OGH 1Ob109/18p

OGH1Ob109/18p17.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. G* P*, und 2. Ursula P*, vertreten durch die HOHENBERG STRAUSS BUCHBAUER Rechtsanwälte GmbH, Graz, gegen die beklagte Partei Gemeinde F*, vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in Graz, wegen 573.890,70 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 2. Mai 2018, GZ 5 R 172/17d‑57, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 23. Oktober 2017, GZ 41 Cg 51/15m‑47, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E122275

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Auf die Verjährung ist nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0034326 [T2]). Derjenige, der die Verjährung einwendet, hat die dafür maßgeblichen Tatsachen deutlich vorzubringen und zu beweisen (RIS‑Justiz RS0034198 [T1, T2, T4]; RS0034326 [T3, T7, T9]; RS0034456 [T3, T4]; RS0037797 [T1]). Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommt, sofern nicht – anders als im vorliegenden Fall – eine zur Wahrung der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung vorliegt (RIS‑Justiz RS0042828 [T1, T15, T23]).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte jedenfalls zur kurzen Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 Satz 1 AHG ausreichende und konkret begründete Umstände für den Eintritt der Verjährung vorbrachte, ist nicht korrekturbedürftig. Dass sie sich – in der Klagebeantwortung – ausdrücklich auf die dreijährige Verjährungsfrist berufen hat, war auch den Klägern bewusst, bestritten sie doch umgehend den Eintritt der Verjährung, und zwar ohne etwa die Replik der Arglist zu erheben.

2.1. Auch für Amtshaftungsansprüche gilt für den Beginn der kurzen Verjährungsfrist, dass jener Zeitpunkt maßgebend ist, zu dem der Geschädigte die Kenntnis vom Schaden hat und aufgrund der ihm bekannten Tatsachen ohne nennenswerte Mühe auf das Verschulden irgendeines Organs des Rechtsträgers schließen kann (RIS‑Justiz RS0050355). Der Geschädigte darf mit der Klageführung aber nicht so lange zuwarten, bis er den Rechtsstreit zu gewinnen glaubt; jeder Kläger muss nämlich damit rechnen, dass sich seine scheinbare Kenntnis des Schadens und des Ersatzpflichtigen als irrig herausstellt. Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt daher, sobald sein Kenntnisstand über den anspruchsbegründenden Sachverhalt eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erlaubt (RIS‑Justiz RS0050338 [T5, T12]). Allgemein gilt für Schadenersatzansprüche, dass die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis des Sachverhalts, der den Grund des Entschädigungsanspruchs bildet, erst beginnt, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt soweit bekannt wurde, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben hätte können (RIS‑Justiz RS0034524). Er darf aber nicht etwa solange mit der Klageführung warten, bis er alle Beweismittel gesammelt hat, die sein Prozessrisiko auf ein Minimum reduzieren (RIS‑Justiz RS0034524 [T6, T7]). Wann eine in diesem Sinn ausreichende Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen anzunehmen ist, ist stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig (RIS‑Justiz RS0034524 [T23, T41]), sodass sich regelmäßig eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht stellt.

2.2. Unterlässt der Kläger innerhalb der dreijährigen Frist des § 6 Abs 1 Satz 1 AHG die Einbringung einer Klage, verjährt nicht nur der Anspruch auf Schadenersatz für den schon eingetretenen sogenannten Primärschaden, sondern auch für alle voraussehbaren künftigen Schäden (Teil‑[folge‑]schäden; im Sinn der gemäßigten Einheitstheorie RIS‑Justiz RS0034511; RS0050338; RS0083144 [T2, T6, T9, T15, T20, T27, T39]; RS0087613; RS0087615; RS0097976), weil die Verjährungsfrist nach herrschender Rechtsprechung für diesen und die voraussehbaren künftigen weiteren Teilschäden oder Folgeschäden einheitlich beginnt. Der drohenden Verjährung des Ersatzanspruchs für solche Folgeschäden ist mit einer Feststellungsklage innerhalb der Verjährungsfrist zu begegnen (RIS‑Justiz RS0034618 [T5]; RS0087613; RS0097976). Ob ein Schaden vorhersehbar war, ist stets im Einzelfall zu entscheiden und keiner Verallgemeinerung zugänglich (1 Ob 127/02m = RIS‑Justiz RS0034618 [T6]).

