OGH 6Ob193/19d

OGH6Ob193/19d27.11.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers Ing. H*, vertreten durch Mag. Thomas Kaumberger, Rechtsanwalt in Pressbaum, gegen den Antragsgegner S*, vertreten durch Mag.a Eva Plaz, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Juli 2019, GZ 43 R 339/19z‑62, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 28. Mai 2019, GZ 26 FAM 12/18m‑54, in der Hauptsache bestätigt und im Kostenpunkt abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127011

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Eingabe vom 4. 11. 2019 wird zurückgewiesen.

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Antragsteller ist als Vater des 1999 geborenen Antragsgegners aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 22. 6. 2016 in Verbindung mit dem Beschluss des Rekursgerichts vom 6. 9. 2016 zur Leistung eines monatlichen Unterhalts für den Antragsgegner von 575 EUR verpflichtet.

Der Unterhaltsbemessung wurde ein durchschnittliches Nettoeinkommen des Antragstellers von monatlich 4.650,23 EUR zugrunde gelegt. Zum damaligen Zeitpunkt besuchte der Antragsgegner ein Internat in B* und verbrachte jedes zweite Wochenende und die Ferien bei seiner Mutter in W*. Im Rahmen der Zurückweisung des Revisionsrekurses des Vaters führte der Oberste Gerichtshof aus, die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten bei der Mutter an jedem zweiten Wochenende und in allen Ferien die Annahme einer Betreuung durch die Mutter rechtfertige, sei nicht zu beanstanden (2 Ob 235/16x).

Der Antragsteller beantragte, ihn ab 1. 8. 2017 von seiner Unterhaltspflicht zu entheben, weil der Antragsgegner bereits selbsterhaltungsfähig sei. Dieser sei neben seinen Studien schon seit einiger Zeit als Softwareentwickler und Webdesigner tätig. Die Mutter erbringe keine relevanten Betreuungsleistungen und müsse daher anteilig zum Kindesunterhalt des Antragsgegners beitragen.

Der Antragsgegner beantragte, den Antrag des Antragstellers abzuweisen. Er betreibe sein Studium ernsthaft und zielstrebig und habe keine eigenen Einkünfte. Er lebe aufgrund seines Studiums nunmehr unter der Woche in B*. Am Wochenende und in den Ferien wohne er nach wie vor bei seiner Mutter in W*, die ihn zu diesen Zeiten betreue. Neben den üblichen Betreuungsleistungen wie die Zubereitung von Nahrung, die Versorgung der Wäsche sowie die Pflege im Krankheitsfall überlasse die Mutter dem Antragsgegner die Wohnung zur Mitbenutzung und erbringe vor allem auch geistig‑seelische Erziehungsmaßnahmen, die sich nicht in Geld ausdrücken ließen.

Das Erstgericht wies den Antrag des Antragstellers ab und traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Antragsgegner lebt in einer Wohnung in S* und wird an jedem zweiten Wochenende sowie in den Ferien von seiner Mutter betreut. Er studiert seit dem Wintersemester 2017/18 „Computer‑Sience“ in B* und befindet sich im zweiten Studienjahr. Für den Aufstieg in das zweite Studienjahr sind 30 ECTS‑Punkte notwendig; mit 22. 2. 2019 hat der Antragsgegner bereits 44 ECTS‑Punkte erreicht. Der Antragsgegner ging zu keiner Zeit einer geringfügigen Tätigkeit oder Vollzeitbeschäftigung nach.

Dem dagegen vom Antragsteller erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht nicht Folge. Eine erhebliche Umstandsänderung liege nicht vor, weil die Mutter nach wie vor umfassende Betreuungsleistungen an jedem zweiten Wochenende und in den Ferien leiste und es dem Antragsteller nicht gelungen sei, einen Beweis für eine Berufstätigkeit des Antragsgegners zu erbringen.

Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs zu.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; er ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Nicht berechtigt sind jedoch die Ausführungen zu angeblichen schweren Verstößen gegen Verfahrensgrundsätze nach § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG. Dem Antragsteller wurde im Vorverfahren mehrfach – zuletzt unmittelbar vor der erstinstanzlichen Entscheidung – Akteneinsicht gewährt, sodass ihm alle Erhebungsergebnisse bekannt sind (vgl 2 Ob 235/16x ErwGr 2.2b). Dass der Antragsteller nicht erneut Akteneinsicht in den Akt des Vorverfahrens nehmen konnte, weil sich dieser nicht bei Gericht befand, stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.

2. Nicht berechtigt ist auch der Einwand, die geschwärzte Adresse des Antragsgegners bzw die Unkenntnis der Anschrift der Mutter des Antragsgegners habe die Stellung geeigneter Beweisanträge gehindert. Dem Gericht war die Adresse ja bekannt, sodass auch entsprechende Anträge auf Einvernahme des Antragsgegners bzw seiner Mutter hätten gestellt werden können.

3.1. Soweit der Antragsteller eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darin erblickt, dass trotz des nachvollziehbaren und unter Beweis gestellten Vorbringens des Antragstellers zur Erwerbstätigkeit des Antragsgegners ausschließlich dem Vorbringen des Antragsgegners gefolgt worden sei, wendet er sich in Wahrheit lediglich gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Das Rekursgericht hat die Beweisrüge inhaltlich behandelt; die Beweiswürdigung unterliegt aber keiner weiteren Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof (RS0007236 [T1, T4]).

