OGH 1Ob219/19s

OGH1Ob219/19s16.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Parzmayr und Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj P* B*, geboren * 2008, wegen Kontaktrecht und Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters DI R* B*, Schweiz, vertreten durch Dr. Stefan Rieder, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 24. Oktober 2019, GZ 21 R 208/19p‑190, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am See vom 29. Mai 2019, GZ 41 Ps 49/17z‑184, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127129

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Das Gericht hat auf Antrag oder von Amts wegen auch im Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung einer gerichtlichen oder gerichtlich genehmigten Regelung des Rechts auf persönlichen Kontakt angemessene Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG anzuordnen (§ 110 Abs 2 AußStrG). Bei diesen Zwangsmitteln handelt es sich nicht um Strafen für die Missachtung einer gerichtlichen Verfügung. Sie sollen lediglich dazu dienen, der Anordnung in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen (RIS‑Justiz RS0007310 [T7, T8, T10]; RS0007330 [T2]). Ob es zur Durchsetzung einer Kontaktrechtsregelung notwendig ist, eine Zwangsmaßnahme zu verhängen, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0007310 [T13]; RS0007330 [T6]).

1.2. Gleichzeitig mit der Abweisung der vom Vater beantragten Verhängung eines Zwangsmittels wurde vom Erstgericht das Kontaktrecht – von den Eltern unbekämpft und damit rechtskräftig – neu geregelt. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass Zwangsmittel (als Beugestrafen) zur Durchsetzung eines (früheren) Kontaktrechts ausscheiden, wenn – wie im vorliegenden Fall – aufgrund geänderter Umstände zugleich eine neue Kontaktrechtsregelung rechtskräftig beschlossen wird, ist von der Rechtsprechung gedeckt (9 Ob 98/03g; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 110 Rz 7; vgl 6 Ob 147/17m). Entgegen der rechtlich nicht begründeten Ansicht des Vaters ist die neue Kontaktrechtsregelung (mangels konkret darauf abzielenden Antrags) kein „Nicht‑Beschluss“ und der frühere Rechtstitel ist auch nicht mehr „aufrecht“.

2.1. Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die Obsorge beider Elternteile (eher) der Regelfall sein (RS0128811 [T1]). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Elternteile setzt dabei ein gewisses Mindestmaß an Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit zwischen ihnen voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist daher vom Gericht eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden oder in absehbarer Zeit mit einer solchen zu rechnen ist (RS0128812). Zur Herstellung der erforderlichen Gesprächsbasis ist bei ausreichender Aussicht auf Erfolg auch auf die vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Mittel des § 107 Abs 3 AußStrG zurückzugreifen (RS0128812 [T10]). Die Beurteilung, ob eine ausreichende Kommunikationsbasis und ein Mindestmaß an Verständnis und Kooperation vorhanden ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG (RS0128812 [T5, T15, T19]). Eine solche vermag der Revisionsrekurswerber nicht aufzuzeigen.

2.2. Derzeit ist zwischen den Eltern eine entsprechende Gesprächsbasis nicht vorhanden. Sie haben die in ihrer Beziehung stattgefundenen negativen Vorfälle sowie das Ende ihrer Beziehung noch nicht verarbeitet. Aus diesem Grund kommt es zwischen ihnen im Zuge der Ausübung des Kontaktrechts durch den Vater öfter zu Streit, auch in Anwesenheit ihrer Tochter. Beide Elternteile stehen nach wie vor in einer Kollisionsbeziehung, die den Loyalitätskonflikt bei ihrer Tochter verstärkt. Sie sind grundsätzlich nicht in der Lage, sich auf der Elternebene zu begegnen, und leben immer noch ihre gescheiterte Beziehung aus. Ihr Machtspiel macht die Tochter allerdings krank. Die fehlende Gesprächsbasis zwischen den Eltern, die permanente Kampfsituation, wird das Wohl ihrer Tochter noch weiter gefährden.

Entgegen der Ansicht des Vaters fehlen keine Feststellungen zur Beurteilung der künftigen Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, die Kommunikationsschwierigkeiten der Eltern hätten ein Niveau erreicht, das – mangels einer günstigen Prognose für die Zukunft – einer Obsorge beider entgegenstehe, ist nicht korrekturbedürftig. Nach den Feststellungen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass in absehbarer Zeit mit der – für eine gemeinsame Obsorge – erforderlichen Gesprächsbasis gerechnet oder eine solche hergestellt werden kann. Die vom Erstgericht im Sinn des § 107 Abs 3 Z 1 AußStrG angeordnete Elternberatung dient primär – als weniger schädliche Alternative zu einer Obsorgeentziehung – der Abwehr einer bereits drohenden Kindeswohlgefährdung.

3.1. Die Vorinstanzen wiesen (weiters) den vom Vater gestützt auf § 181 Abs 1 ABGB gestellten Antrag auf Entziehung der Obsorge der Mutter und Übertragung auf den Kinder‑ und Jugendhilfeträger ab. Ob die Voraussetzungen für eine solche Obsorgeübertragung erfüllt sind und eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RS0007101 [T1, T8, T21]; RS0115719 [T7, T16]). Die Vorinstanzen haben gründlich und sorgfältig begründet, warum die Obsorgeübertragung derzeit nicht dem Wohl der Tochter entspricht.

3.2. Ganz allgemein gelten für Maßnahmen des Gerichts nach § 181 ABGB die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit im Sinn des gelindesten Mittels (§ 182 ABGB; RS0047903 [T11]). Die Tochter wird durch das Verhalten beider Elternteile in deren „Erwachsenenstreit“ involviert und zudem durch das Verhalten der Mutter in ihrer Autonomieentwicklung behindert. Zwar wäre die Unterbringung der Minderjährigen bei Dritten möglich, allerdings würde sie dies als Bestrafung erleben und ein Trauma erleiden, weil sie eine überdimensionale Beziehung zu ihrer Mutter hat.

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass mit einer Elternberatung als unterstützende Maßnahme die Defizite in der Erziehungsfähigkeit der Mutter kompensierbar seien und beim Abwägen des Kindeswohls unter Berücksichtigung der Risiken die Entscheidung für eine Elternberatung noch als „gelindeste“ unterstützende Maßnahme spreche, ist im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden. Der Vater geht im anderen Zusammenhang selbst davon aus, dass die Elternberatung im Sinn des § 107 Abs 3 Z 1 AußStrG „im Zweifel“ Erfolg zeigt. Sollte dies aber der Fall sein, wäre eine maßgebliche Verbesserung der Situation der Minderjährigen zu erwarten.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Stichworte