2.3. Eine Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen.

Die Kläger begehren mit der am 27. 7. 2015 eingebrachten Klage Schadenersatz aus dem Titel der Amtshaftung von der beklagten Gemeinde, weil an und in ihrem Haus nach mehreren Hochwasserereignissen (1997, 2006, 2009, 2013) Schäden eingetreten seien. Sie stützen sich darauf, dass ihre Liegenschaft wegen der Hochwassergefahr nicht im Jahr 1991 in Bauland umgewidmet (bzw in der Folge als Bauplatz gewidmet) und im Jahr 1992 keine Baubewilligung erteilt hätte werden dürfen. Den Organen der Beklagten sei vorzuwerfen, schuldhaft den ihr bekannten Umständen keine Beachtung geschenkt zu haben, die dazu führen, dass ein von ihr eingebautes Rohr das Wasser in Richtung der Liegenschaft der Kläger lenke. Weiters brachten sie unter anderem vor, dass jeder Laie, der das Gerinne in Augenschein nehme, erkenne, dass das Grundstück der Kläger ganz sicher unter Wasser stehe, wenn das Gerinne überfordert sei. Hätte die Beklagte die angeführten (Um‑)Widmungen und Bewilligungen nicht erteilt, wäre der Schaden nicht eingetreten.

Wenn das Berufungsgericht nun insbesondere unter Bezugnahme auf das Vorbringen der Kläger, wonach die Überflutungsgefahr für jeden Laien leicht erkennbar gewesen sei, die Auffassung vertreten hat, spätestens mit dem dritten Schadensereignis im September 2009 hätten sie die „latente Hochwassergefahr“ und damit ein Verschulden der Organe der Beklagten erkennen können, ist dies ebensowenig zu beanstanden wie die Auffassung, die 2013 eingetretenen Schäden seien für die Kläger im Sinne der Judikatur zur gemäßigten Einheitstheorie vorhersehbar gewesen, weshalb auch allfällige Schadenersatzansprüche aus der weniger als drei Jahre vor der Klageerhebung eingetretenen Überflutung mangels rechtzeitiger Erhebung einer Feststellungsklage verjährt seien. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Primärschaden nicht erst mit der ersten Überflutung, sondern – als realer Schaden (vgl dazu nur RIS‑Justiz RS0129706) – mit dem Erwerb (und der Bebauung) der Liegenschaft eingetreten ist, wäre es doch bei dem von den Klägern behaupteten (gebotenen) hypothetischen Geschehnisablauf zu keiner Baulandwidmung – und ihren darauf beruhenden Dispositionen – gekommen. Die Auffassung, dass – ungeachtet der (unzureichenden) baulichen Maßnahmen nach den ersten drei Überflutungen – eine Vergrößerung der (spätestens) 2009 bekannten Schäden, die auf denselben schadensstiftenden Umstand zurückzuführen sind, zu erwarten war und die Schadensereignisse den Klägern Anlass gegeben hätten, ein entsprechendes Feststellungsbegehren zu erheben, ist nicht korrekturbedürftig; für ein Bejahen der – stets einzelfallbezogen zu beurteilenden (RIS‑Justiz RS0087613 [T5]; RS0034618 [T6]) – Voraussehbarkeit von Folgeschäden kommt es nicht darauf an, dass ein konkreter künftiger Geschehnisablauf absehbar ist.

2.4. Darauf, ob auch die zehnjährige Verjährungsfrist (§ 6 Abs 1 Satz 2 AHG) abgelaufen wäre, kommt es daher nicht an.

3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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