OGH 10Ob20/19t

OGH10Ob20/19t7.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H***** und 2. F*****, beide vertreten durch Dr. Zsizsik & Dr. Prattes Rechtsanwälte OG in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei DI B*****, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 100.422,20 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 8. Jänner 2019, GZ 2 R 189/18h‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 12. April 2018, GZ 4 Cg 6/18s‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00020.19T.0507.000

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Im Jahr 2004 errichtete eine GmbH (im Folgenden Unternehmerin) auf einer Liegenschaft eine Stützmauer aus unvermörtelten geschlichteten Natursteinen (Steinschlichtung). Mit Kaufvertrag vom 13. 2. 2008 verkaufte der Eigentümer den Klägern die Liegenschaft mit sämtlichen Rechten und Pflichten. Am 2. 5. 2013 trat er ihnen „sämtliche Ansprüche betreffend die Steinschlichtung“ ab.

Der Zweitkläger ist geschäftsführender Alleingesellschafter einer GmbH. Diese beauftragte den Beklagten, die Standsicherheit und Beschaffenheit der Steinschlichtung zu prüfen. Anlässlich der Begehungen am 26. 3. sowie am 4. 4. 2008 teilte der Beklagte dem Zweitkläger mit, dass einzelne Steine der frostsicher herzustellenden Steinschlichtung nicht frostbeständig seien und sich dadurch die Standsicherheit verkürze. Diesen Inhalt hatte das Gutachten des Beklagten vom 7. 4. 2008. Aufgrund dieses Gutachtens sanierte die Unternehmerin die Steinschlichtung vom 20. bis 23. 4. 2008. Die Steinmauer wurde abgetragen und neu aufgebaut, wobei alte unbeschädigte und neue Steine verwendet wurden.

Am 23. 4. 2008 nahm der Beklagte diese Sanierungsarbeiten ab. Dabei waren der Verkäufer, der Zweitkläger sowie ein Verantwortlicher der Unternehmerin anwesend. Der Beklagte hielt in seiner Niederschrift fest, dass keine offenkundigen Mängel festgestellt wurden und derzeit mit Ausnahme des hinter der Regalhalle zu entfernenden abgestürzten Steinmaterials keine Mängel ersichtlich waren.

Als Ende 2011 wieder Risse an den Steinen auftraten, nahm der Beklagte neuerlich eine Begutachtung vor. In seinem Gutachten vom 17. 8. 2012 stellte er nicht frostbeständige geborstene Steine, luftseitige Ausschwemmungen und Steinverdrückungen, eine verbandswidrige Verlegung mit vertikal durchgehenden Fugen, eine fehlende Drainage erdseitig und „keine Doppelverlegung laut statischer Berechnung“ fest. Diese Mängel waren bereits nach der Sanierung im April 2008 erkennbar gewesen. Der Beklagte wies die Kläger erst im August 2012 auf die Mängel hin.

Die Kläger brachten im Jahr 2013 eine auf Gewährleistung und Schadenersatz gestützte Klage gegen die Unternehmerin ein. Sie verkündeten dem Beklagten im November 2013 den Streit. Der Beklagte trat dem Verfahren als Nebenintervenient auf Seiten der Kläger bei. Das Klagebegehren wurde (wegen Verjährung der Ansprüche) mit Urteil vom 13. 6. 2016 abgewiesen.

Die Kläger begehren mit ihrer am 16. 1. 2018 eingebrachten Klage Schadenersatz von 100.422,20 EUR (75 % des behaupteten Gesamtschadens aus der Sanierung der Steinmauer, Kosten des Vorprozesses und Kreditkosten). Sie rechnen sich wegen der Kenntnis von der Verwendung nicht frostbeständiger Steine ein Mitverschulden von einem Viertel zu. Die Kläger hätten den Beklagten beauftragt, die Sanierungsarbeiten abzunehmen. Der Beklagte habe es im Jahr 2008 unterlassen, auf die bereits damals erkennbaren Mängel der Steinschlichtung hinzuweisen. Er hafte für die Fehlbegutachtung und die schuldhafte Verletzung von Aufklärungspflichten. Die unrichtige Begutachtung sei erst durch das im Vorprozess eingeholte Gutachten vom 5. 6. 2015 erkennbar gewesen. Eine Erkundigungsobliegenheit der Kläger als Konsumenten und Auftraggeber der Begutachtung im Jahr 2012 habe nicht bestanden.

