OGH 10Ob40/18g

OGH10Ob40/18g26.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes E*, geboren * 2012, vertreten durch das Land Oberösterreich als Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe (Magistrat der Stadt Linz, Soziales, Jugend und Familie, 4041 Linz, Hauptstraße 1–5), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 6. Februar 2018, GZ 15 R 26/18a‑30, womit infolge Rekurses des Bundes der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 4. Dezember 2017, GZ 36 Pu 17/14x‑24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122462

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Das 2012 in Österreich geborene Kind ist nigerianischer Staatsangehöriger und Konventionsflüchtling. Es lebt bei seiner Mutter, ebenfalls einer nigerianischen Staatsangehörigen, in Österreich.

Mit Beschluss vom 24. 2. 2014 (ON 7) wurde der Vater verpflichtet, für seinen Sohn ab Geburt einen Unterhaltsbeitrag von 218 EUR monatlich zu zahlen. Am 6. 10. 2017 (ON 19a) beantragte das Kind mit dem Hinweis auf die Eigenschaft des Konventionsflüchtling die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von monatlich 218 EUR.

Das Erstgericht gewährte dem Kind vom 1. 10. 2017 bis 30. 9. 2022 monatliche Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 218 EUR (ON 24). Es stellte unter anderem folgenden weiteren Sachverhalt fest:

Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 5. 10. 2012 wurde dem Kind der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Mutter des Kindes lebt seit 12 Jahren in Österreich. Sie hat in ihrem früheren Heimatland Nigeria keine Familie, die Eltern sind gestorben. Die Mutter ist damals aus Nigeria geflüchtet, „die Fluchtgründe waren sehr dramatisch, sie ist nicht in der Lage darüber zu reden, da sie immer noch traumatisiert ist. Aktenkundig ist auch die Länderinformation der Staatendokumentation ‘Nigeria‘ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), welches auf aktuellen Quellen basiert und unbedenklich ist“.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen lägen vor.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Dem Kind sei im Jahr 2012 Asyl gewährt worden, sodass ihm seither ex lege Flüchtlingsstellung zukomme und es Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse habe. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht im Hinblick auf die seines Erachtens nicht einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs seit der Entscheidung 10 Ob 19/17t zu.

Der Bund strebt mit seinem vom Kind beantworteten Revisionsrekurs die Abweisung des Antrags „auf Weitergewährung“ der Unterhaltsvorschüsse an das Kind an; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs des Bundes ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber macht geltend, dass die Flüchtlingseigenschaft von den Gerichten selbständig zu prüfen sei. Im vorliegenden Fall fehle dem Kind diese Eigenschaft in Anbetracht der Verhältnisse in seinem Heimatstaat und des Umstands, dass seit der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft schon ein Zeitraum von fünf Jahren verstrichen sei. Zumindest genügten die bisher dazu getroffenen Feststellungen nicht zur Beurteilung dieser Frage.

Das Kind hält dem in der Revisionsrekursbeantwortung entgegen, dass es für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ausschließlich darauf ankomme, dass sich ein Flüchtling berechtigt in Österreich aufhalte, was hier der Fall sei. Die Berechtigung zum Aufenthalt ergebe sich aus der Entscheidung im Asylverfahren, die Gerichte könnten über die Flüchtlingseigenschaft nicht entscheiden. Die Gerichte hätten in Unterhaltsvorschussverfahren keine selbständige Prüfungsmöglichkeit, ob die Eigenschaft als Flüchtling noch bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Dazu ist auszuführen:

Zur Anspruchsberechtigung von Flüchtlingen auf Unterhaltsvorschüsse

1. Anspruch auf Vorschüsse haben gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 UVG minderjährige Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind. Das Kind hat im vorliegenden Fall seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, ist aber weder österreichischer Staatsbürger noch staatenlos.

2.1 Die Anspruchsberechtigung von Flüchtlingen ergibt sich nicht unmittelbar aus § 2 Abs 1 UVG (10 Ob 46/10b). Sie ergibt sich vielmehr daraus, dass diesen das für den familienrechtlichen Bereich maßgebliche inländische Personalstatut im Sinn des § 9 Abs 3 IPRG zukommt. Denn es besteht ein enger Zusammenhang des Vorschussrechts mit dem Unterhaltsrecht, was durch die ausdrückliche Einbeziehung der Staatenlosen in den Kreis der gemäß § 2 Abs 1 UVG Anspruchsberechtigten zum Ausdruck kommt (10 Ob 35/12p; 10 Ob 6/16d; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB I4 § 2 UVG Rz 14).

