European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00119.18V.1218.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Wahrsprüchen
- zur Hauptfrage 1 betreffend den Angeklagten Magomed D*****,
- zur Hauptfrage 7 betreffend den Angeklagten Shlirim K***** und
- zur Hauptfrage 10 betreffend den Angeklagten Ubeyd S*****,
in dem darauf beruhenden, diese Angeklagten betreffenden Schuldspruch 1./a./ wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB, demzufolge auch in den diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen), sowie hinsichtlich des Angeklagten Shlirim K***** im Unterbleiben einer Beschlussfassung betreffend den Widerruf der zu AZ 3 U 39/18m des Bezirksgerichts K***** gewährten bedingten Strafnachsicht aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck als Jugendgeschworenengericht verwiesen.
Auf den kassatorischen Teil dieser Entscheidung werden die Angeklagten Shlirim K***** und Ubeyd S***** mit ihren Berufungen, der Angeklagte Magomed D***** mit seiner Berufung und seiner Beschwerde sowie die Staatsanwaltschaft mit dem auf diese Angeklagten entfallenden Teil ihrer Berufung und mit ihrer den Angeklagten Shlirim K***** betreffenden Beschwerde verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden im Übrigen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden Magomed D*****, Shkelqim K*****, Shlirim K*****, Ubeyd S***** und Tunahan E***** jeweils der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (I./a./ und b./) und des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach haben sie am 17. März 2018 in K***** in einverständlichem Zusammenwirken
I./ Personen mit Gewalt (I./b./) und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB – I./a./) sowie unter Verwendung von Waffen fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht, und zwar:
a./ Lukas B***** Bargeld und Zigaretten, indem sich Shkelqim K***** vor dem Opfer „aufbaute“ (dh eine drohende Position einnahm), Tunahan E***** zeitgleich mit einem kaputten Regenschirm bzw dessen Stange vor diesem gestikulierte („herumfuchtelte“) und „sich die anderen Angeklagten im unmittelbaren räumlichen Nahbereich aufhielten“;
b./ Markus Ko***** vorzufindende Wertgegenstände durch Versetzen massiver Schläge gegen Kopf und Körper mittels einer Metallstange und der Metallstange (Griff und Stock) eines kaputten Regenschirms, sowie dadurch, dass sie massiv auf dessen Kopf und Körper mit den Fäusten einschlugen und mit den Füßen eintraten, wobei Magomed D***** auch eine um die Faust gewickelte Metallkette verwendete, wodurch der Genannte eine mehrfache Schädelkalottenfraktur des Hinterhauptes bei vorbestehend ausgedünntem Hinterhauptknochen, Einblutungen der harten Hirnhaut, ein posttraumatisches Blutgerinnsel in den venösen Hinterleitern, Quetsch-Rissverletzungen der Kopfschwarte, ein Hämatom am linken Oberarm sowie Hautabschürfungen am rechten Handballen und über beiden Kniegelenken, damit eine an sich schwere Körperverletzung verbunden mit einer über 24 Tage andauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit erlitt;
II./ durch die zu I./b./ beschriebenen Tätlichkeiten Markus Ko***** vorsätzlich zu töten versucht.
Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten aus § 345 Abs 1 StPO, die Magomed D***** und Tunahan E***** jeweils auf Z 6 und Z 12 sowie Shlirim K***** und Ubeyd S***** jeweils auf Z 6 der genannten Bestimmung stützen. Sie schlagen fehl, geben aber Anlass zu amtswegigem Vorgehen.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Shlirim K*****:
Soweit die Fragenrüge (Z 6) die Stellung einer „Eventualfrage“ (richtig: uneigentlichen Zusatzfrage; vgl § 316 StPO) zur Hauptfrage 7 (Raubvorwurf zum Nachteil des Lukas B*****) in Richtung „minderschweren“ Raubes (§ 142 Abs 2 StGB) vermisst, geht sie daran vorbei, dass die genannte Vorschrift keine Privilegierung zu schwerem Raub (§ 143 Abs 1 StGB) darstellt (vgl Kienapfel/Schmoller StudB BT II2 § 142 Rz 96). Die begehrte Zusatzfrage käme daher nur im Anschluss an eine – vom Beschwerdeführer jedoch unbeanstandet unterbliebene – Fragestellung in Richtung (unqualifiziertem) Raub iSd § 142 Abs 1 StGB in Betracht (vgl RIS-Justiz RS0094300 [T2], RS0122944).
