European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00079.19M.1128.000
Spruch:
I. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen über den Zwischenantrag auf Feststellung werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme von dem vom Berufungsgericht herangezogenen Zurückweisungsgrund (fehlende Präjudizialität) aufgetragen.
II. Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Am 24. 1. 2017 schlossen die Beklagte als Verkäuferin und die Klägerin als Käuferin einen Kaufvertrag über die Liegenschaft EZ *****, GB *****, mit dem darauf befindlichen Schloßhotel ***** ab. Das Eigentum der Klägerin ist im Grundbuch einverleibt.
Die Klägerin begehrte die Räumung und Übergabe der von der Beklagten titellos benützten Liegenschaft. Entgegen ihrer vertraglichen Verpflichtung und trotz mehrmaliger Aufforderung habe sich die Beklagte bisher geweigert, die Liegenschaft an die Klägerin zu übergeben.
Die Beklagte entgegnete, dass der zugrunde liegende Kaufvertrag nichtig sei. Da sie sich in Liquiditätsschwierigkeiten befunden habe, habe eine „Großmuttergesellschaft“ der Klägerin den Mitgesellschafterinnen und Geschäftsführerinnen der Beklagten, L***** G***** und L***** R*****, am 30. 6. 2016 einen Kredit über 350.000 EUR zu Wucherzinsen von 30 % pA gewährt. Dafür hätten die Geschäftsführerinnen der Beklagten die verfahrensgegenständliche Liegenschaft und weitere Liegenschaften verpfändet. In der Folge sei der zugrunde liegende Kaufvertrag abgeschlossen worden. Da der Kredit nicht bedient habe werden können, habe die „Großmuttergesellschaft“ der Klägerin das Versteigerungsverfahren ob der ihr verpfändeten Liegenschaften eingeleitet. Die Klägerin habe dabei unter Ausnützung der Zwangslage der Geschäftsführerinnen der Beklagten diese Liegenschaft sowie die weiteren verpfändeten Liegenschaften um insgesamt 1.847.851,24 EUR erworben. Der Kaufpreis stehe in einem auffälligen Missverhältnis zum tatsächlichen Wert der Liegenschaften. Da der Kaufvertrag nichtig sei, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Räumung. Dazu stellte die Beklagte einen Zwischenantrag auf Feststellung, dass der zwischen der Klägerin und ihr am 23. 1. 2017 abgeschlossene Kaufvertrag nichtig und rechtsunwirksam sei.
Das Erstgericht wies den Zwischenantrag auf Feststellung zurück und gab dem Räumungsbegehren statt. Die Beklagte berufe sich auf die Nichtigkeit des zugrunde liegenden Kaufvertrags wegen Wuchers. Nach herrschender Meinung mache Wucher das Rechtsgeschäft nicht ungültig, sondern nur anfechtbar. Dies bedeute, dass die Ungültigkeit erst mit der richterlichen Ungültigkeitserklärung wirksam werde. Der Zwischenantrag auf Feststellung sei aber auch wegen sachlicher Unzuständigkeit zurückzuweisen, weil die Beklagte den Antrag gemäß § 60 Abs 2 JN mit 19.500 EUR bewertet habe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidungen. Die Klägerin stütze ihren Räumungsanspruch zu Recht auf ihr einverleibtes Eigentum. Dem Herausgabeanspruch nach § 366 ABGB könne der beklagte Sachinhaber ein eigenes dingliches oder obligatorisches Recht zur Innehabung entgegenhalten. Derartiges mache die Beklagte aber nicht geltend. Der behauptete Wucher begründe nur eine relative Nichtigkeit. Dies bedeute, dass das Rechtsgeschäft lediglich anfechtbar sei. Die Ungültigkeit des Rechtsgeschäfts erfordere daher einen richterlichen Ausspruch aufgrund einer Rechtsgestaltungsklage. Die Beklagte hätte demnach eine Löschungsklage erheben und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des vorliegenden Verfahrens ein Rechtsgestaltungsurteil erwirken müssen. Ein solches Urteil liege nicht vor, weshalb das Räumungsbegehren berechtigt sei. Da die Beklagte der auf das verbücherte Eigentum gegründeten Klagsführung Mängel des der Eintragung zugrunde liegenden Titels nicht entgegenhalten könne, sei der Zwischenantrag auf Feststellung als nicht präjudiziell zurückzuweisen. Es könne daher dahin gestellt bleiben, ob das Erstgericht dafür überhaupt sachlich zuständig gewesen wäre. Der ordentliche Revisionsrekurs und die ordentliche Revision seien zulässig, weil zur Frage, ob einer auf verbüchertes Eigentum gestützten Räumungsklage die Einrede des Wuchers in Bezug auf den zugrunde liegenden Titel entgegengehalten werden könne, keine einheitliche Rechtsprechung des Höchstgerichts bestehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich das Rechtsmittel der Beklagten, das darauf abzielt, dem Zwischenantrag auf Feststellung stattzugeben und das Räumungsbegehren abzuweisen. Hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache begehrt.
