OGH 2Ob73/95

OGH2Ob73/9528.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Amalia O*****, vertreten durch Dr.Maximilian Ganzert und Dr.Friedrich W. Ganzert, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagten Parteien 1.) Kurt K*****, 2.) D***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 116.300,-- s.A. und Feststellung (S 15.000,--) infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 2.Mai 1995, GZ 4 R 217/94-30, womit das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 22. Juni 1994, GZ 2 Cg 115/93a-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.365,50 (darin S 1.394,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 4.7.1992 ereignete sich in Wels ein Verkehrsunfall an welchen die Klägerin als Radfahrerin und der Erstbeklagte mit einem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren.

Die Klägerin begehrt Zahlung von zuletzt S 116.300,-- s.A., sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Folgen aus diesem Verkehrsunfall mit der Begründung, mit ihrem Fahrrad einen auf der Ostseite neben der A***** in Wels befindlichen Radweg in südlicher Richtung befahren zu haben. Der Erstbeklagte sei aus einer Tiefgaragenausfahrt herausgefahren und habe den Radweg gequert.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung der Klage, mit der Begründung, die Klägerin hätte den Radweg nicht in südlicher Richtung befahren dürfen. Es sei nämlich aufgrund der Beschilderung und der Bodenmarkierungen eindeutig ersichtlich gewesen, daß dieser Radweg nur dem Verkehr in nördliche Richtung gewidmet sei. Die Klägerin habe wegen des Fahrens gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung ihren Vorrang verloren. Für den Erstbeklagten liege ein unabwendbares Ereignis vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 53.150,-- s.A. statt und wies das Mehrbegehren von S 63.150,-- ab. Dem Feststellungsbegehren gab es zur Hälfte statt.

Es ging dabei von nachstehenden Feststellungen aus:

Die Ausfahrt aus der T*****-Tiefgarage mündet aus östlicher Richtung in einer Trichterweite von 11 m in Nord-Süd-Richtung in die A*****. Die Einmündung ist nahezu rechtwinkelig. Unmittelbar vor der Fahrbahnkante der A***** quert ein Radweg diese Ausfahrt. Der Radweg ist 1,2 m breit und reicht auf 0,3 m an den östlichen Fahrbahnrand der A***** heran. Er ist über die Ausfahrt aus der Tiefgarage durch 2 jeweils 0,5 m breite Ordnungslinien gekennzeichnet, wobei die der Fahrbahn nächstliegende Ordnungslinie etwa 0,2 m über die Bordsteinkante hinausragt. Östlich an den Radweg schließt ein als Gehweg gekennzeichneter Gehsteig an. Rad- und Gehweg sind durch das Verkehrszeichen "Geh- und Radweg" nach § 52 Z 17 a lit b StVO gekennzeichnet. Das Verkehrszeichen ist rechts der Tiefgaragenausfahrt, somit für die Fahrt in nördliche Richtung, angebracht. Eine gleichartige Kennzeichnung in südliche Richtung ist nicht vorhanden. Links und rechts vom Einmündungstrichter der Tiefgaragenausfahrt sind auf dem Radweg jeweils ein stilisiertes Fahrrad und ein gleichschenkeliges Dreieck mit der Spitze nach Norden weisend in weißer Farbe aufgebracht. Ein aus der Tiefgarage kommender PKW-Lenker, der sich in einer Anhalteposition mit der Front etwa 1,5 m vor dem Radweg befindet, hat auf einen von rechts auf dem Radweg herannahenden Radfahrer ungehinderte Sicht auf etwa 9 bis 10 m, darüberhinaus, bedingt durch bepflanzte Blumentröge, eine partielle Sicht über die Gesamtsichtweite von 50 bis 60 m. Die Fahrbahn der A***** ist im Bereich der Ausfahrt der Tiefgarage zu 12,3 m breit und durch eine "außermittig" angebrachte Sperrlinie, in 2 Fahrbahnen unterteilt.

Der Erstbeklagte lenkte seinen PKW von der Ausfahrt der Tiefgarage an die A***** heran. Er hatte die Absicht, nach rechts in die A***** einzubiegen und seine Fahrt in nördlicher Richtung fortzusetzen. Er hielt seinen PKW vorerst in einer Entfernung von 2 m vor dem östlich der A***** angelegten Radweg ein erstes Mal und ca. 1,5 m vor dem Radweg ein weiteres Mal an. In der zweiten Stillstandsposition beobachtete er durch mehr als 5 Sekunden den Querverkehr auf der A*****, wobei er sich hauptsächlich nach links konzentrierte, weil sich aus dieser Richtung starker Fahrzeugverkehr, aber auch Fußgänger und Radfahrer näherten und der Erstbeklagte nach rechts einbiegen wollte.

