OGH 2Ob181/17g

OGH2Ob181/17g30.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé, sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** R*****, vertreten durch RA Dr. Franz P. Oberlercher & RA Mag. Gustav H. Ortner Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Mag. Alexander Jelly, Rechtsanwalt in Villach, wegen 6.388,38 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 14. Juni 2017, GZ 3 R 66/17s‑28, womit das Urteil des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 27. Februar 2017, GZ 1 C 147/16x‑22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00181.17G.0730.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionbeantwortung wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 11. 6. 2015 ereignete sich auf dem mit grünen Tafeln beschilderten und der Bodenmarkierung „R*****“ versehenen D*****radverkehrsweg im Ortsgebiet von M***** in K***** ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin ihres Mountainbikes und H***** K***** als Lenker eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten LKW beteiligt waren. Die Klägerin wurde dabei verletzt.

Der D*****radverkehrsweg verläuft im Unfallsbereich in einer Breite von ca 1,4 m in west-östlicher Richtung und ist durch einen rund 2 m breiten Grünstreifen von der S***** Landesstraße L ***** getrennt. In Fahrtrichtung der Klägerin gesehen mündete im Unfallsbereich von rechts kommend eine Ausfahrt von einem Holzlagerplatz ein. Die Klägerin, die diesen Weg seit ca 20 Jahren 2 bis 3 mal pro Woche befährt, hielt eine Geschwindigkeit von ca 20 km/h ein. Der Lenker des LKW, der ebenfalls ortskundig war, fuhr vom Holzlagerplatz kommend Richtung S***** Landesstraße. Die gegenseitige Sicht war durch nahe der Grundstücksausfahrt gelagerte Holzstämme behindert. Als die Fahrzeugfront des LKW noch rund 4,5 m von der Fahrbahn der Landstraße entfernt war, blickte der Lenker nach Osten, um sich dort wegen Querverkehrs zu vergewissern, und überquerte mit einer Geschwindigkeit von 12,5 km/h den Radverkehrsweg. Erst zeitgleich damit blickte er auch nach Westen, wo er die unmittelbar herannahende Klägerin wahrnahm. Er bremste sofort und kam rund 1 m vor der Fahrbahn der Landesstraße zum Stillstand.

Als der LKW in den Radverkehrsweg einfuhr, befand sich die Klägerin mit einer Geschwindigkeit von rund 16 km/h fahrend noch 11,3 m von seiner Seite entfernt. Sie erschrak und leitete eine Vollbremsung ein, wodurch das Vorderrad blockierte und sich mit der Klägerin, die mit „Klick-Pedalen“ fixiert war, überschlug.

Aus der Entfernung von 11,3 m hätte die Klägerin auch mit einer normalen Betriebsbremsung ihr Rad kollisionsfrei zum Stillstand bringen können.

Die Klägerin begehrt Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Das Verschulden am Unfall treffe den Lenker des LKW, der ohne zu prüfen, ob ihm ein Weiterfahren ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer möglich sei, den Radweg gequert habe.

Die Beklagte wandte einen Verstoß der Klägerin gegen § 68 Abs 1 StVO ein, die den Gehsteig und nicht eine für Radfahrer vorgesehene Fahrbahn befahren habe. Die Bodenaufschrift „R*****“ sei nur ein touristischer Hinweis, ohne rechtliche Verbindlichkeit, ebenso die grüne Beschilderung. Bei Einhaltung einer angemessenen Geschwindigkeit wäre es der Klägerin leicht möglich gewesen, kollisionsfrei stehen zu bleiben. Sie trage daher selbst das Alleinverschulden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren ausgehend von einer Verschuldensteilung 2 : 1 zugunsten der Klägerin statt. Der D*****radweg sei eine Radfahranlage iSd § 2 Abs 1 Z 11b StVO, weil er durch seine Aufnahme in die Anlage zum Kärntner Straßengesetz zu einem „überregionalen Radweg“ erklärt worden sei. Einer Verordnung oder einer gesonderten Form der Kundmachung nach den §§ 44 ff StVO habe es nicht bedurft. Die Klägerin sei jedenfalls nach § 19 Abs 6 StVO bevorrangt gewesen. Sie selbst habe gegen § 68 Abs 3a StVO verstoßen. Außerdem wäre es ihr möglich gewesen, mit einer Betriebsbremsung anzuhalten, was – auch wenn sie unter dem Eindruck einer augenblicklichen Verkehrssituation eine fehlerhafte Maßnahme gesetzt habe – bei der Verschuldensteilung zu berücksichtigen sei.

Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht änderte die Verschuldensteilung auf 4 : 1 zugunsten der Klägerin ab. Die Beklagte bestreite nicht die Kompetenz der Landesregierung, durch Verordnung überregionale Radwege zu schaffen. Nach seiner baulichen Gestaltung, Beschilderung und Markierung sei die von der Klägerin benützte Verkehrsfläche als Radweg zu qualifizieren. Dem LKW‑Lenker sei auch bekannt gewesen, dass diese Vekehrsfläche regelmäßig von Fußgängern und Radfahrern benützt werde. Die Beklagte könne sich daher nicht darauf berufen, dass die Klägerin unzulässig einen Gehsteig befahren habe. Der LKW‑Lenker habe den Vorrang der im Fließverkehr befindlichen Klägerin verletzt. Eine Radfahrerüberfahrt liege hier nicht vor, § 68 Abs 3a StVO sei auch nicht sinngemäß anzuwenden und der Klägerin daher keine überhöhte Geschwindigkeit zur Last zu legen. Wohl aber habe sie mit der abrupten Vollbremsung eine falsche Reaktion gesetzt, die trotz des Schreckmoments nicht gänzlich vernachlässigt werden könne.

Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zu, weil zur Frage, ob der durch das Kärntner Straßengesetz zum überregionalen Radverkehrsweg erklärte „D*****radweg R *****“ als Radweg iSd § 2 Abs 1 Z 8 StVO zu qualifizieren sei, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig im Sinne der Begründung des Berufungsgerichts. Sie ist aber nicht berechtigt .

1. Ein Radweg ist gemäß § 2 Abs 1 Z 8 StVO ein für den Verkehr mit Fahrrädern bestimmter und als solcher gekennzeichneter Weg. Entscheidend ist dabei nach der Rechtsprechung, ob und welche Kennzeichnung vorhanden ist und wie sich die vom Radfahrer benützte Verkehrsfläche darstellt (RIS‑Justiz RS0105937).

2. Ein Radweg im Sinne der StVO wird nach deren § 52 Z 16 ausschließlich mit dem Gebotszeichen „Radweg“ bzw jenem nach Z 17a „Geh- und Radweg“ gekennzeichnet. Eine solche Kennzeichnung war hier unstrittig auf dem „D*****radweg“, dessen Gegebenheiten den beiden Unfallbeteiligten auch bekannt waren, nicht angebracht. Die vorhandene grüne Beschilderung ist keine nach der StVO und kann daher den Radverkehrsweg nicht zu einem Radweg im Sinn der StVO machen. Gleiches gilt für die festgestellte Bodenmarkierung „R *****“, die ebenfalls nicht den in der aufgrund § 34 Abs 1 StVO erlassenen Bodenmarkierungsverordnung in §§ 13 und 17 für Radfahranlagen und Radfahrstreifen angeführten Markierungen entspricht.

So wie sich die von der Klägerin benutzte und beiden Beteiligten bekannte Verkehrsfläche darstellte und markiert war, lag daher kein Radweg iSd StVO vor.

3. Mit Art I des Gesetzes vom 16. 12. 2004, LGBl 2005/25, mit dem das Kärntner Straßengesetz 1991 geändert wurde, wurde nach § 3 Abs 1 Z 1 Kärntner Straßengesetz eine neue Z 1a eingefügt, wonach überregionale Radwege als selbständige Straßen definiert wurden, die dem überregionalen Radverkehr dienen und die im Interesse der Verkehrssicherheit und des Fremdenverkehrs durch Verordnung der Landesregierung zu überregionalen Radwegen erklärt werden.

Die damals bereits bestehenden überregionalen Radwege, darunter auch der von der Klägerin befahrene „D*****radweg (damals noch 'D*****weg')“, wurden in einer Anlage zu diesem Gesetz aufgezählt.

4. Mit der Novelle des Kärntner Straßengesetzes LGBl vom 19. 7. 2012,  2012/85, wurde im Gesetzestext der Begriff „Radweg“ durch den Terminus „Radverkehrsweg“ ersetzt. In den Gesetzesmaterialien wurde dies damit begründet, dass überregionale Rad‑(verkehrs‑)wege nicht unbedingt Radwege im Sinne der StVO 1960 seien (vgl nunmehr § 3 Abs 1 Z 2 Kärntner Straßengesetz 2017 idF LGBl 2017/8). Die Bezeichnung „D*****weg“ wurde in „D*****radweg“ geändert.

Die Bestimmung des § 4 Abs 2 Kärntner Straßengesetz 1991 (nunmehr § 5 Kärntner Straßengesetz 2017), wonach ua neben Straßen angelegte Radwege in der Regel einen Bestandteil der Straße bilden, aber auch zur selbständigen Straße erklärt werden können, galt und gilt ausdrücklich nicht für überregionale Radverkehrswege, deren Definition bereits beinhaltet, dass es sich dabei um eigenständige Straßen handelt.

5. Aus dieser Gesetzeslage folgt, dass die Klägerin eine dem Fahrradverkehr gewidmete selbständige Straße befuhr, die keinen Bestandteil der daneben verlaufenden S***** Landesstraße L *****, insbesondere auch keinen Gehsteig iSd § 2 Abs 1 Z 10 StVO bildet. Die Klägerin durfte diesen Weg daher mit ihrem Fahrrad befahren.

6. Damit ist den Vorinstanzen darin zuzustimmen, dass die Klägerin sich im Fließverkehr befand und der aus einem Holzlagerplatz kommende LKW-Lenker ihr gegenüber gemäß § 19 Abs  6 StVO benachrangt war (vgl auch 2 Ob 73/95). Gegen die unter diesen Prämissen vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung wendet sich die Revisionswerberin nicht.

Die Revision muss daher erfolglos bleiben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

7. Die Revisionsbeantwortung ist verspätet. Die Revisionsbeantwortung ist nach § 507a Abs 3 Z 1 ZPO beim Berufungsgericht einzubringen, wenn dieses – wie hier – dem Revisionsgegner nach § 508 Abs 5 ZPO freigestellt hat, eine Revisionsbeantwortung einzubringen. Die Mitteilung des Berufungsgerichts, dass die Beantwortung der Revision freigestellt werde (§ 507a Abs 2 Z 2 ZPO), wurde dem Klagevertreter am 22. 8. 2017 zugestellt. Die am 19. 9. 2017 irrtümlich beim Erstgericht eingebrachte Revisionsbeantwortung langte beim Berufungsgericht am 20. 9. 2017 ein. Wenn ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbeantwortung beim unzuständigen Gericht eingebracht wurde und erst von diesem dem zuständigen Gericht übersendet wurde, ist die Zeit dieser Übersendung in die Rechtsmittelfrist einzurechnen (RIS‑Justiz RS0041584). Die somit erst nach Fristende beim Berufungsgericht eingelangte Revisionsbeantwortung ist daher als verspätet zurückzuweisen (4 Ob 122/16v; 2 Ob 265/06v).

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