3.2. Das Erstgericht hat Erhebungen von Amts wegen durchgeführt und einen Versicherungsdatenauszug aus S* sowie eine schriftliche Erklärung der Schule des Antragsgegners bezüglich der unbezahlten Arbeiten im Rahmen von Projektarbeiten eingeholt und diese im Zuge der Beweiswürdigung berücksichtigt. Der Antragsteller erstattete weder konkretes Vorbringen, bei welchen Arbeitgebern der Antragsgegner gearbeitet haben soll, noch ist dem Revisionsrekurs zu entnehmen, welche zusätzlichen Erhebungen das Erstgericht hätte durchführen sollen. Vielmehr beschränkt sich der Revisionsrekurs im Wesentlichen darauf, es sei notorisch, dass Studenten Nebenjobs nachgingen. Dies trifft in dieser Allgemeinheit jedoch nicht zu.

4.1. Hingegen rügt der Antragsteller zu Recht, dass sich das Rekursgericht mit seinen Ausführungen zu fehlenden Betreuungsleistungen der Mutter nicht ausreichend auseinandergesetzt hat. Im Verfahren erster Instanz war von Anfang an strittig, ob der Antragsgegner weiterhin an Wochenenden und in den Ferien bei seiner Mutter wohnt und diese in diesem Zusammenhang Betreuungsleistungen für ihn erbringt. Ohne Beweisverfahren und ohne nähere Begründung folgte das Erstgericht dem diesbezüglichen Vorbringen des Antragsgegners.

4.2. In seinem Rekurs führte der damals unvertretene Antragsteller aus, seine Ausführungen würden „belegen“, dass in der Betreuungssituation eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Weil das Studium neben der Erwerbstätigkeit sehr zeitintensiv sei, sei es „notorisch“, dass der Antragsgegner voll ausgelastet sei und selbst die Wochenenden in S* verbringe. Es sei auch „praktisch ausgeschlossen“, dass der Antragsgegner bei seiner Mutter in W* wohne, weil in der kleinen Mietwohnung bereits die Kindesmutter, ihr Ehegatte sowie deren beide Kinder wohnten. Zudem sei es lebensfremd anzunehmen, dass junge Erwachsene mit fast 20 Jahren es vorzögen, lieber die Mutter alle paar Wochen zu besuchen als sich mit gleichaltrigen Freunden im Heimatort oder mit Studienkollegen auszutauschen. Die weite Entfernung mache einen Besuch des Antragsgegners an einzelnen freien Tagen oder Feiertagen unmöglich. Zudem würden durch häufige Besuche erhebliche Fahrtkosten anfallen.

4.3. Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts hat der Antragsteller damit ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, die Feststellungen des Erstgerichts zu bekämpfen. Dabei ist den diesbezüglichen Rekursausführungen auch deutlich zu entnehmen, welche Feststellungen des Erstgerichts damit bekämpft werden. Weil der Rekurs auch wiederholt die Behauptung enthält, die Mutter des Antragsgegners erbringe keine relevanten Betreuungsleistungen mehr, trifft auch nicht zu, dass der Antragsteller nicht angeführt hätte, welche Ersatzfeststellungen begehrt würden.

4.4. Im Übrigen können im Außerstreitverfahren bei Rekursen nicht anwaltlich vertretener Parteien nicht dieselben Form‑ und Inhaltserfordernisse verlangt werden wie bei anwaltlich vertretenen Personen (vgl Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 47 Rz 9). § 47 Abs 2 AußStrG verweist hinsichtlich Form und Inhalt des Rekurses auf die allgemeinen Erfordernisse eines Anbringens. Als weitere rechtsmittelspezifische Anforderungen verlangt das Gesetz lediglich eine Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses und die „hinreichende“ Angabe, aus welchen Gründen sich die Partei beschwert erachtet, und welche andere Entscheidung sie anstrebt (§ 47 Abs 3 AußStrG). Die Anforderungen an Rekurserklärung, Rekursgründe und Rekursantrag sind damit deutlich reduziert (Kodek aaO). Dadurch trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass im Rekursverfahren keine Anwaltspflicht besteht. Das Gesetz schreibt damit im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung fort (vgl RS0006674; RS0006991). Dies entspricht der Absicht des historischen Gesetzgebers (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP  48). Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Rekursgericht daher mit der diesbezüglichen Beweis‑ und Mängelrüge des Antragstellers zu befassen und eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs zu fällen haben. Dabei ist auf den im Außerstreitverfahren geltenden Grundsatz des Vorrangs der Sacherledigung hinzuweisen, sodass das Rekursgericht allfällige erforderliche ergänzende Beweisaufnahmen selbst durchzuführen haben wird.

5. Da somit das Rekursverfahren an einem Mangel leidet, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache zu hindern geeignet war (§ 66 Abs 1 Z 2 AußStrG), war spruchgemäß mit Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vorzugehen.

6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 AußStrG.

7. Nach ständiger Rechtsprechung steht den Parteien im Rechtsmittelverfahren wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit des Rechtsmittels im Rechtsmittelverfahren neben dem Rechtsmittelschriftsatz bzw der Rechtsmittelbeantwortung kein weiterer Schriftsatz zu (RS0007007; Kodek in Fasching/Konecny³ §§ 84, 85 ZPO Rz 141 mwN). Die – zudem entgegen § 6 Abs 1 AußStrG nicht anwaltlich unterfertigte – Eingabe des Revisionsrekurswerbers war daher zurückzuweisen.

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