Der Beklagte wendete mangelnde Aktivlegitimation der Kläger ein. Auftraggeber sei nur die GmbH gewesen. Die Schadenersatzforderung sei verjährt. Den Klägern seien die Verwendung nicht frostbeständiger Steine seit 2008 und das Vorliegen aller Mängel seit 2012 bekannt gewesen. Sie hätten ihre Erkundigungsobliegenheit verletzt, weil der Beklagte bei seinen Untersuchungen 2008 und 2012 zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sei. Die Kenntnis von der Verwendung nicht frostbeständiger Steine sei nicht als Mitverschulden, sondern im Rahmen der Teilung des Schadens zu berücksichtigen. Auf die Verwendung nicht frostbeständiger Steine entfielen zumindest 60 % des Schadens. Die Führung des Vorprozesses sei aussichtslos gewesen, weil die beklagte Unternehmerin passiv nicht legitimiert gewesen sei. Die Kläger hätten die Berufung des Beklagten (Nebenintervenient) zurückgezogen und damit treuwidrig dessen rechtliches Gehör verletzt, weshalb das Ergebnis des Vorprozesses nicht bindend sei. Dieser Verfahrensschritt verletze die Schadensminderungspflicht, weil die Berufung erfolgreich gewesen wäre. Die rechtliche Beurteilung, die Erkennbarkeit des Mangels für den Sachverständigen den Klägern zuzurechnen, sei nämlich unrichtig gewesen. Die Kosten der Ersatzvornahme seien überhöht. Kompensando wendete der Beklagte die Kosten der Nebenintervention im Vorprozess und eine offene Honorarforderung ein.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren nach § 189 Abs 1 ZPO auf die Frage der Verjährung ein (ON 9 S 2), bejahte deren Eintritt und wies das Klagebegehren ab. Aufgrund der im Gutachten 2012 aufgelisteten Mängel betreffend die Verlegungsart sei die Fehlbegutachtung im Jahr 2008 auch für Laien klar erkennbar gewesen. Die Kläger seien daher nach Erstattung des zweiten Gutachtens im Jahr 2012 verpflichtet gewesen, zu erkunden, warum der Beklagte im Jahr 2008 eine Mängelfreiheit der Steinschlichtung, bei der Begutachtung im Jahr 2012 hingegen eine Frostunbeständigkeit der Steine bescheinigt habe. Dazu bedürfe es keines, zudem auch zumutbaren, Sachverständigengutachtens, sondern nur der Klärung der Frage, ob die Frostbeständigkeit von Steinen vor einer Verlegung geprüft werden könne. Dies sei zwar grundsätzlich auch Laien bekannt, bedürfe aber ansonsten nur einer kurzen Anfrage bei einem Ziviltechniker oder einem Fachgeschäft.

Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht zur Verletzung einer Erkundigungsobliegenheit, gab der Berufung der Kläger nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die – nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof – beantwortete außerordentliche Revision der Kläger ist zulässig, weil die Vorinstanzen das Ausmaß der Erkundigungsobliegenheit eines Geschädigten verkannt und damit die Verjährungsfrage unrichtig gelöst haben. Sie ist im Sinn der Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen auch berechtigt.