2.2 Der enge Zusammenhang zwischen dem Unterhaltsvorschussrecht und dem Unterhaltsrecht liegt darin, dass der Bundesgesetzgeber die Erlassung des UVG auf den Kompetenztatbestand des Zivilrechtswesens (Art 10 Abs 1 Z 6 B‑VG) stützte. Dies bedingt eine – wenngleich nicht durchgängige – enge Bindung des Unterhaltsvorschusses an den der Vorschussleistung zugrunde liegenden gesetzlichen Unterhaltsanspruch des Kindes. Die Unterhaltsvorschüsse als (reine) Fürsorgeleistung zu konstruieren war – und ist – dem Bundesgesetzgeber mangels Gesetzgebungskompetenz in Sozialhilfesachen nicht möglich (6 Ob 232/98f; Neuhauser, Unterhaltsvorschuss, in: Deixler‑Hübner, Handbuch Familienrecht [2015] 397 [399]).

2.3 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union waren Unterhaltsvorschüsse als Familienleistung im Sinn von Art 4 Abs 1 lit h der VO (EWG) 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu‑ und abwandern, anzusehen. Der Umstand, dass Unterhaltsvorschüsse seit 1. 5. 2010 nicht mehr unter die Vorschriften der VO (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit fallen, bedeutet nicht, dass die Grundsätze des Unionsrechts auf diese Leistung nicht mehr anzuwenden sind (10 Ob 67/17a mwH).

3.1 Für die persönliche Rechtsstellung von „Konventionsflüchtlingen“ im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl 1955/55 (GFK), und des Flüchtlingsprotokolls, BGBl 1974/78, ist gemäß § 53 Abs 1 IPRG und Art 12 Z 1 GFK das Sachrecht des Wohnsitzstaats bzw Staats des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich (6 Ob 183/98z; 10 Ob 46/10b; 10 Ob 35/12p).

3.2 Die Flüchtlingseigenschaft kommt gemäß § 9 Abs 3 IPRG auch (nicht zwingend staatenlosen) Personen zu, deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind. Das Gesetz meint damit gleichwertige Gründe wie die in der GFK und im Zusatzprotokoll, BGBl 1974/78, aufgezählten (Verschraegen in Rummel, ABGB³ § 9 IPRG Rz 6). Für die Beurteilung des Personalstatuts solcher Flüchtlinge gilt nach § 9 Abs 3 IPRG das internationale Privatrecht des Wohnsitz‑ bzw des Aufenthaltsstaats (6 Ob 183/98z; 10 Ob 35/12p; 10 Ob 19/17t).

3.3 Angewendet auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das Personalstatut des Kindes dann, wenn ihm Flüchtlingseigenschaft zukommt, das österreichische Recht ist. Dies ergibt sich, wenn das Kind – wie hier – „Konventionsflüchtling“ ist, aus § 53 Abs 1 IPRG iVm Art 12 Z 1 GFK, weil das Kind seinen Wohnsitz in Österreich hat.

Zur Prüfung der Flüchtlingseigenschaft

4.1 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass die Flüchtlingseigenschaft vom Gericht jeweils selbständig als Vorfrage zu prüfen ist (10 Ob 46/10b mwN; RIS‑Justiz RS0110397; RS0037183). An dieser Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof auch in den Entscheidungen 10 Ob 19/17t und 10 Ob 3/18s festgehalten.

4.2 Entgegen der in der Revisionsrekursbeantwortung vertretenen Rechtsansicht kommt es für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die Erlaubtheit des Aufenthalts in Österreich an. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs umgekehrt für die Asylgewährung das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung Voraussetzung (VwGH Ra 2016/18/0201; Ra 2015/18/0212). Erst in weiterer Folge kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, gemäß § 3 Abs 4 AsylG 2005, BGBl I 2005/100, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu (zum Aufenthaltsrecht des Asylwerbers vgl § 13 AsylG 2005).

4.3 Von der Entscheidung über die Zu‑ oder Aberkennung des Status als Asylberechtigter und damit verbunden der Aufenthaltsberechtigung ist die bloß deklarative Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (10 Ob 19/17t) zu unterscheiden. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Umgekehrt ist gemäß § 7 Abs 4 AsylG 2005 die Aberkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt.

