OGH 5Ob9/20i

OGH5Ob9/20i20.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am * 2010 geborenen mj P*, wohnhaft bei der Mutter T*, vertreten durch die Stadt Wien (Wiener Kinder‑ und Jugendhilfe des Magistrats der Stadt Wien, Rechtsvertretung für die Bezirke 1, 4, 5, 6, 7, 8, 9) als Kinder- und Jugendhilfeträger, wegen Unterhalts, über die Revisionsrekurse des Kindes und des Vaters G*, vertreten durch Sattlegger Dorninger Steiner und Partner, Anwaltssocietät in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Oktober 2019, GZ 45 R 365/19p‑11, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 11. Juni 2019, GZ 26 Pu 27/19k‑5, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127784

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs des Kindes wird zurückgewiesen.

Dem Revisionsrekurs des Vaters wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen abweisenden Teils insgesamt zu lauten haben wie folgt:

„1. Die dem Vater G* in der Vereinbarung des Amts für Jugend und Familie – Rechtsvertretung, Bezirk 1, 4–9 vom 20. 9. 2017, AJF‑R 1,4 – 9/08/3036066 auferlegte Unterhaltsverpflichtung von 420 EUR wird ab 1. 1. 2019, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes, um 55 EUR auf 475 EUR monatlich erhöht.

Die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses fällig gewordenen Beträge sind binnen 14 Tagen, die in Zukunft fällig werdenden am Ersten eines jeden Monats im Voraus an den gesetzlichen Vertreter des Kindes, das ist derzeit die Wiener Kinder‑ und Jugendhilfe, Rechtsvertretung für die Bezirke 1, 4, 5, 6, 7, 8, 9, zu leisten.

2. Das Mehrbegehren des Minderjährigen, seinen Vater beginnend ab 1. 1. 2019 zu einer weiteren monatlichen Unterhaltsleistung in Höhe von 35 EUR, insgesamt daher 510 EUR zu verpflichten, wird abgewiesen.

 

Begründung:

Der derzeit neun Jahre alte Antragsteller lebt im Haushalt der Mutter und ist einkommens‑ und vermögenslos. Sein Vater verpflichtete sich ausgehend von einem monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen von 2.800 EUR mit der im Spruch genannten Vereinbarung zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 420 EUR gegenüber seinem Sohn. Er hat eine weitere gesetzliche Sorgepflicht für seine derzeit 16‑jährige Tochter. Bei der Unterhaltsvereinbarung wurde die weitere Sorgepflicht und eine Anrechnung von Transferleistungen berücksichtigt. Im Revisionsrekursverfahren ist unstrittig, dass der Vater derzeit inklusive anteiliger Sonderzahlungen über ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 2.973 EUR verfügt.

Das Kind beantragte die Erhöhung der monatlichen Unterhaltsleistung des Vaters auf 510 EUR. Unterhaltsabsetzbeträge und der jeweils halbe Familienbonus für beide Kinder seien in die Unterhaltsbemessungsgrundlage miteinzubeziehen.

Der Vater sprach sich gegen die Erhöhung aus. Die Unterhaltsbemessungsgrundlage betrage nur 2.973 EUR, Unterhaltsabsetzbeträge und Familienbonus Plus seien auch nicht in die Kürzungsrechnung bei Anrechnung der Transferleistungen einzubeziehen, weshalb kein Anlass für eine Erhöhung der monatlichen Unterhaltsbeiträge bestehe.

Das Erstgericht wies den Unterhaltserhöhungsantrag ab, wobei es sich der Argumentation des Antragsgegners anschloss.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes teilweise Folge, erhöhte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf 490 EUR und bestätigte die Abweisung des Mehrbegehrens von monatlich 20 EUR. Der Unterhaltsabsetzbetrag und der halbe Familienbonus Plus für das antragstellende Kind seien in die Unterhaltsbemessungsgrundlage miteinzubeziehen, nicht jedoch der für die Schwester des Antragstellers bezogene Unterhaltsabsetzbetrag und Familienbonus Plus.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, es liege noch keine gefestigte oberstgerichtliche Rechtsprechung zum Familienbonus Plus vor.

Gegen die Abweisung eines Unterhaltsmehrbegehrens von 10 EUR monatlich richtet sich der – vom Vater beantwortete – Revisionsrekurs des Kindes mit dem Abänderungsantrag dahin, dass der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 500 EUR verpflichtet werde. Der Vater wiederum bekämpft die Entscheidung des Rekursgerichts in ihrem dem Erhöhungsantrag stattgebenden Teil mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Kindes ist unzulässig, der des Vaters teilweise berechtigt.

