European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1998:0060OB00183.98Z.0716.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben; die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag der Lenka V***** auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG für die Zeit vom 1.10.1997 bis 31.12.1998 abgewiesen wird.
Begründung:
Die Eltern von Lenka V***** sind mit ihren beiden Kindern Jaroslav, geboren 13.2.1976, und Lenka, geboren am 29.12.1979, im Jahr 1987 nach Österreich gekommen. Mit Bescheid des Bundesministerium für Inneres vom 20.12.1988, 227.793/4‑II/6/87 wurde festgestellt, daß die Mutter und ihre beiden damals mj. Kinder Flüchtlinge im Sinne des BG vom 7.3.1968, BGBl Nr 126/68 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl Nr 55/1955 idF BGBl 726/74 und gemäß § 7 Abs 1 des Asylgesetzes zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind. Eltern und Kinder sind nach wie vor tschechische Staatsbürger. Lenka wurde von der BH Salzburg‑Umgebung am 2.2.1996 aufgrund des erwähnten Bescheides ein am 2.2.1998 abgelaufenes Reisedokument (Konvention vom 28.7.1951) ausgestellt. Die Mutter hat keinen Antrag gestellt, aus der tschechischen Staatsbürgerschaft entlassen zu werden.
Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 8.5.1996 einvernehmlich gemäß § 55a EheG geschieden. Die Obsorge kommt der Mutter zu, der Vater hat sich zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 1.500 S ab 1.6.1996 verpflichtet.
Das Erstgericht hat auf Antrag der Mutter diesen Unterhaltstitel für den Zeitraum 1.10.1997 bis 28.12.1998 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG bevorschußt, nachdem eine vom Bezirksgericht Salzburg gegen den Vater bewilligte Exekution ergebnislos geblieben war.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz, in dem darauf verwiesen wurde, daß Lenka V***** nach dem für sie geltenden tschechischen Recht mit der Vollendung des 18. Lebensjahres bereits volljährig geworden sei und nach § 2 Abs 1 UVG daher keinen Anspruch auf Vorschüsse mehr habe, keine Folge.
Nach § 2 Abs 1 UVG hätten nur Minderjährige, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos seien, Anspruch auf Vorschüsse. Lenka wäre als tschechische Staatsangehörige nach dem Sachrecht der tschechischen Republik mit Vollendung des 18. Lebensjahres auch bereits volljährig. Dies stehe einer Unterhaltsbevorschussung aber nicht entgegen, weil sie als anerkannter Konventionsflüchtling nach § 9 Abs 3 IPRG österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sei. Nach § 12 IPRG sei die Rechts‑ und Handlungsfähigkeit einer Person nach dem Personalstatut, im konkreten Fall also nach inländischem Sachrecht zu beurteilen, sodaß Lenka unbeschadet ihrer tschechischen Staatsbürgerschaft für den österreichischen Rechtsbereich noch als minderjährig gelte. Die Voraussetzungen für eine Unterhaltsbevorschussung seien daher gegeben.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage wieweit das Tatbestandsmerkmal der Minderjährigkeit im § 2 UVG bei Konventionsflüchtlingen an das Personalstatut anknüpfe, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 2 Abs 1 UVG haben Anspruch auf Vorschüsse mj. Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind. Das Gesetz stellt damit nicht auf ein bestimmtes Alter, sondern auf das Vorliegen der Minderjährigkeit des Kindes ab. Die Rechts‑ und Handlungsfähigkeit einer Person ist nach deren Personalstatut zu beurteilen (§ 12 IPRG). Die personenrechtliche Rechtsstellung eines Flüchtlings wird nach § 53 IPRG und Art 12 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1955/55 idgF (Flüchtlingskonvention) vom Gesetz seines Wohnsitzlandes oder mangels Wohnsitzes vom Gesetz seines Aufenthaltslandes bestimmt. Damit übereinstimmend normiert § 9 Abs 3 IPRG als Personalstatut einer Person, die Flüchtling im Sinn der für Österreich geltenden internationalen Übereinkommen ist (oder deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind) das Recht des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; eine Verweisung dieses Rechtes auf das Recht des Heimatstaates (§ 5) ist unbeachtlich.
