OGH 9Ob21/19g

OGH9Ob21/19g15.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinnützige * Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *, vertreten durch Mag. Matthias Prückler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* B*, vertreten durch oehner & partner rechtsanwaelte gmbh in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. November 2018, GZ 38 R 146/18d‑19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 9. März 2018, GZ 61 C 85/17b‑15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E125160

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Beklagte, ein Opernsänger, schloss am 3. 3. 2003 mit einer gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft – der Rechtsvorgängerin der klagenden gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft – als deren Mitglied einen Nutzungsvertrag über eine Wohnung in Wien, in dem folgende Klausel enthalten ist: „Das Mitglied verpflichtet sich, innerhalb von sechs Monaten ab Vertragsbeginn bestehende Miet- oder sonstige Rechte an einer anderen Wohnung nachweislich aufzugeben und auf Verlangen der Genossenschaft entsprechende Urkunden, wie Kündigungsschreiben oder Aufhebungsvereinbarungen, vorzulegen. Sollte das Mitglied dieser Verpflichtung nicht nachkommen, wird dies ausdrücklich als wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 30 Abs 1 und Abs 2 Z 13 MRG vereinbart […].“

Der Beklagte war zur Zeit des Vertragsschlusses und ist nach wie vor gemeinsam mit seiner Frau Hauptmieter einer im selben Wiener Bezirk gelegenen Wohnung. Der Beklagte verbringt etwa zwei Drittel der Zeit in der Genossenschaftswohnung, die er zu Wohnzwecken benützt (Essen, Schlafen, Wäsche). In der zu Wohnzwecken von seiner Frau benützten Mietwohnung hat er seine Proberäume und seinen „Home‑Office‑Bereich“.

Das Berufungsgericht erklärte mit dem angefochtenen Urteil die (auch) auf § 30 Abs 2 Z 13 MRG gegründete gerichtliche Aufkündigung der Genossenschaftswohnung für rechtswirksam und verurteilte den Beklagten zur Übergabe der Genossenschaftswohnung und zum Kostenersatz. Begründend führte das Berufungsgericht aus, die als Kündigungsgrund vereinbarte Tatsache müsse objektiv wichtig und bedeutsam sein und den im § 30 Abs 2 MRG ansonsten aufgezählten Fällen an Bedeutung nahekommen. Dass eine gemeinnützige Wohnbauvereinigung ein wichtiges Interesse daran habe, Wohnungen nur an Personen zu vergeben, die ihre Miet- oder sonstigen Rechte an ihrer bisherigen Wohnung aufgeben, sei grundsätzlich als wichtiges Interesse anzuerkennen, das an die sonstigen Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 MRG herankomme. Gemeinnützige Bauvereinigungen hätten nämlich ihre Tätigkeit auf die Erfüllung der dem Gemeinwohl dienenden Aufgaben des Wohnungs- und Siedlungswesens zu richten. Dazu gehöre nicht die Bereitstellung von Wohnraum an Personen, die ohnedies bereits aufgrund einer rechtlich gesicherten Position wohnversorgt seien und diese Situation beibehielten. Ebenso sei das wichtige Interesse anzuerkennen, dass förderungsrechtliche Regelungen eingehalten würden. Der Beklagte sei gemeinsam mit seiner Ehefrau Mitmieter einer weiteren Wohnung, die er neben der aufgekündigten Wohnung auch weiterhin benutzt habe und nütze. Dass er sich – vergleichbar dem Fall 2 Ob 79/03m – um die Aufgabe der Mietrechte bemüht habe und dies nur an der mangelnden Zustimmung des Vermieters gescheitert wäre, sei gar nicht vorgebracht worden. Vielmehr habe sich der Beklagte darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen familiären Situation auf die Nutzung beider Wohnungen angewiesen wäre. Es komme aber hier nur auf die Wichtigkeit des vereinbarten Grundes für die Vermieterin als Rechtfertigung für die Auflösung des Mietverhältnisses an. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 13 MRG sei verwirklicht.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung „zu den regelmäßig in den Nutzungsverträgen gemeinnütziger Bauvereinigungen vorkommenden gleichartigen vereinbarten Kündigungsgründen“ sowie zur „Frage, ob die Tatsache bloßer Mitmietrechte an einer weiteren Wohnung etwas zu ändern vermag“, zu.

