OGH 1Ob79/19b

OGH1Ob79/19b29.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr.

 Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. R***** und 2. K*****, beide *****, vertreten durch Dr. Kurt Kozák, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 9.693,92 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Februar 2019, GZ 4 R 5/19m‑18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 14. November 2018, GZ 3 Cg 3/18z‑14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00079.19B.0829.000

 

Spruch:

Die

Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 764,18 EUR bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Erstkläger verfügt als tunesischer Staatsangehöriger über den Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung – Familiengemeinschaft mit Österreicherin“. Nachdem er die Erteilung einer Gewerbeberechtigung für die Ausübung des Taxigewerbes beantragt hatte, wurde ihm von einem Mitarbeiter der Gewerbebehörde mitgeteilt, dass er als tunesischer Staatsangehöriger die Voraussetzungen für die Erteilung einer Konzession nach dem Gelegenheitsverkehrs‑Gesetz 1996 („GelverkG“) nicht erfülle. Daraufhin zog er seinen Antrag zurück. Auf Anraten der Gewerbebehörde beantragte die Zweitklägerin (Ehefrau des Erstklägers) die begehrte Konzession, die ihr auch erteilt wurde. Sie beschäftigte den Erstkläger für eine gewisse Zeit (bis diesem die Konzession letztlich erteilt wurde) als unselbständigen Taxilenker und gewerberechtlichen Geschäftsführer.

Die Kläger begehren mit ihrer Amtshaftungsklage als behauptete Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts den Ersatz des Schadens, der ihnen durch die ihrer Ansicht nach unrichtige Behördenauskunft entstanden sei (im Wesentlichen Lohnnebenkosten sowie Kosten einer externen Personalabrechnung für die Beschäftigung des Erstklägers). Richtigerweise hätte die Behörde bei ihrer Auskunft Art 11 Abs 1 lit a der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (

„Daueraufenthaltsrichtlinie“) berücksichtigen müssen, wonach langfristig Aufenthaltsberechtigte (wie der Erstkläger) unter anderem hinsichtlich des Zugangs zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit wie eigene Staatsbürger zu behandeln sind. § 6 Abs 1 Z 1 GelverkG, wonach die Konzession natürlichen Personen nur erteilt werden darf, wenn diese EWR‑Angehörige sind (die mit BGBl Nr 24/2006 geschaffene Ausnahmebestimmung in Abs 2 leg cit, wonach der Landeshauptmann auch natürliche Personen von dieser Voraussetzung befreien kann, wenn mit dem Heimatstaat des Antragstellers Gegenseitigkeit besteht, ist im vorliegenden Fall [Tunesien] nicht anwendbar), habe keine taugliche Grundlage für die erteilte Auskunft dargestellt.

Das Berufungsgericht bestätigte die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts und ging wie dieses davon aus, dass die – wenngleich in Unkenntnis der Daueraufenthaltsrichtlinie erteilte – Auskunft der Behörde, dem Erstkläger könne als tunesischem Staatsbürger (mangels Gegenseitigkeit mit dessen Heimatstaat) keine Taxikonzession erteilt werden, vertretbar gewesen sei. Die ordentliche Revision

ließ es nachträglich zu, weil eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung bei der Beurteilung der Frage, ob eine vertretbare Rechtsansicht der Organe der Beklagten auch dann angenommen werden kann, wenn diesen die (allenfalls relevante) Rechtsmaterie (nämlich die Daueraufenthaltsrichtlinie) unbekannt gewesen ist, nicht ausgeschlossen werden könne.

Die Revision der Kläger ist

entgegen dem – nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Bei einer falschen oder unzureichenden Behördenauskunft, die eine verfehlte Disposition zur Folge hat, ist, auch wenn sie zu einem bloßen Vermögensschaden führt, Ersatz nach dem AHG zu leisten (vgl RS0113363). Ganz allgemein begründet aber nur eine unvertretbare Rechtsanwendung Amtshaftungsansprüche (RS0049912; RS0049955). Der Beurteilung der Richtigkeit der Vorgehensweise eines Organs kommt im Amtshaftungsprozess keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, wenn dessen Handeln – ohne aufzugreifende Fehlbeurteilung – als vertretbar einzustufen ist (vgl RS0049951 [T12]; RS0050216 [T4, T7]). Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0110837). Das Verhalten der Organe des Rechtsträgers ist am Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB zu messen (RS0026381), wobei die Sorgfaltsanforderungen aber nicht überspannt werden dürfen (RS0026450 [T1]).

2. Auf die in der Revision primär thematisierte und als im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblich bezeichnete Frage, ob es für die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht nur auf die tatsächlich angestellten Erwägungen ankommt, muss hier nicht weiter eingegangen werden, weil es im vorliegenden (Einzel-)Fall schon objektiv unbedenklich erscheint, dass die dem Erstkläger erteilte Rechtsauskunft nur auf § 6 GelverkG (und eben nicht auf Art 11 der dem Organ unbekannten Daueraufenthaltsrichtlinie) gestützt wurde, nach dessen Abs 2 eine Ausnahme vom in Abs 1 Z 1 leg cit geregelten Grundsatz, wonach die Konzession nur EWR‑Bürgern (somit nicht dem Erstkläger) erteilt werden darf, ausdrücklich nur für den – hier unstrittig nicht vorliegenden – Fall der Gegenseitigkeit mit dem Heimatstaat des Antragstellers besteht.

Das Regelungsinstrument der

gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie (hier der Daueraufenthaltsrichtlinie, deren Unkenntnis [konkret des Art 11] dem Organ vorgeworfen wird) zeichnet sich dadurch aus, dass solche Rechtsakte grundsätzlich nicht unmittelbar

anwendbar sind, sondern von den Mitgliedstaaten erst durch entsprechende generelle Rechtsakte in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden müssen. Die unterlassene oder unzureichende Umsetzung einer Richtlinie kann allenfalls eine Staatshaftung begründen, aber keine Amtshaftung (vgl RS0049949 [T2]). Der Einzelne wird aus einer Richtlinie in der Regel weder unmittelbar berechtigt noch verpflichtet (RS0111214 [T17]; vgl auch Art 26 der Daueraufenthaltsrichtlinie zur Umsetzungspflicht der Mitgliedstaaten). Auch Behörden haben sie daher im Allgemeinen nicht unmittelbar anzuwenden; vielmehr beschränkt sich deren Rechtsanwendung typischerweise auf die in Umsetzung der Richtlinie ergangenen Rechtsvorschriften. Aus welchen Erwägungen Art 11 der Daueraufenthaltsrichtlinie überhaupt unmittelbar anwendbar sein sollte, führt die Revision nicht aus, weshalb auch unter diesem Blickwinkel keine Korrekturbedürftigkeit der angefochtenen Entscheidung, mit der das Berufungsgericht die Vertretbarkeit der dem Erstkläger von der Behörde erteilten Auskunft – trotz Unkenntnis der (an den Gesetzgeber gerichteten) Daueraufenthaltsrichtlinie – bejahte, aufgezeigt wird.

3. Wie Art 11 der Daueraufenthaltsrichtlinie richtigerweise auszulegen gewesen wäre und ob das Organ der Beklagten vor Erteilung der Auskunft an den Erstkläger dazu eine Auskunft des Bundesministeriums für Verkehr Innovation und Technologie bzw des Landes Salzburg einholen hätte müssen, spielt nach dem Vorgesagten keine Rolle.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).

Stichworte