European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070NC00033.19S.1216.000
Spruch:
Es wird die Befangenheit sämtlicher Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Wien festgestellt.
Zur (Verhandlung und) Entscheidung als Rechtsmittelgericht im Verfahren AZ 58 Cg 78/15i des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien wird das Oberlandesgericht Linz als zuständig bestimmt (§ 30 JN).
Begründung:
Die Klägerin im Verfahren AZ 54 Cg 85/12k des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien ist die Vorsitzende des Senats ***** des Oberlandesgerichts Wien, Senatspräsidentin Dr. M***** S*****. Gegen diverse in diesem Verfahren gefasste Beschlüsse wurden unter anderem auch von der Klägerin Rekurse erhoben, die beim Oberlandesgericht Wien im Senat ***** anfielen. Mit Beschluss vom 11. 12. 2014 (7 Nc 31/14i) stellte der Oberste Gerichtshof die Befangenheit sämtlicher Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Wien fest und bestimmte zur (Verhandlung und) Entscheidung als Rechtsmittelgericht im Verfahren AZ 54 Cg 85/12k des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien das Oberlandesgericht Linz als zuständig.
Auch im Verfahren AZ 58 Cg 78/15i des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien ist die Vorsitzende des Senats ***** des Oberlandesgerichts Wien, Senatspräsidentin Dr. M***** S*****, Klägerin. Die Beklagte in diesem Verfahren erhob gegen das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 11. 6. 2019 Berufung, die beim Oberlandesgericht Wien wiederum im Senat ***** anfiel.
Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 23 JN und zur allfälligen Delegation der Rechtssache an ein anderes Gericht gleicher Gattung gemäß § 30 JN vor.
1. Bis auf die Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Wien Mag. M***** S*****, Mag. M***** G*****, Mag. A***** W***** und den dem Oberlandesgericht Wien zugeteilten Richter für den Sprengel des Oberlandesgerichts Wien Mag. P***** E***** erklärten sämtliche am Oberlandesgericht Wien ernannten Richterinnen und Richter sich mit der Begründung für befangen, sie hätten mit der Klägerin dienstliche Kontakte und/oder seien mit ihr freundschaftlich oder zumindest kollegial verbunden. Die Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Wien Mag. M***** S*****, Mag. M***** G*****, Mag. A***** W***** und der dem Oberlandesgericht Wien zugeteilte Richter für den Sprengel des Oberlandesgerichts Wien Mag. P***** E*****, wurden von der Klägerin mit der Begründung abgelehnt, dass bei objektiver Betrachtungsweise der äußere Anschein der Voreingenommenheit dieser Richter entstehen könnte.
Rechtliche Beurteilung
2. Ist ein Gericht aus einem der in § 19 JN vorgesehenen Gründe an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert, so hat dasselbe diese Verhinderung dem im Instanzenzug übergeordneten Gericht anzuzeigen. Dieses hat über die Befangenheit zu befinden und gegebenenfalls ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen (§ 30 JN).
3. Gemäß § 23 JN entscheidet über die Ablehnung (Selbstmeldung), falls der abgelehnte Richter einem Gerichtshof angehört, dieser Gerichtshof und, wenn dieser durch das Ausscheiden (die Selbstanzeige) des (der) abgelehnten Richter(s) beschlussunfähig werden sollte, der zunächst übergeordnete Gerichtshof.
Im vorliegenden Fall haben mit Ausnahme der vier Genannten, alle Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Wien selbst Umstände angezeigt, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit einem Zweifel auszusetzen. Die bekanntgegebenen dienstlichen und/oder privaten persönlichen Beziehungen könnten den aus den äußeren Umständen abgeleiteten Anschein, dass bei der Entscheidung andere als sachliche Motive eine Rolle spielen, begründen. Bei der Selbstanzeige einer Befangenheit durch den Richter ist unter Beachtung des Interesses am Ansehen der Justiz kein strenger Maßstab anzulegen und grundsätzlich die Befangenheit zu bejahen (RS0045943 [T3]).
4. Befangenheit liegt vor, wenn ein Richter an eine Rechtssache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Parteilichkeit herantritt, somit eine Hemmung zur unparteiischen Entscheidung durch sachfremde psychologische Motive gegeben ist. Für die Annahme des Vorliegens einer Befangenheit genügt nach ständiger Rechtsprechung, dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der äußere Anschein der Voreingenommenheit des zur Entscheidung berufenen Richters entstehen könnte (RS0046052 [T2, T10], RS0045949 [T2, T6]), selbst wenn dieser tatsächlich unbefangen sein sollte (RS0045945 [T5]). Dabei ist im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen (RS0045949).
Im vorliegenden Fall haben die abgelehnten Richterinnen und Richter zwar erklärt, in dem die Klägerin betreffenden Verfahren unbefangen handeln zu können. Auch wenn sie sich in ihrer Entscheidungsfreiheit subjektiv nicht beeinträchtigt fühlen, könnte für einen objektiven Beobachter aber zumindest der Eindruck entstehen, dass die aktuell zu treffende richterliche Entscheidung der abgelehnten Richter gegenüber ihrer Kollegin gleichfalls aufgrund der jedenfalls gegebenen dienstlichen Beziehungen, sohin von sachfremden Motiven, beeinflusst sein könnte. Dieser Eindruck besteht umso mehr betreffend die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. M***** S***** und den Richter des Oberlandesgerichts Wien Mag. M***** G*****, die im Zusammenhang mit dem Verfahren AZ 54 Cg 85/12k des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien bereits durch Selbstanzeige ihre Befangenheit angezeigt hatten.
5. Damit war die Befangenheit sämtlicher Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Wien festzustellen. Im Hinblick darauf ist das Oberlandesgericht Wien im Sinn des § 30 Abs 1 JN an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert (RS0113796). Gemäß § 30 Abs 2 JN ist ein anderes Oberlandesgericht als Gericht gleicher Gattung (als Rechtsmittelgericht) zur Entscheidung zu bestimmen.
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