Der Beklagte schließt sich der Zulassungsgründung des Berufungsgerichts an und begründet die Zulässigkeit der Revision ergänzend damit, dass dem Berufungsgericht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

1. Das Berufungsgericht geht von den von der Rechtsprechung zu § 30 Abs 2 Z 13 MRG entwickelten allgemeinen Grundsätzen aus. Die Beurteilung, ob ein im Mietvertrag angegebener Umstand hinreichend bestimmt bezeichnet und für den Vermieter objektiv bedeutsam ist und den sonst in § 30 Abs 2 MRG angeführten Gründen nahekommt, betrifft typisch den Einzelfall und begründet im Allgemeinen, abgesehen von einer eklatanten – hier nicht vorliegenden – Überschreitung des den Vorinstanzen eingeräumten Ermessens – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0070752 [T1, T7]; RS0070705 [T3]).

2.1. In der bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 2 Ob 79/03m hatte der Oberste Gerichtshof eine Klausel zu beurteilen, mit der gemäß § 30 Abs 2 Z 13 MRG vereinbart wurde, „dass das Mietverhältnis seitens des Vermieters aufgekündigt werden kann, wenn der Mieter nicht binnen vier Wochen ab Mietbeginn den Nachweis über die Auflösung des Mietverhältnisses an der Wohnung in Wien 15 […] erbringt“. Bei der Wohnung, welche der Vermieter nach § 30 Abs 2 Z 13 MRG aufkündigte, handelte es sich um eine Gemeindewohnung. Der Oberste Gerichtshof sprach aus, dass es zutreffen mag, dass die kündigende Partei ein wichtiges und bedeutsames Interesse daran hat, dass deren Wohnungen nach sozialen Gesichtspunkten vergeben werden und (andere) Wohnungen durch ihre Mieter nicht „gehortet“ werden sollen. Die Frau des dort Beklagten hatte aber ohnehin versucht, das ursprüngliche Mietverhältnis an der Wohnung Wien 15 aufzulösen. Aus diesem Grund beurteilte der Oberste Gerichtshof die Aufhebung der Aufkündigung durch das Berufungsgericht als vertretbar.

2.2. In 5 Ob 183/16x war in einem gegen eine gemeinnützige Wohnbau- und Siedlungsgenossenschaft geführten Verbandsprozess (§§ 28 ff KSchG) eine Klausel zu beurteilen, mit der als für die Vermieterin wichtiger und bedeutsamer Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 13 MRG „mangelnde Förderungswürdigkeit oder ein Verstoß gegen die beiliegenden Förderungsbedingungen bzw eine vertragswidrige Verwendung durch den Mieter, die zu einem Entzug der Wohnbauförderung führt“, vereinbart wurde. Der Oberste Gerichtshof beurteilte die Klausel (Nr 11) als unzulässig, weil sie den Vorgaben in § 30 Abs 2 Z 13 MRG zur konkreten Bezeichnung von Kündigungsgründen nicht gerecht werde und intransparent sei (zust Graf, Transparenzprobleme bei der Gebrauchsüberlassung durch gemeinnützige Bauvereinigungen – Anmerkungen zu OGH 5 Ob 183/16x und 5 Ob 217/16x, immolex 2017, 341 [343]). Dabei verwies der Oberste Gerichtshof auch auf die Bestimmungen des § 21 Abs 3 und § 28 Abs 1 Z 1 Wohnbauförderungsgesetz 1984 (WFG). Gemäß § 21 Abs 3 WFG ist, wer eine geförderte Wohnung nicht als Dienst-, Natural- oder Werkswohnung bezieht, verpflichtet, seine Rechte an einer bisher zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig verwendeten Wohnung binnen sechs Monaten nach Bezug der geförderten Wohnung aufzugeben. Gemäß § 28 Abs 1 Z 1 WFG liegt ein wichtiger Kündigungsgrund nach § 30 Abs 1 MRG hinsichtlich einer nach bundesgesetzlichen oder landesgesetzlichen Vorschriften geförderten Wohnung vor, wenn der Mieter seine bisher zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses regelmäßig verwendete Wohnung nicht aufgegeben hat. Der Oberste Gerichtshof sprach aus, dass die Regelung des § 28 Abs 1 WFG zwar abschließend sei. Dieser abschließende Charakter der Regelung schließe eine Vereinbarung eines zusätzlichen Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 13 MRG (iVm § 20 Abs 1 Z 1 lit b WGG) bei geförderten Bestandobjekten aber nicht aus. Die Vereinbarung habe sich allerdings an den Vorgaben des § 28 WFG zu orientieren, soweit es die Bedeutsamkeit eines Verhaltens des Mieters betreffe.

