OGH 15Os122/17f

OGH15Os122/17f12.4.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. April 2018 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen Andrzej C***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 7 Hv 44/03t des Landesgerichts Eisenstadt, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00122.17F.0412.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Andrzej C***** wurde mit Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Eisenstadt vom 17. Juli 2003 des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (1./) sowie des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (2./) schuldig erkannt und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Danach hat er am 6. August 2002 in O*****

1./ Dr. Wieslawa M***** getötet, indem er sie zu Boden stieß, mit einem Seil fesselte und ihr Gesicht mit einer Frischhaltefolie umwickelte, wodurch sie erstickte;

2./ Dr. Wieslaw M***** zu töten versucht, indem er ihm auflauerte, um ihn zunächst mit einer Decke zu überwältigen und auf ähnliche Weise zu töten, schließlich mit Fäusten auf ihn einschlug, was einen Bruch der neunten Rippe, eine Zerrung des rechten Handgelenks und Hautabschürfungen am rechten Ellenbogen sowie an der Nase zur Folge hatte, wobei die Ausführung der versuchten Tat lediglich an der heftigen Gegenwehr des Opfers scheiterte.

Nach Zurückweisung seiner Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 20. Jänner 2004, AZ 11 Os 152/03, gab das Oberlandesgericht Wien seiner Berufung nicht Folge. Das Urteil erwuchs am 18. März 2004 in Rechtskraft; die Strafe wird aktuell in der Justizanstalt Stein vollzogen.

Mit Beschluss vom 9. Jänner 2017, GZ 7 Hv 44/03t‑240, wies das Landesgericht Eisenstadt einen Antrag des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens ab. Seiner dagegen gerichteten Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 8. März 2017, AZ 131 Bs 33/17s, nicht Folge.

Mit am 19. September 2017 eingebrachtem Schriftsatz begehrt der Verurteilte (inhaltlich) die Erneuerung des die Wiederaufnahme des Strafverfahrens betreffenden Beschwerdeverfahrens und des seinerzeitigen Haupt‑ und Rechtsmittelverfahrens (§ 363a StPO; zum erweiterten Anwendungsbereich ohne vorherige Anrufung des EGMR vgl RIS‑Justiz RS0122228).

Zusammengefasst vertritt der Verurteilte den Standpunkt, im Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Strafverfahren seien zahlreiche Grundrechte verletzt worden:

1./ Die Ablehnung seines Antrags auf Wiederaufnahme sei (in beiden Instanzen) in Verkennung der rechtlichen Kriterien der §§ 352 ff StPO zu Unrecht erfolgt und verletze daher Art 6 Abs 1, Abs 3 lit b MRK iVm Art 13 MRK, iVm Art 2 Abs 1 7. ZPMRK und – ohne nähere Begründung unverständlich – auch iVm „Art 83 Abs 2 lit d“ B‑VG.

2./ Das (angebliche) Fehlen einer (auch) effektiven obligatorischen Verteidigung habe im seinerzeitigen Haupt‑ und Rechtsmittelverfahren einen Verstoß gegen Art 6 Abs 3 lit b und c MRK und (im Rechtsmittelverfahren) auch gegen Art 13 MRK iVm Art 2 Abs 1 7. ZPMRK bewirkt.

3./ Der Staat Österreich sei seiner Verpflichtung aus Art 2 MRK nicht nachgekommen, den Tod und die Todesursache eines Bürgers „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln restlos und unanfechtbar zu klären“, weil das vom Landesgericht Eisenstadt zu AZ 7 Hv 44/03t geführte Strafverfahren „keine Antwort auf die Frage gab, durch welche Tathandlung und durch welchen Täter Dr. Wieslawa M***** des Erstickungstodes verstarb“.

4./ Durch „Fälschung der Aussagen bei der polizeilichen Vernehmung unter starken Schmerzen (Rippenbrüche, Nierenprellung, Migräne-Anfall)“ sei es „zur unverbesserlichen Verfälschung“ der Ermittlungen gekommen, welche seinerzeit – in Verletzung von Art 3 MRK – zur Verurteilung des Erneuerungswerbers geführt hätten.

5./ Der Vollzug der (rechtskräftig) verhängten Freiheitsstrafe widerspreche Art 5 MRK, weil er im Zusammenhang mit einem aus Sicht des Antragstellers „rechtswidrigen“ Strafverfahren vor dem Landesgericht Eisenstadt stehe.

6./ Im zur Verurteilung führenden Hauptverfahren sei der Antragsteller unter Missachtung von Art 14 iVm Art 6 MRK wegen seiner Herkunft als polnischer Staatsbürger und seines sozialen Status als Nichtakademiker benachteiligt worden.

7./ In der Hauptverhandlung habe das „tatnächste Beweismittel“, die „Frischhaltefolie mit Atmungslöchern“ gefehlt, wodurch in Verletzung der Unschuldsvermutung die Beweislast rechtswidrig von der Anklage auf den Angeklagten verschoben worden sei (Art 6 Abs 2 MRK).

Rechtliche Beurteilung

Der Antrag erweist sich als unzulässig.

Soweit er angebliche Konventionsverstöße im der Verurteilung des Erneuerungswerbers zugrunde liegenden – seit 2004 rechtskräftig abgeschlossenen – Strafverfahren releviert (Punkte 2./, 3./, 4./, 6./, 7./), vermag er schon das Erfordernis rechtzeitiger Geltendmachung nicht zu erfüllen (RIS‑Justiz RS0122736).

Die Behauptung eines Verstoßes gegen Art 5 MRK (Punkt 5./) wiederum kann nicht zum Gegenstand eines Erneuerungsantrags nach § 363a StPO gemacht werden, weil dieser nur ein subsidiärer Rechtsbehelf ist, das GRBG die Befugnis zur Anfechtung wegen Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit abschließend regelt, einen Grundrechtsschutz durch den Obersten Gerichtshof in Betreff des Vollzugs von Freiheitsstrafen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen aber nicht vorsieht (§ 1 Abs 2 GRBG; vgl RIS‑Justiz RS0123350 [T1], RS0061089; 11 Os 100/17s).

Art 6 Abs 1 MRK findet auf Verfahren über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ („civil rights“) und auf Verfahren über die „Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage“ Anwendung, Art 6 Abs 2 und Abs 3 MRK nur auf letztere. Verfahren über außerordentliche Rechtsbehelfe, die lediglich auf die Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Verfahren gerichtet und ihrer Natur sowie Reichweite nach nicht als gewöhnliche Rechtsmittel anzusehen sind (Punkt 1./), fallen nach ständiger Rechtsprechung sowohl des EGMR als auch des Obersten Gerichtshofs nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK, weil sie – anders als ein wiederaufgenommenes Verfahren, in dem der Fall neuerlich geprüft wird – weder „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ noch „strafrechtliche Anklagen“ zum Gegenstand haben (RIS‑Justiz RS0120762, RS0105689, RS0131773; jüngst 11 Os 129/17f mwN).

Auf die am 14. November 2017 eingelangte „Verbesserung bzw Ergänzung“ des Antrags und das am 7. Dezember 2017 eingelangte Eingabenkonvolut des Verurteilten war nicht weiter einzugehen, weil das Gesetz nur eine einzige Ausführung des Erneuerungsantrags in Betreff einer bestimmten Sache kennt (RIS‑Justiz RS0123231).

Der Erneuerungantrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 1 und Abs 3 MRK als unzulässig zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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