Mit ihrer Rechtsmittelbeantwortung beantragt die Klägerin, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der ordentliche Revisionsrekurs und die ordentliche Revision sind zulässig, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen einer Korrektur bedürfen; dementsprechend ist das Rechtsmittel der Beklagten im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Zu I.:
Die Bestätigung der Zurückweisung eines Zwischenantrags auf Feststellung ist analog zu § 528 Abs 2 Z 2 ZPO wie die Bestätigung der Zurückweisung einer Klage aus formellen Gründen nicht jedenfalls unanfechtbar (RS0119816). Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Revisionsrekurses sind gegeben. Dabei schadet nicht, dass die Beklagte den inhaltlich ausgeführten und von den Rechtsmittelanträgen erfassten Revisionsrekurs nicht ausdrücklich als solchen bezeichnet hat. Die fehlende oder unrichtige Benennung eines Rechtsmittels hindert dessen Behandlung in einer dem Gesetz entsprechenden Weise nicht (RS0036258).
Der Revisionsrekurs ist rechtzeitig (vgl RS0041670). Er ist auch inhaltlich berechtigt, weil – wie im Folgenden gezeigt wird – die Beurteilung der zweiten Instanz, die Frage nach der Wirksamkeit des zugrunde liegenden Kaufvertrags sei für die Entscheidung über die Räumungsklage mangels Vorliegens eines Rechtsgestaltungsurteils nicht präjudiziell, nicht trägt. Das Erstgericht hat sich daher neuerlich mit den sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Zwischenantrag auf Feststellung und gegebenenfalls, bei deren Vorliegen, mit der inhaltlichen Berechtigung dieses Antrags zu befassen.
Zu II.:
In einem weiteren zwischen denselben Parteien anhängigen Rechtsstreit, der eine andere Liegenschaft trifft, hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst eine Entscheidung getroffen (4 Ob 188/19d) und darin ausgeführt:
„ 1.1 Gegenstand des Verfahrens ist eine Räumungsklage der bücherlichen Eigentümerin gegen ihre Verkäuferin. Es handelt sich somit um einen Rechtsstreit inter partes.
1.2 Das Recht, die Herausgabe einer Sache von demjenigen zu begehren, der sie titellos benützt, gründet im Eigentumsrecht und steht daher dem Eigentümer zu, der die Innehabung der Sache verloren hat (4 Ob 320/00p). Die Räumungsklage wegen behaupteter titelloser Benützung einer Liegenschaft ist daher als Eigentumsklage nach § 366 ABGB zu qualifizieren. Der Kläger hat sein Eigentum und die Innehabung durch den Beklagten zu beweisen (RS0062419; 7 Ob 37/08d).
1.3 Für die Übertragung des Eigentums an unbeweglichen Sachen ist sowohl ein gültiger Titel als auch die Eintragung in das Grundbuch erforderlich (Intabulationsprinzip). Die bücherliche Eintragung macht den nach den §§ 380 und 424 ABGB erforderlichen gültigen Titel daher nicht entbehrlich. Die Unwirksamkeit des zugrunde liegenden Titels hindert demnach den Übergang des Eigentums an der Liegenschaft trotz der bücherlichen Eintragung (1 Ob 518/88; 10 Ob 512/94). In einem solchen Fall ist der Räumungskläger somit nicht Eigentümer der Liegenschaft. Darüber hinaus ist die Einverleibung im Grundbuch mit einem materiellen Fehler behaftet.
