OGH 15Os109/19x

OGH15Os109/19x4.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Dezember 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schrott als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ali T***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. April 2019, GZ 56 Hv 13/19v‑21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00109.19X.1204.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ali T***** eines Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (I./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./A./) und nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB (II./B./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach „§§ 212 Abs 1 Z 1, 15 StGB“ (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er in W*****

I./ zwischen Anfang 2009 und Mai 2018 außer den Fällen des § 201 StGB Y***** T***** in mehreren Angriffen mit Gewalt, indem er ihn jeweils festhielt und an Armen, Beinen oder Bauch fixierte, zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihm jeweils mit der Hand in die Unterhose fuhr, ihm an den Penis fasste und diesen einige Minuten lang abtastete, wodurch Y***** T***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine rezidivierende Depression erlitt;

II./ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person

A./ vorgenommen, und zwar zwischen Anfang 2009 und 30. Juli 2016 an Y***** T*****, geboren am 31. Juli 2002,

1./ durch die in Punkt I./ beschriebenen Tathandlungen bis 30. Juli 2016;

2./ indem er ihn in vielfachen weiteren Angriffen, mit der Hand auf den Penis griff und ihn minutenlang abtastete, ohne Y***** T***** dabei festzuhalten;

B./ vorzunehmen versucht (§ 15 StGB), und zwar von Anfang 2009 bis 24. September 2013 in mehreren Angriffen an H***** T*****, geboren am 25. September 1999, indem er mit der Hand in dessen Hose Richtung Penis fuhr, wobei es zu keiner Berührung kam, da H***** T***** sich wehrte und die Hand des Ali T***** wegschob;

III./ mit seinen Söhnen, somit mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person eine eine geschlechtliche Handlung

A./ vorgenommen, und zwar mit Y***** T*****,

1./ durch die in Punkt I./ und II./A./ genannten Tathandlungen;

2./ vom 31. Juli 2016 bis Mai 2018, indem er in vielfachen Angriffen auf dessen Penis griff und diesen einige Minuten lang abtastete, ohne Y***** T***** dabei festzuhalten;

B./ vorzunehmen versucht, und zwar mit H***** T*****,

1./ durch die in Punkt II./B./ genannten Tathandlungen;

2./ vom 25. September 2013 bis zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2014, indem er in mehrfachen Angriffen mit seiner Hand in dessen Hose fuhr und versuchte dessen Penis zu berühren, was ihm jedoch aufgrund der Gegenwehr des H***** T***** nicht gelang.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie verfehlt ihr Ziel.

Entgegen der zu I./ erhobenen Kritik der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) begegnen die Erwägungen der Tatrichter zur subjektiven Vorhersehbarkeit der Tatfolge (einer rezidivierenden Depression; US 2, 5), wonach jedem durchschnittlichen Erwachsenen bekannt sei, dass ein mehrjähriger sexueller Missbrauch bei Kindern zu schweren psychischen Störungen führen könne (US 8), unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken. Im Übrigen genügt es für die subjektive Zurechnung des Taterfolgs (§ 7 Abs 2 StGB), wenn der Täter allgemein voraussehen kann, dass der Erfolg in einer Weise zustande kommt, die den Anforderungen des Adäquanz‑ und Risikozusammenhangs genügt; die Vorhersehbarkeit des konkreten Kausalverlaufs innerhalb dieses Rahmens ist nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0088955 [T2]).

Die Feststellungen zu II./B./ gründeten die Erstrichter – logisch und empirisch mängelfrei – zur objektiven Tatseite auf die als glaubwürdig erachtete Aussage des Zeugen H***** T***** (US 6 f), jene zur subjektiven Tatseite leiteten sie aus dem äußeren Geschehen ab (US 8).

Indem die Rüge (Z 5 vierter Fall) einzelne Passagen aus der kontradiktorischen Vernehmung des Zeugen H***** T***** eigenständig bewertet und meint, die vom Erstgericht angestellten Überlegungen seien nicht geeignet, die gerügten Feststellungen zu tragen, kritisiert sie nur die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld, ohne einen Begründungsmangel aufzeigen zu können.

Weshalb die Konstatierung, dass der Angeklagte versuchte, den Penis seines noch nicht 14‑jährigen Sohnes intensiv und nicht bloß flüchtig zu betasten (US 5), undeutlich sein sollte (Z 5 erster Fall), macht die Beschwerde nicht klar.

Mit dem Hinweis auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, wonach die beim Tatopfer vorliegende Depression für den Fall, dass die Tathandlungen nicht vorgefallen seien, auch „als eine Entwicklung aus der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung heraus“ erklärt werden könne (ON 11 S 20), gelingt es der Tatsachenrüge (Z 5a) nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (zu I./) zu erwecken.

Auch die Erwägungen der Rüge zu den Angaben des Y***** T***** über den Beginn der Übergriffe und dazu, dass dieser zwei Jahre in psychotherapeutischer Behandlung war, ohne diese Übergriffe zu thematisieren, sowie zu Divergenzen zwischen dessen Angaben und der (vom Erstgericht ausdrücklich erörterten; US 6) Aussage des H***** T***** vor der Polizei, sind nicht geeignet, solche erheblichen Bedenken zu erwecken (zu I./, II./A./ und III./).

Weshalb die Feststellungen des Erstgerichts zu II./B./, wonach der Angeklagte versuchte, seinem Sohn H***** gezielt auf den Penis zu greifen und diesen abzutasten, wobei es sich bei den (intendierten) Berührungen um keine flüchtigen handeln sollte (US 4), keine geschlechtlichen Handlungen im Sinn des Gesetzes darstellen sollten, wird von der Beschwerde (Z 9 lit a) – ohne Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0099810) – nur behauptet. Ebenso unklar bleibt, warum die – konkretisierten – Konstatierungen des Erstgerichts „lediglich als verba legalia angesehen werden“ können.

Ein Feststellungsmangel wird geltend gemacht, indem unter Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, jedoch indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz oder eine andere rechtliche Unterstellung bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS‑Justiz RS0118580).

Mit dem (neuerlichen) Hinweis auf die Aussage des psychiatrischen Sachverständigen, wonach die (tatbildliche) rezidivierende Depression – falls die Tathandlungen nicht vorgefallen seien – auch aus der Entwicklung einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung heraus erklärt werden und diese Persönlichkeitsstörung nicht den angelasteten Tathandlungen zugeordnet werden könne (ON 11 S 19 f), sowie der spekulativen Behauptung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Depression auch ohne die Tathandlungen des Vaters eingetreten wäre, wird ein solches – zusätzliche Feststellungen indizierendes – Sachverhaltssubstrat nicht prozessförmig zur Darstellung gebracht (Z 10; zur Kausalität der Tathandlungen vgl die Angaben des Sachverständigen in der Hauptverhandlung ON 20 S 10 f; zur Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigen Alternativverhalten siehe im Übrigen RIS‑Justiz RS0089212).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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