European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00163.19B.1024.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Mit Bescheid des Verwaltungsausschusses der Ärztekammer für ***** vom 5. 8. 2015 wurde der Klägerin über ihren Antrag die Witwenversorgung gewährt und ihr ab 1. 12. 2014 eine Grundrente in Höhe von monatlich 883,72 EUR brutto und eine Zusatzleistung in Höhe von monatlich 662,36 EUR brutto, jeweils 14mal jährlich, zuerkannt. Die erste Auszahlung der Witwenversorgung erfolgte bereits im Februar 2015 für die Monate Dezember 2014 sowie Jänner und Februar 2015; die weiteren Auszahlungen erfolgten jeweils monatlich in den Folgemonaten.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Zahlung von 6.494,10 EUR sA, und zwar
a) 3.360 EUR an unberechtigten Abzügen von durchschnittlich monatlich 280 EUR im Zeitraum Mai 2015 bis April 2016 und
b) 3.134,10 EUR an im Zeitraum April 2017 bis April 2018 erfolgten Einbehalten für irrtümliche Überzahlungen von monatlich 883,72 EUR brutto im Zeitraum März 2015 bis November 2016. Zu lit a habe sie Anspruch auf Zahlung des bescheidmäßig zuerkannten Bruttobetrags abzüglich der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsabgaben. Die Beklagte habe allerdings auch weitere Abzüge (sogenannte „Absenkungen“) vorgenommen. Zu lit b seien die Einbehalte zum Zweck der Rückforderung der von der Beklagten von März 2015 bis November 2016 an die Klägerin irrtümlich zur Witwenpension ausbezahlten Alterspension zu Unrecht erfolgt, weil die Klägerin den Überbezug gutgläubig verbraucht habe.
Die Beklagte entgegnete, dass sie nur die gesetzlichen und die in den Satzungen des Wohlfahrtsfonds vorgesehenen Abzüge vorgenommen habe; dazu gehörten auch die „Absenkungsbeträge“. Zudem seien auch die Einbehalte zu Recht erfolgt, weil die Klägerin von Beginn an gewusst habe, dass die doppelte Auszahlung sowohl der Witwenversorgung als auch der Altersversorgung irrtümlich erfolgt sei; zumindest hätte sie an der Rechtmäßigkeit der Überzahlungen Zweifel haben müssen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zu lit a (Abzüge) statt, jenes zu lit b (Einbehalte) wies es hingegen ab. Der in den Pensionsabrechnungen ausgewiesene Bruttobetrag müsse mit der Bruttoleistung des Pensionsbescheids übereinstimmen. Davon dürften nur die monatlich variable Lohnsteuer und der variable Pensionssicherungsbeitrag abgezogen werden. Die Beklagte sei aber nicht berechtigt gewesen, im Weg der Pensionsabrechnungen weitere Abzüge vorzunehmen. Demgegenüber habe die Beklagte die Einbehalte zu Recht vorgenommen, weil der sich aus dem Pensionsbescheid ergebende Gesamtbruttobetrag niedriger als die monatlichen Nettopensionsauszahlungen gewesen sei. Die Klägerin hätte daher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Pensionszahlungen in dieser Höhe haben müssen.
Das Berufungsgericht hob – aus Anlass der Berufungen beider Parteien – das Urteil des Erstgerichts und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Gemäß § 42 Abs 1 JN sei die Prozessvoraussetzung der Zulässigkeit des Rechtswegs in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Für die vorliegende Klage sei der Rechtsweg unzulässig. Im Sozialversicherungsrecht werde zwischen Verwaltungssachen einerseits und Leistungssachen (Sozialrechtssachen) andererseits unterschieden. Nur über Sozialrechtssachen sei gemäß § 65 ASGG im Rahmen der sukzessiven Kompetenz von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei die Überprüfung der Auszahlung einer zuerkannten Leistung keine Leistungssache, sondern eine Verwaltungssache, weshalb die vorliegende Streitigkeit den ordentlichen Gerichten entzogen sei.
Gegen diesen Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Klägerin, der auf die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund gerichtet ist.
Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rekurs der Klägerin den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.