Hinsichtlich des Wahrspruchs zur Hauptfrage 8 wendet der Rechtsmittelwerber ein, dass vor allem seine eigene Verantwortung in der Hauptverhandlung die Stellung einer Zusatzfrage in Richtung Rücktritts vom (Raub-)Versuch (§ 16 StGB) zum Nachteil des Markus Ko***** (Schuldspruch I./b./) erfordert hätte. Danach sei er, als er im Zuge der Gewalttätigkeiten Blut an den Händen und Füßen seiner Mitangeklagten wahrgenommen habe, geschockt gewesen und habe geschrien: „Hauen wir ab!“. In der Folge seien sie alle davongelaufen (vgl ON 147 AS 40, 45).
Weshalb diese – allein die bloße Aufgabe weiterer Tatausführung thematisierende – Einlassung des Angeklagten ein Indiz für die gemäß § 16 StGB erforderliche Freiwilligkeit darstellen sollte, gibt der Beschwerdeführer jedoch nicht bekannt (vgl RIS-Justiz RS0100677 [T4]). Zu einem diesbezüglichen Vorbringen wäre er aber angesichts eine solche Motivationslage in Frage stellender Verfahrensergebnisse umso mehr verpflichtet gewesen. Diesen zufolge seien Hilfe- und Schmerzensschreie des Opfers und die damit verbundene Furcht vor einem Einschreiten der Polizei für die Beendigung der Tatausführung ausschlaggebend gewesen (vgl ON 76 AS 93, AS 195; ON 147 AS 13, AS 19, AS 27, AS 36).
Aus welchem Grund Beweisresultate, wonach der Angeklagte „mit den Schlägen begonnen habe“, die Stellung einer Eventualfrage in Richtung § 91 Abs 2 StGB zur Hauptfrage 8 erfordert hätten, macht der Rechtsmittelwerber mit seinem pauschalen Einwand, wonach insoweit eine „neue Situation“ entstanden sei, nicht deutlich.
Zu den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Magomed D***** und Tunahan E*****:
Die Nichtigkeitsbeschwerden dieser beiden Angeklagten konnten im Hinblick auf das sinngleiche Rechtsmittelvorbringen unter einem erledigt werden.
Aus § 345 Abs 1 Z 6 StPO bemängeln die Beschwerdeführer das Unterbleiben von Eventualfragen nach (versuchtem) Diebstahl in Betreff des ihnen zu I./1./a./ angelasteten Raubgeschehens (Hauptfragen 1 und 13) im Wesentlichen mit der Behauptung, das Opfer habe in der Hauptverhandlung „keine Anwendung strafrechtlich relevanter Gewalt oder Drohung gem § 74 Abs 1 Z 5 StGB“ geschildert. Dabei übergehen sie jedoch prozessordnungswidrig die Depositionen des Lukas B*****, wonach er sich einer bedrohlichen Situation ausgesetzt sah (ON 147 AS 73, AS 74, AS 76). Davon abgesehen blenden die Rechtsmittelwerber auch jene Verfahrensergebnisse aus, nach denen eine Eisenstange zum Einsatz kam (vgl ON 147 AS 80, AS 81).
Soweit die Rechtsmittel die Stellung einer Eventualfrage in Richtung § 91 Abs 2 StGB zu den Hauptfragen 3 bzw 15 (betreffend versuchten Mordes; vgl Schuldsprüche II./) vermissen und dabei auf jene Einlassungen Bezug nehmen, wonach die Angeklagten dem Opfer im Anschluss an die Gewalttätigkeiten des Shkelqim K***** eine nur zur Bewusstlosigkeit des Markus Ko***** führende Abreibung durch Tritte und Schläge verpassen wollten, nennen sie gar keine in Richtung der begehrten Frage weisende Beweisresultate. Denn die Beschwerdeführer machen nicht klar, weshalb der subsidiäre Auffangtatbestand des § 91 StGB bei einer den Angeklagten – von den Rügen auch nicht in Abrede gestellten – zurechenbaren Körperverletzung anwendbar sein soll (vgl Kienapfel/Schroll StudB BT I4 § 91 Rz 4 mwN).
