OGH 14Os54/19a

OGH14Os54/19a3.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. September 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Leitner in der Strafsache gegen Mijat B***** wegen der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3 Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 23. November 2018, GZ 180 Hv 59/18g‑52, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00054.19A.0903.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mijat B***** – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant – mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB (A), je eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (C/1) und der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (D/1), mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (B und D/2) sowie eines Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (C/2) schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** und G*****

(A) gegen nachgenannte Personen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei er die Taten gegen unmündige Personen begangen und länger als ein Jahr ausgeübt hat, und zwar

1) von 1. Juni 2009 bis zum 23. Dezember 2015 gegen seinen zu Beginn des Tatzeitraums siebenjährigen Sohn M***** B*****, indem er

a) diesem mehrmals pro Woche Schläge mit einem Verlängerungskabel oder einem Gürtel gegen die Handflächen, einer Rute gegen die Handflächen und den bekleideten Rücken sowie mit einem Hausschuh auf den bekleideten Rücken und das Gesäß versetzte, wodurch der Genannte jeweils Striemen und etwa einen Tag anhaltende Rötungen erlitt,

 

b) zwischen Herbst 2009 und 2013 dessen Kopf gegen eine Wand schlug;

2) von 2013 bis zum 23. Dezember 2015 gegen seine zu Beginn des Tatzeitraums achtjährige Tochter L***** B*****, indem er dieser mehrmals pro Woche Schläge mit einem Verlängerungskabel, einem Gürtel oder einer Rute gegen die Handinnenflächen versetzte, wodurch die Genannte jeweils etwa ein bis zwei Tage andauernde Rötungen und einmal Blutungen erlitt;

3) von 2013 bis zum 23. Dezember 2015 gegen seine zu Beginn des Tatzeitraums fünfjährige Tochter M***** B*****, indem er dieser mehrmals pro Woche Schläge mit einem Gürtel oder einer Rute gegen die Handflächen versetzte, wodurch die Genannte jeweils etwa ein bis zwei Tage andauernde Rötungen erlitt;

4) von 1. Juni 2009 bis 2012 gegen seinen zu Beginn des Tatzeitraums achtjährigen Sohn I***** B*****, indem er

a) diesem mehrmals pro Woche Schläge mit einem Verlängerungskabel, einem Gürtel oder einer Rute gegen die Handflächen und den bekleideten Rücken sowie mit einem Hausschuh gegen den bekleideten Rücken und das Gesäß versetzte, wodurch der Genannte jeweils Striemen und etwa einen Tag anhaltende Rötungen, in einigen Fällen auch Blutungen erlitt,

b) zwischen Herbst 2009 und 2013 dessen Kopf gegen eine Wand schlug;

(B) von 2006 bis zum 31. Mai 2009 seinen Sohn I***** B***** mehrmals pro Woche durch gleichartige wie die zu A/4/a beschriebenen Handlungen, durch die der Genannte jeweils Striemen und etwa einen Tag anhaltende Rötungen, in einigen Fällen auch Blutungen erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt;

(C) Ende Juni 2011

1) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an seinem damals neunjährigen, sohin unmündigen Sohn M***** B***** vorgenommen, indem er dessen Penis masturbierte,

2) durch die zu Punkt C/1 angeführte Tat mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

(D) seine damalige Lebensgefährtin M***** N***** vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

1) im Jahr 2000 durch einen Tritt gegen den Bauch und die linke Hand, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich einen Bruch des linken Ringfingers, zur Folge hatte;

2) von 2000 bis 2012 in Abständen von mehreren Monaten und von 2013 bis November 2015 einmal pro Monat durch Faustschläge gegen das Gesicht und den Oberkörper, durch Tritte und einmal durch Würgen mit dem Unterarm, wodurch die Genannte jeweils Blutergüsse und Hämatome erlitt.

Von der weiters wider ihn erhobenen Anklage, er habe M***** N***** im Sommer 2014 in G***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er trotz ihrer Gegenwehr (Zusammendrücken der Beine) und ihres verbal erklärten Widerspruchs ihre Beine gewaltsam auseinander drückte und gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr durchführte, wurde B***** gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Den vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO (inhaltlich nur) gegen die angeführten Schuldsprüche und von der Staatsanwaltschaft aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gegen den Freispruch ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden kommt keine Berechtigung zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung der in der Hauptverhandlung gestellten (ON 42 S 30 iVm ON 38) Anträge auf Vernehmung der Mutter und der Schwester des Angeklagten, Jela B***** und Pavica M*****, Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Dadurch sollte erwiesen werden, dass der Angeklagte sich nach den Wahrnehmungen der Erstgenannten „immer sehr um seine Kinder sowie seine Lebensgefährtin bemühte“ und M***** ihn „stets als liebevollen Vater erlebte“, sowie dass „das nunmehrige Strafverfahren offensichtlich aus Neid von M***** N***** initiiert wurde“ bzw „die gegenständlichen Strafanzeigen ausschließlich auf M***** N***** zurückzuführen sind“, weil diese nicht verkraften könne, dass B***** sein Leben seit der Trennung neu geordnet und eine neue Familie gegründet habe, insgesamt also ein glückliches Leben führe.

Auf welcher Wahrnehmungsgrundlage die beiden Frauen, die sich nach dem weiteren Vorbringen „regelmäßig im Familienverband aufhielten“, in der Lage sein sollten, verlässliche Auskünfte über das Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber den Tatopfern während des gesamten Tatzeitraums oder zu den Empfindungen und Intentionen der Zeugin N***** zu geben, und inwiefern das durch die begehrten Beweisaufnahmen angestrebte Ergebnis für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage relevant sein sollte, ließ sich den Anträgen nicht entnehmen. Diese waren solcherart auf unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS-Justiz RS0118444; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 330).

