European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E124927
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
In EZ * KG * ist beim Hälfteanteil B‑LNR 2 aufgrund eines in der Verlassenschaftssache nach der früheren Eigentümerin ergangenen Beschlusses des Verlassenschaftsgerichts die Herrenlosigkeit eingetragen. An diesem Hälfteanteil ist aufgrund entsprechender Aneignungserklärungen unter B‑LNR 2e das Eigentumsrecht für einen am Verfahren nicht beteiligten Dritten und unter B‑LNR 2f das Eigentumsrecht für die Antragstellerin vorgemerkt.
Die Antragstellerin beantragte unter Berufung auf eine Aneignungsurkunde samt Nachtrag vom 6. 10. 2017 (und unter Vorlage einer Bescheinigung der Grundverkehrsbehörde) die Einverleibung ihres Eigentumsrechts an diesem Hälfteanteil B‑LNR 2.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die Dereliktion eines Miteigentumsanteils sei unzulässig. Der beantragten Aneignung fehle daher die Grundlage. Zudem sei unter B‑LNR 2e vorrangig das Eigentumsrecht für einen Dritten vorgemerkt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Die Dereliktion von schlichten Miteigentumsanteilen sei nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und einem Teil der Lehre unzulässig. Hier gehe es zwar nicht um die Dereliktion, sondern um die Aneignung eines Miteigentumsanteils, bei dem die Herrenlosigkeit eingetragen sei. Dafür seien aber dieselben Grundsätze heranzuziehen, auch wenn seinerzeit die Eintragung der Herrenlosigkeit auf dem Hälfteanteil bewilligt worden sei. Es treffe zwar zu, dass es bei mehreren Prätendenten darauf ankomme, wann das Gesuch beim Grundbuchsgericht eingelangt sei. Dies sei aber im Sinn des § 440 ABGB zu verstehen und werde auch durch § 49 Abs 2 GBG relativiert (Löschung der Folgeeintragungen im Fall der Rechtfertigung der Vormerkung).
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil es zwar der Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Dereliktion von Miteigentumsanteilen folgte, dieser Ansicht sei aber in der Literatur teilweise entgegengetreten worden. Davon abgesehen, gehe es hier um eine „Folgeentscheidung“, nämlich die Aneignung eines derelinquierten Miteigentumsanteils.
Dagegen richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin, mit dem sie die Bewilligung ihres Grundbuchsgesuchs anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1. Gemäß § 94 Abs 1 GBG hat das Grundbuchsgericht das Ansuchen und dessen Beilagen einer genauen Prüfung zu unterziehen. Es darf eine grundbücherliche Eintragung unter anderem nur dann bewilligen, wenn aus dem Grundbuch in Ansehung der Liegenschaft oder des Rechts kein Hindernis gegen die begehrte Eintragung hervorgeht (§ 94 Abs 1 Z 1 GBG).
2.1. Die Dereliktion von (bloßen) Miteigentumsanteilen ist nach 5 Ob 105/11v – gleich der Dereliktion von Wohnungseigentum (5 Ob 197/02k) – unzulässig und nicht verbücherungsfähig. Gemäß dieser zwar bisher einzigen, aber ausführlich begründeten Entscheidung ist der tragende Grund dafür der Umstand, dass (auch) schlichte Miteigentümer einer Liegenschaft in Rechtsgemeinschaft stehen und die Teilhaber aufgrund des gesetzlichen Schuldverhältnisses eine Treuepflicht trifft. Die gemeinschaftlichen Nutzen und Lasten werden gemäß § 839 ABGB nach dem Verhältnis der Anteile ausgemessen. Ließe man die Dereliktion von Miteigentumsanteilen zu, müssten die auf die derelinquierten Anteile, die den übrigen Miteigentümern nicht zuwachsen, entfallenden Lasten von den übrigen Miteigentümern, die sich gegen die Dereliktion nicht zur Wehr setzen können, getragen werden. Ebenso wie bei Wohnungseigentum ist auch bei schlichtem Miteigentum ein einseitiger Austritt unter Preisgabe des Miteigentumsanteils im Gesetz nicht vorgesehen. Vielmehr muss der Miteigentümer, der die Gemeinschaft nicht aufrecht erhalten will, gemäß § 830 ABGB die Aufhebung durch Teilungsklage verlangen. Der Gesetzgeber kennt somit auch bei schlichtem Miteigentum ein Ausscheiden eines Miteigentümers durch einseitigen Austritt aus der Gemeinschaft nicht. Wegen des auch bei schlichtem Miteigentum tragfähigen Arguments, dass sich ein Miteigentümer nicht durch einseitigen Austritt aus der Miteigentumsgemeinschaft unter Preisgabe des Miteigentumsanteils seiner im Privatrecht begründeten Pflichten gegenüber den übrigen Miteigentümern entledigen können soll, kommt eine Dereliktion schlichter Miteigentumsanteile daher grundsätzlich nicht in Betracht. Darauf, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich die Interessen der übrigen Miteigentümer beeinträchtigt werden könnten, kann es nicht ankommen (5 Ob 105/11v = RIS‑Justiz RS0127215, RS0110725 [T2]).