1.1 Streitigkeiten über gesetzliche Pensionsleistungen gehören systematisch zum Sozialversicherungsrecht. Beruhen die Pensionsleistungen auf den typischen Sozialversicherungsgesetzen (vor allem ASVG oder GSVG), so ist die Abgrenzung zwischen Verwaltungssachen und gerichtlichen Sozialrechtssachen (Leistungssachen) in § 65 ASGG normiert.
1.2 Für gerichtliche Sozialrechtssachen gilt der Grundsatz der sukzessiven Zuständigkeit. Demnach kann in einer Leistungssache (abgesehen von § 65 Abs 1 Z 3 und § 68 ASGG) das Gericht nur angerufen werden, wenn vom Versicherungsträger entweder über den Anspruch des Versicherten bereits ein Bescheid erlassen wurde oder der Versicherungsträger mit der Bescheiderlassung säumig geworden ist (§ 67 Abs 1 ASGG; RIS‑Justiz RS0085867; 10 ObS 136/18z). Der Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens muss demnach mit jenem des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens ident sein, widrigenfalls die Klage gemäß § 73 ASGG von Amts wegen zufolge Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen ist (RS0042080; 10 ObS 136/18z).
2.1 Nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG gehören Rechtsstreitigkeiten über die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung zu den Sozialrechtssachen; insofern stehen § 65 ASGG und die §§ 354, 367 ASVG zueinander in Beziehung. Um den Anspruch auf Rückersatz einer unrechtmäßig bezogenen Leistung, zB eines Überbezugs, geht es auch dann, wenn der Versicherungsträger aufgrund eines behaupteten Überbezugs eine Aufrechnung auf eine Geldleistung des Anspruchsberechtigten vorgenommen hat.
2.2 In der Entscheidung zu 3 Ob 248/05z wurde für eine Aufrechnung durch den Sozialversicherungsträger nach § 329 ASVG unter Hinweis auf § 367 Abs 2 ASVG eine Bescheidpflicht des Versicherungsträgers (im Sinn der sukzessiven Zuständigkeit) bejaht. Das Vorliegen einer Aufrechnung begründete der 3. Senat damit, dass der Versicherungsträger nach § 329 ASVG jene Beträge, die er zur Befriedigung der Ersatzansprüche der Träger der Sozialhilfe aufgewendet hat, von den Geldleistungen abzuziehen habe und dem Versicherungsträger daher ein Anspruch auf Rückersatz zukomme.
Der Streit um eine Aufrechnung ist nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG eine gerichtliche Sozialrechtssache und unterliegt daher der sukzessiven Zuständigkeit. Die Bejahung der Bescheidpflicht für diesen Fall ist daher zutreffend.
2.3 Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt in Wirklichkeit keine Divergenz zur Rechtsprechung des 10. Senats vor. Die Entscheidung zu 10 ObS 124/07v nimmt zu Streitigkeiten über die Auszahlung einer festgestellten Versicherungsleistung Stellung. Auszahlungsstreitigkeiten einerseits und Aufrechnungsstreitigkeiten andererseits sind voneinander zu unterscheiden, auch wenn die Abgrenzung mitunter Schwierigkeiten bereiten kann.
3. Die Überprüfung der Auszahlung einer bescheidmäßig zuerkannten, dem Grunde und der Höhe nach rechtskräftig festgesetzten Leistung ist nach ständiger Rechtsprechung keine Leistungssache und auch keine bürgerliche Rechtssache im Sinn des § 1 JN und daher den ordentlichen Gerichten entzogen (RS0085474). Das Vorliegen einer Verwaltungssache begründet die Unzulässigkeit des Rechtswegs.
In der bereits zitierten Entscheidung 10 ObS 124/07v hat der Oberste Gerichtshof in Bezug auf Streitigkeiten über die Auszahlung einer bescheidmäßig zuerkannten Leistung (also bei Abzügen, die nicht auf einer Aufrechnung beruhen) daran festgehalten, dass es sich dabei um keine Leistungssache handelt. Dazu wurde bekräftigend darauf hingewiesen, dass leistungszuerkennende Bescheide eines Versicherungsträgers nach § 1 Z 11 EO vollstreckbar sind und eine Zweigleisigkeit im gerichtlichen Rechtsschutz zugunsten des Anspruchsberechtigten (Vollstreckung des Bescheids nach § 1 Z 11 EO einerseits und gerichtliche Klage nach Maßgabe der sukzessiven Zuständigkeit andererseits) nicht nur zu verfassungsrechtlichen Bedenken, sondern auch zu Koordinationsschwierigkeiten führen würde (vgl auch 10 ObS 50/05h; siehe dazu RV 1654 BlgNR 18. GP 28 zur ASGG‑Novelle 1994 und Fink , Die sukzessive Zuständigkeit 656 f).
