OGH 8ObS2/20g

OGH8ObS2/20g24.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, *****, wegen Insolvenzentgelt (1.029 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 14. Jänner 2020, GZ 6 Rs 75/19 z‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBS00002.20G.0424.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt an Insolvenzentgelt eine Urlaubsersatzleistung für einen Urlaubsanspruch, der einem länger als zwei Jahre vor Insolvenzeröffnung zu Ende gegangenen Urlaubsjahr entstammt.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 1 Abs 2 IESG sind nur jene Ansprüche gesichert, die aufrecht, nicht verjährt und nicht ausgeschlossen sind. Es handelt sich dabei nach ständiger Rechtsprechung um von Amts wegen zu prüfende Anspruchsvoraussetzungen, deren Fehlen auch ohne darauf abzielende Einwendungen wahrzunehmen ist (RIS‑Justiz RS0076711).

2. Zweck des IESG ist eine sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgeltansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlusts ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RS0076409). Aus diesem Schutzzweck ergibt sich, dass Arbeitnehmeransprüche, die ein Arbeitnehmer untypischerweise durch Jahre hindurch nicht gerichtlich geltend macht, auch dann, wenn sie vom Arbeitgeber anerkannt und von diesem auf den Verjährungseinwand verzichtet wurde, nicht als gesicherte Ansprüche iSd § 1 Abs 1 IESG anzusehen sind (RS0076409 [T9]). Dementsprechend sind nach der Rechtsprechung Forderungen aus lang zurückliegenden, ohne Anerkenntnis des Arbeitgebers verjährten Urlaubsansprüchen nicht in den Kreis der gesicherten Ansprüche einzubeziehen (RS0112066 [T1]). Daran ändert auch nichts, dass der Arbeitnehmer keine Möglichkeit hatte, den Urlaub zu verbrauchen (RS0112066 [T2]).

3. Der Urlaubsanspruch verjährt gemäß § 4 Abs 5 UrlG nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Für den tatsächlichen Verbrauch des Naturalurlaubs eines Jahres stehen damit insgesamt drei Jahre zur Verfügung (RS0077515).

Bereits in der Entscheidung 8 ObA 62/18b hat sich der Oberste Gerichtshof im Fall einer Scheinselbständigkeit mit der zur Richtlinie 2003/88/EG ergangenen Rechtsprechung des EuGH ua in den Rechtssachen C‑214/16 , King, C‑619/16 , Kreuziger, und C‑684/16 , Max‑Planck-Gesellschaft, auseinandergesetzt. Da dem Arbeitnehmer nach nationalem Recht ein effektiver Rechtsbehelf zur Durchsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub innerhalb einer angemessenen Frist zur Verfügung gestanden hätte (dort: Feststellungsklage nach § 228 ZPO), beurteilte der 8. Senat die Verjährungsregeln des § 4 Abs 5 UrlG als unionsrechtskonform. Es wurde betont, dass – im Unterschied zur Rechtslage, auf deren Grundlage die Entscheidung C‑214/16 , King, ergangen ist (gleiches gilt für die Rechtssachen C‑619/16 Kreuziger und C‑684/16 Max‑Plank‑Gesellschaft) – der Jahresurlaub nach dieser Bestimmung auf zwei Folgejahre vorgetragen werden kann. In drei Jahren verjähren gemäß § 1486 Z 5 ABGB auch alle Forderungen der Arbeitnehmer auf Entgelt und Auslagenersatz sowie nach § 1486 Z 1 ABGB für die Ausführung von Arbeiten oder sonstige Leistungen in einem gewerblichen, kaufmännischen oder sonstigen geschäftlichen Betrieb. Nur wenn der Arbeitgeber die gerichtliche Geltendmachung des Urlaubsanspruchs innerhalb der dreijährigen Frist durch Handeln wider Treu und Glauben verhindert hat, kann der Arbeitnehmer einem Verjährungseinwand die Replik der Arglist entgegensetzen (RS0077943; RS0014838; RS0034537 [T1, T4]). Von Arglist ist allgemein auszugehen, wenn es der Arbeitgeber geradezu darauf anlegt, die Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern (RS0014838 [T9]).

4. Die Abweisung des Klagebegehrens wegen Verjährung des Urlaubsanspruchs durch das Berufungsgericht steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang:

Nachdem sich der Kläger in den Vorinstanzen noch darauf berufen hatte, seine ehemalige Arbeitgeberin hätte den verjährten Urlaub anerkannt, stützt er sich in der Revision nur mehr darauf, dass er von ihr nicht zum Urlaubskonsum unter Hinweis auf die Verjährungsfolgen aufgefordert worden sei. Dazu ist aber nicht nur auf die oben dargestellte Rechtsprechung, sondern auch darauf zu verweisen, dass zwischen arbeitsrechtlicher, insolvenzrechtlicher und IESG‑rechtlicher Beurteilung streng zu trennen ist (8 ObS 4/17x). Da auch nach der Zwecksetzung der Richtlinie 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nur ein bestimmtes Mindestmaß an Schutz erreicht werden muss (vgl Art 4 der RL 2008/94/EG ), begegnen insoweit die Sicherungsgrenzen des IESG keinen Bedenken. Des vom Kläger angeregten Vorabentscheidungsverfahrens bedarf es in diesem Zusammenhang nicht.

5. Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

Stichworte