European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123426
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
1. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Beschluss, soweit der Rekurs gegen den Beschluss ON 62 zurückgewiesen wurde, aufgehoben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
2. Im Übrigen wird aus Anlass des Revisionsrekurses das Verfahren gemäß § 207m Abs 3 AußStrG idF BGBl I Nr 59/2017 an das Erstgericht überwiesen.
Begründung:
Mit 1. 7. 2018 ist das 2. Erwachsenenschutz‑Gesetz, BGBl I Nr 59/2017 (2. ErwSchG), in Kraft getreten.
Gemäß § 1503 Abs 9 Z 4 ABGB sind, soweit im Folgenden nichts anders bestimmt ist, die nach Z 1 leg cit mit 1. 7. 2018 in Kraft tretenden Bestimmungen auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem 30. 6. 2018 ereignen oder über diesen Zeitpunkt hinaus andauern. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende Vertretungsverhältnisse nach der jeweils verbindlichen Rechtslage („sukzessives Anknüpfungselement“) zu beurteilen sind, also bis zum 30. 6. 2018 nach den bisherigen Vorschriften, danach nach den neuen Regelungen (8 Ob 109/18i).
Das Erstgericht enthob mit Beschluss vom 7. 11. 2017 (ON 62) Mag. M* A* ihres Amtes als Verfahrenssachwalterin und einstweilige Sachwalterin. Die genannte Rechtsanwältin habe sich nicht bereit erklärt die Sachwalterschaft zu übernehmen. Da die Betroffene zumindest in einem anhängigen Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht eines Anwalts bedürfe, sei ihr aufgrund der Aktenlage ein Sachwalter zu bestellen.
Mit Beschluss (ON 63) – ebenfalls vom 7. 11. 2017 – bestellte das Erstgericht (nach der damals geltenden Rechtslage) Rechtsanwalt Mag. R* I* zum (endgültigen) Sachwalter für die Betroffene zur Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, insbesondere für die Vertretung im unterbrochenen Verfahren zu 38 Cga 97/14h des Arbeits- und Sozialgerichts Wien. Die Betroffene könne sich aufgrund der in einer veränderten Erlebnisverarbeitung begründeten Einengung des Gedankengangs und dem dadurch fehlenden Realitätsbezug in diesem Verfahren nicht selbständig vertreten.
Das Rekursgericht wies den Rekurs, soweit er sich gegen die Enthebung von Mag. M* A* als Verfahrenssachwalterin und einstweilige Sachwalterin richtete, zurück. Da durch die Bestellung des endgültigen Sachwalters die Verfahrenssachwalterschaft und die einstweilige Sachwalterschaft ex lege beendet seien, stelle der vom Erstgericht gefasste Enthebungsbeschluss nur einen deklarativen Beschluss dar, der nicht bekämpfbar sei.
Dem Rekurs gegen die Bestellung des endgültigen Sachwalters gab es teilweise Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahingehend ab, dass der Sachwalter Mag. R* I* allein für die Vertretung im Verfahren 38 Cga 37/14h des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien bestellt werde. Da es keine Anhaltspunkte gäbe, dass die Betroffene auch eines Sachwalters allgemein zur Vertretung vor Behörden und Sozialversicherungsträgern bzw generell vor Gerichten bedürfe, habe das Erstgericht den Aufgabenkreis des Sachwalters zu weit gefasst.
Gegen diesen Beschluss – in seiner Gesamtheit – wendet sich der nach Inkrafttreten des 2. ErwSchG erhobene Revisionsrekurs der schutzberechtigten Person, vertreten durch die Vertreterin für das Verfahren und einstweilige Erwachsenenverteterin Mag. M* A* mit einem Abänderungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
I. Zur Vertretungsbefugnis:
1. Die Vertretungsbefugnis der Verfahrenssachwalterin (§ 119 AußStrG aF) und jene des einstweiligen Sachwalters (§ 120 AußStrG aF) endet unter anderem mit rechtskräftiger Bestellung des endgültigen Sachwalters (Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, ABGB³ § 119 Rz 37, § 120 Rz 33). Da die Bestellung des endgültigen Sachwalters stets erst mit der Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses wirksam wird (§ 43 iVm § 125 AußStrG aF), bleibt die Funktion des Verfahrenssachwalters und des einstweiligen Sachwalters während eines Rechtsmittelverfahrens grundsätzlich aufrecht, dies schon deshalb, um eine zeitliche Lücke zwischen der Tätigkeit des endgültigen Sachwalters und jener des Verfahrenssachwalters oder einstweiligen Sachwalters möglichst zu vermeiden. Die Verfahrenssachwalterschaft und die einstweilige Sachwalterschaft enden daher auch erst mit Rechtskraft der Bestellung des endgültigen Sachwalters (vgl Schauer aaO § 120 Rz 33).
2. Die Regelungen der §§ 119, 120, 125 AußStrG idF BGBl I Nr 59/2017 über die Bestellung des Vertreters für das Verfahren, des einstweiligen Erwachsenenvertreters und die Wirksamkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters entsprechen – im hier interessierenden Umfang – im Wesentlichen den §§ 119, 120, 125 AußStrG aF, sodass die eben angeführten Grundsätze weiter gelten.
3. Da der Beschluss über die Bestellung des endgültigen Sachwalters bislang nicht in Rechtskraft erwachsen ist, ist die bisherige, noch nicht rechtskräftig enthobene (vgl Schauer in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 119 Rz 36) Verfahrenssachwalterin (Vertreterin für das Verfahren) und einstweilige Sachwalterin (Erwachsenenvertreterin) berechtigt, die schutzbedürftige Person im vorliegenden Revisionsrekursverfahren zu vertreten.