Die (zum Schuldspruch I./1./a./) eine Tatbeurteilung nach § 142 Abs 2 StGB anstrebenden Subsumtionsrügen (Z 12) gehen prozessordnungswidrig an den Urteilsannahmen der Geschworenen zum Einsatz einer Waffe (§ 143 Abs 1 zweiter Fall StGB) vorbei und erklären davon ausgehend nicht, aus welchem Grund auch ein schwerer Raub solcherart privilegiert sein kann. Insoweit genügt der Verweis auf die Erledigung der Fragenrüge (Z 6) des Angeklagten Shlirim K*****.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ubeyd S*****:
Dieser Angeklagte kann mit seinen Einwänden (Z 6) gegen das Unterbleiben einer Zusatzfrage in Richtung minderschweren Raubes (§ 142 Abs 2 StGB) zur Hauptfrage 10 (Raubvorwurf zum Nachteil des Lukas B*****) auf die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Shlirim K***** verwiesen werden.
Zum weiteren Beschwerdevorbringen in Bezug auf das Unterbleiben einer Eventualfrage in Richtung § 91 Abs 2 StGB zur Hauptfrage 12 gilt das zu den Rechtsmitteln der Angeklagten Magomed D***** und Tunahan E***** Gesagte sinngemäß. Denn auch der Angeklagte Ubeyd S***** nennt keine Verfahrensergebnisse, die die individuelle Zurechenbarkeit der Verletzungen des Opfers in Frage stellen würden.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Shkelqim K*****:
Dieser Angeklagte hat bei der von ihm bloß angemeldeten, aber nicht ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde Nichtigkeitsgründe nicht deutlich und bestimmt bezeichnet. Auf dieses Rechtsmittel war daher keine Rücksicht zu nehmen (§ 285 Abs 1 zweiter Satz iVm § 344 StPO).
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch von Amts wegen (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 344 StPO) von nicht geltend gemachter Nichtigkeit (§ 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO) hinsichtlich des Schuldspruchs I./a./, soweit sich dieser auf die Angeklagten Magomed D*****, Shlirim K***** und Ubeyd S***** bezieht.
Indem die diesem Schuldspruch zugrunde liegenden Wahrsprüche zu den Hauptfragen 1, 7 und 10 nur davon ausgingen, dass sich die genannten Angeklagten „im unmittelbaren räumlichen Nahbereich aufhielten“, ist ihnen nicht zu entnehmen, ob diese Angeklagten selbst eine Tathandlung im Sinn des § 142 Abs 1 StGB in unmittelbarer Täterschaft vorgenommen oder sie – zumindest – einen psychischen Beitrag im Sinn des § 12 dritter Fall StGB gesetzt haben. Die Wahrsprüche enthalten nämlich nur eine, einen Schuldspruch nach § 142 Abs 1 StGB nicht rechtfertigende, bloße Anwesenheit am Tatort (vgl RIS-Justiz RS0089840, RS0099235). Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen (vgl RIS-Justiz RS0120637, RS0089114) erforderte die Teilkassation des Urteils wie im Spruch ersichtlich (§§ 285e, 344 StPO).
Demzufolge waren die Angeklagten Shlirim K***** und Ubeyd S***** mit ihren Berufungen, der Anklagte Magomed D***** mit seiner Berufung und Beschwerde sowie die Staatsanwaltschaft mit dem auf diesen Angeklagten entfallenden Teil ihrer Berufung und mit der den Angeklagten Shlirim K***** betreffenden Beschwerde auf diese Kassation zu verweisen.
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen sowie über die Beschwerden im Übrigen (§§ 285i, 344, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
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