European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0270DS00005.17T.0621.000
Spruch:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien das Disziplinarverfahren gegen Dipl.‑Jur. ***** analog § 197 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt abgebrochen, weil diese (in dem ihr vorgeworfenen Tatzeitraum) keine Tätigkeit im Sinne der §§ 40 ff EIRAG ausgeübt habe und daher nicht der inländischen Disziplinargewalt unterliege.
Der Abbruch eines Strafverfahrens nach der im Disziplinarverfahren gemäß § 77 Abs 3 DSt sinngemäß anzuwendenden Bestimmung des § 197 StPO (vgl 28 Os 6/16s, 22 Os 2/15g; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 77 DSt Rz 3) ist eine prozessleitende Verfügung im Zuge eines anhängigen Disziplinarverfahrens, welche nicht zu dessen Beendigung führt (Nordmeyer, WK-StPO § 197 Rz 2).
Gemäß § 58 DSt ist gegen eine bloß prozessleitende Verfügung kein abgesondertes Rechtsmittel zulässig (RIS–Justiz RS0130014).
Ob ein (anfechtbarer) Beschluss oder eine prozessleitende Verfügung vorliegt, wird nicht durch die Entscheidungsform, sondern das Wesen der Entscheidung definiert (Ratz, WK-StPO vor §§ 280–296a Rz 5 mwN; Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher StPO I § 35 Rz 4).
Im vorliegenden Fall hat der Disziplinarrat seine Zuständigkeit aufgrund angenommener fehlender Anwaltstätigkeit der Disziplinarbeschuldigten im Inland endgültig verneint und damit das Disziplinarverfahren meritorisch beendet. Der angefochtene Beschluss ist daher entgegen der Formulierung des Spruchs keine bloß prozessleitende Verfügung und unterliegt daher nicht der Rechtsmittelbeschränkung des § 58 DSt. Die Beschwerde des Kammeranwalts ist daher zulässig.
Der Oberste Gerichtshof ist an die geltend gemachten Beschwerdepunkte nicht gebunden. Aus Anlass der rechtzeitigen und zulässigen Beschwerde ist der angefochtene Beschluss daher – im Rahmen der Anfechtungserklärung – inhaltlich umfassend zu prüfen (15 Os 123/13x, EvBl 2014/107, 737 = JBl 2014, 741 m Anm Rami ; 14 Os 84/14f, Fabrizy , StPO13 § 89 Rz 4 f).
Die Bestimmungen des Disziplinarstatuts und der Disziplinartatbestände gelten für die in die Liste einer inländischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärterinnen bzw Rechtsanwaltsanwärter sowie für europäische Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte (§ 1 Abs 1 EIRAG) und international tätige Rechtsanwältinnen/Rechtsanwälte (§ 1 Abs 2 EIRAG) jeweils unter den im EIRAG angeführten näheren Voraussetzungen ( Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , § 1 DSt Rz 16 ff). Gehört eine Person während des ihr vorgeworfen Tatzeitraums nicht diesem Personenkreis an oder steht hinsichtlich eines europäischen oder eines international tätigen Rechtsanwalts zweifelsfrei (RIS-Justiz RS0056969, RS0057005) fest, dass die im EIRAG vorgesehenen weiteren Voraussetzungen für dessen Disziplinarbehandlung nicht vorliegen, ist – sofern keine Rücklegung durch den Kammeranwalt nach § 22 Abs 2 DSt erfolgt – die Anzeige von einem gemäß § 29 DSt gebildeten Senat mit Beschluss zurückzulegen oder von einem gemäß § 28 DSt gebildeten Senat ein Einstellungsbeschluss zu fassen. Sind für die Beurteilung der Anwendbarkeit der Bestimmungen des Disziplinarstatuts und der Disziplinartatbestände jedoch beweiswürdigend Feststellungen zu treffen, ist die Entscheidung dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt vorbehalten (RIS-Justiz RS0056973).
Der angefochtene, inhaltlich verfahrensbeendende Beschluss wurde gemäß der Urschrift (ON 52) allein vom Vorsitzenden des Disziplinarrats, also weder von einem nach § 29 DSt noch von einem nach § 28 DSt zusammengesetzten Senat gefasst und war daher gemäß § 77 DSt iVm § 89 Abs 2a Z 1 StPO aufzuheben.
Die Beschwerde ist daher in ihrem Eventualantrag im Ergebnis berechtigt.
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