OGH 8Ob109/18i

OGH8Ob109/18i24.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der V*, einstweiliger Erwachsenenvertreter und Rechtsbeistand Dr. I*, Rechtsanwalt, *, aus Anlass des Revisionsrekurses des einstweiligen Erwachsenenvertreters und Rechtsbeistands gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 15. Juni 2018, GZ 53 R 60/18a‑37, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 18. Jänner 2018, GZ 37 P 73/17s‑27, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123215

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Das Verfahren wird gemäß § 207m Abs 3 AußStrG idF BGBl I Nr 59/2017 an das Erstgericht überwiesen.

 

Begründung:

Mit 1. 7. 2018 ist das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, BGBl I Nr 59/2017 (2. ErwSchG), in Kraft getreten.

Gemäß § 1503 Abs 9 Z 4 ABGB sind, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, die nach Z 1 leg cit mit 1. 7. 2018 in Kraft tretenden Bestimmungen auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem 30. 6. 2018 ereignen oder über diesen Zeitpunkt hinaus andauern. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende Vertretungsverhältnisse nach der jeweils verbindlichen Rechtslage („sukzessives Anknüpfungselement“) zu beurteilen sind, also bis zum 30. 6. 2018 nach den bisherigen Vorschriften, danach nach den neuen Regelungen (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP  57).

Den Umgang mit am 1. 7. 2018 anhängigen Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters regelt § 207m Abs 3 AußStrG idF BGBl I Nr 59/2017. Ein solch anhängiges Verfahren liegt hier in dritter Instanz vor.

Das Erstgericht bestellte mit Beschluss vom 18. 1. 2018 (nach der damals geltenden Rechtslage) den am 7. 11. 1940 geborenen Rechtsanwalt Dr. I* zum (endgültigen) Sachwalter für die Betroffene zur Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, zur Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten sowie zur Vertretung in Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen, trug dem Sachwalter die Erstattung eines Antrittsberichts binnen vier Wochen auf und sprach aus, dass die Kosten des Verfahrens gemäß § 129 AußStrG der Bund trägt. Bei der Betroffenen liege eine psychische Erkrankung in Form einer Persönlichkeitsstörung mit leichten kognitiven Defiziten vor, die ihre Fähigkeiten zur Problemlösung derart einschränke, dass sie einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen könne. So sei die Sachwalterschaft für die Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten angezeigt, weil die Betroffene Schulden angehäuft habe und auch in der Vergangenheit nicht in der Lage gewesen sei, lückenlos für ihr Einkommen zu sorgen. Die Vertretung der Betroffenen vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern sei wegen anhängiger Gerichtsverfahren erforderlich. Schließlich bedürfe es auch einer Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgingen, da aufgrund der Persönlichkeitsstörung mit den leichten kognitiven Defiziten unüberlegte Handlungen der Betroffenen wahrscheinlich seien. Eine geeignete, der Betroffenen nahestehende Person iSd § 279 Abs 2 ABGB, die zum Sachwalter bestellt werden könnte, stehe ebenso wenig zur Verfügung wie ein Vereinssachwalter. Daher sei der laut Liste vorgesehene Rechtsanwalt Dr. I* zum Sachwalter für die genannten Angelegenheiten zu bestellen gewesen, der die Betroffene bereits als einstweiliger Sachwalter im Obsorgeverfahren ihre mj Tochter betreffend vertreten habe. Da Dr. I* in der Liste der Rechtsanwälte eingetragen sei, keine fünf Sachwalterschaften habe und nach wie vor Mandanten in seiner Rechtsanwaltskanzlei betreue sowie kein Termin für einen allfälligen Pensionsantritt bekannt sei, sei er, auch wenn er mit seiner Bestellung insbesondere aufgrund seines Alters nicht einverstanden sei, als zur Übernahme der Sachwalterschaft geeignet anzusehen.

Das Rekursgericht gab dem dagegen vom Rechtsanwalt Dr. I* erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 15. 6. 2018 nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Rekurswerber verweise im Wesentlichen auf sein fortgeschrittenes Alter. Er sei jedoch nach wie vor in der Liste der Tiroler Rechtsanwaltskammer eingetragen und somit als Anwalt tätig. Das Erstgericht habe zudem (unbekämpft) festgestellt, dass er noch immer Mandate – wenngleich nur noch ausgewählte – übernehme, und ein Datum für den Pensionsantritt noch nicht feststehe. Gesundheitliche Probleme oder ähnliches mache der Rekurswerber nicht geltend, sodass sich dem Rechtsmittelsenat nicht erschließe, inwieweit der Rekurswerber, der offenbar in der Lage sei, der bekanntermaßen oftmals anstrengenden und belastenden Tätigkeit als Rechtsanwalt nachzugehen, nicht auch als Sachwalter tätig sein könne. Eine Befreiung von der Übernahme von Sachwalterschaften ab Erreichen eines bestimmten Alters sei – anders als nach § 22 Abs 7 der Geschäftsordnung der Tiroler Rechtsanwaltskammer und deren Ausschuss bei der Bestellung zur Verfahrenshilfe – nicht vorgesehen. Ein Zeitaufwand von bisher rund 30 Stunden im Zeitraum vom 24. 10. 2017 bis 12. 2. 2018 deute im Übrigen nicht auf eine besonders intensive Sachwalterschaft hin.

Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Rechtsanwalt Dr. I*, seine Bestellung zum Sachwalter ersatzlos aufzuheben, hilfsweise die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Vorinstanzen zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Das (zulässige – weder absolut unzulässige noch verspätete) Rechtsmittel ist vom Obersten Gerichtshof nicht inhaltlich zu behandeln.

§ 207m Abs 3 AußStrG idF BGBl I Nr 59/2017 bestimmt, dass ein im Zeitpunkt des Inkrafttretens des 2. ErwSchG anhängiges Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters nach den §§ 116a bis 126 AußStrG in der Fassung des 2. ErwSchG in erster Instanz fortzusetzen ist; ein in höherer Instanz anhängiges Verfahren ist – wenn noch Entscheidungsgrundlagen fehlen – dem Erstgericht zu überweisen und von diesem so fortzusetzen, als ob das Rechtsmittelgericht die Entscheidung aufgehoben und das Verfahren an die erste Instanz zurückverwiesen hätte. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es den Erwachsenenschutzverein (§ 1 ErwSchVG) mit einer Abklärung im Sinn des § 117a AußStrG beauftragt. Ist ein einstweiliger Sachwalter bestellt, so ist er gemäß dem letzten Satz des § 207m Abs 3 AußStrG idF BGBl I Nr 59/2017 mit Inkrafttreten des 2. ErwSchG einstweiliger Erwachsenenvertreter.

Die ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP  78 führen zu § 207m AußStrG aus, dass ein zum „Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits anhängiges Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters (nach Abs 4 ebenfalls ein bereits anhängiges Verfahren über die Änderung, Übertragung und Beendigung der Sachwalterschaft) … nach den neuen Verfahrensvorschriften (ausgenommen § 127) fortzusetzen“ ist, „weil ab dem Inkrafttreten dieses Gesetzes kein Sachwalter mehr bestellt (bzw dessen Wirkungsbereich verändert oder die Sachwalterschaft übertragen oder beendet) werden kann“.

Damit ist in diesem Verfahren nicht die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts nach der alten Rechtslage durch den Obersten Gerichtshof zu überprüfen, sondern – unter Wegfall der vor 1. 7. 2018 gefassten Beschlüsse der Vorinstanzen – eine Entscheidung nach den Bestimmungen des 2. ErwSchG zu treffen (vgl zu Art X Abs 4 Sachwaltergesetz 1983: 2 Ob 595/85). Abgesehen davon, dass einer sofortigen Entscheidung nach den Bestimmungen des 2. ErwSchG durch den Obersten Gerichtshof selbst wohl Rechtsschutzdefizitbedenken entgegenstehen könnten, fehlen hier Entscheidungsgrundlagen, insbesondere weil bei der Auswahl der Person des gerichtlichen Erwachsenenvertreters nunmehr die §§ 273 ff ABGB nF zu beachten sind, sodass das Verfahren vom Obersten Gerichtshof – ohne Fortsetzung des Rechtsmittelverfahrens – dem Erstgericht zu überweisen war.

§ 273 Abs 1 ABGB nF legt fest, dass bei der Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters auf die Bedürfnisse der volljährigen Person und deren Wünsche, die Eignung des Erwachsenenvertreters und auf die zu besorgenden Angelegenheiten Bedacht zu nehmen ist.

§ 274 ABGB nF sieht folgenden Stufenbau vor:

Zum Erwachsenenvertreter ist vorrangig mit deren Zustimmung die Person zu bestellen, die aus einer Vorsorgevollmacht, einer Vereinbarung einer gewählten Erwachsenenvertretung oder einer Erwachsenenvertreter-Verfügung hervorgeht (Abs 1). Ist eine solche Person nicht verfügbar oder geeignet, so ist mit deren Zustimmung eine der volljährigen Person nahestehende und für die Aufgabe geeignete Person zu bestellen (Abs 2). Kommt eine solche Person nicht in Betracht, so ist mit dessen Zustimmung ein Erwachsenenschutzverein (§ 1 ErwSchVG) zu bestellen (Abs 3). Ist auch die Bestellung eines Erwachsenenschutzvereins nicht möglich, so ist – nach Maßgabe des § 275 ABGB – ein Notar (Notariatskandidat) oder Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder mit deren Zustimmung eine andere geeignete Person zu bestellen (Abs 4). Ein Notar (Notariatskandidat) oder Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) ist vor allem dann zu bestellen, wenn die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ein Erwachsenenschutzverein (§ 1 ErwSchVG) vor allem dann, wenn sonst besondere Anforderungen mit der Erwachsenenvertretung verbunden sind (Abs 5).

Nach § 275 ABGB kann ein Notar (Notariatskandidat) oder Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter), der nicht aufrecht in der Liste von zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Rechtsanwälten oder Notaren eingetragen ist, die Übernahme einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung nur ablehnen, wenn

1. die Besorgung der Angelegenheiten nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert,

2. er nachweist, dass ein Notar (Notariatskandidat) oder Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter), der in der Liste von zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Rechtsanwälten oder Notaren aufrecht eingetragen ist, mit der Übernahme der Erwachsenenvertretung einverstanden wäre oder

3. ihm diese unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann. Dies wird bei mehr als fünf gerichtlichen Erwachsenenvertretungen vermutet.

Da hier vor dem 1. 7. 2018 eine wirksame Bestellung eines Sachwalters für die Betroffene nicht erfolgt ist, wird das Erstgericht – auch von den neu normierten Ablehnungsrechten ausgehend – über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters nach den Bestimmungen des 2. ErwSchG zu entscheiden haben.

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