1. Bei der Frage des Ausmaßes der Erkundigungsobliegenheit (Erkundungspflicht) des Geschädigten zu den Voraussetzungen einer erfolgreichen Verfolgung seines Schadenersatzanspruchs kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS‑Justiz RS0113916). Die Obliegenheit darf aber nicht überspannt werden (RS0034327; RS0034524 [T48]; RS0034603 [T22]). Die herrschende Ansicht verneint im Allgemeinen eine Verpflichtung zur Einholung eines Privatgutachtens ( M. Bydlinski in Rummel ³ § 1489 ABGB Rz 3; Dehn in KBB 5 § 1489 ABGB Rz 3 jeweils mwN; 3 Ob 143/12v; RS0034327 [T2]; RS0034524 [T19]) und bejaht sie nur in besonderen Einzelfällen (RS0034327 [T3, T10, T11, T26]; RS0113916 [T4]). Wenn der Geschädigte Laie ist und die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und – bei verschuldensabhängiger Haftung – die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden begründen, Fachwissen voraussetzt, beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn der Geschädigte durch ein Sachverständigengutachten Einblick in die Zusammenhänge erlangt hat (RS0034603 [T23]; vgl RS0113727; 3 Ob 143/12v).

2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen bestätigte der beklagte Sachverständige in einer Niederschrift vom 23. 4. 2008, dass die Steinschlichtung nach Sanierung durch das offenbar vom damaligen Liegenschaftseigentümer mit der Errichtung beauftragte Unternehmen – mit einer hier nicht interessierenden Ausnahme – mängelfrei war. In seinem der Sanierung vorangehenden Gutachten vom 7. 4. 2008 hatte er nur die fehlende Frostbeständigkeit einzelner Steine bemängelt. Nachdem Ende 2011 wieder Risse an den Steinen aufgetreten waren, stellte der Beklagte in seinem Gutachten vom 17. 8. 2012 nicht frostbeständige gebrochene Steine sowie mehrere grundlegende Verlegungsfehler fest.

3. Die Kläger leiten ihren Schadenersatzanspruch (Verlust von Gewährleistungsansprüchen gegen das errichtende bzw sanierende Unternehmen) aus einer Fehlbegutachtung anlässlich der Abnahme der Sanierungsarbeiten am 23. 4. 2008 ab.

4. Die Divergenz der beiden Gutachten legt in Verbindung mit dem Auftreten eines Mangels im Jahr 2011 zweifellos auch aus Sicht eines Laien die Erkenntnis nahe, dass die Einschätzung des Beklagten vom April 2008 über die Mängelfreiheit der Steinschlichtung nach Sanierung unrichtig war. Entscheidend für einen Schadenersatzanspruch der Kläger ist jedoch, ob der Sachverständige mit dieser Begutachtung den objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB, der durch die typischen und nach objektiven Kriterien bestimmten Fähigkeiten eines Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises bestimmt wird (RS0026541 [T1]; RS0026535 [T4]), verletzt hat. Die Kläger konnten als Laien schwer einschätzen, ob ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet des Beklagten (nach dem Gutachten vom 7. 4. 2008: Zivilingenieur für das gesamte Bauwesen [Beilage ./E]) die letztlich im Gutachten aus dem Jahr 2012 festgehaltenen Mängel bereits bei der Begutachtung 2008 erkennen musste. Die in der Revision geäußerten Zweifel an der Beurteilung des Berufungsgerichts, die Kläger hätten die Fehlbegutachtung ohne nennenswerte Mühe durch eine kurze Nachfrage in einem Fachgeschäft (welcher Art?) aufdecken können, sind berechtigt. Es ging nicht nur um die Verwendung ungeeigneten, nicht frostbeständigen Materials, sondern um die Beurteilung von (sachgemäßer) Verlegung und Statik aus sachverständiger Sicht. Die Erkennbarkeit der trotz Sanierung durch Wiederaufbau vorhandenen Mängel wurde erst im Juni 2015 durch das im Vorprozess eingeholte Sachverständigengutachten eines Geologen (Beilage ./A) geklärt. Berechnet ab dem Zeitpunkt der Zustellung dieses Sachverständigengutachtens war die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 erster Satz ABGB bei Einbringung der Klage im Jänner 2018 noch nicht abgelaufen. Verjährung ist damit nicht eingetreten.

5. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Berechtigung des eingeklagten Schadenersatzanspruchs (zB die Aktivlegitimation und Kausalität der Fehlbegutachtung für den behaupteten Verlust von Ansprüchen der Kläger) zu prüfen haben.

6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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