Hinsichtlich der Wirkungen eines die Flüchtlingseigenschaft aussprechenden Bescheides der Verwaltungsbehörde und deren Bindungswirkung für das Gericht sind die Ansichten in der Lehre nicht einheitlich. Duchek‑Schwind, IPR VI Genfer Flüchtlingskonvention 132, FN 3; Schwind, IPR Rz 186; Mänhardt, Die Kodifikation des österreichischen IPR 78; Goldemund‑Ringhofer‑Theuer, Staatsbürgerschaftsrecht 87 FN 26 und Schwimann, Grundriß des IPRG 1982, 61 verneinen eine absolute Bindung und vertreten die Ansicht, daß eine Vorfragenprüfung der Flüchtlingseigenschaft stattzufinden habe, während Schwimann in Rummel, ABGB2 in Rz 4 zu § 9 IPRG und Hoyer, Acp 1973, 284, beide ohne nähere Begründung, die bindende Wirkung eines Feststellungsbescheides bejahen. Mänhardt (aaO) vertritt die Ansicht, daß sich die Wirkung der bescheidmäßigen Feststellung lediglich auf den sachlichen Geltungsbereich des Asylrechtsgesetzes beziehe, sie sei weder für die Verwaltungsbehörden noch für das Gericht bindend, diese hätten daher die Flüchtlingseigenschaft nach wie vor selbständig zu prüfen.
Die ältere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (EvBl 1965, 232; ZfRV 1962, 39 und SZ 40/95) vertritt den Standpunkt, daß die Tatsache, daß für einen Flüchtling ein Reisedokument nach der Konvention von einer österreichischen Behörde ausgestellt worden ist, das Gericht nicht der Prüfungspflicht der Flüchtlingseigenschaft enthebt. In der Entscheidung 7 Ob 553/86 wurde unter Hinweis auf die eine Bindung ablehnende Lehre ausgeführt, daß ungeachtet der Frage der Bindung der Gerichte an einen verwaltungsbehördlichen Bescheid auch bei selbständiger Prüfung des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft der bereits getroffenen Feststellung durch die Sicherheitsdirektion stärkste Indizwirkung zukomme, im damals zu beurteilenden Fall aber auch keine gegenteiligen Anhaltspunkte hervorgekommen seien, sodaß von den getroffenen Feststellungen der Sicherheitsdirektion ausgegangen werden könne.
Gerade der vorliegende Fall zeigt, daß die Ansicht, der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren komme zwar stärkste Indizwirkung zu, nehme dem Gericht aber nicht die Möglichkeit selbständiger Vorfragenprüfung, am sachgerechtesten ist. Liegt eine solche Feststellung, die ja nach Abführung eines formellen Verwaltungsverfahrens mit der Möglichkeit der Anfechtung im Instanzenzug getroffen wird, erst kurze Zeit vor der gerichtlichen Entscheidung, in der die Flüchtlingseigenschaft‑Vorfrage darstellt, wird das Gericht in der Regel von einer weiteren selbständigen Prüfung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte absehen können. Dies ist aber anders, wenn seit der Feststellung schon ein geraumer Zeitraum verstrichen ist und sich die Verhältnisse im Heimatstaat des Flüchtlings wesentlich geändert haben. Denn Art 1 Abschn C.5 der Konvention bestimmt, daß das Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschn A fällt, nicht mehr angewendet wird, wenn die Umstände auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Gerade diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Feststellungsbescheid stammt aus dem Jahr 1988 und bezieht sich auf die Verhältnisse des Jahres 1987. Es ist notorisch, daß seit der "Wende", der Öffnung und Demokratisierung der ehemaligen Ostblockstaaten, die Umstände, derentwegen einzelne Staatsbürger der ehemaligen tschechoslowakischen Volksrepublik als Konventions- flüchtlinge anerkannt wurden, nicht mehr bestehen und diese ehemaligen Flüchtlinge es daher nicht weiter ablehnen können, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes, nunmehr die tschechische Republik, zu stellen. Dafür, daß die seinerzeit gegebenen Umstände entgegen der grundsätzlichen allgemeinen Änderung im konkreten Einzelfall (insbesondere für die Kinder der 1987 nach Österreich legal eingereisten Eltern) noch immer andauern, haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben.
Da Lenka V***** nach ihrem somit anzuwendenden Heimatrecht mit Vollendung des 18. Lebensjahres bereits volljährig geworden ist, steht ihr nach § 2 Abs 1 UVG jedenfalls kein Unterhaltsvorschuß zu, ohne daß es noch einer näheren Untersuchung und Erörterung bedürfte, ob aus gebotener Analogie die in dieser Bestimmung nicht genannten Flüchtlinge ebenso zu behandeln sind wie die im Gesetz ausdrücklich angeführten Staatenlosen.
In Stattgebung des Revisionsrekurses ist der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen somit abzuweisen.
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