OGH 7Ob553/86

OGH7Ob553/8624.4.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Mag. Engelmaier als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Vera S***, geboren am 10. Jänner 1978, und des mj. Lubomir SRB, geboren am 14. August 1980, infolge Revisionsrekurses der Mutter Vera R***, Otterthal 30, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Rekursgerichtes vom 13. Jänner 1986, GZ. R 554/85-20, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Gloggnitz vom 19. November 1985, GZ. P 60/85-17, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die beiden Minderjährigen sind eheliche Kinder der Vera S***, wiederverehelichte R*** und des Lubomir SRB. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes in Jablonec nad Nisou vom 15. Oktober 1982 wurde die Ehe der Eltern geschieden, die Erziehung der Kinder der Mutter anvertraut und der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung für die Kinder von zusammen Kcs 650 verpflichtet. Die zugleich angeordnete Beaufsichtigung über die Kinder wurde inzwischen aufgehoben. Die Mutter kehrte im Sommer 1985 von einem Auslandsurlaub mit den Kindern nicht mehr in die CSSR zurück. Sie hält sich mit den Kindern in Österreich auf. Aufgrund des Antrages auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 1. Oktober 1985, Zl. FrA 2790/85, festgestellt, daß die Voraussetzungen des Art.1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1955/55, idF des Protokolls vom 31. Jänner 1967, BGBl. 1974/78, zutreffen und die Mutter und die Kinder daher gemäß § 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. 126, idF des Bundesgesetzes vom 27.11.1974, BGBl. 796, zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind. Die Mutter beabsichtigt, mit ihrem Ehemann und den Kindern nach Kanada auszuwandern. Der Vater begehrt, die Pflege und Erziehung ihm zu übertragen, sowie die einstweiligen Vorkehrungen, der Mutter die Verbringung der Minderjährigen aus Österreich zu untersagen, und ihr aufzutragen, die Ausreisedokumente beim Pflegschaftsgericht zu erlegen. Das Erstgericht wies die Anträge des Vaters, ihm die Pflege und Erziehung zu übertragen, und der Mutter die Hinterlegung der Reisedokumente beim Pflegschaftsgericht aufzutragen, ab, verbot der Mutter jedoch, die Kinder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Pflege und Erziehung aus Österreich zu verbringen. Nach seinen Feststellungen lebte die Mutter mit den Kindern nach der Scheidung zunächst noch in der Ehewohnung, zog jedoch in der Folge zu Jiri R***, den sie am 26. Jänner 1985 heiratete. Der Vater übte ein Besuchsrecht aus. Da die Mutter in der Folge eine Arbeit annahm, wurden die Minderjährigen auch außerhalb der Besuchszeiten zum Vater bzw. zu seinen Eltern gebracht. Der Vater bewohnt mit seinen Eltern ein geräumiges Zweifamilienhaus. Der Großvater der Minderjährigen ist 65 Jahre, die Großmutter 72 Jahre alt. Beide sind noch in der Lage, die Kinder zu betreuen. Die mj. Vera besuchte in der CSSR die erste Klasse Volksschule, der mj. Lubomir den Kindergarten. Ab November 1984 mußte der mj. Lubomir dem Kindergarten wegen einer Asthmaerkrankung fernbleiben. Die mj. Vera steht seit ihrem ersten Lebensjahr wegen Schielens in augenärztlicher Behandlung und mußte sich in der CSSR regelmäßigen Kontrolluntersuchungen unterziehen. Die Mutter war wegen ihrer seit ihrer Kindheit häufig aufgetretenen Bronchitiserkrankungen im August 1985 in der Heilstätte Grimmenstein. Sie ist gesundheitlich in der Lage, ihre Kinder selbst zu betreuen. Derzeit bewohnt sie mit den Kindern und ihrem Ehemann ein Zimmer im Gasthaus S*** in Otterthal. Die Kinder beherrschen nur die tschechische Sprache, auch die Mutter besitzt keine ausreichenden Deutsch- und Englischkenntnisse. Die mj. Vera besucht die erste Klasse Volksschule in Otterthal, der mj. Lubomir ist wegen seines Asthmaleidens in ärztlicher Behandlung. Das Erstgericht bejahte die inländische Gerichtsbarkeit und die Anwendung des materiellen inländischen Rechtes. Danach sei eine Änderung in der Zuteilung der elterlichen Rechte nur zulässig, wenn das Wohl der Kinder gefährdet sei. Dies sei hier nicht der Fall. Die im allgemeinen mit der Flucht und der Auswanderung verbundenen Anpassungsschwierigkeiten müßten in Kauf genommen werden. Nur wenn diese über das im allgemeinen mit einer solchen Änderung verbundene Ausmaß hinausgingen, läge eine Gefährdung des Kindeswohles vor. Hiefür fehlten aber Anhaltspunkte. Eine Hinterlegung der Ausreisedokumente könne wegen der damit verbundenen Beschränkung des Rechtes der Mutter auf persönliche Freizügigkeit nicht verfügt werden. Das Verbot der Verbringung der Kinder sei dagegen zur Wahrung der Rechtsmittelchancen des Vaters gerechtfertigt. Das an die Mutter gerichtete Verbot des Erstgerichtes erwuchs in Rechtskraft.