2.3. In der Entscheidung 5 Ob 217/16x, die gleichfalls in einem Verbandsprozess gegen eine gemeinnützige Bauvereinigung erging, wurde eine der vorerwähnten Klausel ähnliche Klausel (Nr 13) gleichfalls als unzulässig gewertet. Der Oberste Gerichtshof wies jedoch neuerlich darauf hin, dass die Regelung des § 28 Abs 1 WFG trotz ihres abschließenden Charakters eine Vereinbarung eines zusätzlichen Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 13 MRG (iVm § 20 Abs 1 Z 1 lit b WGG) bei geförderten Bestandobjekten nicht ausschließe.

2.4. Es liegt damit entgegen der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts bereits höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Klauseln wie der vorliegenden vor. Die vorliegende Klausel lehnt sich an § 28 Abs 1 Z 1 WFG an. Warum der vereinbarte Kündigungsgrund nicht objektiv wichtig und bedeutsam iSd § 30 Abs 2 Z 13 MRG sondern – wie in der Revision vertreten – vielmehr gröblich benachteiligend sein soll, ist nicht ersichtlich.

3. Auf die vom Berufungsgericht weiters für erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO gehaltene „Frage, ob die Tatsache bloßer Mitmietrechte an einer weiteren Wohnung etwas zu ändern vermag“, kommt der Beklagte in der Revision nicht zurück. Eine (womöglich) erhebliche Rechtsfrage, die in der Revision nicht konkret releviert wird, macht die Revision nicht zulässig (RS0102059 [T9]).

4. Im vorliegenden Fall knüpft der vereinbarte Kündigungsgrund nicht an einer Aufgabe eines anderen Hauptwohnsitzes an, sondern explizit an die (Nicht‑)Aufgabe „bestehende[r] Miet- oder sonstige[r] Rechte an einer anderen Wohnung“. Es kommt also entgegen der Auffassung des Beklagten nicht darauf an, ob er in der aufgekündigten Wohnung seinen Hauptwohnsitz hat und wofür er die andere Wohnung gebraucht, nämlich zu Wohnzwecken oder „nur“ als Proberaum und „Home‑Office“.

5. Die Wendung, dass „bestehende Miet- oder sonstige Rechte an einer anderen Wohnung“ aufgegeben werden müssen, ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht unbestimmt. Der Begriff „Mietrechte an einer anderen Wohnung“ ist nicht weiter auslegungsbedürftig; dieser Fall liegt hier vor. Hinsichtlich „sonstiger Rechte“ kann die Klausel im Übrigen redlicherweise (§ 914 ABGB) – die Anwendbarkeit der allgemeinen vertraglichen Auslegungsregeln auf als solche einem Schriftformgebot unterliegende Vereinbarungen nach § 30 Abs 2 Z 13 MRG wird vom Beklagten selbst zutreffend hervorgehoben (vgl Dullinger in Rummel/Lukas, ABGB4 § 886 Rz 17 mwN) – nur dahin verstanden werden, dass sonstige Wohnungsgebrauchsrechte gemeint sind, wie es etwa bei einer Dienstbarkeit der Wohnung nach § 521 ABGB der Fall ist. Ein Verständnis dahingehend, dass der Beklagte verpflichtet wäre, etwa ein Pfandrecht an einer anderen Wohnung aufzugeben, wäre keine dem redlichen Verkehr entsprechende Auslegung. Im – hier gegebenen – Individualprozess ist die Auslegung nicht „im kundenfeindlichsten Sinn“ vorzunehmen, sondern es ist der Parteiwille nach den Grundsätzen der §§ 914, 915 ABGB zu ermitteln (RS0016590 [T32]). Das Auslegungsergebnis, dass das Kündigungsrecht des Vermieters daran geknüpft ist, dass der Mieter nicht innerhalb von sechs Monaten ab Vertragsbeginn bestehende Miet- oder sonstige Wohnungsgebrauchs-Rechte an einer anderen Wohnung nachweislich aufgegeben und auf Verlangen der Genossenschaft entsprechende Urkunden, wie Kündigungsschreiben oder Aufhebungsvereinbarungen, vorgelegt hat, ist mit dem Formzweck des § 30 Abs 2 Z 13 MRG – dem Mieter die Bedeutung einer solchen Vereinbarung besonders augenscheinlich zu machen und ihn vor Übereilung zu schützen (RS0070761) – vereinbar, weil der Anknüpfungspunkt des Kündigungsrechts des Vermieters nach objektiven Kriterien in der Klausel hinreichend angedeutet ist (vgl RS0118519: Andeutungstheorie).

6. Zumal zu Klauseln wie der vorliegenden bereits Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorhanden ist und die angefochtene Entscheidung mit diesen sowie den allgemeinen in der Rechtsprechung zu § 30 Abs 2 Z 13 MRG entwickelten Grundsätzen im Einklang steht, war mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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