1. Zum Revisionsrekurs des Kindes:

1.1. Der Revisionsrekurs ist unzulässig, wenn Stellungnahmen des Obersten Gerichtshofs zur maßgeblichen Rechtsfrage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel bereits vorliegen (RIS‑Justiz RS0112921; RS0112769). Dies ist hier für die vom Rekursgericht und vom Rechtsmittelwerber angesprochene Rechtsfrage der Berücksichtigung des Familienbonus Plus und des Unterhaltsabsetzbetrags der Fall:

1.2. Der Oberste Gerichtshof sprach in der ausführlich begründenden Entscheidung 4 Ob 150/19s (unter Punkt 6.1 und 6.2) Folgendes aus:

„Beim Familienbonus Plus handelt es sich – so wie beim Unterhaltsabsetzbetrag – um einen echten Steuerabsetzbetrag. Der Gesetzgeber hat den Familienbonus Plus mit der Zielsetzung eingeführt, die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen nunmehr durch die erwähnten steuergesetzlichen Maßnahmen herbeizuführen. Dadurch findet eine Entkoppelung von Unterhalts‑ und Steuerrecht statt. Die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen erfolgt nunmehr durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag. Der Familienbonus Plus ist nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen; eine Anrechnung von Transferleistungen findet nicht mehr statt. Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag bleiben damit unterhaltsrechtlich neutral. Diese Grundsätze gelten jedenfalls für die Unterhaltsbemessung von Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs.“

Dieser Entscheidung sind mittlerweile bereits mehrere Senate des Obersten Gerichtshofs gefolgt (1 Ob 171/19g; 3 Ob 154/19x; 6 Ob 208/19k; 7 Ob 139/19w; 10 Ob 75/19f; RS0132928). Auch der erkennende Senat hat sich dem jüngst (5 Ob 127/19s; 5 Ob 128/19p; 5 Ob 187/19i) angeschlossen und eine Berücksichtigung von Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage ausdrücklich abgelehnt. Damit ist von einer gesicherten höchstgerichtlichen Rechtsprechung auszugehen.

1.3. Dass das Rekursgericht den Unterhaltsabsetzbetrag und den Familienbonus Plus für die Schwester des Antragstellers nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen hat, steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. Andere erhebliche Rechtsfragen zeigt der Revisionsrekurs des Kindes nicht auf. Sein Rechtsmittel war daher zurückzuweisen.

2. Zum Revisionsrekurs des Vaters:

2.1. Der Vater wendet sich in seinem Revisionsrekurs gegen die Einbeziehung des Unterhaltsabsetzbetrags und des halben Familienbonus Plus in die Unterhaltsbemessungsgrundlage für das antragstellende Kind, will aber auch seine steuerliche Entlastung wegen Anrechnung von Transferleistungen bei der Unterhaltsbemessung aufrechterhalten wissen. Seiner Argumentation ist nur teilweise zu folgen:

2.2. Wie unter 1.2. bereits ausgeführt, sind nach nunmehr einhelliger höchstgerichtlicher Rechtsprechung Unterhaltsabsetzbeträge und Familienbonus Plus – unabhängig davon, für welches Kind sie bezogen werden – gar nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Allerdings ist die vom Verfassungsgerichtshof vorgegebene steuerliche Entlastung, die im Weg des Unterhaltsabsetzbetrags bisher noch nicht ausreichend erreicht wurde, durch die Einführung des pauschalen Familienbonus Plus nunmehr als ausreichend gewährleistet anzusehen. Dass einzelne Gruppen von Betroffenen gegenüber der bisherigen Rechtslage besser – oder aber auch schlechter – gestellt werden könnten, ist dem Wesen einer Pauschalregelung immanent (5 Ob 127/19s; 5 Ob 187/19i). Im Hinblick auf die pauschal erfolgte Steuerentlastung des geldunterhaltspflichtigen Vaters durch Unterhaltsabsetzbeträge und (halben) Familienbonus Plus scheidet aber die vom Erstgericht noch berücksichtigte Anrechnung von Transferleistungen bei der Ermittlung des Geldunterhalts gänzlich aus.

2.3. Zugrunde zu legen ist für die Unterhaltsbemessung daher das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters von 2.973 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen. Nach der in ständiger Rechtsprechung in Regelfällen zugrunde gelegten Prozentsatzmethode (vgl RS0057284) steht dem neunjährigen Antragsteller unter Berücksichtigung der weiteren Sorgepflicht des Vaters für eine 16‑jährige ein Unterhaltsanspruch im Ausmaß von 16 % der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu, das sind hier 475 EUR.

2.4. Dem Unterhaltserhöhungsantrag war daher in diesem Umfang in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen stattzugeben, die Abweisung des Mehrbegehrens – soweit noch Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens – war hingegen zu bestätigen.

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