Zur gleichen Zeit fuhr die Klägerin mit ihrem Fahrrad auf dem östlich der A***** angelegten (einzigen) Radweg in südliche Richtung. Sie hielt eine Fahrgeschwindigkeit von 2,0 bis 2,5 m/Sekunde ein und war somit 3,6 bis 5 Sekunden im objektiven unbehinderten Sichtbereich des Erstbeklagten. Als es die Verkehrssituation - bezogen auf den von Süden herannahenden Verkehr - zuließ, fuhr der Erstbeklagte 1,3 Sekunden vor der Kollision aus seiner Stillstandsposition los. Zu dem Zeitpunkt war die Klägerin nur mehr 2,6 bis 3,25 m von der späteren Kollisionsstelle entfernt. Hätte der Erstbeklagte beim Losfahren in seine beabsichtigte Bewegungsrichtung geblickt, hätte er die von rechts herannahende Klägerin wahrgenommen. Der Beklagte blickte unmittelbar vor bzw beim Losfahren weiterhin nach links und übersah die von rechts herannahende Klägerin. Er nahm erst unmittelbar vor dem Einfahren in den Radweg die Klägerin wahr und bremste daraufhin sein Fahrzeug wiederum ab. Dennoch kam es ca. 20 cm innerhalb des Radweges zur Kollision mit der Klägerin. Die Klägerin nahm das Beklagtenfahrzeug erst unmittelbar vor der Kollision oder bei der Kollision wahr. Sie hatte keine Möglichkeit, auf das Losfahren des PKW's eine wirksame Abwehrhandlung zu setzen, weil der erste Teil der beginnenden Losfahrbewegung keinen Auffälligkeitswert hatte. Das Erstgericht traf noch weitere Feststellungen über die Verletzungen der Klägerin.

Es erörterte rechtlich, daß der Beklagte aus einer Tiefgaragenausfahrt gekommen und nach § 19 Abs 6 StVO grundsätzlich wartepflichtig gewesen sei. Die Klägerin habe sich als im Fließverkehr befindliche Verkehrsteilnehmerin im Vorrang befunden. Sie habe ihren Vorrang auch nicht dadurch verloren, daß sie den Radweg entgegen der Fahrrichtung befahren habe, in die die auf dem Radweg aufgebrachten Pfeile gewiesen hätten. Sie wäre aber infolge der unklaren Situation verpflichtet gewesen, bei Benützung des Radweges besondere Vorsicht walten zu lassen und insbesondere auch auf aus Grundstückausfahrten kommende Fahrzeuge zu achten, weil sie den Radweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrrichtung befahren habe. Die Erstbeklagte habe darauf vertrauen dürfen, daß der Radweg entsprechend der durch die dreieckigen Pfeile angedeuteten Richtung nur in nördliche Richtung befahren werde und daß nicht auch Radfahrer auf dem Radweg in südliche Richtung fahren würden. Er sei jedoch nach der allgemeinen Fahrordnung verpflichtet gewesen, in die von ihm beabsichtigte Fahrtrichtung unmittelbar vor bzw bei dem Losfahren zu blicken. Hätte er dies getan, hätte er die Klägerin wahrnehmen und den Unfall verhindern können.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin teilweise, und der Berufung der beklagten Parteien nicht Folge.

Es lastete das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls dem Erstbeklagten an. Die Klägerin habe sich auf einem mit dem Vorschriftszeichen "Geh- und Radweg" gekennzeichneten Geh- und Radweg befunden. Die Verpflichtung, den (einzigen) neben der A***** befindlichen Radweg nur in einer Richtung zu befahren, habe für sie nicht bestanden, auch wenn das auf dem Radweg aufgemalte stilisierte Fahrrad für die Klägerin "verkehrt" sichtbar gewesen sei. Bei dieser Bodenmarkierung handle es sich nur um eine unverbindliche Empfehlung des Straßenerhalters. Dies bedeute, daß die Klägerin ihren allfälligen Vorrang gegenüber dem Erstbeklagten nicht durch ein Fahren gegen die sich aus gesetzlichen Regelungen, behördlich verordneten Verkehrszeichen bzw Bodenmarkierungen ergebende Fahrtrichtung verloren habe. Hingegen habe der Erstbeklagte seine Wartepflicht gemäß § 19 Abs 6 StVO gegenüber den Fahrzeugen im fließenden Verkehr verletzt und müsse daher für sein Verschulden einstehen.

Der Klägerin sei kein Verschulden anzulasten. Sie habe weder eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten, noch habe sie die Radfahrerüberfahrt unmittelbar vor einem herannahenden Fahrzeug und für dessen Lenker überraschend gequert. Angesichts des zweimaligen Anhaltens des Erstbeklagten vor der Radfahrerüberfahrt habe sie auch bei der von ihr zu verlangenden besonderen Vorsicht darauf vertrauen dürfen, daß der Erstbeklagte ihre Vorbeifahrt abwarten werde.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die sich aus der Benützung von Radfahrwegen ergebenden Rechtsfragen nicht ausreichend geklärt seien.