4.1 Im Anlassfall richtet sich die Klage gegen die zuständige Ärztekammer auf vollständige Leistung der Witwenpension aus dem Wohlfahrtsfonds. Die Anspruchsgrundlagen für die von der Klägerin beanspruchten Leistungen finden sich in §§ 97 ff ÄrzteG, die die Versorgungsleistungen regeln. Nach § 98 Abs 1 Z 4 lit a leg cit ist unter den Anspruchsvoraussetzungen des § 102 ÄrzteG und den weiteren Modalitäten der §§ 33 bis 35 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für ***** aus den Mitteln des Wohlfahrtsfonds eine Witwenversorgung zu gewähren.
4.2 Für die unmittelbare Qualifikation der vorliegenden Rechtssache als Sozialrechtssache im Sinn eines typischen Sozialversicherungsgesetzes (zB ASVG) bedürfte es eines im Ärztegesetz oder in der Satzung des Wohlfahrtsfonds enthaltenen Verweises auf ein solches Sozialversicherungsgesetz (9 ObA 62/89), die im konkreten Fall allerdings fehlt. Aus diesem Grund sind die aus dem Wohlfahrtsfonds gebührenden Leistungen nicht solche aus der Kranken-, Unfall- oder Pensionsversicherung nach dem ASVG, GSVG oder BSVG. Die Ärztekammer, zu deren Sondervermögen der Wohlfahrtsfonds gehört, ist demnach auch kein Sozialversicherungsträger (10 ObS 11/15p).
4.3 Aufgrund der sachlichen Nähe der Versorgungsansprüche nach dem ÄrzteG zu den gesetzlichen Pensionsleistungen stellt sich aber die Frage nach einer Analogie, die das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke voraussetzt (RS0098756; RS0008866).
Die Sozialversicherungsträger sind Selbstverwaltungskörper, denen ein eigener Wirkungsbereich zukommt, in den vor allem die Feststellung des Bestands von Versicherungsleistungen fällt (3 Ob 15/93). Über die Zuerkennung einer Versicherungsleistung entscheiden die Sozialversicherungsträger mit Bescheid, der nach § 1 Z 11 EO vollstreckbar ist.
Das Ärztegesetz und die Satzung des Wohlfahrtsfonds enthalten detaillierte Regelungen über die einzelnen Versorgungsleistungen. Auch bei der Witwenpension handelt es sich um eine solche Versorgungsleistung. Die Satzung des Wohlfahrtsfonds ist als Verordnung zu qualifizieren (10 ObS 34/07h mwN). Der Grund, warum die ärztlichen Versorgungsleistungen in Sondernormen für den Ärztestand normiert sind, liegt darin, dass es sich auch bei der Ärztekammer um einen Selbstverwaltungskörper handelt. Wohlfahrtseinrichtungen von Kammern bzw Interessenvertretungen sind somit ebenfalls selbstverwaltende Träger eines Versicherungsschutzes, der mit dem gesetzlichen Sozialversicherungsschutz vergleichbar ist (vgl Souhrada in Sonntag , ASVG 10 § 23 Rz 14).