Die Aussage der (im Urteil ersichtlich irrtümlich als Elisabeth bezeichneten) Zeugin Daniela L***** haben die Tatrichter – dem von der Beschwerde vertretenen Standpunkt zuwider unmissverständlich in Bezug auf die Schuldsprüche A bis D – in ihre Überlegungen einbezogen und mit mängelfreier Begründung als unglaubwürdig verworfen (US 16 f). Einer Erörterung all ihrer – von der Mängelrüge relevierten –

Details bedurfte es unter dem Aspekt von Unvollständigkeit nicht (RIS-Justiz RS0098642). Mit der als übergangen reklamierten Behauptung der Genannten, N***** habe ihr gegenüber geäußert, sie werde etwas finden, um den Angeklagten ins Gefängnis zu bringen, hat sich das Erstgericht im Übrigen explizit auseinandergesetzt (US 17).

Mit dem weiteren Einwand bloßer Scheinbegründung der entscheidungswesentlichen Urteilsannahmen zu den Schuldsprüchen A bis D sowie „kumulativer Anführung von Beweismitteln im Urteil ... in der Begründung zu Punkt D“ (der Sache nach Z 5 vierter Fall) orientiert sich die Beschwerde prozessordnungswidrig nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370). Die Ableitung der bekämpften Konstatierungen aus den für glaubwürdig erachteten Angaben der Tatopfer und weiterer Zeugen unter ausführlicher Erörterung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten und der ihn entlastenden Verfahrensergebnisse (US 10 ff) begegnet unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken.

Soweit die Rüge in diesem Zusammenhang die Beurteilung der Überzeugungskraft der Zeugenaussagen als offenbar unzureichend begründet kritisiert, lässt sie außer Acht, dass die Annahme der Tatrichter von der (in der Regel erheblichen Tatsache der) Glaubwürdigkeit einer Beweisperson als (bloß) beweiswürdigende Erwägung keinen zulässigen Bezugspunkt des – der Sache nach in Anspruch genommenen – Nichtigkeitsgrundes der Z 5 vierter Fall darstellt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431; RIS-Justiz RS0106588). Welche Widersprüche innerhalb der Bekundungen der Tatopfer im Urteil unberücksichtigt geblieben sein sollen (Z 5 zweiter Fall; vgl dazu RIS-Justiz RS0119422), wird nicht dargelegt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Wie die Beschwerde ohnehin einräumt, blieb die Aussage der Zeugin N***** nicht unberücksichtigt, vielmehr haben die Tatrichter diese insgesamt als nicht geeignet erachtet, eine Vergewaltigung der Genannten durch den Angeklagten – insbesonders in Bezug auf die subjektive Tatseite – zu erweisen (US 17). Unter dem Aspekt der geltend gemachten Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) war das Erstgericht – der Auffassung der Beschwerdeführerinzuwider – weder zu einer gesonderten Erörterung einzelner, in der Rüge selektiv hervorgehobener Passagen aus den Bekundungen der Zeugin (vgl im Übrigen auch ON 22 S 13) verpflichtet, noch dazu verhalten, jene Details der Aussage („welche Aussage in welcher Vernehmung“), auf die die einzelnen Urteilsannahmen konkret gestützt wurden, anzuführen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; RIS-Justiz RS0106642).

Inwiefern die – von der Beschwerde gleichfalls nur partiell zitierte – Aussage der Zeugin A*****, die (bei gebotener Gesamtbetrachtung; vgl die klarstellenden Ausführungen anlässlich ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung; ON 42 S 19) bloß angab, dass der Angeklagte nach den Schilderungen der Zeugin N***** deren Ablehnung des Geschlechtsverkehrs insoweit nicht akzeptierte, als er sie dann, so lange „sekkiere, bis sie es über sich ergehen lasse“, den bekämpften Negativfeststellungen hinsichtlich einer durch Gewalt erfolgten Nötigung der Letztgenannten zur Duldung des Beischlafs erörterungsbedürftig entgegenstehen sollten (Z 5 zweiter Fall), erklärt die weitere Mängelrüge nicht.

Da somit bereits die Bekämpfung der Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite scheitert, erübrigt sich eine Erörterung des weiteren (auch zu

Z 9 lit a erstatteten) Beschwerdevorbringens, das sich im Übrigen darin erschöpft, unter Berufung auf die im Rahmen der Mängelrüge angeführten Beweisergebnisse und unter Verweis auf die dort angestellten Erwägungen „Ersatzfeststellungen“ zu den – von den Tatrichtern verneinten – Tatbestandsmerkmalen des § 201 Abs 1 StGB einzufordern (vgl RIS‑Justiz RS0118580 [T25]; zu den Kriterien erfolgreicher Freispruchsanfechtung RS0127315).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Bleibt zum Schuldspruch D/1 anzumerken, dass die rechtliche Beurteilung des davon umfassten Täterverhaltens als – mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedrohtes – Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (idF BGBl I 2015/154) zufolge des nach § 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleichs rechtlich verfehlt war, weil die zur Tatzeit im Jahr 2000 auf die angelastete Handlung anzuwendenden Bestimmungen nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB idF BGBl 1987/605 lediglich eine Strafdrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vorsahen, womit sich die zur Tatzeit gültige Rechtslage als günstiger als das vom Erstgericht angewendete Urteilszeitrecht erweist.

Da sich dieser Subsumtionsfehler nicht auf den Strafrahmen auswirkte und auch sonst keine nachteilige Wirkung nach sich zog (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff), sah sich der Oberste Gerichtshof nicht zu amtswegiger Wahrnehmung veranlasst. Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen nicht an die verfehlte Subsumtion gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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