1.4 Wird die Nichtigkeit des Titel geschäfts auf Sittenwidrigkeit gestützt, so ist für die Unwirksamkeit des Titelgeschäfts dessen Gesamtnichtigkeit erforderlich. Der hier geltend gemachte Wuchertatbestand macht den wucherischen Vertrag in diesem Sinn als ganzen nichtig (§ 7 Abs 1 WuchG; Graf in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.04 § 879 Rz 272).
2.1 Anspruchsgegner der Räumungsklage ist jeder Inhaber, mag er selber Besitzer oder nur Besitzmittler für einen anderen sein (RS0010918). Dabei kann der Beklagte gegen den Herausgabeanspruch des Klägers dessen Eigentumsverlust, eine Zug‑um‑Zug‑Verknüpfung oder ein eigenes, dem Eigentümer gegenüber wirksames Recht zur Innehabung einwenden. Als eigene Rechte zur Innehabung kommen dingliche oder obligatorische Rechte, aber auch familienrechtliche Benützungsrechte in Betracht (7 Ob 37/08d; vgl auch 3 Ob 532/94; 4 Ob 134/18m; 8 Ob 49/19t).
2.2 Dem nachträglichen Eigentumsverlust (ex nunc) ist die von Anfang an fehlende Eigentumsübertragung (ex tunc) gleichzuhalten. Der beklagte Verkäufer kann daher jedenfalls im Streit inter partes die Unwirksamkeit des Titels für die Eigentumsübertragung und daher das fehlende Eigentum des Räumungsklägers trotz erfolgter Einverleibung auch durch Einrede geltend machen (10 Ob 512/94; vgl auch 8 Ob 526/92). Das Intabulationsprinzip steht dem nicht entgegen, weil der grundbücherliche Vertrauensschutz nur einem gutgläubigen Dritten gegenüber, nicht aber zwischen dem wirklich Berechtigten und seinem Nachmann gilt (1 Ob 518/88; 3 Ob 113/19t). Im Verhältnis zwischen unmittelbarem Vor- und Nachmann erzeugt die Eintragung somit keine Publizitätswirkung (Kodek in Kodek, Grundbuchsrecht 2 § 62 GBG Rz 1).
2.3 Im Sinn dieser Überlegungen wurde in der Entscheidung zu 8 Ob 62/11t, die einen vergleichbaren Fall (kein Eigentumserwerb der Klägerin wegen Geschäftsunfähigkeit des Beklagten) zum Gegenstand hatte, ausgesprochen, dass der zugrunde liegende Schenkungsvertrag von der Nichtigkeitssanktion betroffen sei, ohne dass es einer rechtsgestaltenden gerichtlichen Entscheidung bedürfe. Die als Vorfrage beurteilte Nichtigkeit des Vertrags habe zur Folge, dass sich die Klägerin mangels eines gültigen Titels nicht auf das Eigentumsrecht an der Liegenschaft berufen könne. Die Frage nach einer angeblichen notwendigen Nichtigerklärung stelle sich nicht.
Ähnlich wurde in der Entscheidung zu 7 Ob 669/87 ebenfalls in Bezug auf eine Räumungsklage beurteilt, die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts habe zur Folge, dass die Einverleibung des Eigentumsrechts keinen Eigentumsübergang begründete, weil der Mangel eines gültigen Titels die Nichtigkeit der Einverleibung bewirke.
2.4 Soweit das Berufungsgericht mit dem Zitat RS0016879 (T2) auf die Entscheidung zu 6 Ob 633/85 Bezug nimmt, ist zwar richtig, dass dort ausgeführt wurde, dass wucherische Geschäfte gemäß § 879 Abs 2 Z 4 ABGB nur relativ nichtig seien, weil sie der Bewucherte gegen sich gelten lassen könne. Weder der Wucherer noch ein Dritter könne sich auf die Ungültigkeit des Geschäfts berufen. Die Ungültigkeit wirke demnach nicht von selbst, sondern nur aufgrund eines entsprechenden richterlichen Ausspruchs. Das Gesetz billige nur dem Bewucherten ein Anfechtungsrecht zu.
