European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127328
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Akten werden an das Berufungsgericht zurückgestellt.
Begründung:
Die Parteien sind jeweils Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft in Wien. Der Kläger hat sein Objekt W13 – einen noch nicht ausgebauten Rohdachboden – durch Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren erworben. Mit den Anteilen der Beklagten ist Wohnungseigentum an der Maisonette‑Wohnung W12 verbunden.
Der Kläger begehrte – getrennt bewertet wie folgt – von der Beklagten
a) die Unterlassung, das begehbare Flachdach im Ausmaß von 48 m² vor der Wohnung der Beklagten ohne Zustimmung der übrigen Miteigentümer zu benützen (3.000 EUR)
b) die Beseitigung von Veränderungen, insbesondere der Aufstellung von Gartenmöbeln, Blumentrögen und Gartendekorationen auf dem Flachdach (750 EUR)
c) die Wiedererrichtung der Tür in den Aufzugsmaschinenraum (750 EUR)
d) die Wiederherstellung des Baukonsenses und der vereinbarten Widmung des begehbaren Flachdaches, insbesondere der vereinbarten Widmung als Allgemeinfläche gemäß dem Wohnungseigentumsvertrag sowie des baulichen Konsenses gemäß dem Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 7. 2. 2018 hinsichtlich des Dachaufbaus und des Geländers (750 EUR)
e) die Unterlassung des Versperrens des allgemeinen Zugangs und des Zugangs des Rauchfangkehrers durch den Aufzugsmaschinenraum (750 EUR).
Er stützte sich zur Begründung darauf, die Beklagte maße sich ohne Zustimmung der übrigen Miteigentümer die Benützung des auf dem Haus befindlichen Flachdaches an, das allgemeiner Teil der Liegenschaft sei. Eine Zugangsmöglichkeit für den Rauchfangkehrer über den Triebwerks‑ und Maschinenraum habe die Beklagte versperrt. Auf der Terrasse habe sie persönliche Gegenstände gelagert. Der Dachausbau und das Geländer entsprächen nicht dem Baukonsens, wodurch die Beklagte den Kläger und die übrigen Miteigentümer in eine haftungsbegründende Situation gegenüber der Baubehörde gebracht habe.
Das Erstgericht wies sämtliche Begehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung der Klagebegehren zu Punkt c, d und e, gab dem Unterlassungsbegehren zu Punkt a und dem Beseitigungsbegehren zu Punkt b hingegen statt. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob ein Wohnungseigentümer aktivlegitimiert sei, die Wiederherstellung des Baukonsenses entsprechend einem an alle Wohnungseigentümer gerichteten Bescheid der Baubehörde auf gerichtlichem Weg zu verlangen, liege nicht vor. Inhaltlich bezog sich dieser Zulassungsausspruch somit nur auf das abgewiesene Wiederherstellungsbegehren des Klägers zu Punkt d.
Den stattgebenden Teil dieses Urteils bekämpft die Beklagte in ihrer ordentlichen Revision mit dem Antrag, insoweit das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Inhaltlich befasst er sich zwar mit der vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Rechtsfrage, mangels Revision des Klägers ist allerdings der klageabweisende Teil der Entscheidungen der Vorinstanzen mittlerweile in Rechtskraft erwachsen.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist (derzeit) zu einer Entscheidung über das Rechtsmittel aus folgenden Gründen nicht berufen:
1. Gemäß § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision – außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, hat eine einheitliche Bewertung des Entscheidungsgegenstands aufgrund Zusammenrechnung nur dann zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RIS‑Justiz RS0042741; RS0053096), somit die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN stehen (RS0042258). Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn allen Ansprüchen derselbe Klagegrund zugrunde liegt und keiner der Ansprüche die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts erfordert. Ein rechtlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag bzw einem einheitlichen Rechtsgeschäft oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden (RS0037899 [T3]). Er ist dann nicht anzunehmen, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann (RS0037899). Bei der Beurteilung dieser Frage ist vom Klagevorbringen auszugehen (RS0042741). Da § 55 Abs 1 JN als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung anzusehen ist, scheidet die Zusammenrechnung im Zweifel aus (RS0122950). Mehrere Ansprüche aus einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB, die sich auf verschiedene Eingriffshandlungen des Beklagten stützen, stehen nach ständiger Rechtsprechung nicht in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN (RS0110012; 5 Ob 30/17y; zuletzt 8 Ob 162/18h). Selbst eine physische Nähe der Eingriffshandlungen zueinander reicht noch nicht für einen tatsächlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 JN aus. Dass der Rechtsgrund in allen derartigen Fällen die Freiheit des Eigentums nach § 523 ABGB ist, stellt den in § 55 Abs 1 JN geforderten rechtlichen Zusammenhang der auf dieselbe Norm gestützten Ansprüche untereinander noch nicht ausreichend her, wenn die Eigentumsfreiheit von im Tatsachenbereich verschiedenen Belastungen behauptet wird (6 Ob 79/98b).
