OGH 9ObA50/19x

OGH9ObA50/19x15.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** B*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei D***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Partnerschaft Schuppich Sporn & Winischhofer Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei d***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hans Rant & Dr. Kurt Freyler Rechtsanwalt KG in Wien, wegen 5.400 EUR brutto sA und Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Februar 2019, GZ 8 Ra 9/19f‑19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00050.19X.0515.000

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.  Geht ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber über (Betriebsübergang), so tritt dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein (§ 3 Abs 1 AVRAG).

2.  In Rechtsprechung und Lehre ist anerkannt, dass Arbeitnehmer, die im Betrieb des Veräußerers zwar eingegliedert sind, nicht aber zum Veräußerer, sondern zu einem Dritten in arbeitsvertraglicher Beziehung stehen, bei Übergang des Betriebs des Veräußerers grundsätzlich nicht mit übergehen. Daher werden auch Leiharbeitnehmer von der Eintrittsautomatik in der Regel nicht erfasst, wenn nicht der Überlasserbetrieb, sondern bloß der Beschäftigerbetrieb übergeht (9 ObA 19/18m [Pkt 2.] mwN = RS0110829 [T3] = JAS 2019, 30 [34] [zust Schindler ]; Binder/Mair in Binder/Burger/Mair , AVRAG³ § 3 Rz 40; Holzer/Reissner , AVRAG² § 3 Erl 10; Gahleitner in ZellKomm 3 § 3 AVRAG Rz 38 ua).

3. 1. In der Rechtssache Albron (EuGH 21. 10. 2010, C-242/09 ), hat der EuGH entschieden, dass bei einem Betriebs‑(teil‑)übergang im Sinne der BetriebsübergangsRL 2001/23/EG eines einem Konzern angehörenden Unternehmens auf ein Unternehmen, das diesem Konzern nicht angehört, als „Veräußerer“ im Sinne von Art 2 Abs 1 lit a dieser Richtlinie auch ein Konzernunternehmen betrachtet werden kann, zu dem die Arbeitnehmer ständig abgestellt waren, ohne mit diesem durch einen Arbeitsvertrag verbunden gewesen zu sein, obwohl es in diesem Konzern ein Unternehmen gab, an das die betreffenden Arbeitnehmer durch einen Arbeitsvertrag gebunden waren (Rn 32).

3.2.  Der Senat hat bereits mit ausführlicher Begründung und Darlegung des Meinungsstands im Schrifttum betont, dass der Entscheidung in der Rechtssache Albron ein „atypischer Fall“ einer ständigen konzerninternen Überlassung von Arbeitnehmern zu Grunde lag. Erfolgt die Abstellung (innerhalb oder außerhalb eines Konzerns) hingegen nicht ständig, so wird beim Übergang einer wirtschaftlichen Einheit im Bereich des Beschäftigers die BetriebsübergangsRL nach Auffassung des EuGH nicht greifen. Insoweit muss es dann beim üblichen nationalen Verständnis bleiben, dass sich ein Betriebsübergang beim Beschäftiger nicht auf die dorthin bloß überlassenen Arbeitskräfte auswirkt (9 ObA 19/18m [Pkt 4.1. ff]).

4.  Ob ein mit der Rechtssache Albron vergleichbarer Sachverhalt einer ständigen Abstellung eines Arbeitnehmers an einen anderen Betrieb vorliegt, der im Falle des (Teil‑)Betriebsübergangs dieses Betriebs ausnahmsweise von der Eintrittsautomatik des § 3 Abs 1 AVRAG umfasst ist, hängt naturgemäß von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, deren Beurteilung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet. Dies ist auch hier nicht anders.

5.  Die Klägerin stand ab 5. 3. 2007 in einem Angestelltenverhältnis zur Nebenintervenientin. Bis 30. 9. 2012 war sie in der Rechnungskontrolle dieses Unternehmens beschäftigt. Ab 1. 10. 2012 wurde sie bei der H***** GmbH, einer Tochtergesellschaft der Nebenintervenientin, in der Abteilung Abrechnungskontrolle eingesetzt. Sie war dem Betrieb der H***** GmbH funktionell und organisatorisch zugeordnet, ausschließlich ihren jeweiligen Vorgesetzten bei der H***** GmbH gegenüber weisungsgebunden und auch in deren Personalkostenstelle erfasst. Die H***** GmbH schloss mit der Klägerin auch Zusatzvereinbarungen (zB Fortbildungsmaßnahmen) ab und stellte ihr im März 2017 ein Zwischenzeugnis aus. Während der gesamten Dauer ihres Dienstverhältnisses zur Nebenintervenientin (5. 3. 2007 bis 31. 3. 2018) war sie dort auch sozialversicherungsrechtlich gemeldet.

Die H***** GmbH war im Jahr 2012 von der Nebenintervenientin ausschließlich zur Bewirtschaftung von Zügen der Ö***** AG gegründet worden. Diese Bewirtschaftung führte die H***** GmbH aufgrund eines von der Nebenintervenientin mit der Ö***** AG abgeschlossenen Vertrags vom 1. 4. 2012 bis 31. 3. 2018 durch.

Seit 1. 4. 2018 wird nun diese Bewirtschaftung von der Beklagten durchgeführt, die nach einer öffentlichen Ausschreibung im Jahr 2017 den Zuschlag für diesen Auftrag erhielt. Mit dem Betriebsübergang auf die Beklagte übernahm diese 577 Mitarbeiter der H***** GmbH.