Diese Ausführungen sind aber nicht dahin zu verstehen, dass der Wuchertatbestand nur mittels Rechtsgestaltungsklage (hier Löschungsklage) geltend gemacht werden könne und die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts in einem Rechtsgestaltungsurteil ausgesprochen werden müsse. Relative Nichtigkeit bedeutet nur, dass der Bewucherte das Geschäft gegen sich gelten lassen kann und daher er (nicht auch ein Dritter) die Unwirksamkeit des Geschäfts geltend machen muss. Dass die Geltendmachung zwingend mittels Rechtsgestaltungsklage erfolgen müsste, folgt aus der relativen Nichtigkeit hingegen nicht.
In der Entscheidung zu 3 Ob 2199/96w (RS0016879 [T3]) wurde dies auch ausdrücklich klargestellt. Darin wurde ausgeführt, dass das wucherische Geschäft nicht absolut nichtig, sondern nur auf Klage oder Einrede des Bewucherten anfechtbar sei und wucherische Geschäfte demnach relativ nichtig seien, zumal der Bewucherte das relativ nichtige Geschäft auch gegen sich gelten lassen könne.
3. Freilich steht bei Unwirksamkeit des der Einverleibung zugrunde liegenden Titelgeschäfts dem wahren Eigentümer gegenüber seinem Nachmann auch die Löschungsklage zu (§ 62 GBG). Sie wird dann gewährt, wenn der Kläger aus dem Grund der ursprünglichen Nichtigkeit oder des nachträglichen Wegfalls des Rechtstitels, auf dem die Einverleibung beruht, dieser entgegentritt (3 Ob 113/19t). Die Löschungsklage verfolgt aber ein vollkommen anderes Rechtsschutzziel als die Räumungsklage, weil sie darauf gerichtet ist, die fehlerhafte Grundbuchseintragung wieder rückgängig zu machen und den bücherlichen Vormann als wahren Eigentümer im Grundbuch wieder einzutragen (RS0108585). Die Löschungsklage kann so lange erhoben werden, als sich der wahre Eigentümer seines Löschungsanspruchs nicht verschwiegen hat. Ein solches Verschweigen des Löschungsrechts durch den in seinen bücherlichen Rechten Verletzten liegt vor, wenn er die Löschungsklage gegen denjenigen, dessen Eintragung auf keinem gültigen Titel beruht, oder denjenigen, der sich nicht auf einen gültigen Titel seines Vormanns berufen kann, nicht innerhalb der 30‑jährigen Verjährungsfrist erhebt (2 Ob 522/95).
4. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass der vorliegenden Räumungsklage nicht mit der Begründung stattgegeben werden kann, die Beklagte müsse die Unwirksamkeit des zugrunde liegenden Rechtstitels zwingend mit Rechtsgestaltungsklage (Löschungsklage) geltend machen. Vielmehr ist die Einrede der Beklagten, der zugrunde liegende Kaufvertrag sei zufolge Erfüllung des Wuchertatbestands in seiner Gesamtheit nichtig, im vorliegenden Verfahren als Vorfrage zu prüfen. Zwischen der hier vorliegenden Räumungsklage der im Grundbuch als Eigentümerin eingetragenen Käuferin und der zwischenzeitlich eingebrachten Löschungsklage der hier Beklagten (Verkäuferin) wegen anfänglicher Unwirksamkeit des Titelgeschäfts (Kaufvertrags) besteht auch keine Streitanhängigkeit.
Da sich die Vorinstanzen mit der von der Beklagten zulässigen Einrede der Unwirksamkeit des Titelgeschäfts nicht auseinandergesetzt und dazu keine Feststellungen getroffen haben, liegen relevante sekundäre Feststellungsmängel vor. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben.“
Diese rechtliche Beurteilung wird auch vom hier erkennenden Senat geteilt. Auch im gegenständlichen Fall waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung sowohl über den von der Beklagten gestellten Zwischenfeststellungsantrag (unter Abstandnahme von dem vom Berufungsgericht herangezogenen Zurückweisungsgrund der fehlenden Präjudizialität; über den Einwand der sachlichen Unzuständigkeit des Zwischenfeststellungsantrags wurde bislang nicht endgültig abgesprochen) als auch über das Räumungsbegehren der Klägerin aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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