter“ kein Grund ableitbar wäre, den genannten Zeugen mehr zu glauben als der Verantwortung des Angeklagten. Damit nimmt die Beschwerde aber nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0119370), wonach die Tatrichter die Angaben der Zeugen für glaubwürdig und lebensnah hielten und erwogen, dass sich diese mit den sonstigen Beweismitteln im Abschlussbericht, nämlich mit den Chatverläufen, den Auszahlungs‑ und Überweisungsbelegen und den Kfz‑Kennzeichen‑Abfragen in Einklang bringen ließen, wogegen sie die Verantwortung des Angeklagten als bloße Schutzbehauptung qualifizierten (US 6 ff).

Das Vorbringen der Mängelrüge zu 4. des Schuldspruchs, im Urteil werde nicht angeführt, „worin zwischen den 2,8 Millionen Euro und den 60.000 Euro ein schlüssiger Zusammenhang bestünde, der geeignet sei, die Forderung als objektiv täuschungsfähig anzusehen“, ist nicht nachvollziehbar.

Der Nichtigkeitswerber behauptet eine „unzureichende oder undeutliche Begründung“ (Z 5 vierter Fall oder Z 5 erster Fall), bekämpft aber bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung, indem er ausführt, der Umstand, dass die Telefonnummer des Angeklagten in einem Chat verwendet wurde, lasse nicht zwingend den Schluss zu, dass er selbst die Nachrichten schrieb. Eine Urteilsbegründung muss nicht auf logisch zwingenden Ableitungen beruhen. Auch in freier Beweiswürdigung gezogene Wahrscheinlichkeitsschlüsse sind zur Begründung von Tatsachenfeststellungen geeignet, sofern nur der solcherart getroffenen Konstatierung die richterliche Überzeugung von der Richtigkeit der Tatsache iSd § 258 Abs 2 StPO zugrunde liegt (RIS‑Justiz RS0098471).

Auch indem die Beschwerde auf die Erwägungen des Schöffengerichts Bezug nimmt, wonach es nicht verwunderlich, sondern geradezu erwartbar sei, dass Johann und Sabine V***** bei ihren Vernehmungen nicht inhaltlich deckungsgleich aussagten und auch teilweise Erinnerungslücken bestanden (US 6), wird unzulässige Beweiswürdigungskritik geübt und keine Scheinbegründung iSd Z 5 vierter Fall aufgezeigt.

Dass die Tatrichter ihre Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem „objektiven Hergang des Geschehens“ ableiteten und ausführten, ein Handeln ohne Täuschungs‑, Bereicherungs‑ und Schädigungsvorsatz erschiene lebensfremd (US 9), ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden. Der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf zugrunde liegendes Wollen oder Wissen ist ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar, bei einem – wie hier – leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch auch gar nicht zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0098671 [T5]).

Der Angeklagte kritisiert neuerlich in unzulässiger Weise die erstgerichtliche Beweiswürdigung, indem er die Begründung als formal und nicht nachvollziehbar bezeichnet und erklärt, es wäre nicht erkennbar, warum dem „geistig einfach strukturierten Angeklagten“, welcher in Deutschland in geordneten Verhältnissen lebe, der ein nicht vorbestrafter Arbeiter sei und keine Kontakte zu „dubiosen Geschäftskreisen“ in der Türkei habe, „mehr Kritikfähigkeit, Lebenserfahrung und Distanz zu B***** zuerkannt werden sollte als die Opfer Johann und Sabine V***** vermochten“.

Ableitung erheblicher Bedenken aus den Akten iSd § 281 Abs 1 Z 5a StPO bedeutet, dass die Tatsachenrüge konkrete Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorgekommen sind oder hätten vorkommen können, bezeichnen und aus diesen – gemessen an der Gesamtheit dieser beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter – die aus ihrer Sicht bestehenden Zweifel an der Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen entwickeln muss. Diesen Kriterien wird der Rechtsmittelwerber nicht gerecht, weil er ohne direkten Bezug zu dem aktenkundigen Beweismaterial bloß aus den Erwägungen des Schöffengerichts Bedenken abzuleiten versucht (vgl RIS‑Justiz RS0119424), indem er die Verwendung des Worts „lebensfremd“ bei der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite kritisiert und vermeint, die der Verantwortung des Angeklagten keine Glaubwürdigkeit zuerkennende Begründung wäre nicht nachvollziehbar.

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet, das Erstgericht hätte nicht festgestellt, welche konkreten eigenen Täuschungs‑ oder Schädigungshandlungen der Angeklagte setzte, nimmt sie nicht Maß an der Urteilsbegründung (US 4 ff iVm US 7). Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810). Daran geht die Rechtsrüge vorbei, soweit sie auf die Verantwortung des Angeklagten verweist, als gutgläubiger Mittelsmann getäuscht worden zu sein, und vermeint, es wäre nicht nachvollziehbar, warum eine „abstruse Behauptung“ für Johann V***** glaubwürdig gewesen sein sollte.

Der Angeklagte übt bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik, indem er neuerlich darauf hinweist, aus der Verwendung der Telefonnummer des Angeklagten in einem Chat dürfe nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass er selbst die Nachrichten schrieb. Das gilt auch betreffend das Vorbringen, die dem Konto des Angeklagten gutgebuchten Beträge wären wieder abgehoben worden.

Inwiefern es darauf ankommen sollte, ob der Angeklagte durch die angelasteten Taten einen finanziellen Vorteil erhielt, macht die Rechtsrüge nicht klar.

Ein Feststellungsmangel wird geltend gemacht, indem unter Hinweis auf einen durch Feststellungen nicht geklärten, jedoch indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a bis c StPO) oder eine andere rechtliche Unterstellung bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat. Indem der Beschwerdeführer jedoch den Ersatz tatsächlich getroffener Feststellungen durch für seinen Standpunkt günstigere begehrt, macht er keinen Feststellungsmangel geltend, sondern erstattet bloß ein Vorbringen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (RIS‑Justiz RS0118580 [T25]).

Weshalb die vom Erstgericht zur subjektiven Tatseite getroffenen Konstatierungen (US 5 f) nicht ausreichen sollten, macht der Rechtsmittelwerber nicht klar.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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