OGH 10Ob30/19p

OGH10Ob30/19p7.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen D*, geboren * 2009, vertreten durch das Land Niederösterreich als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Melk, 3390 Melk, Abt Karl‑Straße 25a) wegen Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 23. Jänner 2019, GZ 23 R 6/19h‑52, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Melk vom 21. November 2018, GZ 22 Pu 194/16m‑42, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E125222

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die Ehe der Eltern des Kindes wurde im Juli 2016 einvernehmlich geschieden. Im Scheidungsvergleich vereinbarten die Eltern bei gemeinsamer Obsorge den Haushalt des Vaters als jenen der hauptsächlichen Betreuung sowie das unterhaltsrechtliche Betreuungsmodell. Das monatliche Nettoeinkommen der Mutter wurde mit 1.450 EUR, 14‑mal jährlich (1.692 EUR im Monatsdurchschnitt) beziffert.

Am 1. 3. 2017 beantragte der Vater die alleinige Obsorge sowie – ausgehend von dem im Scheidungsvergleich genannten Monatseinkommen von 1.692 EUR –, die Mutter ab 1. 8. 2016 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 300 EUR zu verpflichten. Die Mutter zeige seit Monaten kein Interesse mehr an der Tochter und hole sie lediglich sporadisch ab. Die Mutter äußerte sich innerhalb der gesetzten Frist (§ 17 AußStrG) nicht zum Antrag auf Unterhaltsfestsetzung, worauf das Erstgericht sie mit Beschluss vom 11. 4. 2017 (ON 3) ab 1. 8. 2016 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 300 EUR verpflichtete. Der Wiedereinsetzungsantrag der Mutter und ihr Rekurs blieben erfolglos. Nach der Aktenlage ist die Mutter, eine rumänische Staatsangehörige, bereits im Oktober 2017 in ihren Heimatstaat zurückgekehrt (AS 53, 55 iVm AS 67). Ihr dortiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Sie wird im Unterhaltsvorschussverfahren durch einen Zustellkurator vertreten.

Der Antrag des Kindes vom 24. 5. 2018 auf Gewährung von Titelvorschüssen ab 1. 5. 2018 (ON 17) wurde rechtskräftig abgewiesen (ON 34). Am 19. 9. 2018 übermittelte das Kind einen Antrag nach der europäischen Unterhaltsverordnung (EuUVO) und beantragte die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 3 UVG (ON 37, 38). Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 6. 11. 2018 (ON 39) rechtskräftig zurück.

Am 20. 11. 2018 beantragte das Kind die Gewährung von Titelvorschüssen nach § 4 Z 1 UVG in der Höhe von 300 EUR (ON 40).

Das Erstgericht gewährte nach §§ 3, 4 Z 1 UVG Titelvorschüsse von 300 EUR für den Zeitraum 1. 11. 2018 bis 31. 10. 2023.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien teilweise Folge und reduzierte die gewährten Unterhaltsvorschüsse auf 150 EUR monatlich. Es hielt den Unterhaltstitel im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG aufgrund der Rückkehr der Mutter in ihre rumänische Heimat für offenkundig überhöht und orientierte sich bei der Herabsetzung des Unterhaltsvorschusses an der seit Jänner 2019 vorgeschriebenen Indexierung österreichischer Familienbeihilfenbeträge an im Ausland lebende Kinder. Diese Indexierung berücksichtige das unterschiedliche Lohn‑ und Preisniveau in den einzelnen Mitgliedstaaten und könne analog herangezogen werden. Die auf Basis des § 8a Familienlastenausgleichsgesetz idF BGBl I 2018/83 erlassene Verordnung BGBl II 2018/318 setze für Rumänien einen Anpassungsfaktor von 0,493 fest. Danach reduziere sich der Titel von 300 EUR monatlich auf 147,90 EUR, gerundet auf 150 EUR bzw die Bemessungsgrundlage (das zuletzt in Österreich bezogene Arbeitseinkommen von 1.692 EUR) auf 834 EUR. Daraus errechne sich nach der Prozentwertmethode (18 %) der Unterhaltsanspruch mit rund 150,12 EUR.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage fehle, ob die Relationen bei der Indexierung der Familienbeihilfe analog für die Ermittlung des Lohn‑ und Preisniveaus herangezogen werden könnten.

Rechtliche Beurteilung

Der – nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Kindes ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1. Titelvorschüsse iSd §§ 3, 4 Z 1 UVG sind nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG idF des FamRÄG 2009 ganz oder teilweise zu versagen, wenn sich die materielle Unrichtigkeit des bestehenden Unterhaltstitels aus der Aktenlage ergibt (10 Ob 37/16p; 10 Ob 24/17b; RIS‑Justiz RS0076391 [T16]). Der aufgrund des Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll der jeweiligen materiellen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen (10 Ob 43/13s; RIS‑Justiz RS0076391 [T15]; Neumayr in Schwimann/Kodek I4 § 7 UVG Rz 1), um eine Belastung des Staats mit zu hohen, offensichtlich nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Unterhaltsvorschüssen zu verhindern (10 Ob 24/17b mwN).