II. Zum Rechtsmittel:
1. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Rechtsansicht des Rekursgerichts, die Verfahrenssachwalterschaft und die einstweilige Sachwalterschaft hätten bereits ex lege aufgrund der – noch nicht rechtskräftigen – Bestellung des endgültigen Sachwalters geendet, weshalb dem Enthebungsbeschluss des Erstgerichts lediglich deklarative Wirkung zukomme und der dagegen erhobene Rekurs als unzulässig zurückzuweisen gewesen sei, als verfehlt.
In diesem Umfang ist dem Revisionsrekurs daher Folge zu geben, die Rekursentscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund an das Rekursgericht zurückzuverweisen.
2.1 § 239 Abs 1 ABGB nF legt grundsätzlich fest, dass Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind, ihre Angelegenheiten gleichwohl möglichst selbstständig besorgen können sollen.
Hinsichtlich des Erwachsenenschutzes sieht das neue Erwachsenenschutzrecht zwei Grundformen vor, und zwar die Vorsorgevollmacht und die Erwachsenenvertretung, letztere erscheint in den Formen der gewählten Erwachsenenvertretung, der gesetzlichen Erwachsenen-vertretung und der gerichtlichen Erwachsenenvertretung.
Gemäß § 264 ABGB nF kann eine volljährige Person, soweit sie ihre Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht für sich selbst besorgen kann, dafür keinen Vertreter hat und eine Vorsorgevollmacht nicht mehr errichten kann, aber noch fähig ist, die Bedeutung und Folgen einer Bevollmächtigung in Grundzügen zu verstehen, ihren Willen danach zu bestimmen und sich entsprechend zu verhalten, eine oder mehrere ihr nahestehende Personen als Erwachsenenvertreter zur Besorgung dieser Angelegenheiten auswählen (gewählter Erwachsenenvertreter).
Nach § 268 Abs 1 ABGB nF kann eine volljährige Person in den in § 269 angeführten Angelegenheiten von einem oder mehreren nächsten Angehörigen vertreten werden, soweit sie
1. diese Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann,
2. dafür keinen Vertreter hat,
3. einen solchen nicht mehr wählen kann oder will und
4. der gesetzlichen Erwachsenenvertretung nicht vorab widersprochen hat und dies im Österreichischen Zentralen Vertretungsregister registriert wurde (gesetzlicher Erwachsenenvertreter).
Nach § 268 Abs 2 ABGB nF sind nächste Angehörige die Eltern und Großeltern, volljährige Kinder und Enkelkinder, Geschwister, Nichten und Neffen der volljährigen Person, ihr Ehegatte oder eingetragener Partner und ihr Lebensgefährte, wenn dieser mit ihr seit mindestens drei Jahren im gemeinsamen Haushalt lebt, sowie die von der volljährigen Person in einer Erwachsenenvertreter‑Verfügung bezeichnete Person.
Nach § 271 ABGB nF ist einer volljährigen Person vom Gericht auf ihren Antrag oder von Amts wegen insoweit ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter zu bestellen, als
1. sie bestimmte Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihre Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann,
2. sie dafür keinen Vertreter hat,
3. sie einen solchen nicht wählen kann oder will und
4. eine gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht kommt.
2.2 Den Umgang mit am 1. 7. 2018 anhängigen Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters regelt die Bestimmung des § 207m Abs 3 AußStrG idF BGBl I Nr 59/2017. Sie bestimmt, dass ein im Zeitpunkt des Inkrafttretens des 2. ErwSchG anhängiges Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters nach den §§ 116a bis 126 AußStrG idF des 2. ErwSchG in erster Instanz fortzusetzen ist; ein in höherer Instanz anhängiges Verfahren ist – wenn noch Entscheidungsgrundlagen fehlen – dem Erstgericht zu überweisen und von diesem so fortzusetzen, als ob das Rechtsmittelgericht die Entscheidung aufgehoben und das Verfahren an die erste Instanz zurückverwiesen hätte. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es den Erwachsenenschutzverein mit einer Abklärung iSd § 117a beauftragt. Ist ein einstweiliger Sachwalter bestellt, so ist er mit Inkrafttreten des 2. ErwSchG einstweiliger Erwachsenenvertreter.
Die ErläutRV 1461 Blg Nr 25. GP 78 führen zu § 207m AußStrG aus, dass „ein zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits anhängiges Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters nach den neuen Verfahrensvorschriften (ausgenommen § 127) fortzusetzen“ ist, weil „ab dem Inkrafttreten dieses Gesetzes kein Sachwalter mehr bestellt (bzw dessen Wirkungsbereich verändert oder die Sachwalterschaft übertragen oder beendet) werden kann“. Damit ist in diesem Verfahren nicht die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts nach der alten Rechtslage durch den Obersten Gerichtshof zu überprüfen, sondern – unter Wegfall der vor 1. 7. 2018 gefassten Beschlüsse der Vorinstanzen – eine Entscheidung nach den Bestimmungen des 2. ErwSchG zu treffen (8 Ob 109/18i).
2.3 Es fehlen hier Entscheidungsgrundlagen, insbesondere zur Selbstbestimmung als Basiswertung und der Subsidiarität der Erwachsenenvertretung insbesondere im Zusammenhang mit der Beurteilung des heranzuziehenden Vertretungsmodells, dies auch vor dem Hintergrund, dass ein „Lebensgefährte“ aktenkundig ist.
2.4 Da hier vor dem 1. 7. 2018 eine wirksame Bestellung eines Sachwalters für die Betroffene nicht erfolgt ist, wird das Erstgericht über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters nach den Bestimmungen des 2. ErwSchG zu entscheiden haben.
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