4.4 Diese gesetzlichen Regelungen beruhen auf unionsrechtlichen Vorgaben. Das wesentliche Ziel der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status‑RL) besteht nach ihrem 12. Erwägungsgrund darin, einerseits zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten gemeinsame Kriterien zur Bestimmung der Personen anwenden, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird. Nach dem 24. Erwägungsgrund der Status‑RL müssten gemeinsame Kriterien für die Anerkennung von Asylwerbern als Flüchtlinge im Sinn von Art 1 der GFK eingeführt werden (vgl auch ErwGr 29 der Status‑RL). Nach dem 23. Erwägungsgrund der Status‑RL sollen Normen für die Bestimmung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft festgelegt werden, um die zuständigen innerstaatlichen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der GFK zu leiten. Im Gegensatz zur GFK, die nur die Flüchtlingseigenschaft regelt, sieht die Status‑RL neben den Schutzregelungen zur Flüchtlingseigenschaft auch Regelungen über den durch den subsidiären Schutz gewährten Status vor (ErwGr 6 der Status‑RL; EuGH Rs C‑364/11 , El Karem El Kott u.a., Rn 66 zur Vorgänger‑RL 2004/83/EG ; VwGH Ra 2017/18/0274).

4.5 Die Status‑RL hält im 21. Erwägungsgrund fest, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein deklaratorischer Akt ist. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in diesem Zusammenhang, insbesondere auch zu Art 13 der Status‑RL („Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft“) erst jüngst in der Entscheidung vom 12. April 2018, Rs C‑550/16 , A und S, Rn 52–54, ausgeführt (Hervorhebungen durch den Senat):

„52 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass einer Person die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, wenn sie die im Unionsrecht festgelegten Mindestnormen erfüllt. Nach Art. 13 der Richtlinie 2011/95 erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III dieser Richtlinie erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu, ohne in dieser Hinsicht über ein Ermessen zu verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2015, H. T., C‑373/13 , EU:C:2015:413, Rn. 63).

53 Zudem ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95 ein deklaratorischer Akt.

54 Daher hat jeder Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, der die materiellen Voraussetzungen von Kapitel III dieser Richtlinie erfüllt, nach der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß Kapitel II der Richtlinie 2011/95 ein subjektives Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft , und zwar noch bevor hierzu eine förmliche Entscheidung ergangen ist.“

Konsequenzen der selbständige Prüfung der Flüchtlingseigenschaft als Vorfrage

5.1 Auch im vorliegenden Fall ist daher die Flüchtlingseigenschaft des Kindes – wovon das Erstgericht ohnehin ausgegangen ist – als Vorfrage für die Beurteilung des Personalstatuts des Kindes und damit verbunden der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 2 Abs 1 UVG vom Gericht selbständig zu prüfen.

5.2 Flüchtlinge sind nach der GFK und dem Flüchtlingsprotokoll, BGBl 1974/78, Personen, die sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befinden und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sind, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen“ (vgl Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH Ra 2016/19/0074; Ra 2015/19/0185; Ra 2014/20/0165 ua).

5.3 Der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren kommt stärkste Indizwirkung zu, sie nimmt dem Gericht aber nicht die Möglichkeit der selbständigen Vorfragenprüfung. Liegt eine solche Feststellung erst kurze Zeit vor der gerichtlichen Entscheidung, in der die Flüchtlingseigenschaft eine Vorfrage darstellt, wird das Gericht in der Regel von einer weiteren selbständigen Prüfung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte absehen können. Dies ist aber anders, wenn seit der Feststellung ein geraumer Zeitraum verstrichen ist und sich die Verhältnisse im Heimatstaat des Flüchtlings wesentlich geändert haben (6 Ob 183/98z; 10 Ob 4/13f; 10 Ob 19/17t; 10 Ob 3/18s ua).

5.4 Die Entscheidung des Bundesasylamts, mit der dem Kind im Rahmen eines Familienverfahrens (§ 34 AsylG 2005) der Status als Asylberechtigter (§ 3 AsylG 2005) zuerkannt wurde, weil die Voraussetzungen des § 34 Abs 2 AsylG 2005 vorlagen, datiert vom 5. 10. 2012. Zu Recht ist das Erstgericht daher davon ausgegangen, dass infolge des geraumen Zeitraums, der seither verstrichen ist, die „Indizwirkung“ des Asylbescheids bereits reduziert ist.

6.1 Den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen sind allerdings konkrete personenbezogene Umstände zu entnehmen, die ausreichend erkennen lassen, dass seit der Asylgewährung an das Kind im Jahr 2012 keine maßgebliche Veränderung betreffend die Flüchtlingseigenschaft der Mutter (von der das Kind seine Flüchtlingseigenschaft ableitet) eingetreten sind. Aufgrund ihrer Traumatisierung ist sie nach wie vor nicht in der Lage, über die dramatischen Fluchtgründe zu sprechen.

6.2 Im Hinblick auf die aufrechte Flüchtlingseigenschaft haben die Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht den Anspruch des Kindes auf Titelvorschüsse bejaht.

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