Die beklagte Parteien beantragen die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahingehend, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerber vertreten die Rechtsansicht, daß die Klägerin aufgrund der örtlichen Situation, der vorhandenen Beschilderung und der aufgemalten Dreiecke und Räder lediglich nach Norden fahren durfte und der Radweg analog einer Einbahn zu beurteilen gewesen wäre. Die Benützung des Radweges in der entgegengesetzten Richtung habe zum Vorrangverlust der Klägerin geführt.

Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden.

Nach § 2 Abs 1 Z 8 StVO wird unter einem Radweg ein für den Verkehr mit Fahrrädern bestimmter und als solcher gekennzeichneter Weg verstanden. Entscheidend ist dabei, ob und welche Kennzeichnung vorhanden ist und wie sich die von der Klägerin benützte Verkehrsfläche darstellt (ZVR 1990/111).

Nach den Feststellungen kann kein Zweifel daran bestehen, daß es sich bei der von der Klägerin benützte Verkehrsfläche um einen im Sinne des § 52 Z 17 a lit b StVO gekennzeichneten (einzigen) Geh- und Radweg neben der A***** handelt.

Nach § 68 Abs 1 StVO in der zum Unfallszeitpunkt geltenden Fassung, waren auf Straßen mit Radfahrstreifen, Radwegen oder Geh- und Radwegen diese Fahrbahneinrichtungen mit einspurigen Fahrrädern ohne Anhänger zu benützen. Nach Abs 3 a leg cit durften Radfahrer Radfahrerüberfahrten, wo der Verkehr nicht durch Arm- oder Lichtzeichen geregelt wird, nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h und nicht unmittelbar vor einem herannahenden Fahrzeug und für dessen Lenker überraschend befahren.

In welcher Fahrtrichtung ein Radfahrweg benützt werden muß, wird im Gesetz nicht geregelt. Der erkennende Senat hatte sich in seiner Entscheidung vom 25.3.1992, 2 Ob 9/92 (= SZ 65/47 = EvBl 1992/178 = ZVR 1992/142) mit der Frage zu beschäftigen, ob Radwege, die sich auf beiden Seiten einer Straße befinden, in beiden Richtungen befahren werden dürfen, oder ob jeweils nur der in Fahrtrichtung des Radfahrers rechtsgelegene Radweg benützt werden darf. Er hat dabei die Ansicht vertreten, daß bei Vorhandensein zweier Radwege der jeweils rechte Radweg zu benützen ist, gleichzeitig die Ansicht vertretbar gehalten, dem Rechtsfahrgebot des § 7 StVO sei auch dann entsprochen, wenn auf dem einzigen Radweg in beiden Fahrtrichtungen rechts gefahren wird.

In der Literatur wird überwiegend die Ansicht vertreten, daß bei Vorhandensein nur eines Radwegs oder Geh- und Radweges, dieser für beide Fahrrichtungen zu benützen sei (Messiner StVO9 Anm 2 zu § 68; Dittrich-Stolzlechner, StVO3 Rz 4 zu § 68, Grundtner/Hellar/Schachter, Die Österreichische Verkehrsordnung nach der 19.Novelle, Seite 435). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Da im vorliegenden Fall nur ein Radweg in der Breite von 1,2 m vorhanden ist, war das Befahren in beiden Richtungen daher gestattet.

Dem steht auch nicht entgegen, daß der Geh- und Radweg durch das Vorschriftszeichen nach § 52 Z 17 a lit b lediglich in nördlicher Richtung gekennzeichnet war. Aus diesem Zeichen läßt sich jedenfalls nicht entnehmen, daß der Radweg nur in einer bestimmten Richtung befahren werden darf. Die auf dem Geh- und Radweg aufgebrachte Kennzeichnung durch ein stilisiertes Fahrrad und ein gleichschenkeliges Dreieck, dessen Spitze gegen die Fahrrichtung der Klägerin weist, bedeutet entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerber ebenfalls kein Gebot, den Geh- und Fahrweg lediglich in einer bestimmten Richtung zu benützen. Weder der Straßenverkehrsordnung noch der Bodenmarkierungsverordnung ist zu entnehmen, daß diesem Zeichen ein verpflichtender Gebotscharakter zukommt. Entgegen der Ansicht der Revisionswerber durfte daher der Erstbeklagte nicht darauf Vertrauen, daß der Radweg nur in nördlicher, nicht aber auch in südlicher Richtung befahren wird.

Da sich die Klägerin jedenfalls im Fließverkehr befunden hat, war der Erstbeklagte ihr gegenüber im Sinne des § 19 Abs 6 StVO wartepflichtig.

Soweit die Revision der Klägerin ein Mitverschulden infolge Verletzung der Bestimmung des § 68 Abs 3 a StVO vorwirft, ist auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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