OGH 3Ob70/56

OGH3Ob70/564.4.1956

SZ 29/32

Normen

Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 Art12
Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 Art16
JN §76 Abs3
Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 Art12
Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 Art16
JN §76 Abs3

 

Spruch:

Zuständigkeit des inländischen Gerichtes für Ehescheidungsklagen von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge.

Entscheidung vom 4. April 1956, 3 Ob 70/56.

I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Das Erstgericht hat mit Beschluß vom 30. November 1955 in Stattgebung der von der beklagten Partei erhobenen Einrede die Nichtigkeit des auf Grund der vom Kläger erhobenen Ehescheidungsklage eingeleiteten Verfahrens ausgesprochen und die Klage wegen Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit zurückgewiesen. Es wies darauf hin, daß das Oberlandesgericht Graz bereits in seiner Rekursentscheidung vom 30. Dezember 1954, 3 R 287/54-29, ausgeführt habe, daß die eine der beiden Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 Z. 1 JN. für die inländische Gerichtsbarkeit, nämlich die Anerkennung der in Österreich zu fällenden Entscheidung in Jugoslawien, nicht gegeben sei. Das Erstgericht erachtete aber auch die andere Voraussetzung, bei deren Vorhandensein die inländische Gerichtsbarkeit bejaht werden müßte, nämlich die Staatenlosigkeit des Klägers, nicht als gegeben, da auf Grund der Mitteilung des Vollzugsrates der Volksrepublik Slowenien in Laibach vom 29. Oktober 1955, Zl. 570/4-1954, an das österreichische Konsulat in Zagreb feststehe, daß der Kläger laut § 35 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes der FVRJ. Staatsbürger dieser Republik sei.

Dem dagegen seitens des Klägers erhobenen Rekurs wurde Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, nach Ergänzung des Verfahrens neuerlich, über die von der beklagten Partei erhobene Einrede der Unzuständigkeit (richtig: des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit) zu entscheiden, wobei der Vollzug dieses Auftrages erst nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses zu erfolgen habe. Das Rekursgericht führte hiezu unter anderem aus:

Im Völkerrecht gelte anerkanntermaßen das Prinzip der Ausschließlichkeit der einzelstaatlichen Regelung des Erwerbes und Verlustes der Staatsangehörigkeit, welches Prinzip auch auf der Haager Internationalen Kodifikationskonferenz 1930 im Art. I des Abkommens über einzelne, aus mangelnder Übereinstimmung der Staatsangehörigkeitsgesetze sich ergebende Fragen seinen Niederschlag gefunden habe. Dieses Prinzip finde nach dem völkerrechtlichen Schrifttum allerdings darin seine Schranke, daß die gesetzliche Regelung keinen Ermessensmißbrauch beinhalte bzw. daß durch die Staatsbürgerschaftsgesetzgebung des betreffenden Staates nicht in die Souveränität eines anderen Staates eingegriffen wird. Wenn daher im gegenständlichen Falle der Vollzugsrat der Volksrepublik Slowenien mitteile, daß nach § 35 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes der FVRJ. der Kläger jugoslawischer Staatsbürger sei, so sei dies eine Entscheidung der hiefür kompetenten innerstaatlichen Behörde, und es fehle demnach den österreichischen Gerichten mit Rücksicht auf das oben angeführte Prinzip die Berechtigung, diese Entscheidung auf ihre materielle Richtigkeit zu überprüfen. Die Anerkennung könnte höchstens aus dem Gesichtspunkte des ordre public versagt werden, wozu aber nach der Aktenlage kein Anlaß bestehe. Es gingen daher alle Ausführungen, daß der Kläger nach dem jugoslawischen Staatsbürgerschaftsgesetz vom 23. Oktober 1946, Nr. 602, die jugoslawische Staatsbürgerschaft verloren habe und daß es sich bei der in Rede stehenden Mitteilung um eine "Justamententscheidung" gegen den Kläger und um eine Gefälligkeitsentscheidung zugunsten seiner Gattin handle, ins Leere.

Die Rechtslage habe sich aber seit der Erlassung der Rekursentscheidung vom 30. Dezember 1954, 3 R 287/54-29, dadurch geändert, daß am 15. April 1955 im Bundesgesetzblatt unter Nr. 55 die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 verlautbart wurde, welche Konvention von den österreichischen Gerichten auch als innerstaatliches Recht anzuwenden sei.