Die Beklagte vertritt den Standpunkt, dass das zwischen der Klägerin und der Nebenintervenientin bestehende Arbeitsvertragsverhältnis nicht von der H***** GmbH auf die Beklagte iSd § 3 AVRAG übergegangen sei, weshalb die Beklagte die Klägerin ab 1. 4. 2018 auch nicht weiter beschäftigte. Die Nebenintervenientin ihrerseits verweigert unter Berufung auf den Rechtsstandpunkt der Klägerin ebenfalls deren Weiterbeschäftigung.

6.  Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren der Klägerin auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses ab 1. 4. 2018 sowie auf Zahlung des Entgelts für die Monate April und Mai 2018 ab. Da die Klägerin rund fünf Jahre vor ihrer Überlassung an die H***** GmbH direkt bei der Nebenintervenientin tätig gewesen sei, könne hier nicht von einer ständigen Abstellung der Klägerin zur Beklagten gesprochen werden. Da überdies die Bewirtschaftung durch die H***** GmbH nur eine befristete (mit Ende der Auftragsvergabe bzw Neuausschreibung) gewesen sei, läge auch kein Fall vor, der mit dem der Rechtssache Albron zugrunde gelegenen besonderen Sachverhalt, vergleichbar sei.

7.1.  Eine korrekturbedürftig Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigen die außerordentlichen Revisionen der Klägerin und der Nebenintervenientin nicht auf. Ob für die Annahme einer „ständigen“ Abstellung des Arbeitnehmers zu einem anderen Unternehmen eine Abstellung an dieses Unternehmen während der gesamten Dauer des Arbeitsvertragsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erforderlich ist, kann hier dahingestellt bleiben. Im konkreten Fall führen die vom Berufungsgericht hervorgehobenen Aspekte, nämlich dass die Klägerin vor ihrer Überlassung an die die H***** GmbH rund fünf Jahre direkt bei der Nebenintervenientin tätig und die Bewirtschaftung durch die H***** GmbH nur eine befristete (mit Ende der Auftragsvergabe bzw Neuausschreibung) war, zur Beurteilung, dass die H***** GmbH hier nicht schon als „nichtvertraglicher“ Arbeitgeber der Klägerin und damit als Veräußerer im Sinn der BetriebsübergangsRL angesehen werden kann. Dass die Klägerin funktionell und organisatorisch der H***** GmbH zugeordnet und von deren Personalkostenstelle erfasst war, sind – entgegen der Annahme der außerordentlichen Revision der Klägerin – keine für die Arbeitskräfteüberlassung atypischen Umstände. Alleine die zeitlich gesehen lange Tätigkeit der Klägerin bei der H***** GmbH begründet ohne Hinzutreten weiterer Umstände, noch keine andere Beurteilung.

7.2.  Dieser Beurteilung steht auch die in der außerordentlichen Revision der Klägerin angesprochene Bestimmung des § 10 Abs 1a AÜG für mehr als vier Jahre andauernde Überlassungen nicht entgegen. § 10 Abs 1a AÜG wurde in Umsetzung der LeiharbeitsRL 2008/104/EG im Rahmen der AÜG-Novelle 2012, BGBl I 2012/98, in das nationale Recht eingefügt. Sie sieht betreffend der Einbindung in die betriebliche Altersvorsorge eine Gleichstellung überlassener Arbeitnehmer, die für mehr als vier Jahre an einen Beschäftiger überlassen werden, mit den Stammarbeitskräften des Beschäftigerbetriebs vor (RV 1903 BlgNR XXIV. GP  3). Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Betriebsübergang iSd § 3 AVRAG anzunehmen ist, hat diese Regelung aber nichts zu tun. Der Beschäftiger gilt zwar für die Dauer der (mehr als vierjährigen) Überlassung als Arbeitgeber im Sinne des BPG (RV 1903 BlgNR XXIV. GP  3). Damit soll jegliche für vergleichbare Stammbeschäftigte geltende Betriebspensionsregelung automatisch und ohne Abänderung auch die entsprechenden überlassenen Arbeitnehmer erfassen (vgl Schindler in ZellKomm³ § 10 AÜG Rz 31/2).

7.3.  Die weitere Auffassung von Schindler (JAS 2019, 30 [42]), bei einer Beschäftigungsdauer von mehr als vier Jahren führe der Übergang des Beschäftigerbetriebs in der Regel auch zu einem gänzlichen Wechsel des vertraglichen Arbeitgebers hin zum Erwerber, wird vom Senat nicht geteilt. Der EuGH hat seiner Entscheidung in der Rechtssache Albron nicht nur die lange Dauer der Tätigkeit des Arbeitnehmers beim „nichtvertraglichen“ Arbeitgeber zugrunde gelegt, sondern insbesondere auch den weiteren (besonderen) Umstand, dass innerhalb des niederländischen Konzerns Heineken International das gesamte Personal bei einem einzelnen Konzernunternehmen beschäftigt war, dieses als zentraler Arbeitgeber fungierte und das Personal zu den verschiedenen Betriebsgesellschaften des Heineken-Konzerns abstellte. Die Heineken Nederland, deren Aufgabe durch Vertrag an ein anderes Unternehmen namens Albron übertragen wurde, hatte also keinen einzigen eigenen Arbeitnehmer. Im vorliegenden Fall hatte die H***** GmbH aber eine große Zahl eigener Mitarbeiter, die auf die Beklagte übergingen.

8.  Die Einholung eines neuerlichen Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art 267 AEUV war nicht erforderlich, weil der EuGH bereits in der Rechtssache Albron die Grundsätze für die ausnahmsweise Bejahung des Beschäftigers als nichtvertraglichen Arbeitgeber im Sinn der BetriebsübergangsRL dargelegt hat. Ihre Anwendung auf den konkreten Einzelfall wirft hier keine Fragen auf, die neuerlich an den EuGH heranzutragen wären.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO sind die außerordentlichen Revisionen der Klägerin und der Nebenintervenientin zurückzuweisen.

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