OGH 6Ob44/18s

OGH6Ob44/18s28.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* regGenmbH, *, vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Rechtsanwalt in Zistersdorf, gegen die beklagte Partei Mag. J* M*, vertreten durch Mag. Christoph Hatvagner, Rechtsanwalt in Oberwart, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 11. Jänner 2018, GZ 22 R 37/17x‑83, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E121436

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Ob der Eigenbedarf des Vermieters durch eine im Sinne des § 30 Abs 2 Z 9 MRG ausreichende Dringlichkeit charakterisiert ist, um die Kündigung eines Bestandverhältnisses zu ermöglichen, lässt sich nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilen (RIS‑Justiz RS0107878). Eine solche Beurteilung wirft – abgesehen von einer hier nicht vorliegenden krassen Fehlbeurteilung –regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS‑Justiz RS0107878 [T3]). Dass Rechtsprechung zu einem völlig vergleichbaren Sachverhalt fehlt, begründet die Zulässigkeit der Revision nicht (RIS‑Justiz RS0107878 [T5]). Gleiches gilt für die Frage, ob dem Bedarf des Vermieters durch entsprechende Neuverteilung der ihm zur Verfügung stehenden Räume abgeholfen werden kann (RIS‑Justiz RS0107878 [T6]).

2.1. Entgegen den Revisionsausführungen weichen die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht von der ständigen Rechtsprechung ab:

2.2. Die Entscheidung 3 Ob 237/98v betraf den Fall einer Eigenbedarfskündigung durch einen Unternehmer zwecks Eröffnung eines weiteren Detailgeschäfts im Rahmen eines bereits bestehenden Unternehmens. Dort verneinte der Oberste Gerichtshof – in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen – das Vorliegen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 9 MRG. Aus der bisherigen Judikatur lasse sich ableiten, dass dringender Eigenbedarf an Geschäftsräumlichkeiten etwa dann bejaht werden könnte, wenn der Vermieter gezwungen ist, sein schon bisher betriebenes Unternehmen in die bisher von ihm vermieteten Räumlichkeiten zu verlegen. Dann werde man ihn nicht auf das zu beschaffende Ersatzlokal verweisen können. In so einem Fall sei eben entweder der Vermieter oder der Mieter gezwungen, sein Geschäft zu verlegen, sodass die typische Interessenlage und die Berücksichtigung des Eigentumsrechts auch nach dem MRG dafür spricht, die Voraussetzungen der Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG zu bejahen. Würden dagegen die vermieteten Geschäftsräumlichkeiten für einen erst zu gründenden Betrieb benötigt und gibt es angemessene Ersatzräumlichkeiten, dann spreche die typische Interessenlage dafür, den Vermieter auf die ohnehin zu beschaffenden Ersatzobjekte zu verweisen und demnach den dringenden Eigenbedarf an den vermieteten Räumen zu verneinen. Im konkreten Fall seien die Vorinstanzen zu Recht zur Auffassung gelangt, dass auch in dem Fall, in dem zwar der Vermieter bereits ein Unternehmen betreibt, für dieses aber einen zusätzlichen Standort in Form eines Detailgeschäfts eröffnen will, ganz besondere Umstände vorliegen müssen, um den dringenden Eigenbedarf am aufgekündigten Geschäftslokal zu begründen. Ein wesentlicher wirtschaftlicher Vorteil falle nicht ins Gewicht, weil bei Beurteilung des dringenden Bedarfs […] vage in nicht absehbarer Zeit eintretende Umstände nicht zu berücksichtigen sind.

2.3. Das in der Revision ins Treffen geführte „gemäßigte Verständnis“ von „Notstand“ und „Existenzgefährung“ wurde in der Entscheidung 4 Ob 167/99h im Zusammenhang mit der Kündigung einer Wohnraummiete nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG entwickelt. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei unter dringendem Eigenbedarf eine zumindest (wohnungs-)notstandsähnliche Situation zu verstehen, die nur dann zu bejahen sei, wenn der Wohnbedarf des Vermieters (Fruchtnießer) nicht oder nur so unzulänglich gedeckt sei, dass eine unabweisliche Notwendigkeit vorliege, diesen Mangel so bald als möglich zu beseitigen. […] Die gegen diese restriktive Rechtsauffassung in der Lehre geäußerten, zum Teil erhebliche Bedenken führen zu einem gemäßigteren Verständnis der in der bisherigen Rechtsprechung verankerten Begriffe „Notstand“ und „Existenzgefährdung“. […] Es sei davon auszugehen, dass der Eigentümer einer Wohnung in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen wolle und dürfe. Durch die Bestimmungen über den Entfall einer Interessenabwägung nach § 30 Abs 2 Z 8 lit a und b MRG lasse der Gesetzgeber erkennen, er wolle die Absicht einer Person, den Wohnbedarf in seiner Eigentumswohnung oder seinem Einfamilienhaus zu befriedigen, dadurch privilegieren. Daraus folge, dass der Vermieter, der über keine ausreichende Wohnmöglichkeit verfügt, im Allgemeinen mit seiner Eigenbedarfskündigung nicht schon deshalb auf die Möglichkeit einer anderweitigen Wohnungsnahme verwiesen werden darf, weil eine solche Wohnmöglichkeit an sich gegeben wäre. Es sei daher zu prüfen, ob die Kläger über eine „ausreichende Wohnmöglichkeit“ verfügen, die einen Wohnsitzwechsel und damit verbunden die Kündigung nicht als unabweislich notwendig erscheinen ließe. Bei dieser Beurteilung müsse jede Art der Benötigung des Bestandgegenstands berücksichtigt werden, die sich für den Vermieter (Fruchtnießer) aus einem wichtigen persönlichen oder wirtschaftlichen Bedürfnis ergibt, das nur durch Benützung der gekündigten Wohnung befriedigt werden kann (4 Ob 167/99h).