2. Die Aktenlage rechtfertigt das vom Rekursgericht erzielte Ergebnis einer teilweisen Versagung der Titelvorschüsse.

2.1 Die Unterhaltsfestsetzung beruhte auf einer „Säumnisentscheidung“ im Sinn des § 17 AußStrG. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mutter wurde nach dem Inhalt des Unterhaltsfestsetzungsantrags vom 1. 3. 2017 beurteilt. Dieser verwies auf das im Scheidungsfolgenvergleich vom 11. 7. 2016 angegebene Nettoeinkommen der Mutter. Ein Nachweis darüber, ob bzw bis zu welchem Zeitpunkt die Mutter dieses Einkommen tatsächlich erzielt hat (bspw durch Vorlage einer Gehaltsbestätigung oder eines Lohnzettels) findet sich im Akt nicht. Dazu kommt, dass die Mutter bereits im Oktober 2017 in ihren Heimatstaat Rumänien zurückgekehrt ist. Dieser Mitgliedstaat hat im Vergleich zu Österreich (gerichts‑)notorisch ein wesentlich niedrigeres Einkommensniveau.

2.2 Wenn ein Unterhaltspflichtiger nicht zwecks Umgehung seiner Unterhaltspflicht in den Heimatstaat zurückkehrt, ist er nach der Rechtsprechung nicht auf das im ursprünglichen Beschäftigungsstaat, sondern auf das im Ausland erzielbare Einkommen anzuspannen (RIS‑Justiz RS0047599).

2.3 Diese Konsequenz zieht das Kind im Revisionsrekurs nicht in Zweifel. Bekämpft wird lediglich die Anpassung analog der als unionsrechtswidrig erachteten Indexierung der Familienbeihilfe.

2.4 Die Zweifel an der analogen Anwendung der Bestimmungen über die Indexierung der Familienbeihilfe erscheinen berechtigt. Die Familienbeihilfe ist ein fixer Betrag, der unabhängig von den Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen der Eltern bzw des bezugsberechtigen Elternteils gestaffelt nach dem Alter des Kindes ausgezahlt wird. Diese staatliche Transferleistung soll nach der Rechtsprechung (unter anderem) die Pflege und Erziehung des Kindes als Zuschuss erleichtern und die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen – zumindest zum Teil – ausgleichen (8 Ob 27/09t, RS0047813 [T5]; RS0119332). Für die Bemessung der privatrechtlichen Geldunterhaltspflicht ist hingegen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen neben den Bedürfnissen des unterhaltsberechtigen Kindes der entscheidende Faktor. Die im Revisionsrekurs angesprochenen und dem Zulassungsausspruch zugrunde gelegten Fragen müssen hier aber nicht abschließend geprüft und beantwortet werden:

2.5 Die Anspannung darf nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muss immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgte, und der Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage erzielen könnte (RS0047579 [T1]). Der Anspannungsgrundsatz ist nur dann anzuwenden, wenn ausreichende, beweismäßig erfassbare Fakten für die Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners vorhanden sind (Neumayr in Schwimann/Kodek ABGB4 I § 7 Rz 30).

2.6 Als das Kind den Antrag auf Gewährung von Titelvorschüssen (neuerlich) einbrachte, waren dem KJHT die im Oktober 2017 erfolgte Rückkehr nach Rumänien und der unbekannte Aufenthaltsort der Mutter bekannt. Der Antrag verweist auf den Unterhaltstitel und die Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung, bringt aber zu dem in Rumänien erzielbaren Einkommen und die dafür maßgeblichen Umstände, wie beispielsweise Ausbildung der Mutter und Lohnniveau nichts vor.

Das Kind hätte in dieser besonderen Konstellation bereits in seinem Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen Tatsachen geltend machen müssen, die den Schluss auf die Anspannbarkeit des Unterhaltsschuldners zulassen, weil nach der Rückkehr der Mutter nach Rumänien das dem Titel zugrundegelegte Einkommen evidentermaßen nicht mehr erzielbar war (vgl 10 Ob 33/17a).

2.7 Das Kind hat somit die Voraussetzungen für die Anspannung der im Oktober 2017 nach Rumänien zurückgekehrten Mutter auf das der Unterhaltsbemessung im April 2017 zugrunde gelegte, in Österreich erzielte, Nettoeinkommen in Höhe von 1.692 EUR monatlich in seiner Erklärung nach § 11 Abs 2 UVG nicht bescheinigt. Dies rechtfertigt nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG eine Versagung der Unterhaltsvorschüsse, die im vorliegenden Fall – vom Bund unbekämpft – auf die Hälfte reduziert wurden.

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