Nach Art. 1 A Z. 2 der oben angeführten Konvention sei Flüchtling, wer sich infolge schon vor dem 1. Jänner 1951 eingetretener Ereignisse aus wohlbegrundeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Laut Art. 16 Z. 1 dieser Konvention werde ein Flüchtling zu den Gerichten auf dem Gebiete der vertragschließenden Staaten zugelassen, und Art. 16 Z. 2 bestimme, daß ein Flüchtling im vertragschließenden Staat, in dessen Gebiet er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, in bezug auf Zulassung zu den Gerichten einschließlich Armenrecht und Befreiung von der cautio judicatum solvi die gleiche Behandlung wie ein eigener Staatsangehöriger genießt. Aus diesen Bestimmungen ergebe sich aber, daß ein Flüchtling auch den Gerichtsstand des § 76 Abs. 3 Z. 1 JN. wie ein inländischer Staatsangehöriger in Anspruch nehmen könne. Im gleichen Zusammenhang sei aber auch noch auf Art. 1 E der Konvention zu verweisen, wonach diese Konvention auf Personen keine Anwendung findet, die von den zuständigen Behörden des Landes, in dem sie aufgenommen worden sind, im Besitz aller Rechte und Pflichten angesehen werden, die mit dem Besitze der Staatsangehörigkeit dieses Landes verbunden sind, was in Österreich bei den Staatenlosen zutrifft. Da nun sogar ein Staatenloser nach § 76 Abs. 3 Z. 1 JN. in Österreich bei dem Gerichtshofe des gewöhnlichen Aufenthaltsortes die Ehescheidungsklage gegen seine im Auslande lebende Frau, die ausländische Staatsbürgerin ist, erheben könne, müsse dies um so mehr für einen Flüchtling gelten, da die Konvention auf Grund des zu Art 1 E oben Gesagten Flüchtlinge nicht schlechter stellen wolle als Staatenlose, wozu noch komme, daß der Aufenthaltsstaat des Flüchtlings auf Grund der Konvention jenen Schutz in jeder Hinsicht zu gewähren verpflichtet sei, den der Flüchtling in seinem Heimatstaate nicht in Anspruch nehmen kann und auch nicht in Anspruch nehmen will.

Der Kläger habe nun im Verfahren vor Erlassung des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Graz vom 30. Dezember 1954 vorgebracht, daß er Volksdeutscher aus Jugoslawien sei, daß er sich seit 1945 in Österreich aufhalte, daß er bei der Deutschen Reichsbahn beschäftigt gewesen sei, daß er nach dem Krieg einen Monat in Jugoslawien sich aufgehalten habe, aber nicht dort verbleiben konnte, weil ihm seitens der Behörde Vorwürfe gemacht wurden, für das Deutsche Reich gearbeitet zu haben. Bei der Streitverhandlung vom 30. November 1955 habe er weiter behauptet, daß er beim Einzug der Deutschen im Jahre 1941 sogleich als Deutscher registriert worden sei und auch einen deutschen Wehrpaß erhalten habe, daß er zur Deutschen Reichsbahn nach St. Pölten gekommen und bis Kriegsende dort verblieben sei, sowie daß er anläßlich eines Besuches in Jugoslawien nach 1945 als Kollaborateur in Haft genommen, aber nach 14 Tagen enthaftet worden sei, wobei eine Bestrafung nicht erfolgte, und daß er im Februar 1946 nach Österreich geflüchtet sei. Im Rekurs sei ergänzend vorgebracht worden, daß der Kläger im Juni 1945 nach Marburg gegangen sei, um dort nach seiner Familie zu sehen, nicht aber, um dort seinen ständigen Aufenthaltsort zu nehmen, und daß er die Enthaftung dazu benützt habe, raschestens wieder nach Österreich zu flüchten. Damit behauptete der Kläger aber bereits Umstände, die nach Art. 1 A Z. 2 der Flüchtlingskonvention allenfalls die Flüchtlingseigenschaft begrunden könnten. Da nun die Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit dann, wenn der Kläger Flüchtling wäre, trotz seiner jugoslawischen Staatsangehörigkeit unbegrundet wäre, sei es von entscheidender Bedeutung, ob er Flüchtling im Sinne dieser Konvention sei oder nicht, was als Vorfrage für die gegenständliche Entscheidung von den mit dieser Sache befaßten Gerichten zu entscheiden sei.