2.4. In 1 Ob 111/01g führte der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf die zuvor genannte Entscheidung 4 Ob 167/99h aus, dass, auch wenn im Sinne der jüngsten Rechtsprechung dem zu § 30 Abs 2 Z 8 und 9 MRG von der bisherigen Rechtsprechung herausgearbeiteten Notstands- und Existenzgefährdungsbegriff ein gemäßigteres Verständnis zu unterstellen sei, eine Aufkündigung wegen Eigenbedarfs in einem Fall wie dem dort vorliegenden nicht berechtigt sei. Das Bestandobjekt sei von den Klägern bewusst und in Kenntnis der Vermietung erworben worden, um in Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen neue Mietobjekte zu schaffen. In diesem Zusammenhang wurde vom Obersten Gerichtshof ausgeführt, dass der Vermieter das Geschäftslokal für sich selbst dringend benötigen müsse. Das Bestreben, die eigene wirtschaftliche Lage zu verbessern, sei vom Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 9 MRG nicht umfasst.

2.5. Die Begründungen der weiteren unter dem Rechtssatz RIS‑Justiz RS0070619 indizierten Entscheidungen beinhalten keine detaillierteren Ausführungen (10 Ob 318/02s; 3 Ob 106/08x) bzw betreffen Kündigungen von Wohnraummieten nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG (1 Ob 195/04i: Erkrankung des Sohnes des Klägers). Lediglich in 3 Ob 110/09m (neuerlich im Zusammenhang mit einer Wohnraummiete) wurde ausgeführt, dass zwar die jüngere Rechtsprechung nun von einem gemäßigteren Verständnis der Begriffe „Notstand“ und „Existenzgefährdung“ ausgehe, dass aber bei der Beurteilung des dringenden Bedarfs ein strenger Maßstab anzulegen sei (vgl auch 6 Ob 203/09k).

2.6. In der Entscheidung 1 Ob 194/97d billigte der Oberste Gerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen, die den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 9 MRG bei einem akuten Raumbedarf für Volksschulklassen und angespannter Finanzlage der Klägerin bejaht hatten.

2.7. Die in der Revision zitierte Entscheidung 4 Ob 54/07f betrifft primär die Frage der Sperrfrist des § 30 Abs 3 MRG. Zur Frage, ob ein Eigenbedarf des Vermieters als Voraussetzung der Kündigung eines Mietverhältnisses durch eine ausreichende Dringlichkeit charakterisiert ist, wird dort lediglich ausgeführt, dass sich das nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilen lasse. Im konkreten Fall wurde die Bejahung der Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 8 und 9 MRG aufgrund von Eigenbedarf der Vermieter als Wohnraum vom Obersten Gerichtshof nicht beanstandet.

3.1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wäre die von der Klägerin intendierte Schaffung einer Groß- und Firmenkundenabteilung in der Hauptstelle Z* samt Übersiedelung des Teams von G* W* und Unterbringung in den an den Beklagten vermieteten Räumen wirtschaftlich sinnvoll und praktikabel. Allerdings könnte auch der derzeitige Status belassen werden, ohne dass gleichzeitig auf zusätzliche Kreditgeschäfte verzichtet werden müsste. Dass die Kundenbetreuung weiterhin aus der Bankstelle und nicht der Hauptanstalt erfolgt, führt ebenfalls nicht unmittelbar zu einer betriebswirtschaftlichen oder aufsichtsrechtlichen Existenzbedrohung der klagenden Partei. Das Problem der überhöhten Belastung des G* W* und die damit verbundenen operationellen Risiken könnte auch durch veränderte Gestaltung von Abläufen, Verantwortlichkeiten und vermehrter Unterstützung durch sein Team reduziert werden und bedarf es hiezu nicht unbedingt des Abbaus der räumlichen Trennung zwischen Vertrieb, Marktfolge und Kompetenzträgern.

3.2. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage davon ausgingen, dass die klagende Partei das Bestandobjekt nicht dringend benötigt und dass das Bestreben, die eigene wirtschaftliche Lage zu verbessern, nicht vom Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 9 MRG umfasst ist (1 Ob 111/01g), und dass bei der Beurteilung des dringenden Bedarfs ein strenger Maßstab anzulegen ist (3 Ob 110/09m; 6 Ob 203/09k), ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das vom Obersten Gerichtshof entwickelte „gemäßigte Verständnis“ primär im Zusammenhang mit Wohnraummiete entwickelt wurde und mit dem damaligen Entfall der Interessenabwägung bei (Teilen von) Einfamilienhäusern und Wohnungseigentum begründet wurde. Diese Überlegungen lassen sich aber auf Büro‑ bzw Geschäftslokale nicht ohne weiteres übertragen.

4. Die behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Zusammenfassend vermag die klagende Partei sohin keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung aufzuzeigen, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

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