Das Rekursgericht gab dem gegen die abweisenden Teile des erstgerichtlichen Beschlusses erhobenen Rekurs des Vaters Folge. Es ordnete bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag des Vaters den Erlag des Reisepasses der Mutter, in dem auch die Kinder eingetragen sind, beim Erstgericht an, hob im übrigen den erstgerichtlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht nach Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung auf.

Das Rekursgericht billigte die Auffassung des Erstgerichtes über die inländische Gerichtsbarkeit und die Anwendung inländischen materiellen Rechtes. Die bisherigen Verfahrensergebnisse ließen jedoch eine abschließende Beurteilung der Frage nicht zu, ob mit der von der Mutter beabsichtigten Auswanderung eine Gefährdung des Kindeswohles verbunden sei. Es bedürfe ergänzender Ermittlungen darüber, welche Lebensverhältnisse derzeit und in naher Zukunft für Einwanderer in Kanada, insbesondere unter Bedachtnahme auf die Vorbildung der Mutter und des Stiefvaters zu erwarten seien. Auch wenn eine sichere Prognose in dieser Richtung nicht zu erwarten sei, müsse doch die grundsätzliche Situation geklärt und eine Vorhersage darüber angestellt werden, ob die wirtschaftliche Existenz und die medizinische Betreuung der Kinder gesichert sei. Die Hinterlegung des Reisepasses sei als vorläufige Maßnahme im Pflegschaftsverfahren zulässig. Das Recht auf persönliche Freizügigkeit der Mutter müsse hinter dem Wohl der Kinder zurückstehen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist berechtigt.

Nach dem Inhalt des Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 1. Oktober 1985 liegen in Ansehung der Mutter und der beiden Kinder die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. 1955/55 idF des Protokolles vom 31. Jänner 1967 BGBl. 1974/78 vor. Die Mutter und die Kinder sind daher gemäß § 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 126 idF des Bundesgesetzes vom 27. November 1974, BGBl. 796 zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Ungeachtet der Frage der Bindung der Gerichte an diesen Bescheid (vgl. Fasching LB Rdz 95 f; Duchek-Schwind, IPR 132 Anm. 3; Mänhardt, Die Kodifikation des österreichischen Internationalen Privatrechts 78) kommt auch bei der selbständigen Prüfung des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft der bereits getroffenen Feststellung durch die Sicherheitsdirektion stärkste Indizwirkung zu (Schwimann, Grundriß des internationalen Privatrechts 60 f). Gegenteilige Anhaltspunkte sind hier nicht hervorgekommen, sodaß die Vorinstanzen zu Recht von der Feststellung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich ausgegangen sind. Es ist anerkannt, daß die inländische Gerichtsbarkeit durch die Flüchtlingskonvention in Ansehung der Flüchtlinge eine Erweiterung erfahren hat (SZ 29/32; Veiter, Die Flüchtlingskonvention in der österreichischen Rechtsprechung in JBl. 1972, 352). Zutreffend ist auch das Rekursgericht bei Bestimmung der anzuwendenden Sachnormen von § 24 IPRG ausgegangen, wonach die Wirkungen der Ehelichkeit eines Kindes, wozu der gesamte Inhalt des ehelichen Eltern-Kindes-Verhältnisses gehört (Schwimann in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 24 IPRG), nach dessen Personalstatut zu beurteilen sind, das für einen Flüchtling das Recht des Staates ist, in dem er seinen Wohnsitz, mangels eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 9 Abs. 3 IPRG). Da die Minderjährigen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben, ist auch der Sachentscheidung inländisches Recht zugrunde zu legen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 177 ABGB, daß eine Änderung einer einmal getroffenen Regelung über die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj. Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten nur dann vorgenommen werden kann, wenn besonders wichtige Gründe vorliegen, insbesondere wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist (SZ 51/136; EFSlg. 43.321 uva).

Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß die von der Mutter beabsichtigte Auswanderung mit den Minderjährigen nach Kanada für sich allein kein Grund ist, ihr die Pflege und Erziehung zu entziehen. Die Einwanderung nach Kanada soll auf Grund einer Bewilligung der kanadischen Einwanderungsbehörde erfolgen. Die kanadische Einwanderungsbehörde ist - wie gerichtsbekannt ist - eine Abteilung des kanadischen Arbeitsministeriums. Eine Einwanderungsbewilligung wird in der Regel nur erteilt, wenn nach Alter und Beruf der Einwanderungswerber gewährleistet ist, daß diese eine Arbeit finden und nicht als Arbeitslose dem Staat zur Last fallen. Die Einwanderer erhalten Unterkunft und finanzielle Beihilfen, so daß ihre materielle Existenz und ärztliche Betreuung gewährleistet ist. Es liegen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür vor, daß dies hier nicht der Fall wäre. Insoweit bedarf es daher keiner Verfahrensergänzung. Eine verläßliche Prognose für die Zukunft ist in keinem Fall möglich, weil die künftige Entwicklung von den Umständen des Einzelfalles abhängt. In diesem Umfang ist daher eine Verfahrensergänzung zwecklos, weil sie keine brauchbare Entscheidungsgrundlage abgeben kann. Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben und der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die auf Grund dieser Entscheidung zu treffenden Anordnungen hinsichtlich des bei Gericht hinterlegten Reisepasses der Mutter obliegen dem Erstgericht.

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