2.2. Die Entscheidung 5 Ob 105/11v wurde im Schrifttum überwiegend zustimmend oder ohne Kritik übernommen (vgl etwa Hausmann, Glosse zu 5 Ob 105/11v, wobl 2012/15; Neugebauer‑Herl, Glosse zu 5 Ob 105/11v, immolex 2012/31; Rassi in Kodek, Grundbuchsrecht2 § 10 GBG Rz 48; ders, Grundbuchsrecht2 Rz 232; Feil/Friedl in Feil/Friedl/Bayer, GBG § 4 Rz 57; Mader in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 387 Rz 2 f; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB4 § 387 Rz 1; Winner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 387 ABGB Rz 3 [anders Rz 4 der Vorauflage]; Eccher/Riss in KBB5 § 387 Rz 1 [anders Rz 1 der Vorauflage]; Krenn,Die überschuldete oder wertlose Liegenschaft im Nachlass – Wege zu deren Verwertung, RZ 2017, 36 [41]).
2.3. Abgelehnt wurde diese Entscheidung hingegen von Eccher (Glosse zu 5 Ob 105/11v, JBl 2012, 247) und Hoyer (Glosse zu 5 Ob 105/11v, NZ 2012/789). Deren Kritik bietet jedoch keinen Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Beide Autoren verweisen zum einen auf § 362 ABGB, aus dem sich in Verbindung mit den §§ 361 und 363 ABGB eine grundsätzlich unbeschränkte Verfügungsmöglichkeit des Miteigentümers über den Miteigentumsanteil und damit auch das Dereliktionsrecht ergebe. Zwar schließt der Wortlaut des § 362 ABGB die Dereliktion eines Miteigentumsanteils tatsächlich nicht aus. Wenn allerdings eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und sie sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt wäre (vgl RIS‑Justiz RS0008979), ist die gesetzliche Vorschrift entsprechend teleologisch zu reduzieren. Die teleologische Reduktion setzt die ratio legis gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut durch, indem sich die (letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende) Auslegung am Gesetzeszweck orientiert (RIS‑Justiz RS0008979 [T9]). In diesem Sinn gehen auch Eccher und Hoyer zwar von der Unmöglichkeit der Dereliktion von Wohnungseigentum aus, die Dereliktion von bloßen Miteigentumsanteilen könne aber nicht gleich behandelt werden; dies jeweils mit der Begründung, dass – zusammengefasst – im schlichten Miteigentum kein so enges, (auch) mit Pflichten verbundenes, nicht einseitig aufhebbares Gemeinschaftsverhältnis bestehe, dass es mit der Mitgliedschaft im Personenverband der Eigentümergemeinschaft vergleichbar wäre. Das ergebe sich vor allem aus dem im Wohnungseigentum ausgeschlossen Teilungsanspruch des Miteigentümers nach § 830 ABGB. Die Aufhebung der Miteigentumsgemeinschaft führt aber gerade nicht zu einem der Herrenlosigkeit auch nur ähnlichen Zustand. Anders als im Fall der Dereliktion kommt es also zu keinem einseitigen Ausscheiden des Miteigentümers ohne Anteilsübertragung an einen Rechtsnachfolger.
3.1. Die unzulässige Dereliktion von (bloßen) Miteigentumsanteilen ist nicht verbücherungsfähig. Die hier dennoch erfolgte Eintragung der Herrenlosigkeit des Miteigentumsanteils hätte daher ihres Gegenstands wegen nicht stattfinden dürfen. Eine derartige grundbuchswidrige Eintragung ist mit unheilbarer Nichtigkeit behaftet; sie zieht auf keinen Fall Rechtswirkungen nach sich, auch nicht gutgläubigen Dritten gegenüber (RIS‑Justiz RS0060300 [T4, T5]). Die nichtige Eintragung ist nach § 130 GBG amtswegig zu löschen (RIS‑Justiz RS0060300 [T7]; vgl auch RS0020445). Diese Konsequenz übersieht die Antragstellerin, wenn sie in ihrem Revisionsrekurs für die Zulässigkeit einer Aneignung ins Treffen führt, dass andernfalls ein einmal für herrenlos erklärter Liegenschaftsanteil dem Rechtsverkehr gänzlich entzogen wäre.
3.2. Infolge unheilbarer Nichtigkeit und Rechtsunwirksamkeit der grundbuchswidrigen Eintragung der Herrenlosigkeit kommt die Aneignung des Miteigentumsanteils (durch wen auch immer) nicht in Betracht. Die Vorinstanzen haben das Grundbuchsgesuch daher zu Recht abgewiesen.
4. Da die Antragstellung nicht erfolgreich wiederholt werden kann, ist die Prüfung allfälliger weiterer Abweisungsgründe nicht mehr erforderlich (RIS‑Justiz RS0060544).
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