Das Erstgericht habe aber bisher auf die Frage der Flüchtlingseigenschaft des Klägers, obwohl dieser diese Eigenschaft mit dem oben angeführten Vorbringen bereits geltend machte, keinen Bedacht genommen. Das habe zur Folge gehabt, daß das Erstgericht auch nicht gemäß § 182 ZPO. darauf hinwirkte, daß der Kläger seine Angaben über die Verfolgungen, denen er in Jugoslawien ausgesetzt war, und über die Gründe, die ihn zu seiner Flucht nach Österreich bewogen, weitere konkrete Angaben gemacht und Beweise für seine Behauptungen angeboten hätte, und daß weiters von ihm nicht alle Aufschlüsse verlangt worden seien, die zur Beurteilung der Frage der Flüchtlingseigenschaft erforderlich sind, demnach auch keine Feststellungen in dieser Richtung getroffen wurden. Dadurch sei aber das Verfahren über die Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit mangelhaft geblieben. Der Beschluß des Erstgerichtes sei daher gemäß § 496 Abs. 1 Z. 2 ZPO. aufzuheben und dem Erstgerichte die neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens aufzutragen gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß Art. 12 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, verlautbart am 15. April 1955 im BGBl. unter Nr. 55, welche als kundgemachter Staatsvertrag hinsichtlich ihrer Rechtsverbindlichkeit für die inländischen Behörden und die einzelnen Staatsbürger dem innerstaatlichen Recht koordiniert ist (Art. 49. 50 B-VG.), wird die personenrechtliche Stellung eines Flüchtlings vom Gesetz seines Wohnsitzlandes oder, wenn er keinen Wohnsitz hat, vom Gesetz seines Aufenthaltslandes bestimmt. Das Personalstatut der Flüchtlinge richtet sich nach der vorzitierten Konventionsbestimmung nach dem Recht des Wohnsitz- oder Aufenthaltslandes und nicht nach dem Recht der Staatsangehörigkeit des Flüchtlings. Es haben daher alle Kollisionsnormen der einzelnen Vertragsstaaten, die eine persönliche Anknüpfung vornehmen, gleichgültig, ob sie materiellrechtlicher oder verfahrensrechtlicher Natur sind, der vorzitierten Konventionsbestimmung zu weichen, wenn es sich um die personenrechtliche Stellung eines Flüchtlings handelt. Die Maßgeblichkeit des österreichischen Rechtes hinsichtlich der personenrechtlichen Stellung des Flüchtlings schließt daher im Falle des § 76 Abs. 3 JN. auch die inländische Gerichtsbarkeit in sich, da ein Flüchtling, der personenrechtlich einem Inländer gleichsteht, den Gerichtsstand des § 76 JN. wie ein inländischer Staatsangehöriger, demnach ohne Rücksicht auf die nach Abs. 3 der zitierten Gesetzesstelle geforderte Anerkennung der vom österreichischen Gericht zu fällenden Entscheidung nach dem Heimatrecht des Mannes, in Anspruch nehmen kann.

Es würde auch dem Sinn und Zweck der Genfer Flüchtlingskonvention widersprechen, wenn in Statusangelegenheiten von Konventionsflüchtlingen zwar an Stelle des dem Flüchtling hinderlichen Heimatrechtes das Recht des Wohnsitz(Aufenthalts)staates, im vorliegenden Fall somit das österreichische Recht, zu treten hätte, zur Entscheidung jedoch kein österreichisches Forum zur Verfügung gestellt würde.

Schließlich kann auch aus Art. 16 Abs. 1 und 2 der Flüchtlingskonvention gefolgert werden, daß dem Konventionsflüchtling die Zulassung zur österreichischen Gerichtsbarkeit nicht nur deswegen nicht verweigert werden darf, weil er ein Flüchtling ist, sondern auch nicht wegen seiner fremden Staatsangehörigkeit, die er noch besitzt.

Der dem Erstgericht erteilte Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichtes entspricht demnach der Sach- und Rechtslage.

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