OGH 6Ob57/19d

OGH6Ob57/19d23.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei B*****, Liechtenstein, vertreten durch Dr. Lukas Fantur, Rechtsanwalt in Wien, wegen Leistung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2019, GZ 129 R 121/18i‑30, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00057.19D.0523.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zählen Bestimmungen in Gesellschaftsverträgen betreffend Aufgriffsrechte zu den korporativen Satzungsbestandteilen und sind daher objektiv nach ihrem Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen (6 Ob 231/05x; 6 Ob 233/12a [ErwGr 3.1]; 6 Ob 180/17i [ErwGr 3.3.4]); eine solche objektive Auslegung hat auch dann zu erfolgen, wenn an dem Rechtsstreit nur die Gründungsgesellschafter oder die Gesellschafter, die die Satzung änderten, beteiligt sind, und zwar unabhängig davon, ob die Gesellschaft personalistisch oder kapitalistisch strukturiert ist (RS0108891 [T19]).

Unklare und eine mehrfache Deutung zulassende Bestimmungen sind stets in vernünftiger und billiger Weise so auszulegen, dass ihre Anwendung im Einzelfall brauchbare und vernünftige Ergebnisse zeitigt (6 Ob 233/12a [ErwGr 3.1]; RS0108891 [T18]). Es kommt nicht auf den subjektiven Willen an, sondern ist nur der einer objektiven Auslegung zugängliche Wortlaut entscheidend (RS0108891 [T7]); die Auslegung erfolgt daher anhand der §§ 6 und 7 ABGB (RS0108891 [T9]). Allerdings kann eine objektive Auslegung durchaus auch berücksichtigen, welches Interesse mit einer Regelung verfolgt wird (vgl RS0008813 [T7] zu Vereinsstatuten; RS0008828 zu Kollektivverträgen).

Der objektiven Auslegung korporativer Regelungen eines Gesellschaftsvertrags kommt nach ständiger Rechtsprechung keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu (RS0108891 [T15]), dies selbst dann, wenn eine andere, etwa die vom Revisionswerber angestrebte (RS0042936 [T17]) Auslegung ebenfalls vertretbar wäre (RS0108891 [T16], RS0042936 [T21, T30]).

2. Der von der Klägerin behauptete Aufgriffsfall knüpft an Punkt 9. Abs 13 des Gesellschaftsvertrags der B***** GmbH, deren Gesellschafter die Streitteile sind, sowie an den Umstand an, dass Mag. H***** nicht mehr die Position des gewerberechtlichen Geschäftsführers der Gesellschaft ausübt und von der Beklagten kein gleichwertiger Ersatz innerhalb der gewerberechtlichen Neubestellungsfrist „gestellt“ wird. Punkt 9. Abs 13 lautet: Weiters hat die [Beklagte] ihren gesamten Geschäftsanteil der [Klägerin] zum Aufgriff […] anzubieten, wenn Herr Mag. H***** […] die Position des gewerberechtlichen Geschäftsführers bei der [Gesellschaft] nicht mehr ausübt und von der [Beklagten] kein gleichwertiger Ersatz innerhalb der gewerberechtlichen Neubestellungsfrist gestellt wird.

Diesem Aufgriffsfall lag ausweislich eines Sideletters zugrunde, dass die Klägerin selbst über keinen für das Bestattungsgewerbe befugten Geschäftsführer verfügte und somit die Beklagte dafür sorgen sollte, dass ein gewerberechtlicher Geschäftsführer besteht, damit die Gesellschaft im Bestattungsgewerbe tätig sein kann. Wenn Mag. H***** die Position als gewerberechtlicher Geschäftsführer nicht mehr ausübt, dann hat sich die Beklagte innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 9 Abs 2 GewO um einen neuen gewerberechtlichen Geschäftsführer zu kümmern, widrigenfalls die Klägerin die Anteile aufgreifen kann. Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Berufungsgerichts, Sinn und Zweck der Regelung sei einerseits im Funktionieren der Gesellschaft (deren Auftreten am Markt) und andererseits in der Sicherstellung der Kooperation der Gesellschafter gelegen, jedenfalls vertretbar.

Dies gilt auch für die weiteren Überlegungen, der Aufgriffsfall sei nicht verwirklicht worden, weil einvernehmlich eine Übertragung der gewerberechtlichen Geschäftsführung auf den zweiten handelsrechtlichen Geschäftsführer erfolgte. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde nämlich zugleich mit der Zurücklegung der Funktion des gewerberechtlichen Geschäftsführers durch Mag. H***** der zweite handelsrechtliche Geschäftsführer als neuer gewerberechtlicher Geschäftsführer angezeigt. Selbst wenn dieser als der Sphäre der Klägerin zuzuordnend angesehen wird, so wurde doch im Sinn des Punktes 9. Abs 13 des Gesellschaftsvertrags ein „Ersatz gestellt“. Das Funktionieren der Gesellschaft war zu keinem Zeitpunkt gefährdet; es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ihre Verpflichtung zur Kooperation in der Gesellschaft vernachlässigt hätte. Dass der nunmehrige gewerberechtliche Geschäftsführer nicht „gleichwertig“ wäre, wird im Revisionsverfahren substanziiert nicht behauptet, insbesondere wird nicht geltend gemacht, dass dieser ungeeignet wäre.

Die Auslegung der Klägerin und des Erstgerichts, der gewerberechtliche Geschäftsführer müsse tatsächlich aus der Sphäre der Beklagten stammen, lässt sich aus dem Wortlaut der Bestimmung nicht zwingend ableiten. Es geht vielmehr nur darum, dass die Beklagte sich um Ersatz (woher auch immer) kümmert; dem ist sie aber durch die gemeinsame Anzeige nachgekommen.

3.  Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 10. 4. 2017 mit, sie „erwäge“, ein ihr vorliegendes Angebot zum Erwerb ihres Anteils „näher zu bewerten und allenfalls weitere Angebote einzuholen“. In weiterer Folge teilte sie mit, sie wolle „(sehr) kurzfristig“ ihren Anteil „objektiv bewerten“ und dann „weitere Angebote“ einholen; mittelfristig wolle sie sich von ihrem Anteil trennen, „wenn die Bedingungen stimmen“. Da nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Veräußerungsabsicht nicht leichtfertig angenommen werden darf, sondern eine gewisse Konkretisierung gefordert wird (vgl 1 Ob 206/07m [konkret beabsichtigt]; 4 Ob 216/01w), ist die Auffassung des Berufungsgerichts, auch dieser Aufgriffsfall sei nicht verwirklicht worden, nicht zu beanstanden.

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