OGH 10Ob4/19i

OGH10Ob4/19i7.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann, Mag. Ziegelbauer und Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. W*****, und 2. B*****, beide vertreten durch Dr. Ing. Andreas Pascher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Anlegerentschädigung von Wertpapierfirmen GmbH, 1040 Wien, Rainergasse 31/8, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 16.160 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2018, GZ 5 R 36/18b‑14, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11. Dezember 2017, GZ 51 Cg 64/17v‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00004.19I.0507.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.292,50 EUR (darin enthalten 215,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Beklagte ist die gesetzliche Entschädigungseinrichtung nach § 75 WAG 2007. Die ***** I***** AG (I-AG) war als konzessioniertes Wertpapierdienstleistungsunternehmen („Wertpapierfirma“) von 1993 bis zu ihrem Ausschluss 2008 Mitglied der Beklagten, die ***** G***** AG (G-AG) dagegen nie. Über beide Unternehmen wurde am 4. 5. 2010 der Konkurs eröffnet.

Die Kläger, die von der G-AG emittierte Genussscheine an der Börse über Kreditinstitute erworben haben, begehren nach § 75 Abs 3 WAG 2007 eine Anlegerentschädigung.

Das Erstgericht wies die Klage als unschlüssig ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision zu, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe, ob der Erwerb von Genussscheinen über die Börse eine Anlegerentschädigung ausschließe.

Rechtliche Beurteilung

Die – beantwortete – Revision der Kläger ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

1. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst zu 1 Ob 117/18i mit ausführlicher, Lehre und Rechtsprechung darstellender Begründung jene Rechtsfragen, die sich bei einem – in den relevanten Punkten – identischen anspruchsbegründenden Vorbringen zum Erwerb von Genussscheinen über die Börse (Sekundärmarkt) auch hier stellen, (zusammengefasst) wie folgt beantwortet:

1.1 Dem Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, ob der I-AG der Kaufpreis entweder unmittelbar oder mittelbar über die G-AG zugeflossen ist. Das von den Klägern als anspruchsbegründend angenommene konzessionswidrige Halten von Kundengeldern kommt von vornherein nicht in Betracht.

1.2 Selbst im Fall eines derartigen Zuflusses besteht kein Entschädigungsanspruch. Die Kläger, die ihre Genussscheine am Sekundärmarkt und nicht im Zuge der Emission durch die G-AG erworben haben, konnten nicht darauf vertrauen, mit dem Mitglied einer Entschädigungseinrichtung nach § 75 Abs 1 WAG 2007 zu kontrahieren und im Fall der Schädigung durch eine von einem Mitglied erbrachte Wertpapierdienstleistung abgesichert zu sein. Damit besteht kein schutzwürdiges Interesse an einer Entschädigung.

1.3 Der Entschädigungsanspruch scheitert primär daran, dass den Klägern (wie § 75 Abs 3 WAG voraussetzt) gegenüber der I-AG keine (Rückzahlungs-)Forderung aus einer Wertpapierdienstleistung zusteht. Die Kläger haben sich bewusst gegen eine Vermittlung durch die I-AG und für den Erwerb an der Börse entschieden. Das Vorbringen, die I-AG habe die Wertpapierdientsleistung des Loroemissionsgeschäfts erbracht, indem sie die Genussscheine gegen Provision an der Börse platzierte, ist eine unzulässige Neuerung. Ansprüche aus einer – zudem nur in erster Instanz behaupteten und in der Berufung nicht mehr aufgegriffenen – Anlageberatung sind von der Anlegerentschädigung nicht gedeckt.

1.4 Eine „Wertpapierfirma“ haftet nur unter den Voraussetzungen des § 75 Abs 3 WAG. Diese Bestimmung bietet jedoch keinen allgemeinen Schutz gegen „Betrügereien“ jeglicher Art.

1.5 Das nach der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger (AE-RL) zu schützende Vertrauen der Anleger beim Vertragsabschluss mit einem Mitglied einer Entschädigungseinrichtung besteht bei einem Erwerb über die Börse, bei dem der Verkäufer nicht von vornherein bekannt ist, nicht. Ungeklärte, für diesen Fall relevante unionsrechtliche Fragen liegen nicht vor. Der Anregung auf Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens ist nicht beizutreten.

2. Diese Grundsätze sind auch hier anzuwenden. Eine erhebliche Rechtsfrage stellt sich nicht mehr. Die Revision ist somit zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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