2. Die hier vom Kläger getrennt erhobenen und gesondert bewerteten Unterlassungs‑, Beseitigungs- und Wiederherstellungsbegehren stehen nur teilweise in einem rechtlichen bzw tatsächlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN. Auf die behauptete Eingriffshandlung der Beklagten „Nutzung des begehbaren Flachdaches als persönliche Terrasse entgegen der Widmung als allgemeiner Teil der Liegenschaft“ stützen sich das Unterlassungsbegehren lit a, das Beseitigungsbegehren lit b – diese beiden sind allein Gegenstand des Revisionsverfahrens – und das rechtskräftig abgewiesene (erste) Wiederherstellungsbegehren unter lit d. Ein weiterer behaupteter Eingriff betrifft das Versperren des Zugangs durch den Aufzugsmaschinenraum und die daraus abgeleiteten Wiederherstellungs‑ und Unterlassungsbegehren unter lit c und lit e. Auch diese Begehren sind bereits rechtskräftig abgewiesen. Der Anspruch des (zweiten) Wiederherstellungsbegehrens unter lit d beruht auf behaupteten Abweichungen vom Baukonsens hinsichtlich Dachausbau und Geländer und einer daraus abzuleitenden möglichen Haftung des Klägers und der übrigen Wohnungseigentümer. Insoweit ist der Anspruch des Klägers nicht oder jedenfalls nicht unmittelbar auf § 523 ABGB gegründet, ein rechtlicher oder tatsächlicher Zusammenhang mit den übrigen Begehren ist insoweit – zumindest im Zweifel – zu verneinen.
3. Das Berufungsgericht hat die nach obigen Ausführungen gebotene Differenzierung bei seiner Pauschalbewertung (die sich offenbar am Gesamtbetrag der jeweils vom Kläger für seine einzelnen Begehren genannten Bewertungen orientierte) unterlassen, was zu berichtigen sein wird. Es wird daher zunächst eine Bewertung der einzelnen– aufgrund der Ausführungen unter Punkt 2 wegen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhangs jeweils zusammenzufassenden – Entscheidungsgegenstände vorzunehmen haben.
4. Sollte sich dabei ergeben, dass hinsichtlich des noch revisionsgegenständlichen Anspruchs auf Unterlassung und Beseitigung der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR nicht übersteigt, wäre das Rechtsmittel jedenfalls unzulässig. Sollte dieser Wert zwischen 5.000 EUR und 30.000 EUR liegen, wäre diesbezüglich eine Ergänzung des Zulassungsausspruchs durch das Berufungsgericht erforderlich, der sich nach dessen Begründung nur auf den– mittlerweile rechtskräftig abgewiesenen – (zweiten) Wiederherstellungsanspruch lit d bezieht. Das Gebot der getrennten Beurteilung der Ansprüche betrifft nämlich nicht nur den Wert des Entscheidungsgegenstands, sondern auch den Ausspruch über die Zulässigkeit des Rechtsmittels (vgl RS0042349; 1 Ob 47/12m; Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 502 ZPO Rz 162 f). Für diesen Fall wäre daher der bisher fehlende eigene Ausspruch über die Revisionszulässigkeit in Bezug auf die Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Ansprüche zu ergänzen. Sollte das Berufungsgericht die ordentliche Revision insoweit für nicht zulässig erklären, wäre der Schriftsatz (nach etwaiger Verbesserung) als Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO zu deuten und eine Befassung des Obersten Gerichtshofs nur dann möglich, wenn der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision vom Berufungsgericht abgeändert würde (§ 508 Abs 3 ZPO). Nur wenn das Berufungsgericht die noch revisionsgegenständlichen Ansprüche insgesamt mit mehr als 30.000 EUR bewerten und insoweit die ordentliche Revision nicht zulassen sollte, wäre das Rechtsmittel der Beklagten unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.
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