Hinzukommt, dass auch über eine Ärztepension mit Bescheid (des Verwaltungsausschusses der zuständigen Ärztekammer) entschieden wird (vgl 2 Ob 261/12i). Gemäß § 66 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der hier zuständigen Ärztekammer ergehen alle Erledigungen, die individuell konkret ein Rechtsverhältnis gestalten oder feststellen, in Form eines Bescheids. Diese Bescheide müssen auch vollstreckbar sein. § 1 Z 11 EO nennt zwar nur Bescheide der Versicherungsträger (§ 66 ASGG), mit denen Leistungen zuerkannt oder zurückgefordert werden. Unter den „Versicherungsträgern“ sind die Sozialversicherungsträger sowie die Träger der Sozialhilfe, die Geschäftsstellen der IEF‑Service GmbH und die Entscheidungsträger nach dem Bundespflegegeldgesetz zu verstehen ( Jakusch in Angst/Oberhammer , EO 3 § 1 Rz 71). Dabei ist aber zu beachten, dass § 1 Z 11 EO durch die ASGG‑Novelle 1994 eingefügt wurde. In den Gesetzesmaterialien wird dazu ausgeführt, dass der Versicherte derzeit die ihm durch Bescheid des Versicherungsträgers zuerkannte Leistung nicht zwangsweise durchsetzen könne; zudem fehle auch den Versicherungsträgern die Möglichkeit, ihre Bescheide, mit denen zu Unrecht gewährte Leistungen zurückgefordert werden, gerichtlich vollstrecken zu lassen. Es werde deshalb vorgeschlagen, alle diese Bescheide der Versicherungsträger in die Aufzählung der Exekutionstitel des § 1 EO aufzunehmen. Der Gesetzgeber hat dabei offenkundig übersehen, dass derartige Leistungsbescheide auch von anderen Selbstverwaltungskörpern als den Sozialversicherungsträgern erlassen werden können. Hätte er diesen Umstand bedacht, so hätte er die Vollstreckungsmöglichkeit auch für Versorgungsleistungen zuerkennende Bescheide von anderen Selbstverwaltungskörpern, insbesondere von Wohlfahrtseinrichtungen von Kammern, vorgesehen. In dieser Hinsicht ist somit ein Analogieschluss gerechtfertigt.
4.4 Aus diesen Überlegungen folgt, dass es sich bei der in Rede stehenden Witwenpension nach dem ÄrzteG um eine gesetzliche Versorgungsleistung eines Selbstverwaltungskörpers handelt, die nach ihrer Rechtsnatur mit den Pensionsleistungen eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers vergleichbar ist. Ein sachlicher Grund, die Abgrenzung von Verwaltungssachen und gerichtlichen Rechtssachen nach anderen Kriterien vorzunehmen, als dies vom Gesetzgeber für einen vergleichbaren Fall ausdrücklich vorgesehen wurde, besteht nicht. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass der Gesetzgeber, hätte er die vorliegende Problematik bedacht, eine idente Regelung vorgesehen hätte. Für die Frage, ob es sich bei einer Streitigkeit über eine Versorgungsleistung nach dem ÄrzteG um eine Verwaltungssache oder eine gerichtliche Rechtssache handelt, ist daher § 65 ASGG analog anzuwenden.
5.1 Als Ergebnis ist somit festzuhalten: Soweit sich die vorliegende Klage auf die Leistung restlicher Witwenpension wegen behaupteter unberechtigter Abzüge bezieht, liegt ein Streit über die Auszahlung der bescheidmäßig zuerkannten Versorgungsleistung vor. Dabei handelt es sich um eine Verwaltungssache, die den ordentlichen Gerichten entzogen ist.
Soweit sich die Klage auf die Leistung restlicher Witwenpension wegen behaupteter unberechtigter Einbehalte nach einer Aufrechnung von Überbezügen bezieht, liegt grundsätzlich eine Leistungssache vor, die allerdings an die sukzessive Zuständigkeit geknüpft ist und das Vorliegen eines entsprechenden Aufrechnungsbescheids (vgl 8 ObA 53/09s) oder die Säumnis der Ärztekammer mit der Bescheiderlassung voraussetzt; eine Verweigerung der Bescheiderlassung ist der Säumnis gleichzuhalten.
5.2 In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin in ihrem Rekurs selbst von einer Bescheidpflicht der Ärztekammer ausgeht. Solange kein Bescheid vorliegt, ist – außer bei Säumnis oder Verweigerung, was einen entsprechenden Antrag des Anspruchsberechtigten voraussetzt – Unzulässigkeit des Rechtswegs gegeben. Dass sie einen Aufrechnungsbescheid, der unstrittig nicht vorliegt, beantragt hat, behauptet die Klägerin nicht.
Da für beide Begehren Unzulässigkeit des Rechtswegs besteht, hat das Berufungsgericht die Klage zu Recht zurückgewiesen. Dem Rekurs der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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